BT-Drucksache 14/8410

zu dem Antrag der Abgeordneten Homburger, Sehn, Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -14/5676- Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfallwirtschaft

Vom 28. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8410
14. Wahlperiode 28. 02. 2002

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
– Drucksache 14/5676 –

Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfallwirtschaft

A. Problem
Der Antrag zielt darauf ab, durch eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedin-
gungen eine stärkere Marktorientierung in der deutschen Abfallwirtschaft zu
realisieren. Hierzu soll u. a. die Bundesregierung aufgefordert werden, durch
den Erlass einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift einem dem Wortlaut und
Sinn des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes widersprechenden beseiti-
gungsorientierten Gesetzesvollzug in den Ländern und Kommunen entgegen-
zuwirken, Vorschläge zur Änderung dieses Gesetzes vorzulegen, die eine
Überführung der kommunalen Abfallwirtschaft in privatwirtschaftliche, wett-
bewerbliche Strukturen sowie eine Aufhebung landesrechtlicher Andienungs-
und Überlassungspflichten ermöglichen, geeignete Schritte zur Beseitigung der
monopolistischen Stellung der Duale System Deutschland AG zu unterneh-
men sowie auf Länder und Kommunen einzuwirken, in ihren Zuständigkeits-
bereichen für eine Trennung zwischen der wirtschaftlichen Betätigung im Ab-
fallbereich und der Wahrnehmung von Aufgaben der Überwachung und des
Gesetzesvollzuges Sorge zu tragen.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktion
der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/CSU

C. Alternativen
Annahme des Antrags.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Drucksache 14/8410 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag auf Drucksache 14/5676 abzulehnen.

Berlin, den 23. Januar 2002

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Christoph Matschie
Vorsitzender

Rainer Brinkmann (Detmold)
Berichterstatter

Georg Girisch
Berichterstatter

Winfried Hermann
Berichterstatter

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Eva Bulling-Schröter
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8410

Bericht der Abgeordneten Rainer Brinkmann (Detmold), Georg Girisch,
Winfried Hermann, Birgit Homburger und Eva Bulling-Schröter

I.
Der Antrag auf Drucksache 14/5676 wurde in der 201. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 15. November 2001
zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Innenausschuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und an den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
überwiesen.
Der Innenausschuss hat den Antrag in seiner Sitzung am
23. Januar 2002 beraten und mit den Stimmen der Fraktio-
nen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die
Stimmen der Fraktion der FDP bei Stimmenthaltung der
Fraktion der CDU/CSU empfohlen, den Antrag abzulehnen.
Der Rechtsausschuss hat den Antrag in seiner Sitzung am
23. Januar 2002 beraten undmit den Stimmen der Fraktionen
der SPD und PDS gegen die Stimmen der Fraktion der FDP
bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/CSU und bei
Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
empfohlen, den Antrag abzulehnen.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den
Antrag in seiner Sitzung am 12. Dezember 2001 beraten und
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP empfohlen, den Antrag abzulehnen.
Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung hat den Antrag in seiner Sitzung am 23. Januar
2002 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP empfohlen, den An-
trag abzulehnen.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union hat den Antrag in seiner Sitzung am 23. Januar
2002 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP empfohlen, den An-
trag abzulehnen.

II.
Der Antrag zielt darauf ab, durch eine Änderung der rechtli-
chen Rahmenbedingungen eine stärkere Marktorientierung
in der deutschen Abfallwirtschaft zu realisieren. Hierzu soll
u. a. die Bundesregierung aufgefordert werden, durch den
Erlass einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift einem dem
Wortlaut und Sinn des Kreislaufwirtschafts- und Abfallge-
setzes widersprechenden beseitigungsorientierten Gesetzes-
vollzug in den Ländern und Kommunen entgegenzuwirken,
Vorschläge zur Änderung dieses Gesetzes vorzulegen, die
eine Überführung der kommunalen Abfallwirtschaft in pri-
vatwirtschaftliche, wettbewerbliche Strukturen sowie eine
Aufhebung landesrechtlicher Andienungs- und Überlas-
sungspflichten ermöglichen, geeignete Schritte zur Beseiti-
gung der monopolistischen Stellung der Duale System
Deutschland AG zu unternehmen sowie auf Länder und
Kommunen einzuwirken, in ihren Zuständigkeitsbereichen

für eine Trennung zwischen der wirtschaftlichen Betätigung
im Abfallbereich und der Wahrnehmung von Aufgaben der
Überwachung und des Gesetzesvollzuges Sorge zu tragen.
Darüber hinaus tritt der Antrag dafür ein, dass der Deutsche
Bundestag die Länder bittet, in ihrem Zuständigkeitsbereich
und bei den Kommunen für eine strikte Trennung von Über-
wachung und wirtschaftlicher Betätigung Sorge zu tragen,
und an die Kommunen appelliert, die Chancen einer privat-
wirtschaftlichen, wettbewerblichen Organisation der kom-
munalen Abfallwirtschaft im Interesse der Bürger wahrzu-
nehmen.

III.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit hat den Antrag auf Drucksache 14/5676 in seinen
Sitzungen am 12. Dezember 2001 und am 23. Januar 2002
beraten.
Von Seiten der Fraktion der SPD wurden die Vorstellungen
der Antragsteller zu einer stärkeren Privatisierung der
Abfallentsorgung kritisiert. Man müsse zwischen der kom-
munalen Trägerschaft und der Durchführung der Abfallent-
sorgung unterscheiden. Bereits heute seien bei der kommu-
nalen Abfallentsorgung in hohem Maße marktwirtschaft-
liche Strukturen realisiert, da sie zu einem großen Teil von
privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen durchge-
führt werde; je nach Abgrenzung belaufe sich dieser Anteil
bei der Müllentsorgung auf bis zu 80 Prozent. Eine Privati-
sierung auch der Aufgabenträgerschaft werde an der man-
gelnden Bereitschaft der privaten Wirtschaft scheitern, die
damit verbundenen finanziellen Risiken zu tragen. Auch sei
zu erwarten, dass sich bei einer Liberalisierung der Abfall-
entsorgung im Sinne des Antrags die großen Entsorgungs-
firmen am Markt durchsetzten, da sie im Gegensatz zu den
kleinen und mittleren Firmen über die Ressourcen verfüg-
ten, nicht nur einzelne Abfallfraktionen zu entsorgen, son-
dern jeweils eine umfassende Entsorgung der Abfälle der
privaten Haushalte anzubieten. Der Antrag ziele darauf ab,
die Kommunen lediglich damit zu beauftragen, die Privaten
beim Abschluss eines geeigneten Entsorgungsvertrages mit
einem privaten Entsorgungsunternehmen zu unterstützen
und die Einhaltung der Verpflichtung zum Abschluss eines
derartigen Vertrages zu überwachen. Diese Vorstellung de-
cke sich nicht mit der Auffassung der Fraktion der SPD zu
den Aufgaben der Kommunen im Abfallbereich. Kritisch zu
beurteilen sei auch der mit der Vertragskontrolle verbundene
hohe Verwaltungsaufwand. Der Antrag werde abgelehnt.
Seitens der Fraktion der CDU/CSU wurde unterstrichen,
dass man sich nicht grundsätzlich gegen Liberalisierung,
Privatisierung und Wettbewerb in der Abfallwirtschaft aus-
spreche. Wichtig sei jedoch, die Sicherheit der Entsorgung
zu gewährleisten. Daher seien Rahmenbedingungen für die
Entsorgungssicherheit erforderlich, die den derzeitigen Be-
dingungen sehr nahe kämen. Auch bedürfe eine Neugestal-
tung der abfallwirtschaftlichen Rechtsgrundlagen angemes-
sener Übergangsregelungen. Eine Überführung der kommu-
nalen Abfallwirtschaft in privatrechtliche Strukturen, die
den durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ge-

Drucksache 14/8410 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
setzten Rahmen überschritten, werde als sehr problematisch
beurteilt. Unklar sei beispielsweise, wer bei einer vollstän-
digen Liberalisierung der Abfallwirtschaft die kostspieligen
aber notwendigen Reservekapazitäten vorhalten werde. Bei
einer rein marktwirtschaftlichen Orientierung der Entsorger
sei nicht zu erwarten, dass diese Kapazitäten freiwillig be-
reitgehalten würden. Den Bundesländern und Kommunen
sollte das Vertrauen entgegengebracht werden, die Abfall-
wirtschaft in Übereinstimmung mit den Gesetzen wirt-
schaftlich sinnvoll zu organisieren. Die Kommunen hätten
in den letzten Jahrzehnten fast immer kompetent, wirt-
schaftlich und verantwortungsvoll gehandelt; dies sei aus-
drücklich positiv zu würdigen. Insgesamt seien die im An-
trag formulierten Vorstellungen überwiegend ungeeignet,
die Probleme der Abfallwirtschaft nachhaltig zu lösen.
Stattdessen sollten die einschlägigen Erfahrungen und Vor-
schläge der Bundesländer und Kommunen stärker berück-
sichtigt werden. Bei der Abstimmung über den Antrag
werde man sich der Stimme enthalten.
Von Seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wurde betont, der Antrag sei geprägt von der einseitigen
Position, dass sich die abfall- und entsorgungswirtschaft-
lichen Probleme im Prinzip durch Deregulierung, Libera-
lisierung und Privatisierung lösen ließen. Eine derartige
Verengung der Sichtweise könne nicht akzeptiert werden.
Eine Reihe ökologischer Fortschritte sei nicht durch Maß-
nahmen der Liberalisierung und Privatisierung, sondern
durch kooperative, gemeinwirtschaftliche Lösungen auf
kommunaler Ebene im Rahmen landes- und bundesgesetz-
licher Regulierungen erzielt worden. Verschiedene abfall-
und entsorgungswirtschaftliche Aufgaben seien mit Erfolg
privatisiert worden, doch könne eine moderne ökologische
Politik nicht auf kollektive, gemeinwirtschaftliche Lösun-
gen verzichten. Rückblickend habe sich gezeigt, dass die
bisherigen Liberalisierungsschritte die Probleme teilweise
nicht nachhaltig gelöst hätten; zu den mängelbehafteten,
verbesserungsbedürftigen Bereichen zähle z. B. das Duale
System Deutschland. Die Antragsteller beabsichtigten, die
Öffentliche Hand als Marktteilnehmer zurückzuziehen und
sowohl auf der kommunalen Ebene als auch auf der Landes-
ebene dem klassisch liberalen Vorbild entsprechend ledig-
lich mit der Wahrnehmung von Aufsichtsfunktionen zu be-
trauen. Diesem Ansatz könne nicht zugestimmt werden.
Seitens der Fraktion der FDP wurden die Grundzüge des
Antrags erläutert. Wo es möglich und sinnvoll sei, wolle
man in der Abfallwirtschaft unter Beibehaltung der gegebe-
nen hohen Umweltstandards marktwirtschaftliche Struktu-
ren einführen und Privatisierungspotenziale ausschöpfen,
um kostensenkende Markt- und Innovationsprozesse zu för-
dern und die Verbraucher finanziell zu entlasten. Einen be-
sonderen marktwirtschaftlichen Reformbedarf sehe man
beim monopolistisch geprägten Dualen System Deutsch-
land. Angesichts ausreichender und gesicherter Entsor-

gungskapazitäten werde davon ausgegangen, dass die Ab-
fallentsorgung nicht mehr als kommunale Aufgabe der
Daseinsvorsorge einzustufen sei, sondern dass die einzelnen
Haushalte verpflichtet werden sollten, ihre Abfälle in Eigen-
verantwortung durch geeignete Abfallentsorgungsunterneh-
men entsorgen zu lassen. Dabei käme den Kommunen die
Aufgabe zu, die Privaten durch Ausschreibung geeigneter
Entsorgungsgebiete zu unterstützen. Nicht akzeptabel sei,
dass die Kommunen wie auch die Bundesländer in der Ab-
fallwirtschaft sowohl als Marktteilnehmer tätig seien als
auch Überwachungsaufgaben wahrnähmen, weil diese Dop-
pelfunktion zu Interessenkonflikten führen könne. Die Bun-
desländer und die Kommunen sollten sich stattdessen aus
den entsprechenden operativen Tätigkeiten zurückziehen
und auf die Wahrnehmung überwachender Aufgaben be-
schränken. Daher werde in dem Antrag u. a. gefordert, die
landesrechtlichen Andienungspflichten für Sonderabfälle
aufzuheben und die Zuständigkeit der Länder in der Abfall-
wirtschaft auf die Überwachung zu begrenzen. Die Argu-
mentation von Seiten der Fraktion der SPD, dass die Abfal-
lentsorgung bereits weitgehend privatisiert sei, teile man
nicht; die genannte quantitative Angabe zum Privatisie-
rungsgrad sei nicht nachvollziehbar. Auch der Auffassung,
dass die gewerblichen Siedlungsabfälle bisher überwiegend
im Rahmen der sog. Scheinverwertung beseitigt worden
seien, stimme man nicht zu. Allerdings gebe es einzelne
Entsorgungsfirmen, die nicht im Sinne der abfallrechtlichen
Bestimmungen handelten. Auch sei zu überlegen, die eine
oder andere abfallrechtliche Begriffsbestimmung vor dem
Hintergrund der vorliegenden Erfahrungen zu überarbeiten.
Von Seiten der Fraktion der PDS wurde der Antrag unter
Hinweis auf zu erwartende negative wirtschaftliche Folgen
abgelehnt. Die Erfahrung zeige, dass großen Entsorgungs-
firmen günstigere Konditionen als kleineren Unternehmen
eingeräumt würden. Eine Privatisierung der Abfallentsor-
gung werde die Wettbewerbssituation kleinerer Entsor-
gungsunternehmen verschärfen und zu einer Unterneh-
menskonzentration in der Abfallwirtschaft führen. Die
hieraus resultierende zunehmende Marktmacht einzelner
Entsorger werde die Preise für die Entsorgung von Abfällen
in die Höhe treiben und sich zu Lasten der Verbraucher aus-
wirken. Auch sei zu erwarten, dass die Herauslösung der
Abfallentsorgung aus der kommunalen Verantwortung zu-
gunsten einer Verpflichtung der Haushalte zum Abschluss
privatwirtschaftlicher Entsorgungsverträge zu ungleichen
Entsorgungskonditionen für die einzelnen Haushalte führen
werde. Aus diesen Erwägungen werde eine Privatisierung
der Abfallentsorgung abgelehnt.
Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die
Stimmen der Fraktion der FDP bei Stimmenthaltung der
Fraktion der CDU/CSU dem Deutschen Bundestag zu emp-
fehlen, den Antrag auf Drucksache 14/5676 abzulehnen.

Berlin, den 28. Februar 2002
Rainer Brinkmann (Detmold)
Berichterstatter

Georg Girisch
Berichterstatter

Winfried Hermann
Berichterstatter

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Eva Bulling-Schröter
Berichterstatterin

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