BT-Drucksache 14/8376

58. Tagung der VN-Menschenrechtskommission in Genf

Vom 27. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8376
14. Wahlperiode 27. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika Graf
(Rosenheim), Monika Heubaum, Karin Kortmann, Lothar Mark, Heide Mattischeck,
Volker Neumann (Bramsche), Günter Oesinghaus, Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Rolf Stöckel, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Christa Nickels, Dr. Angelika Köster-Loßack,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

58. Tagung der VN-Menschenrechtskommission in Genf

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die 58. Sitzung derMenschenrechtskommission der Vereinten Nationen (MRK)
findet in diesem Jahr in einer besonders angespannten Zeit statt. Die Zuspitzung
der Konflikte um Kaschmir und in Palästina, die Fortdauer des Bürgerkrieges in
Tschetschenien und eineVielzahl anderer regionaler und lokaler Konflikte gehen
allesamt mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Nach wie vor
politisch prägend sind die Folgen der Terroranschläge am 11. September 2001,
die in vielen Staaten einen Politikwechsel bewirkt haben, in dem neue Allianzen
sowie neue Schwerpunkte der internationalen Kooperation entstanden sind.
Orientierungsrahmen jeden politischen Handelns müssen weiterhin die univer-
sellen Menschenrechte sein. Weder die Verschiedenheit kultureller Traditionen
noch die Bekämpfung des Terrorismus rechtfertigen Abstriche an menschen-
rechtlichen Standards. Keinesfalls darf die Verfolgung terroristischer Verbrecher
als Vorwand für die Drangsalierung, Unterdrückung und Entrechtung missliebi-
ger Oppositioneller benutzt werden, wie es derzeit in einer ganzen Reihe von
Staaten geschieht. Je spannungsreicher in den einzelnen Staaten und Staaten-
gruppen das Verhältnis zwischen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen
Normen einerseits und Maßnahmen zur inneren Sicherheit andererseits wird,
um so nachdrücklicher muss die Menschenrechtskommission die Staatenge-
meinschaft auffordern, ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen
und konsequent mit jenen Strukturen der Vereinten Nationen zusammenzuarbei-
ten, die dabei Hilfestellung leisten können.
Unverzichtbar für die Förderung von Menschenrechten und Demokratie ist die
Zivilgesellschaft. Insbesondere Nichtregierungsorganisationen sind hier wich-
tige Akteure, auch wenn sie manchmal unbequeme Kritiker des Regierungshan-
delns sind. Kontinuierlicher Austausch und konstruktive Auseinandersetzung
mit ihnen können einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Menschen-
rechtssituation in einem Land leisten.
Achtung und Schutz aller Menschenrechte, sowohl der bürgerlichen und politi-
schen als auch der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, sind die
wirkungsvollste Krisenprävention und die beste Grundlage für den inneren und
äußeren Frieden. Obwohl die Gleichrangigkeit aller Rechte anerkannt ist, spie-

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len die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte noch immer eine unter-
geordnete Rolle. Ihre Stärkung im System der Menschenrechte ist vielen Staaten
ein wichtiges Anliegen. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundes-
republik Deutschland erneut einen Antrag zum Recht auf angemessene Woh-
nung einbringen und so das Mandat des Sonderberichterstatters Miloon Kothari
stärken will.
Als Ergebnis derWeltkonferenz gegen Rassismus in Durban im September 2001
wird der Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlich-
keit und Intoleranz einen höheren Stellenwert bei der MRK einnehmen als bis-
her. Künftig soll die Hochkommissarin für Menschenrechte der MRK jährlich
über die Umsetzung des in Durban verabschiedeten Aktionsplans berichten. Die
diesjährige Tagung sollte genutzt werden, um die Staatengemeinschaft nach-
drücklich auf die vereinbarten Maßnahmen zur Bekämpfung zeitgenössischer
Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hinzuweisen und auf ihre
rasche Umsetzung zu dringen.
Opfer vonMenschenrechtsverletzungen sind häufig die schwächsten Glieder der
Gesellschaft: Grundlegende Rechte vonMinderheiten, Frauen und Kindern wer-
den missachtet, elementare Ansprüche der Armen ignoriert. Die aktuellen Ereig-
nisse in Afghanistan haben dies erneut deutlich gemacht, denn es waren vor al-
lem Frauen und Mädchen, die unter der Herrschaft der Taliban gelitten haben.
Ihre Marginalisierung und systematische Unterdrükkung sind nicht nur eine gra-
vierende Menschenrechtsverletzung, sondern auch eine Vergeudung von schöp-
ferischen Ressourcen.
Die Rechte von Frauen müssen auch bei der Menschenrechtskommission auf
der Tagesordnung bleiben. Ein immer drängenderes Problem beispielsweise ist
der internationale Frauenhandel. Die Tagung der MRK bietet Gelegenheit, aktiv
für die Zeichnung und Ratifizierung des VN-Zusatzprotokolls zur Vorbeugung,
Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels zu werben. Auch sollte die
MRK als Forum genutzt werden, die zahlreichen und durchaus erfolgreichen
Anstrengungen zu unterstützen, weibliche Genitalverstümmelung weltweit zu
ächten. Jedes Jahr kommen zwei MillionenMädchen hinzu, die dieses Schicksal
erleiden.
Mit ihrer Anti-Folter-Kampagne im letzten Jahr hat die Menschenrechtsorgani-
sation Amnesty International die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit darauf
gelenkt, dass in 70 Staaten Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Be-
handlung noch immer eine weit verbreitete Praxis ist. Der Deutsche Bundestag
begrüßt, dass sich die MRK erneut mit dem Thema beschäftigen wird und eine
Untersuchung zum Handel mit Folterwerkzeug plant. Ziel muss sein, Ausfuhr,
Handel und Nutzung von Folterwerkzeugen sowie den Missbrauch von zur Fol-
ter besonders geeigneten Geräten zu ächten.
Noch immer halten viele Staaten an der Todesstrafe fest, die das grundlegendste
Menschenrecht verletzt, nämlich das Recht auf Leben. Die MRK sollte daher er-
neut eine Resolution zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe einbringen.
Der Deutsche Bundestag beobachtet auch mit Sorge die Menschenrechtssitua-
tion in einzelnen Staaten:
l Der Tschetschenien-Konflikt fordert weiterhin zahlreiche Opfer sowohl in

der Zivilbevölkerung als auch bei russischen Sicherheitskräften und tschet-
schenischen Kämpfern. Einheimische wie internationale Menschenrechts-
organisationen berichten von schweren Menschenrechtsverletzungen auf
beiden Seiten. Obwohl ein Teil der tschetschenischen Kämpfer Verbindun-
gen zu internationalen terroristischen Strukturen hat, darf Russland nicht an-
dere lokale Ursachen und die besondere Geschichte dieses Konflikts mit
dem Hinweis auf die Bekämpfung des Terrorismus beiseite schieben. In je-
dem Fall muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt
bleiben und darf kein Krieg gegen die Bevölkerung geführt werden. Das

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8376

Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte steht weiterhin nicht in Einklang
mit dem humanitären Völkerrecht.

l Trotz ermutigender Zeichen ist die Liste der Menschenrechtsverletzungen in
China nach wie vor lang: exzessive Anwendung der Todesstrafe, Administ-
rativhaft zur „Umerziehung durch Arbeit“, Verbot der politischen Opposi-
tion sowie die Verfolgung religiöser und spiritueller Minderheiten. In letzter
Zeit hat die Unterdrückung der tibetischen Kultur sogar zugenommen. Äu-
ßerst beunruhigend ist auch das harte Vorgehen gegenüber den muslimischen
Uiguren, das von offizieller Seite als Kampf gegen den Terrorismus gerecht-
fertigt wird.

l Mit den Verfassungsänderungen im Oktober 2001 hat die Türkei einen
wichtigen Schritt hin auf eine EU-Mitgliedschaft getan. Dies ändert jedoch
nichts daran, dass gegenwärtig die Menschenrechtslage äußerst unbefriedi-
gend ist: Folter und Misshandlungen in Polizei- und Gefängniseinrichtun-
gen, Beibehaltung der Todesstrafe, Verletzung der Meinungs-, Presse- und
Religionsfreiheit sowie die Verweigerung kultureller Rechte der kurdisch-
stämmigen Bevölkerung laufen grundlegenden Menschenrechtsstandards
zuwider. Darüber hinaus ist es noch immer nicht gelungen, die Hunger-
streiks von Häftlingen zu beenden.

l Die Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten und Israel ist
hochexplosiv. Fast täglich erschüttern Selbstmordanschläge von Palästinen-
sern und militärische Vergeltungsschläge durch Israel die Region und ver-
sperren jeglichen Dialog. Die internationale Gemeinschaft hat bislang
zurückhaltend reagiert. Umso wichtiger könnte ein Versuch der MRK sein,
auf das Ende der Gewalt auf beiden Seiten zu dringen und für Verhandlun-
gen zu werben, die allein einen Weg zum Frieden eröffnen können und damit
den Menschen, insbesondere der Jugend in Palästina, eine gestaltbare Zu-
kunft ermöglichen.

l Der Deutsche Bundestag begrüßt das Vorhaben der indonesischen Regie-
rung, in Kürze ein Menschenrechtsgericht zur Ahndung der Verbrechen in
Osttimor einzusetzen und wird die Prozesse aufmerksam beobachten.
Gleichzeitig ist er besorgt über das Klima der Rechtlosigkeit in Aceh. Beim
Vorgehen des indonesischen Militärs gegen die Rebellen in Aceh sind Zivi-
listen und insbesondere Menschenrechtsaktivisten immer wieder Opfer von
Menschenrechtsverletzungen. Auch verletzt die gewaltsame Räumung eines
Armenviertels in Jakarta durch die Polizei die wirtschaftlichen und sozialen
Rechte der betroffenen Menschen.

Bei der Sitzung der MRK tragen die Staaten der Europäischen Union und damit
auch die Bundesrepublik Deutschland eine große Verantwortung. Die Bundesre-
gierung hat bei Amtsantritt die Menschenrechte zur Leitlinie ihrer Politik erklärt
und misst ihnen weltweit eine zentrale Bedeutung im Bemühen um Frieden, Sta-
bilität und Wohlstand zu. Sie versteht sich als Brückenbauer zwischen den zum
Teil sehr unterschiedlichen Interessen der Mitglieder der MRK. Diese Mittler-
rolle schließt jedoch nicht aus, ja beinhaltet sogar, dass menschenrechtliche De-
fizite offen benannt und Veränderungen nachdrücklich eingefordert werden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. auf der 58. Sitzung der MRK gemeinsam mit gleichgesinnten Partnern die

Legitimität des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus anzuerken-
nen und zugleich entschieden darauf zu bestehen, dass dabei menschenrecht-
liche Standards eingehalten werden – auch im Umgang mit gefangenen Ter-
roristen – und die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleibt;

2. bei anderen Staaten intensiv für die Umsetzung des VN-Paktes über wirt-
schaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu werben sowie für ein Zusatz-
protokoll einzutreten, das die Möglichkeit von praktikablen Individual- und
Kollektivbeschwerden eröffnet;

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3. die Resolution zum Recht auf angemessene Wohnung zum Anlass zu neh-
men, den Sonderberichterstatter Miloon Kothari darin zu unterstützen, dass
das Recht auf angemessene Wohnung als Rechtsanspruch unterstützt wird;

4. ihren Einfluss geltend zu machen, dass die in Durban vereinbarten Maßnah-
men gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit national, regional und in-
ternational umgesetzt werden;

5. darauf hinzuwirken, dass möglichst viele Staaten rasch die VN-Konvention
gegen transnationales organisiertes Verbrechen sowie das „Zusatzprotokoll
zur Vorbeugung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, ins-
besondere des Frauen- und Kinderhandels“ zeichnen und ratifizieren;

6. sich dafür einzusetzen, dass alle Staaten das „Zusatzprotokoll zum Überein-
kommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung vonKindern
an bewaffneten Konflikten“ und das „Zusatzprotokoll zumÜbereinkommen
über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, sowie Kin-
derprostitution und Kinderpornographie“ zeichnen und ratifizieren;

7. darauf hinzuwirken, dass Ausfuhr, Handel und Nutzung von Folterwerk-
zeugen und der Missbrauch von nicht gezielt dafür bestimmten, aber zur
Verwendung zur Folter besonders geeigneten Geräten geächtet und geeig-
nete Kontrollmechanismen etabliert werden;

8. die gemeinsam mit den Partnern in der EU konsequent vertretene Politik
gegen die Todesstrafe durch die erneute Einbringung einer Resolution zur
weltweiten Ächtung der Todesstrafe fortzuführen;

9. darauf hinzuwirken, dass sowohl in den einzelnen Staaten als auch bei der
MRK die menschenrechtlichen Kenntnisse und Empfehlungen von Nichtre-
gierungsorganisationen ernst genommen und konstruktiv verwertet werden;

10. im Verbund mit der EU darauf hinzuwirken, dass Russland künftig in
Tschetschenien die Menschenrechte achtet, begangene Menschenrechtsver-
letzungen konsequent strafrechtlich ahndet sowie seinen Verpflichtungen
aus dem VN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Europäischen
Menschenrechtskonvention sowie den Genfer Konventionen nachkommt;

11. unabhängig vom Menschenrechtsdialog der EU mit China gemeinsam mit
den Partnern in der MRK für eine Resolution zur Menschenrechtssituation
in China einzutreten, die die Regierung u. a. auffordert, verstärkt mit den
Mechanismen der MRK, insbesondere mit den Sonderberichterstattern, zu-
sammenzuarbeiten mit dem Ziel, die Menschenrechtslage in allen Teilen
des Landes – auch in Tibet und Xinjiang – substanziell zu verbessern;

12. im Verbund mit der EU darauf hinzuwirken, dass die Türkei ernsthafte An-
strengungen unternimmt, Folter und unmenschliche und erniedrigende Be-
handlung zu bekämpfen, die Täter zu bestrafen und der kurdischstämmigen
Bevölkerung die ihr völkerrechtlich zustehenden Rechte zu gewähren;

13. gemeinsam mit den Partnern in der EU darauf hinzuwirken, dass die am
Nahostkonflikt beteiligten Parteien die MRK zu konstruktiven Gesprächen
nutzen, um einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden;

14. im Rahmen der MRK darauf zu dringen, dass Indonesien die Einhaltung in-
ternationaler Standards beim Menschenrechtsgericht, das die Verbrechen in
Osttimor aufarbeitet, gewährleistet und konsequent gegen Menschenrechts-
verletzungen im ganzen Land vorgeht.

Berlin, den 27. Februar 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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