BT-Drucksache 14/833

Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe

Vom 19. April 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/833 vom 19.04.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Anerkennung frauenspezifischer
Fluchtgründe =

19.04.1999 - 833

14/833

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS
Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe

Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sind mehr als 50
Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, über zwei Drittel davon
sind Frauen und Kinder. Diese Frauen sind neben Fluchtursachen wie
politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung von zusätzlichen
Repressionen betroffen: Arbeitsverbot für Frauen, Auspeitschung wegen
Verstoßes gegen Kleidungsvorschriften, Vergewaltigung durch
"Sicherheitskräfte", genitale Verstümmelung usw. Die meisten dieser
Frauen erhalten jedoch in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl.
Begründet wird dies damit, daß frauenspezifische Fluchtgründe "als
nicht politisch und damit asylunerheblich" bezeichnet werden. Außerdem
sieht Pro Asyl die Gründe hierfür in den "Ausschlußmechanismen, die von
der Asylrechtsprechung entwickelt wurden, aber auch in dem fehlenden
Problembewußtsein und mangelnder Sensibilität der mit Asylentscheidung
befaßten Personen und Institutionen" (Pro Asyl, März 1997).
In den Niederlanden wurde dagegen in mehreren Grundsatzentscheidungen
der "Koordinierenden Kammer" des Distriktgerichts Den Haag, der
landesweiten gerichtlichen Instanz für Asylanträge, die nach dem 1.
März 1998 gestellt worden sind, auf das Kriterium der Staatlichkeit für
Asylanerkennungen verzichtet. Die Existenz eines verfolgenden Staates
ist somit für alle neuen Asylverfahren in den Niederlanden nicht mehr
Anerkennungsvoraussetzung.
Auch in der Schweiz wurde das Asylverfahrensgesetz so erweitert, "daß
bei der Bewertung der begründeten Furcht vor Verfolgung
frauenspezifischen Fluchtgründen Rechnung zu tragen ist"
(Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, Band 4).
In Kanada wurden bereits 1993 Richtlinien zu frauenspezifischer
Verfolgung verabschiedet, nach denen Frauen, die beispielsweise vor
einer drohenden genitalen Verstümmelung, Zwangsheirat usw. fliehen, der
Flüchtlingsstatus zuerkannt wird (Schriftenreihe des Bundesamtes für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Band 4).
In der Koalitionsvereinbarung wurde folgendes festgelegt: "Wir werden
die Verwaltungsvorschriften mit dem Ziel der Beachtung
geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe überarbeiten".
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in ihren außen-,
wirtschafts- und entwicklungspolitischen Beziehungen eingeleitet bzw.
intensiviert, um Menschenrechte für Frauen zu verwirklichen?
2. Sind die Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland
aufgefordert worden, ihre Berichterstattung über sexuelle Gewalt an
Frauen zu erweitern und frauenspezifische Verfolgungen stärker als
bisher zu berücksichtigen?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Gedenkt die Bundesregierung ggf., diese Überlegung in Zukunft zu
berücksichtigen?
Wenn ja, wann ist mit einer Umsetzung zu rechnen?
3. Werden von der Bundesregierung Organisationen -- auch
Nichtregierungsorganisationen --, die sich für die Bekämpfung von
sexueller Gewalt gegen Frauen in den betreffenden Ländern einsetzen,
unterstützt?
Wenn ja, welche Organisationen werden in welchen Ländern und in welchem
Umfang unterstützt (bitte auflisten)?
4. Warum erfolgt keine Änderung im Asylverfahrensgesetz, wonach auch
wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgte
Frauen Asyl genießen, bzw. hat die Bundesregierung vor, eine solche
Änderung herbeizuführen?
5. Ist die Bundesregierung bereit, Änderungen in § 51 AuslG dahin
gehend herbeizuführen, daß auch geschlechtsspezifische
Verfolgungsgründe ein asylrechtliches Abschiebungshindernis darstellen?
6. Wird der Bundesminister des Innern von seiner Weisungsbefugnis im
Bereich des § 53 AuslG gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge dahin gehend Gebrauch machen, daß dieses
angewiesen wird, sexuelle Gewalt als Abschiebungshindernis im Sinne von
§ 53 AuslG zu akzeptieren?
Wenn nein, warum nicht?
7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der alten
Bundesregierung: "Sexuelle Gewalt gegen Frauen kann daher nur dann als
Asylgrund in Betracht kommen, wenn sie in dem Staat zurechenbarer Weise
von staatlichen Organen oder von Dritten, gegen die der Staat die ihm
an sich verfügbaren Machtmittel nicht einsetzte, ausgeübt wird"
(Drucksache 12/3015)?
Wenn nein, wird die Bundesregierung sich für die Erweiterung der Genfer
Flüchtlingskonvention um den Verfolgungsgrund Geschlecht einsetzen?
8. Welche Informationen wurden dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge zu geschlechtsspezifischen Verfolgungen von
Frauen für die Beurteilung der Asylgesuche von Frauen zur Verfügung
gestellt?
9. Wurde die Forderung umgesetzt, daß die Anhörung asylsuchender
Frauen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
durch weibliche Bedienstete (Anhörerinnen und Dolmetscherinnen)
durchgeführt wird?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja,
-- wie hoch ist der Anteil der weiblichen Bediensteten,
-- wurden diese ausgebildet, um mit den spezifischen Problemen von
Frauen im Verfahren umgehen zu können?
10. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, Organisationen
bzw. Initiativen zu fördern, um diese in die Lage zu versetzen,
verfolgte Frauen psychosozial zu versorgen und zu begleiten?
Sind hierfür Bundeshaushaltsmittel für das Jahr 1999 zur Verfügung
gestellt worden?
Wenn nein, warum nicht?
11. Erfaßt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
bei der Befragung weiblicher Asylsuchender geschlechtsspezifische
Fluchtgründe?
Wenn ja, nach welchen Kriterien werden diese erfaßt (bitte nach Anzahl,
Bundesland, Fluchtgründen, Anerkennungsquoten und Jahren seit 1990
auflisten)?
Wenn nein, wird die Bundesregierung das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge anweisen, künftig Fluchtgründe von Frauen zu
erfassen oder betroffene Frauen gezielt nach diesen
geschlechtsspezifischen Fluchtgründen zu fragen?
12. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der oben
beschriebenen Praxis der Länder Kanada, Niederlande und der Schweiz?
13. Welche EU-Staaten neben den Niederlanden erkennen
frauenspezifische Fluchtgründe als Asylgrund an (bitte auflisten)?
14. Ist die Bundesregierung willens, sich für eine Harmonisierung des
Asylrechts in der EU einzusetzen, um auf die Entwicklung einer
europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik mit hohem Schutzniveau
hinzuwirken, die einen gleichberechtigten Rechtsstatus von
Flüchtlingsfrauen und die Anerkennung geschlechtsspezifischer
Fluchtgründe einschließt?
Bonn, den 14. April 1999
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

19.04.1999 nnnn

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