BT-Drucksache 14/8316

Wirtschaftspolitische Auswirkungen der EU-Osterweiterung

Vom 19. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8316 (neu)
14. Wahlperiode

Große Anfrage
der Abgeordneten Klaus Francke, Matthias Wissmann, Ulrich Adam,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Klaus Brähmig, Dr. Hansjürgen Doss,
Albrecht Feibel, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Kurt-Dieter Grill,
Ernst Hinsken, Klaus Hofbauer, Ulrich Klinkert, Dr. Martina Krogmann,
Dr. Norbert Lammert, Vera Lengsfeld, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn),
Elmar Müller (Kirchheim), Bernd Neumann (Bremen), Friedhelm Ost,
Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Katharina Reiche, Hans-Peter Repnik,
Dr. Heinz Riesenhuber, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Hartmut Schauerte,
Karl-Heinz Scherhag, Dietmar Schlee, Max Straubinger, Andrea Voßhoff,
Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Wirtschaftspolitische Auswirkungen der EU-Osterweiterung

Mit der Erweiterung der Europäischen Union bietet sich die historische Chance,
die Teilung Europas zu überwinden und gleichzeitig Schritt für Schritt das
Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West zu verringern. Europa ist erst geeint,
die europäische Integration erst vollendet, wenn auch Mittel-, Ost- und Südost-
europa Teil der Europäischen Union geworden sind. Die weit ausgreifende
Öffnung nach Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist eine der wichtigsten und
schwierigsten Aufgaben in der Geschichte der Europäischen Union. Nur we-
nige Entscheidungen zuvor hatten so weitreichende Folgen für die beteiligten
Staaten und für die einzelnen Bürger der gesamten Union.
Deutschland trägt hier eine besondere historische Verantwortung. Die Abkehr
vom Kommunismus und die politische Öffnung in den Ländern Mittel-, Ost-
und Südosteuropas haben die deutsche Wiedervereinigung unterstützt bzw. erst
möglich gemacht. Es ist für Deutschland deshalb auch eine Frage historischer
Gerechtigkeit, dass diese Staaten in die Europäische Union aufgenommen wer-
den. Die jetzigen Kandidatenländer haben sich seit über zehn Jahren mit einem
ungewöhnlich hohen Ausmaß an Flexibilität, Anpassung, Umstrukturierung
und Entschlossenheit auf den Beitritt vorbereitet. Es war und ist ein harter Re-
formprozess, der die Gesellschaften dieser Länder erheblichen Belastungen
aussetzt. Trotz der bisher schon erbrachten Leistungen müssen die Beitrittslän-
der ihren inneren Reformprozess fortsetzten.
Die Erweiterung der Europäischen Union liegt politisch und wirtschaftlich im
deutschen Interesse. Sie ist aber auch mit verschärftem Wettbewerb und erhöh-
tem Anpassungsdruck verbunden. Aufgabe der Politik ist es, die Erweiterung
durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen und politisch zu begleiten. Die
Bundesregierung ist daher aufgefordert, in Abstimmung mit der EU-Kommis-
sion Konzepte zur Förderung der wirtschaftlichen Kooperation zu erarbeiten.

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In ihrem im November 2001 vorgelegten Strategiepapier zur Erweiterung hebt
die EU-Kommission hervor, dass die Kandidatenländer im Hinblick auf die
Einhaltung der Beitrittskriterien für die EU-Mitgliedschaft bereits erhebliche
Fortschritte erzielt haben. Dies gilt insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht
sowie auch bei der Übernahme des Besitzstandes. Jedoch müssen Reformen im
administrativen und justiziellen Bereich sowie wirtschaftliche Strukturreformen
mit großer Entschiedenheit weiter vorangetrieben werden. Es sind Strategien zu
entwickeln, mit denen die Hemmnisse zwischen den EU-Staaten und den Bei-
trittsländern weiter abgebaut und die Zusammenarbeit gefördert wird. Der Wirt-
schaft, insbesondere den mittelständischen Unternehmen, ist in dieser Hinsicht
zu danken, da viele Unternehmen bereits jetzt ausgeprägte Kooperationen mit
den Beitrittsländern pflegen.
Die Erweiterung wird natürlich auch Folgen für die deutsche Wirtschaft haben,
die frühzeitig genug erkannt werden müssen und ein politisches Handeln erfor-
dern.

Daher fragen wir die Bundesregierung:
I. Strukturpolitische Maßnahmen
1. Welche besonderen Strukturfördermaßnahmen sind zur Unterstützung der

Beitrittsländer in Kraft und wie hoch müssen nach Auffassung der Bundes-
regierung die Mittel für die in den Beitrittsländern durchzuführenden Struk-
turanpassungen sein?
Sieht die Bundesregierung die bislang zur entsprechenden Unterstützung
veranschlagten EU-Mittel als ausreichend an?

2. Wie ist der Stand der Infrastrukturvorhaben im Bereich der transeuropäi-
schen Netze mit den beitrittswilligen Nachbarländern Deutschlands?

3. In welcher Höhe müssen nach Auffassung der Bundesregierung Mittel zur
Wirtschaftsförderung in den Beitrittsländern bereitgestellt werden und wel-
che Bereiche sollen damit besonders gefördert werden?

4. Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um die deutschen Grenz-
regionen zu den Beitrittsländern auf die mit der Erweiterung verbundenen
Folgen vorzubereiten?

5. Sieht die Bundesregierung die bislang zur entsprechenden Unterstützung
veranschlagten EU-Mittel als ausreichend an?

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung das Versprechen von Bundeskanzler
Gerhard Schröder in Weiden vom 18. Dezember 2000 als eingelöst an, dass
zusätzliche Mittel in die deutschen Grenzregionen fließen werden, um diese
auf den Beitritt vorzubereiten und was will die Bundesregierung in Zukunft
in dieser Hinsicht unternehmen?

7. Welche Maßnahmen favorisiert die Bundesregierung, um ein drohendes För-
dergefälle zwischen den deutschen Grenzregionen und den Beitrittsländern
zu verhindern?

8. Welche Schwerpunkte setzt die Bundesregierung in den Beitrittsverhandlun-
gen mit Polen und Tschechien im Bereich der Regional- und Strukturpolitik?

9. Welche grenzüberschreitenden Netzwerke zur wirtschaftlichen Kooperation
und zum mittelständischen Informationsaustausch unterstützt die Bundes-
regierung beziehungsweise beabsichtigt sie zu unterstützen?

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II. Geldpolitische Maßnahmen
10. Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand der Vorbereitung der Kandi-

datenländer in Bezug auf den Beitritt zur Währungsunion und die Einfüh-
rung des Euro?
Reichen die Anstrengungen der Kandidatenländer aus, um die Konvergenz-
kriterien zu erfüllen und warum ist es nach Auffassung der Bundes-
regierung wünschenswert, denjenigen Ländern, die diese Kriterien nicht
erfüllen, Ausnahmeregelungen entsprechend Artikel 122 Abs. 1 des EG-
Vertrages (EGV) einzuräumen?

11. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung sichergestellt werden, das
die monetäre und finanzpolitische Stabilität einer erweiterten Eurozone
auch nach dem Beitritt weiterer Länder gewährleistet bleibt?
Inwieweit konnten hier durch das TRANSFORM-Programm der Bundes-
regierung entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden?

III. Handel, Unternehmen, Landwirtschaft, Verkehr und Energie
12. Wie hat sich der Außenhandel Deutschlands mit den Beitrittsländern entwi-

ckelt und welches Handelsvolumen im Vergleich mit den bisherigen EU-
Staaten ist nach dem Beitritt zu erwarten?

13. Welche Wirtschaftsbereiche in Deutschland werden von dem Beitritt be-
sonders profitieren?
Welche Sektoren sind durch den zunehmenden Konkurrenzdruck osteuro-
päischer Unternehmen besonders gefährdet?

14. Wie schätzt die Bundesregierung die zukünftige Entwicklung der Handels-
beziehungen deutscher Unternehmen mit Unternehmen in den Beitrittslän-
dern ein?

15. Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung notwen-
dig, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gegenüber Un-
ternehmen in den Beitrittsländern zu sichern?

16. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Förderung der Koope-
ration zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMVU) in Deutsch-
land und den Beitrittsländern?
Welche konkreten Anpassungsstrategien und Qualifizierungsmaßnahmen
plant die Bundesregierung, um erfolgreiche grenzüberschreitende Aktivitä-
ten zu fördern?

17. Welche Schwerpunkte setzt die Bundesregierung in den Beitrittsverhand-
lungen mit Polen und Tschechien im Bereich der Landwirtschaft?
In welchen Bereichen soll es hier nach Auffassung der Bundesregierung
Übergangsregelungen geben?

18. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um mit Blick
auf die Osterweiterung der EU Bedarfsplanungen für die Verbesserungen
des Straßen- und Schienenverkehrs zu entwickeln und diese mit den
EU- und Anrainerstaaten abzustimmen?

19. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für die Beitrittsländer
aus der übergangslosen Einführung des Energiebinnenmarktes?

20. Wie hoch ist der geschätzte Investitionsbedarf für die Anpassung der
Energieversorgungsinfrastruktur an die Standards der EU?

21. Wer soll und kann die erforderlichen Investitionen in die Erneuerung der
Energiestandorte tragen?

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22. Welche Probleme ergeben sich aus der Anpassung der Energiewirtschaft an
die in der EU geltenden technischen Standards für die Wettbewerbsfähig-
keit?

IV. Arbeitsmarkt
23. Welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung mittelfristig auf den deut-

schen, insbesondere den ostdeutschen Arbeitsmarkt, durch das Arbeitsan-
gebot speziell von Tages- und Wochenpendlern aus den angrenzenden Bei-
trittsländern zukommen?

24. Wie soll die Anerkennung und Vergleichbarkeit von in den Beitrittsländern
erworbenen Qualifikationen (Abitur, Ausbildungs- und Hochschulab-
schlüsse) sichergestellt werden?

25. Hält die Bundesregierung die Grenzgängerregelungen, die 3- bzw. 9-Mo-
nats-Regelung für Saison- und Schaustellerkräfte, die Möglichkeit von
Zulassungsbescheiden über die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung und die
Möglichkeit der Subunternehmerzulassung in Einzelfällen für ausreichend,
um den branchen- und regionalspezifischen Arbeitskräftebedarf in Deutsch-
land zu decken?

26. Erwägt die Bundesregierung weiter gehende branchen- und regionalspezifi-
sche Öffnungen des deutschen Arbeitsmarktes bereits in der Vorbereitungs-
phase, um den in einigen deutschen Regionen bestehenden Bedarf an Fach-
kräften und Auszubildenden zu decken?

27. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung den Austausch von Auszubil-
denden mit den Beitrittsländern bereits in der Vorbeitrittsphase zu erwei-
tern und zu fördern?

28. Hält die Bundesregierung ein „Recht der Baustelle“ für möglich, nachdem
entsprechend dem Territorialprinzip für den inländischen als auch den aus-
ländischen Bauunternehmer uneingeschränkt die Rechtsvorschriften, ins-
besondere des Steuer-, Sozialversicherungs-, Arbeits- und Tarifrechts, des
Landes gelten, wo sich die Baustelle befindet?

29. Welche arbeitsmarktpolitischen Instrumente favorisiert die Bundesregie-
rung für den Erhalt von Arbeitsplätzen, die durch den Beitritt der neuen
Mitglieder möglicherweise gefährdet werden?

V. Übernahme des Acquis communautaire
30. Wie beurteilt die Bundesregierung die Fähigkeit der Kandidatenländer vor

dem Hintergrund der Gemeinsamen Handelspolitik der Union, die von der
Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation eingegangenen Verpflichtun-
gen rechtlich und praktisch umzusetzen und einzuhalten?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten, die praktische Um-
setzung des Acquis communautaire in den Beitrittsstaaten effektiv zu über-
prüfen?

32. Welche Anstrengungen sind bisher unternommen worden, um ein wirksa-
mes System der Wettbewerbskontrolle in den Beitrittsländern zu gewähr-
leisten?

33. Welche Schwierigkeiten bestehen nach Auffassung der Bundesregierung
noch im Bereich der Angleichung von Rechtsvorschriften der Beitrittslän-
der an europäisches Recht?

34. Welche Maßnahmen sind hinsichtlich des Ausbaus und der Anpassung der
in den Beitrittsländern bestehenden Verwaltungsstrukturen noch erforder-
lich und was ist hier nach Auffassung der Bundesregierung besonders vor-
dringlich?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8316 (neu)

35. Sollen die Beitrittskandidatenländer nach Ansicht der Bundesregierung auf
der Regierungskonferenz 2004 zur Reform der Europäischen Union auch
schon vor ihrem Beitritt ein Mitentscheidungsrecht besitzen, oder soll ihre
Beteiligung lediglich auf die Teilnahme an dem vorbereitenden Konvent
beschränkt sein?

VI. Folgen für Deutschland
36. Welche Wirtschaftszweige werden in Deutschland besondere Vorteile

durch die Erweiterung erfahren und welche werden eher strukturelle An-
passungen auf die neue Situation vornehmen müssen?

37. Welche Auswirkungen wird die Erweiterung auf den Niedriglohnsektor in
Deutschland haben?

38. Welche Auswirkungen sind für den Tourismus von und nach Deutschland
zu erwarten?

39. Befürwortet die Bundesregierung die Förderung von Modellprojekten für
die Entwicklung grenzüberschreitender Tourismusdestinationen mit den
Beitrittsländern?

40. Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der Erweiterung für die deut-
sche Werftindustrie?

41. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen der Erweiterung auf
die deutsche Transportindustrie in den Bereichen Straßengüterverkehr, See-
verkehr, Binnenschifffahrt und Lufttransport ein?

42. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbssituation deutscher
mittelständischer Transportunternehmer, wenn im Transportbereich die
Dienstleistungsfreiheit – mit bestimmten Ausnahmen für die Kabotage –
mit dem Beitritt verwirklicht wird, die Arbeitnehmerfreizügigkeit aber
zurückgestellt wird?

43. Rechnet die Bundesregierung mit Steuerausfällen und Arbeitsplatzverlus-
ten durch das „Ausflaggen“ von Transportkapazitäten in die Beitrittsstaa-
ten, nicht zuletzt aufgrund des bestehenden Fahrermangels in Deutschland?

44. Wie sieht die Bundesregierung die Investitionsmöglichkeiten deutscher
Unternehmen in den Ländern Mittel- und Osteuropas im Bereich der Um-
welttechnologien?

45. Was unternimmt die Bundesregierung, um deutsche Unternehmen schon
jetzt auf die Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Staaten in den
Binnenmarkt vorzubereiten?

46. Welche Absichten verfolgt die Bundesregierung hinsichtlich des Auf- und
Ausbaus von Vertretungen und Repräsentanzen der deutschen Wirtschaft
in den Beitrittsländern?

VII. Information der Bevölkerung
47. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der zum Teil zurückgehenden

öffentlichen Unterstützung für die europäische Integration in verschiedenen
Kandidatenländern die Möglichkeiten, in diesen Ländern die Zustimmung
der Bevölkerung zur weiteren europäischen Einigung zu fördern und für
die europäische Idee zu werben?

48. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Bevölkerung, ins-
besondere in den grenznahen Gebieten, über die Chancen der EU-Beitritte
zu informieren?

Berlin, den 19. Februar 2002
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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