BT-Drucksache 14/8269

Rentenreform ehrlich, generationengerecht und zukunftssicher gestalten

Vom 19. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8269
14. Wahlperiode 19. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, Rainer Eppelmann,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Julius Louven, Wolfgang Meckelburg, Claudia
Nolte, Hans-Peter Repnik, Franz Romer, Heinz Schemken, Johannes Singhammer,
Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Matthäus Strebl, Peter Weiß
(Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau) und der Fraktion der CDU/CSU

Rentenreform ehrlich, generationengerecht und zukunftssicher gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach langwierigen Beratungen ist am 26. Juni 2001 mit dem Altersvermögens-
gesetz die Rentenreform verkündet worden. Die Union hat der Reform nicht zu-
stimmen können, weil die Reform erhebliche Mängel aufweist. Einige Mängel
konnten auf Drängen der Union noch korrigiert werden. Dazu hat die Bundes-
regierung das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 mit dem
Gesetz zur Verbesserung des Hinterbliebenenrechts vom 17. Juli 2001 ändern
müssen. Trotz dieser Änderungen bleibt die Rentenreform weiter korrekturbe-
dürftig. Das wurde bereits Ende 2001 und damit noch vor In-Kraft-Treten der
Reform am 1. Januar 2002 deutlich, als die Bundesregierung nur durch einen
Eingriff in die Schwankungsreserve den bisherigen Beitragssatz von 19,1 %
halten konnte – versprochen war eine Senkung auf 19 %.
1. Am 1. Januar 2002 ist die ergänzende private und betriebliche Altersvor-

sorge gestartet. Angesichts der demographischen Entwicklung ist eine sol-
che ergänzende Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rentenversicherung
als tragende Säule der Alterssicherung ein notwendiger und wichtiger
Schritt. Die Ausgestaltung der privaten Vorsorge weist allerdings gravie-
rende Mängel auf. Undurchsichtige und komplizierte Fördervoraussetzun-
gen sind eine Belastung für alle Beteiligten und schränken die Freiheit der
Bürger bei der Anlage, aber auch bei der späteren Verwendung des angespar-
ten Kapitals erheblich ein. Fehlende Kostentransparenz macht zudem einen
Preisvergleich für die Bürger kaum möglich. Die meisten Menschen werden
bei der Auswahl des für sie „richtigen“ Produkts überfordert sein. Außerdem
ist die Förderung sozial unausgewogen. Geringverdiener werden im Ver-
gleich zu Besserverdienenden nur unzureichend unterstützt. Denn je höher
das Einkommen, desto höher die Förderung. Ein Besserverdiener erhält ins-
gesamt eine höhere Förderung als ein Geringverdiener mit zwei Kindern.
Überdies wird Personen, die wegen langer Erziehungszeiten oder lang an-
dauernder Arbeitslosigkeit nicht mehr zum förderberechtigten Personenkreis
angehören, die Förderung entzogen, bis sie wieder in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung pflichtversichert sind – dadurch können große Lücken in
den Zulagen entstehen, was sich negativ auf die Sparmotivation insgesamt
auswirkt. Diese Neuregelung belastet hauptsächlich die Frauen. Schließlich

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ist die beschlossene Immobilienförderung in Form des „modifizierten Ent-
nahmemodells“ für die Bürger uninteressant.

2. Durch die Rentenreform sollen die Rentenbeiträge stabilisiert werden. Bun-
desminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, hat vor dem
Deutschen Bundestag am 26. Januar 2001 versprochen, dass der Beitrags-
satz von 19,1 % gesenkt wird und in einem Zeitraum von zehn Jahren nicht
über 19 % und in einem Zeitraum von 20 Jahren nicht über 20 % steigt. Bis
zum Jahr 2030 soll der Beitragssatz nicht über 22 % ansteigen. Allerdings
hat sich bereits Ende 2001 gezeigt, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. So
wurde der Beitrag für 2002 trotz der vierten Stufe der Ökosteuer nicht wie
versprochen auf 19 % gesenkt. Der Beitragssatz bleibt 2002 unverändert bei
19,1 % – eigentlich wäre sogar eine Anhebung auf 19,4 % erforderlich.
Diese Anhebung hat die Bundesregierung allein dadurch verhindert, dass sie
Ende 2001 die Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung
von einer Monatsausgabe (ca. 15,4 Mrd. Euro) auf 0,8 Monatsausgaben
(ca. 12,3 Mrd. Euro) abgesenkt hat. Auch in den Folgejahren werden die
versprochenen Beitragssätze nicht eingehalten. So wird der Beitragssatz bis
2005 nicht unter 19 % gesenkt werden können. Auch das Ziel, dass der Bei-
trag im Jahr 2030 nicht die Marke von 22 % übersteigt, wird nicht erreicht.
So geht eine im Dezember 2001 vorgestellte Studie der Prognos AG zu den
Auswirkungen der Rentenreform 2001 für 2030 von einem Beitragssatz von
23 % aus. Diese Unterschiede resultieren aus den unrealistischen Annah-
men, die der Rentenreform zugrunde liegen. So hat die Bundesregierung im
Vermittlungsverfahren zum Altersvermögensgesetz kurzerhand die prognos-
tizierten Nettozuwanderung verdoppelt, um den gewünschten Beitragssatz
von 22 % im Jahr 2030 zu halten: Statt 100 000 wurde ein Wanderungssaldo
von 200 000 Personen unterstellt. Außerdem wurde ein konstanter Beitrags-
satz zur Krankenversicherung von 13,5 % angenommen. Eine Annahme, die
bereits heute überholt ist. So liegt in diesem Jahr der Beitragssatz bei 14 % –
Tendenz weiter steigend.

3. Nach der Rentenreform soll das Nettorentenniveau im Jahr 2030 bei ca.
68 % liegen. Allerdings wird hierbei die Belastung der Arbeitnehmer durch
die Beiträge zur privaten Altersvorsorge im Rahmen der staatlichen Förde-
rung berücksichtigt. Ließe man bei der Berechnung der Nettoentgelte diese
Beträge – wie bisher – unberücksichtigt, ergäbe sich ein deutlich niedrigeres
Nettorentenniveau von 64,5 % im Jahr 2030. Nach der alten Anpassungs-
formel mit dem Demographischen Faktor nach der Blüm’schen Renten-
reform wäre dagegen ein Rentenniveau im Jahr 2030 von 65,5 % erreicht
worden. Auch in diesem Fall hätte der Beitragssatz die 22 %-Marke nicht
überschritten. Das Rentenniveau nach der Blüm’schen Rentenreform wurde
im Bundestagswahlkampf 1998 von der jetzigen Bundesregierung als nicht
akzeptabel, weil unsozial, bezeichnet. Beschlossen hat sie mit der Renten-
reform nunmehr ein effektiv niedrigeres Rentenniveau. Mit dem zunächst
vorgesehenen Ausgleichsfaktor, mit dem die im Jahr 2011 zugehenden Ren-
ten um 0,3 %, linear steigend bis auf 6 % für Rentenzugänge des Jahres 2030
und später, vermindert werden sollten, hatte die Bundesregierung den Rent-
nern ursprünglich sogar ein noch niedrigeres Rentenniveau zumuten wollen.
Bei einem Rentenzugang in 2030 hätte das Rentenniveau dann nur ca. 61 %
betragen.

4. Bei der Rentenanpassung wird ab 2003 der Anteil der auf Freiwilligkeit be-
ruhenden privaten Alterssicherung unabhängig vom Umfang der tatsächlich
gezahlten Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge berücksichtigt. Außer-
dem wird ab 2011 der Basiswert in der Anpassungsformel von 100 auf 90
gesenkt. Die Höhe dieses Korrekturfaktors wurde ausschließlich nach den
Zielvorgaben für Beitragssatz und Rentenniveau berechnet. In dem Maße, in
dem sich die Berechnung der Bundesregierung als falsch erweisen, sind auch

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weitere kurzfristige Änderungen der Rentenformel und erhebliche Unsicher-
heiten hinsichtlich der Rentenanpassungen zu befürchten. So sind die ange-
strebten Zielvorgaben für den Beitragssatz und das Nettorentenniveau nach
Einschätzung des Sachverständigenrats in seinem Jahresgutachten 2001/
2002 mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Wenn sich herausstellt, dass
die getroffenen Annahmen zu optimistisch sind, müssten in der Renten-
anpassungsformel entweder der Basiswert weiter abgesenkt oder der Alters-
vorsorgeanteil erhöht werden. Ein geringerer Basiswert (75 % statt 90 %)
wurde im Gesetzgebungsverfahren bereits vom Verband Deutscher Renten-
versicherungsträger vorgeschlagen. Langfristig verlässlicher und glaubwür-
diger ist die Ergänzung der Rentenformel durch den Demographischen Fak-
tor nach der Blüm’schen Rentenreform. Mit dem Demographischen Faktor
können die zunehmenden Finanzierungslasten der Alterssicherung gleich-
mäßig und gerecht auf alle Generationen verteilt werden. Systemwidrige
Maßnahmen bei der Rentenanpassung, wie sie die Rentner im Jahr 2000
beim angeblichen „Inflationsausgleich“ erleben mussten und nach der neuen
Rentenformel wohl zu erwarten sind, wären mit dem Demographischen Fak-
tor nicht erforderlich.

5. Für ab 2002 geschlossene Ehen und für unter 40-jährige Ehepartner werden
Hinterbliebenenrenten zukünftig von 60 % auf 55 % gekürzt. Diese Kür-
zung trifft zusätzlich zur allgemeinen Niveauabsenkung vor allem Frauen,
weil diese geringere Renten zu erwarten haben als Männer. Trotz der Ein-
führung des sog. Kinderzuschlags zur Witwenrente werden betroffene
Frauen damit in der Regel insgesamt eine deutlich geringere Witwenrente
erhalten als bisher. Eine auskömmliche Witwenrente als Ergänzung der eige-
nen Sicherung ist aber auf absehbare Zeit unverzichtbar. Daneben werden
bei der Einkommensanrechnung neben Erwerbseinkommen und Sozialleis-
tungen zukünftig auch Vermögenseinkünfte (z. B. Miete, Kapitaleinkünfte)
berücksichtigt. Damit werden Hinterbliebene benachteiligt, die sich etwas
angespart haben, um sich den Lebensstandard im Alter aufzubessern.

6. Die den Ländern und Kommunen entstehenden Ausgaben für die bedarfs-
orientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 2003 sol-
len vollständig vom Bund erstattet werden. Die Bundesregierung geht von
Mehrausgaben durch die Grundsicherung von jährlich 409 Mio. Euro aus.
Tatsächlich werden die Ausgaben durch die Grundsicherung deutlich höher
liegen. So haben die kommunalen Spitzenverbände im Gesetzgebungsver-
fahren die Belastungen durch die Grundsicherung einschließlich der zusätz-
lichen Verwaltungskosten auf mindestens ca. 1 Mrd. Euro geschätzt. Damit
werden die Länder und Kommunen durch die Grundsicherung unzumutbar
belastet.

7. Mit dem Gesetz zur Bestimmung der Schwankungsreserve hat die Bundes-
regierung die Schwankungsreserve der gesetzlichen Rentenversicherung
von einer Monatsausgabe um 20 % gesenkt, um die ansonsten notwendige
Anhebung des Beitragssatzes um 0,3 % auf 19,4 % zu vermeiden. Die Sach-
verständigen haben in der öffentlichen Anhörung deutlich gemacht, dass es
bei einer Absenkung der Schwankungsreserve noch wichtiger ist, dass die
Wirtschaftsannahmen, von denen die Bundesregierung bei der Festsetzung
des Beitragssatzes ausgeht, realistisch sind. Daneben haben die Träger der
Rentenversicherung gefordert, dass die Mindestschwankungsreserve mittel-
fristig wieder sukzessive an eine Monatsausgabe herangeführt werden sollte.
Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens war erkennbar, dass die An-
nahmen der Bundesregierung unter Berücksichtigung des jüngsten Sachver-
ständigengutachtens zu optimistisch waren. So besteht nach dem Gutachten
des Sozialbeirats die Gefahr, dass die Schwankungsreserve Ende 2002 bei
unter 0,8 Monatsausgaben liegt. Spätestens dann aber verliert die Reserve

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ihre Sicherungsfunktion und der einzelne Bürger gänzlich sein Vertrauen in
eine stabile Alterssicherung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Rahmenbedingungen für den Aufbau der ergänzenden privaten und be-

trieblichen Altersvorsorge insbesondere für Langzeitarbeitslose zu verbes-
sern, die Förderung auf Familien mit Kindern und auf Bezieher niedriger
Einkommen zu konzentrieren sowie zur Förderung des Wohneigentums die
bestehenden Bausparleistungen auszuweiten,

2. den Bürgern offen und vollständig Auskunft über die Finanzsituation in der
gesetzlichen Rentenversicherung zu geben, insbesondere Angaben zur kurz-,
mittel- und langfristigen Entwicklung der Beitragssätze zu machen, die auf
realistischen Daten basieren,

3. zur Gewährleistung einer generationengerechten Alterssicherung den Demo-
graphischen Faktor der Blüm’schen Rentenreform wieder einzuführen,

4. die eigenständige Alterssicherung von Frauen durch Schaffung von geeig-
neten Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf auszubauen,

5. den Ländern und Kommunen die über den gesetzlich festgesetzten Fest-
betrag von 409 Mio. Euro entstehenden Mehrausgaben für die Grundsiche-
rung zu erstatten.

Berlin, den 19. Februar 2002
Karl-Josef Laumann
Brigitte Baumeister
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Claudia Nolte
Hans-Peter Repnik
Franz Romer
Heinz Schemken
Johannes Singhammer
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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