BT-Drucksache 14/8265

Rezession überwinden - Wirtschaftspolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung umsetzen

Vom 19. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8265
14. Wahlperiode 19. 02. 2002

Antrag
der Abgeordneten Matthias Wissmann, Peter Rauen, Dagmar Wöhrl, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Dr. Hansjürgen Doss, Albrecht Feibel, Klaus Francke,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken,
Ulrich Klinkert, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Vera Lengsfeld,
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Elmar Müller (Kirchheim), Bernd Neumann
(Bremen), Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel, Hans-Peter Repnik,
Dr. Heinz Riesenhuber, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Anita Schäfer,
Hartmut Schauerte, Karl-Heinz Scherhag, Dietmar Schlee, Max Straubinger,
Andrea Voßhoff und der Fraktion der CDU/CSU

Rezession überwinden – Wirtschaftspolitik für mehr Wachstum und
Beschäftigung umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Deutschland befindet sich in einer Rezession, der Abschwung hat sich zum Jah-
resende 2001 weiter beschleunigt. Das Wirtschaftswachstum war in 2001 mit
0,6 Prozent so niedrig wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Steuereinnahmen
brechen weg. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu und hat die Vier-Millionen-Grenze
überschritten. Zusätzlich werden über eine Million Menschen in Maßnahmen
der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor der Statistik versteckt. Knapp eine Million
arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und rund 1,2 Millionen Bezieher von
Arbeitslosenhilfe sind ohne reguläre Erwerbstätigkeit. Die Zahl der Unterneh-
mensgründungen befindet sich im freien Fall. Allein in den Neuen Ländern
wurden seit Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung per Saldo rund zwei
Drittel weniger Unternehmen gegründet. Besserung ist nicht in Sicht. Führende
Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum auch in
diesem Jahr deutlich unter einem Prozentpunkt bleiben wird.
Trotzdem findet die rot-grüne Bundesregierung nicht die Kraft für eine notwen-
dige Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik: Während in den USA deutliche
Steuersenkungen beschlossen wurden, ist in Deutschland mit der weiteren
Stufe der Öko-Steuer, der Tabak- und Versicherungssteuer sowie der neu einge-
führten Schwefelsteuer die Steuerbelastung zum Jahresbeginn erneut gestiegen
– ohne dass die versprochene Senkung der Lohnnebenkosten in Ansätzen er-
reicht wurde. Dies wird auch die Preise weiter nach oben treiben – obwohl die
Inflationsrate im abgelaufenen Jahr mit 2,5 Prozent bereits eine wachstums-
und beschäftigungsfeindliche Höhe erreicht hat. Gleichzeitig boomt die
Schwarzarbeit. Mit einem Umsatz von 350 Mrd. Euro und einer Zunahme um
6,25 Prozent übertrifft das prognostizierte Wachstum der Schattenwirtschaft die
offizielle Wachstumseinschätzung des Sachverständigenrates zur Begutachtung
der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung um fast das Neunfache und erreicht
damit ein neues Rekordhoch.

Drucksache 14/8265 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Auch die notwendigen Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt bleiben unerle-
digt, obwohl nationale wie internationale Arbeitsmarktexperten den Reformbe-
darf anmahnen und klare Handlungsoptionen aufzeigen. Mit dem Mainzer-
Modell sind in Brandenburg nach mehr als 11/2 Jahren nur knapp 120 Arbeits-
plätze gefördert worden, in Rheinland-Pfalz gab es rund 800 Förderfälle. Die
bundesweite Ausdehnung dieses Testprojektes ist damit weniger als ein Tropfen
auf den heißen Stein, sondern lediglich beschäftigungspolitischer Aktionismus.
Um das große Beschäftigungspotential des Arbeitsmarktes insgesamt zu akti-
vieren, ist ein umfassender Ansatz erforderlich.
Und auch das Bündnis für Arbeit, das der Bundeskanzler als das „wichtigste
Projekt der Legislaturperiode“ bezeichnet hat, erweist sich in dieser dramati-
schen Lage als unfähig, auch nur ein floskelhaftes Ergebniskommuniqué zu ver-
abschieden, geschweige denn, konkrete Reformen anzuregen.
In Europa steht Deutschland vor dem Abstieg in die zweite Liga. Lediglich
Finnland hat im vergangenen Jahr ein noch geringeres Wirtschaftswachstum
erreicht. In diesem Jahr wird Deutschland voraussichtlich europäisches Wachs-
tumsschlusslicht sein. Während im gesamten Euroraum die staatliche Schul-
denlast abgebaut wurde, sind in Deutschland seit 1998 die Staatsschulden
gestiegen. Und auch bei der Netto-Neuverschuldung belegt Deutschland mit
minus 2,7 Prozent den letzten Platz und gerät damit als einziges Euro-Land
nahe an die Grenzen des EU-Stabilitätspaktes. Deutschland ist zum Schlusslicht
der EU geworden und wird so zur Belastung für ganz Europa.
Dabei sind die Probleme im Wesentlichen selbst verschuldet. Dies zeigt der
europäische Vergleich und die Entwicklung des deutschen Exports: So hat die
Ausfuhr deutscher Güter in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres um
7,5 Prozent zugenommen und war damit die größte Konjunkturstütze. Gleich-
zeitig haben andere europäische Länder wie Großbritannien, die eine höhere
Außenhandelsverflechtung mit den USA aufweisen als Deutschland, deutlich
größere Wachstumsraten und bessere Arbeitsmarktentwicklungen erzielt. Die
Wachstumsschwäche in Deutschland ist damit nur zu einem geringen Teil durch
die Weltkonjunktur und die Entwicklung in den USA verschuldet, sondern ganz
wesentlich auf nationale Ursachen zurückzuführen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
die Fehlentwicklung der vergangenen drei Jahre zu korrigieren und auf der
Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft umgehend Reformen in der Wirt-
schaftspolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung auf den Weg zu brin-
gen, um so eine Perspektive für die kommenden Jahre aufzuzeigen. Hierzu
zählt:
1. Das Steuerrecht ist grundlegend zu vereinfachen und gerechter zu gestalten.

Dabei sind insbesondere die ungerechtfertigten Belastungsunterschiede zwi-
schen Kapitalgesellschaften einerseits und Personenunternehmen anderer-
seits auszugleichen. Sobald finanzpolitische Freiräume bestehen, sind der
Einkommensteuerspitzensatz unter 40 Prozent und der Eingangssteuersatz
unter 15 Prozent zu senken.

2. Die Lohnzusatzkosten der sozialen Sicherungssysteme sind zu senken.
Durch Steigerung von Effektivität und Effizienz in den einzelnen Säulen
sowie grundlegende Reformen sind die Sozialversicherungsbeiträge unter
40 Prozent zu senken.

3. Die Freiheit und Verantwortung des Einzelnen sind zu stärken. Dazu zählt,
dass die Staatsquote deutlich zurückgeführt und auf 40 Prozent gesenkt
wird.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8265

4. Die beschäftigungshemmenden Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt sind
zurückzunehmen. Statt weiterer Verkrustung muss der deutsche Arbeits-
markt dringend entbürokratisiert und flexibilisiert werden. Unternehmeri-
sches Engagement muss belohnt, die Aufnahme einer Beschäftigung zu
einer deutlichen Steigerung des verfügbaren Einkommens führen.

5. Die von der Koalition eingeführten Beschäftigungsbarrieren sind aufzuhe-
ben. Hierzu zählen insbesondere: Regelungen im Gesetz zur Neuregelung
geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und im Gesetz gegen Schein-
selbstständigkeit, die Einschränkung bei befristeten Arbeitsverhältnissen
sowie der allgemeine Rechtsanspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung.

6. Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind zusammenzuführen, um die Effektivität
und Effizienz zu steigern, unnötige und teuere Doppelarbeit zu vermeiden
sowie „Verschiebebahnhöfe“ zwischen den Systemen zu verhindern.
Gleichzeitig müssen die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik insge-
samt auf den Prüfstand.

7. Um die Aufnahme einer Beschäftigung auch im Niedriglohnbereich attrak-
tiver zu gestalten, sind in einem umfassenden Konzept unter anderem die
Anrechungsbestimmungen von Erwerbseinkommen in den Transfersyste-
men beschäftigungsfreundlich zu gestalten sowie die Anforderungen zur
Arbeitsaufnahme zu konkretisieren. Hierzu zählt auch die Umkehr der Be-
weislast bei der Ablehnung zumutbarer Arbeit.

8. Das Gesundheitswesen ist durch ein geschlossenes Gesamtkonzept grund-
legend zu reformieren. Nur so kann die soziale Absicherung des Einzelnen
gewahrt bleiben. Eine Reform muss sowohl mehr Transparenz und Wahl-
freiheit der Versicherten schaffen als auch die Verhandlungsspielräume der
Krankenkassen, Krankenhäuser und Ärzte weiter öffnen.

9. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Neuen Länder sind weiter zu
verbessern. Dazu zählt vor allem die Schließung der Infrastrukturlücken,
um so die Beschäftigungschancen nachhaltig zu verbessern. Dies dient
nicht nur der Bauwirtschaft, sondern trägt auch dazu bei, den Lohn-Produk-
tivitätskeil zu reduzieren.

10. Das Betriebsverfassungsgesetz ist zu modernisieren und als betriebsnahes
Mitbestimmungsrecht auszugestalten, das Unternehmen und Beschäftigten
ermöglicht, vor Ort flexible Regelungen auch außerhalb starrer Tarifver-
träge zum Wohle der Belegschaften und des Unternehmens umzusetzen.

Berlin, den 28. Januar 2002
Matthias Wissmann
Peter Rauen
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Dr. Hansjürgen Doss
Albrecht Feibel
Klaus Francke
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Kurt-Dieter Grill
Ernst Hinsken
Ulrich Klinkert
Dr. Martina Krogmann
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

Elmar Müller (Kirchheim)
Bernd Neumann (Bremen)
Friedhelm Ost
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dietmar Schlee
Max Straubinger
Andrea Voßhoff
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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