BT-Drucksache 14/824

Äußerungen von Regierungspolitikern über Hinweise auf "Konzentrationslager" und "Anzeichen eines neuen Faschismus" in Jugoslawien

Vom 16. April 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/824 vom 16.04.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Äußerungen von
Regierungspolitikern über Hinweise auf Konzentrationslager und
Anzeichen eines neuen Faschismus in Jugoslawien =

16.04.1999 - 824

14/824

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS
Äußerungen von Regierungspolitikern über "Hinweise auf
Konzentrationslager"
und "Anzeichen eines neuen Faschismus" in Jugoslawien

Der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, hat in den
letzten Tagen mehrfach erklärt, er verfüge über "ernstzunehmende
Hinweise darauf, daß es Internierungs- oder Konzentrationslager" der
Belgrader Regierung gebe, in denen albanische Flüchtlinge bzw.
Oppositionelle inhaftiert und womöglich umgebracht würden (z. B. ARD-
Fernsehen, 1. April 1999, hier zitiert nach ADN, 2. April 1999).
Der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, spricht von
"Anzeichen eines neuen Faschismus" und von der Gefahr eines
"Völkermords" und rechtfertigt die NATO-Militärangriffe gegen Belgrad
u. a. damit, daß für ihn die Verpflichtung: "Nie wieder Auschwitz"
gelte (AP, 7. April 1999).
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche "ernstzunehmenden Hinweise" für von der Regierung in
Belgrad angeblich eingerichtete "Konzentrationslager" liegen der
Bundesregierung genau vor?
a) Seit wann liegen diese Hinweise vor?
b) Aus welchen Quellen?
c) Welcher Art sind diese Hinweise (Fotos, Augenzeugenberichte)?
2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Zuverlässigkeit dieser
Quellen?
3. Warum wurden diese "ernstzunehmenden Hinweise" bis heute nicht der
Öffentlichkeit zur Überprüfung und eigenen Urteilsbildung vorgelegt?
4. Wann wird der Bundesminister der Verteidigung die Belege für seine
Vorwürfe gegen die jugoslawische Regierung der Öffentlichkeit vorlegen?
5. Welche "Anzeichen eines neuen Faschismus" in Jugoslawien liegen
dem Bundesminister des Auswärtigen vor (bitte die Anzeichen im
einzelnen nennen)?
6. Von welcher Definition von "Faschismus" geht die Bundesregierung
bei dieser Einstufung der derzeitigen Situation in Jugoslawien aus?
7. Welche Anzeichen und eventuelle Taten der Regierung in Belgrad
meint der Bundesminister des Auswärtigen, wenn er von Anzeichen für
einen "Völkermord" an der albanischen Bevölkerung im Kosovo spricht
(bitte die Anzeichen und eventuellen Taten im einzelnen aufführen)?
8. Überlegt die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Vorwurf des
Völkermords gegen die Regierung in Belgrad?
Wenn ja, welche Konsequenzen sollen wann ergriffen werden?
9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß
a) die Menschenrechtsverstöße der Regierung in Belgrad mit der aus
der Erfahrung massenhaften, industriellen Vergasens von Millionen
Menschen entstandenen Losung "Nie wieder Auschwitz!" angemessen
eingestuft sind,
b) der Vorwurf der Errichtung von "Konzentrationslagern" gegen die
jugoslawische Regierung vor dem Hintergrund der Besetzung des Balkans
durch die deutsche Wehrmacht vor ca. fünf Jahrzehnten und der damaligen
Errichtung von Konzentrationslagern in Jugoslawien heute eine
angemessene Wortwahl ist?
10. Sieht die Bundesregierung in der Verwendung solcher
Begrifflichkeiten für die Situation in Jugoslawien heute nicht die
Gefahr einer Relativierung und Verharmlosung der Verbrechen des
deutschen Faschismus in diesem Jahrhundert?
Wenn nein, warum nicht?
11. Hat die oben genannte Einstufung der Situation der albanischen
Bevölkerung in Jugoslawien für die Politik der Bundesregierung
gegenüber der Türkei und deren Verhalten gegenüber der kurdischen
Bevölkerung auf ihrem Staatsgebiet Konsequenzen, und wenn ja, welche?
12. Erkennt die Bundesregierung in dem von der türkischen Regierung in
Ankara seit über 20 Jahren über die kurdischen Gebiete verhängten
Ausnahmezustand, in der Vertreibung von über drei Millionen Kurdinnen
und Kurden durch türkisches Militär, in der Zerstörung von über 3 000
kurdischen Dörfern durch türkisches Militär, in der Inhaftierung von
mehreren zehntausend politischen Gefangenen, in den notorischen
Folterungen von Oppositionellen, in der Verfolgung der Presse, den
zahlreichen Morden "unbekannter Täter" und den bis heute mehreren
tausend spurlos "Verschwundenen" ebenfalls Anzeichen für einen
"Völkermord" bzw. einen "neuen Faschismus" im NATO-Land Türkei?
a) Wenn ja, was folgt daraus für die deutsche Politik gegenüber der
Türkei?
b) Wenn nein, welchen qualitativen Unterschied sieht die
Bundesregierung zwischen der türkischen Kurdenpolitik und der Belgrader
Politik gegenüber der albanischen Bevölkerung im Kosovo?
Bonn, den 9. April 1999
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

16.04.1999 nnnn

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