BT-Drucksache 14/8228

Die Verfassungsschutzämter und das Verbotsverfahren gegen die NPD

Vom 6. Februar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8228
14. Wahlperiode 06. 02. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau und der Fraktion der PDS

Die Verfassungsschutzämter und das Verbotsverfahren gegen die NPD

In den letzten Tagen berichteten die Medien ausführlich über eine mögliche
„Doppelagenten-Tätigkeit“ von V-Leuten in der NPD. Es gibt eine Fülle von
Hinweisen, dass V-Leute in der NPD über einen langen Zeitraum die Verfas-
sungsschutzämter des Bundes und der Länder mit gefilterten Informationen ver-
sorgt haben. Es gibt aber auch Hinweise, dass die NPD über diese V-Leute dass
Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gefährden kann.
Im „SPIEGEL“ vom 28. Januar 2002 wird in aller Ausführlichkeit dargelegt,
wie das Bundesministerium des Innern (BMI) in Zusammenarbeit mit dem Bun-
desamt für Verfassungsschutz (BfV) und den Landesämtern für Verfassungs-
schutz (LfV) das Vorgehen im Verbotsverfahren gegen die NPD zu koordinieren
versuchte. Obwohl man sich für das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfas-
sungsgericht bei der Abfassung der Verbotsanträge zu einem erheblichen Teil
auf Beweise von V-Leuten stützte, wurde die Abstimmung über den Einsatz die-
ses problematischen Beweismittels nur sehr unzureichend politisch und juris-
tisch betrieben. „DER SPIEGEL“ schreibt: „Tatsächlich gibt es diesen großen
Kassensturz – wer wen in die NPD eingeschleust hat – bis heute nicht“ (DER
SPIEGEL, 28. Januar 2002).
Im Sommer 2001 versuchte die Bundesregierung, nach dem Auffliegen des
zeitweiligen stellvertretenden Landesvorsitzenden T. B. aus Thüringen, bei der
Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der PDS „Auswirkungen der
V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das Verbotsverfahren“ das Problem noch
völlig herunterzuspielen. Auf die Fragen, welche möglichen katastrophalen
Folgen der Einsatz von V-Leuten auf das Verbotsverfahren haben könnte, ant-
wortete die Bundesregierung am 19. Juni 2001 beruhigend: „Zu Einzelvorgän-
gen in den Ländern nimmt die Bundesregierung grundsätzlich keine Stellung.
Auch ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, die Arbeit der Landesbehörden
für Verfassungsschutz zu bewerten“ (Bundestagsdrucksache 14/6301). Wäh-
rend man die Kleine Anfrage so knapp beantwortete, wurde auf anderer Ebene
eine rege Betriebsamkeit entwickelt.
„DERSPIEGEL“berichtet, dass esmindestens drei hochrangigeTreffen imSom-
mer 2001 gegeben habe, auf denen versucht wurde, sich einenÜberblick über den
V-Leute-Einsatz zu verschaffen und damit auch einen Überblick über das Aus-
maß, der aus diesen Quellen gezogenen Beweise für das Verbotsverfahren.
„DER SPIEGEL“ schreibt: „Im Juni etwa debattierten die Leiter der Verfas-
sungsschutzämter in Wilhelmshaven, wie viele V-Leute wohl auffliegen könn-
ten. Schilys Beamte forderten, jeder Dienst müsse seine Quellen benennen,
man müsse wissen, ob da noch Zeitbomben ticken. Aber die Länder weigerten
sich, die Namen herauszurücken, sie fürchteten um die Sicherheit ihrer Quel-

Drucksache 14/8228 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

len. Im August das nächste Treffen, diesmal in Köln im Bundesamt: Die Lan-
desämter müssten jetzt Kassensturz machen, forderte BfV-Chef Fromm bei der
geheimen Sitzung – ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte des Verfas-
sungsschutzes. Klarname für Klarname, so die Kölner, müssten die Kollegen zu
Papier bringen. Nach heftiger Debatte lehnten die Länder wieder ab – lediglich
eine Liste mit Strichen für ihre U-Boote in den NPD-Landesvorständen und
dem Bundesvorstand kam zusammen. Auch in diesem Kreis galt Quellen-
schutz: Alle LfV-Chefs benutzten sogar den selben Kugelschreiber. Nur
Fromm bekam die Liste. Wie es kommen konnte, dass ausgerechnet sein Amt,
das das Problem lösen sollte, jetzt die zweite Panne zu verantworten hat, ist
noch unklar.“
Und an anderer Stelle heißt es in dem Artikel, nach dem dargelegt wurde, dass
die NPD-Anwälte für das Verbotsverfahren ankündigten, den V-Leute-Einsatz
in der mündlichen Verhandlung zum Thema zu machen: „Daraufhin traf sich
am 11. Oktober eine hochkarätige Juristenrunde in Schilys Innenministerium.
Auch dabei: Schilys Abteilungsleiter [… für Innere Sicherheit und Verfas-
sungsrecht]. Resümee: Die Quellen sollten ,insgesamt intern‘ überprüft wer-
den, die Juristen sollten sich zudem schlaue Erklärungen für die Richter ein-
fallen lassen für den Fall, dass ein V-Mann live vor der Öffentlichkeit
hochgehen sollte.“
Bereits im Juni 2001 soll es ein Treffen von Staatssekretären zu der Problematik
gegeben haben.
„DER SPIEGEL“ bilanziert in der genannten Ausgabe, dass nach Angaben von
Kennern aus der Szene ca. 100 V-Leute in den NPD tätig sein sollen und allein
von den 200 Spitzenfunktionären der NPD und deren Jugendorganisation, der
Jungen Nationaldemokraten (JN), sollen 30 heimliche Staatsdiener sein.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Trifft es zu, dass im Juni 2001 ein Treffen der Leiter der Verfassungsschutz-

ämter in Wilhelmshaven stattgefunden hat und wenn ja:
a) Was war der genaue Anlass dieses Treffens?
b) Auf wessen Initiative hin kam dieses Treffen zustande?
c) Haben Vertreter des BMI an diesem Treffen teilgenommen und wenn ja,

welche?
d) Was war Gegenstand dieses Treffens?
e) Was waren die Ergebnisse dieses Treffens?
f) War der Bundesminister des Innern, Otto Schily, über dieses Treffen und

seine Ergebnisse unterrichtet?
g) Wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder darüber informiert?
h) Wieso hat der Bundesminister des Innern, Otto Schily, den Innenaus-

schuss am 23. Januar 2002 nicht über dieses Treffen informiert?
2. Trifft es zu, dass am 6. Juli 2001 eine gesonderte Staatssekretärsrunde zum

Thema „Verwendung zu Informantenerkenntnissen“ stattgefunden hat und
wenn ja:
a) Was war der genaue Anlass zu diesem Treffen?
b) Auf wessen Initiative fand dieses Treffen statt?
c) Was waren die Ergebnisse dieses Treffen?
d) Wurde der Bundesminister des Innern, Otto Schily, (und der Bundeskanz-

ler Gerhard Schröder) über die Ergebnisse dieses Treffens informiert?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8228

3. Trifft es zu, dass im August 2001 ein Treffen in Köln der Leiter der Verfas-
sungsschutzämter stattgefunden hat und wenn ja:
a) Was war der genaue Anlass dieses Treffens?
b) Auf wessen Initiative hin fand dieses Treffen statt?
c) Haben Vertreter des BMI an diesem Treffen teilgenommen und wenn ja,

welche?
d) Was war Gegenstand dieses Treffens?
e) Was waren die Ergebnisse dieses Treffens?
f) Wurde der Bundesminister des Innern, Otto Schily, über dieses Treffen

und seine Ergebnisse unterrichtet?
g) Wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder darüber informiert?
h) Wieso hat der Bundesminister des Innern, Otto Schily, den Innenaus-

schuss am 23. Januar 2002 nicht über dieses Treffen informiert?
4. Trifft es zu, dass am 11. Oktober 2001 eine hochkarätige Juristenrunde sich

in Berlin im BMI wegen des Verbotsverfahrens der NPD getroffen hat und
wenn ja:
a) Wer hat zu diesem Treffen eingeladen?
b) Wer hat an diesem Treffen teilgenommen?
c) Was war genauer Gegenstand dieses Treffens?
d) Was waren die Ergebnisse dieses Treffens?
e) Wurde der Bundesminister des Innern, Otto Schily, über dieses Treffen

und seine Ergebnisse informiert?
f) Wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder darüber informiert?

5. Welche weiteren Treffen mit Vertretern der Bundesregierung bzw. des BMI,
des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) und des Bundeskanzleramtes hat
es im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren gegeben (bitte einzeln
auflisten nach Ort, Zeitpunkt, Beteiligte, Ergebnisse des Treffens)?

6. Wie erklärt die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieser Treffen die
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der PDS
„Auswirkungen der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das NPD-Verbots-
verfahren“ (Bundestagsdrucksache 14/6301) vom 19. Juni 2001: „Zu Ein-
zelvorgängen in den Ländern nimmt die Bundesregierung grundsätzlich
keine Stellung. Auch ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, die Arbeit
der Landesbehörden für Verfassungsschutz zu kommentieren.“

7. Wann genau hat welcher Vertreter des BMI auf welchem Wege und durch
welche Behörde die Mitteilung erhalten, dass Wolfgang Frenz V-Mann für
den Verfassungsschutz ist und war dies eventuell ein Ergebnis des Treffens
der Leiter der Verfassungsschutzämter in Köln?

8. Wann genau hat das BfV dem BMI darüber Mitteilung gemacht, dass Udo
Holtmann V-Mann für das BfV ist und wann hat der Bundesminister des
Innern, Otto Schily, und wann hat Bundeskanzler Gerhard Schröder davon
erfahren?

9. Wann und aus welchem Grunde wurde das Parlamentarische Kontrollgre-
mium (PKG) über die Tätigkeit des V-Manns Udo Holtmann informiert?

10. Muss man davon ausgehen, dass die Bundesregierung die Kontrollgremien
des Deutschen Bundestages und Vertreter der Fraktionen nur dann über
V-Mann Aktivitäten unterrichtet, wenn sie gesicherte Kenntnis davon hat,
dass die NPD gerade einen V-Mann enttarnt?

Drucksache 14/8228 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
11. Verstößt auch nach Ansicht der Bundesregierung das Anwerben und Füh-
ren Udo Holtmanns – als Mitglied im Bundesvorstand und Landesvor-
stand NRW der NPD – gegen die Richtlinien des BfV, nach denen man
keine V-Leute führen darf, die die Zielsetzung eines Beobachtungsobjekts
entscheidend bestimmen und
a) wenn nein, warum nicht,
b) wenn ja, wieso wurde er als V-Mann angeworben und geführt?

12. Wie viele weitere V-Leute in Führungspositionen der NPD und JN wurden
vom BfV geführt?

13. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Gegenstrategien der
NPD bezogen auf das Verbotsverfahren?

14. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass V-Leute in der
NPD als Doppelagenten fungieren und damit auch die NPD über ihre
Tätigkeit als V-Leute informiert haben und sieht die Bundesregierung
nicht hierin eine massive Gefahr für das Verbotsverfahren?

15. Wurden V-Leute in der NPD vom BND, MAD oder dem BKA bzw. Lan-
deskriminalämtern geführt und wenn ja, bitte auflisten nach Behörde und
Anzahl der V-Leute sowie von wann bis wann sie dort tätig waren?

Berlin, den 31. Januar 2002
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.