BT-Drucksache 14/821

zum GE - Drsn. 14/389, 14/820 (BReg) - Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes

Vom 21. April 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/821 vom 21.04.1999

Änderungsantrag der Fraktion der PDS zu dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung 14/389 14/474 14/820 Entwurf eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes =

21.04.1999 - 821

14/821

Änderungsantrag
der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Gregor
Gysi und der Fraktion der PDS
zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
- Drucksachen 14/389, 14/474, 14/820 -
Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des
Bundessozialhilfegesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Gesetzentwurf wird wie folgt geändert:
Artikel 1 wird wie folgt geändert:
a) Nummer 2 Buchstabe b wird wie folgt geändert:
Der Absatz 6 des § 22 wird gestrichen.
b) Nummer 7 wird gestrichen.
c) Nach Nummer 6 wird folgende neue Nummer 7 eingefügt:
,7. Nach § 101 wird folgender § 101 a eingefügt:
"§ 101 a Experimentierklausel
Zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe soll die Pauschalierung
weiterer Leistungen nach diesem Gesetz im Rahmen der Sätze 2 bis 6
erprobt werden. Zu diesem Zweck können die Landesregierungen die Träger
der Sozialhilfe durch Rechtsverordnung ermächtigen, in Modellvorhaben
solche Leistungen der Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen, für die
Beträge nicht schon durch dieses Gesetz festgesetzt oder aufgrund
dieses Gesetzes festzusetzen sind. Von den Pauschalierungen sind
Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen und die Kosten für die
Unterkunft ausgeschlossen. Die Pauschalbeträge sind für einen
bestimmten Bedarf festzusetzen und müssen dem Grundsatz der
Bedarfsdeckung gerecht werden. Das Individualisierungsgebot ist zu
wahren. Die Modellvorhaben sind so auszuwerten, daß sie eine
bundesweite Bewertung zulassen; hierzu haben die Träger der
Sozialhilfe, die jeweils zuständige oberste Landesbehörde und das
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zusammenzuwirken. Die
Modellvorhaben enden einschließlich ihrer Auswertung spätestens am 31.
Dezember 2004. Die Teilnahme an den Modellversuchen ist freiwillig und
ein Widerruf der Teilnahme ist möglich. Das Nähere über Dauer und
Ausgestaltung der Modellvorhaben, über die Bemessung der
Pauschalbeträge für Einzelne oder für Haushalte im Sinne von § 11 Abs.
1 Satz 2, über die Voraussetzungen für die Teilnahme von
Hilfeberechtigten und über die Auswertung der Modellvorhaben sind in
der Rechtsverordnung nach
Satz 2 festzulegen; die Rechtsverordnung kann auch für die jeweiligen
Teilnehmer der Modellvorhaben die Vermögensfreigrenzen nach § 88 Abs. 2
Nr. 8 in Verbindung mit der dazu ergangenen Rechtsverordnung um bis zu
80 vom Hundert erhöhen."'
Bonn, den 21. April 1999
Dr. Klaus Grehn
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
Zu a)
Die Bundesregierung begründet die Verlängerung der in § 22 Abs. 6 BSHG
festgelegte Übergangsregelung für die Bemessung der Regelsätze der
Sozialhilfe um zwei Jahre. Die Übergangsregelung setzte die in § 22
Abs. 3 und 4 gesetzlich geregelten Bestimmungen der Bedarfsdeckung nach
dem Statistikmodell zeitweilig außer Kraft. Statt dessen wurde das
Bedarfsdeckungsprinzip ersetzt durch die willkürliche, nicht mehr
bedarfsdeckende Anpassung der Regelsatzerhöhungen an die Veränderung
der Renten. Seit der Einführung dieser Übergangsregelung 1993 hat sich
der Regelsatz in Westdeutschland lediglich um 6,3 % erhöht, während die
Lebenshaltungskosten für Sozialhilfebezieherhaushalte in diesem
Zeitraum um 15,9 % (ohne Berücksichtigung der Mietsteigerung)
anstiegen. Gemessen am gesetzlich geregelten Statistikmodell betrug die
Unterdeckelung fast 18 %. Mit der Einführung der Ökosteuer tritt nach
Angaben der Bundesregierung eine Mehrbelastung für
Sozialhilfebezieherhaushalte um mindestens 3,43 DM/Monat ein. Das
bedeutet eine weitere Unterdeckelung des Bedarfs. Im Jahre 2000 würde
die Differenz zwischen Bedarf und Regelsatz bei Fortschreibung der
Übergangsregelung nahe 25 % liegen. Eine solche Entwicklung koppelt die
Sozialhilfebezieherhaushalte von dem gesellschaftlichen Konsens ab,
nach dem ein jeder Mensch, unabhängig davon, wie er in Not geraten ist,
ein Anrecht auf eine Hilfe hat, die den gesellschaftlich notwendigen
Mindestbedarf sicherstellt und ein Leben ermöglicht, das der Würde des
Menschen entspricht.
Die Übergangsregelung ist bereits seit 6 Jahren in Kraft. Innerhalb
dieses mehr als angemessenen Zeitraumes und angesichts der Tatsache,
daß alle von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten
vorliegen, war es der Bundesregierung möglich, eine Regelung für die
Umsetzung des Bemessungssystems nach § 22 Abs. 3 und 4 BSHG in Kraft zu
setzen.
Zu b)
Nach Artikel 1 Nr. 7 soll die bisherige Regelung, nach der die
überörtlichen Sozialhilfeträger für den Erlaß der Widerspruchsbescheide
zuständig waren, aufgehoben werden und die Zuständigkeit auf die
örtliche Ebene verlagert werden. Damit wird jene Ebene, die Verursacher
des Widerspruchs ist, auch für den Erlaß des Widerspruchsbescheides
zuständig, d. h. jene Ebene, die sich nach Ansicht des Widersprechers
rechtswidrig verhalten hat. Der Anerkennung möglicher
Verwaltungsvereinfachung und größerer Bürgernähe steht eine Gefährdung
rechtsstaatlicher Prinzipien gegenüber.
Zu c)
(Begründet werden nur die Abweichungen vom Änderungsantrag 14/203,
Drucksache des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung)
Der vorgelegte Änderungsantrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE
GRÜNEN schließt die Pauschalierung aller Leistungen der Sozialhilfe
ein. Im Falle der Hilfe in besonderen Lebenslagen ist gerade wegen
derer Besonderheit eine solche Pauschalierung unmöglich. Solche
Leistungen ergeben sich gerade aus Besonderheiten, die nicht
vorhersehbar sind und die nur eine Einzelfall- und bedarfsgerechte
Leistung sein kann. Die Pauschalierung dieser Leistung würde sie dem
Inhalt nach aufheben und eine Hilfe bei Eintreten einer solchen
besonderen Lebenslage wäre höchstens eingeschränkt möglich. Da alle
Notlagen, die die Hilfe in besonderen Lebenslagen begründen,
Sonderbedarfe sind, ist außerhalb der Blindenhilfe und der
Pflegegeldsätze keine dieser Leistungen pauschalierbar.
Nicht pauschalierbar sind angesichts der Realitäten auf dem Wohnungs-
/Mietmarkt und den Spreizungsbreiten der Mieten die Kosten der
Unterkunft, weil sie pauschal unberechenbar sind. Die Pauschalierung
der Kosten der Unterkunft würde die Lebenssituation von
Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern noch prekärer gestalten. Die
Zunahme der Wohnungslosigkeit ist vorhersehbar.
Sowohl die Hilfe in besonderen Lebenslagen als auch die Kosten der
Unterkunft zeigen die Notwendigkeit der Ergänzung des Grundsatzes der
Bedarfsdeckung durch die Wahrung des Individualisierungsgebotes. Die
Aufnahme des Individualisierungsgrundsatzes soll sichern, daß er auch
bei der Pauschalierung von Leistungen erfüllt wird.
Die Durchsetzung des Individualisierungsgrundsatzes bedeutet allerdings
auch, daß die Teilnahme an der Experimentierklausel freiwillig sein
muß. Die Freiwilligkeit der Teilnahme gibt den Teilnehmern die Gewähr,
daß sie negative Auswirkungen durch Nichtteilnahme oder durch Rücktritt
von der Teilnahme am Experiment abwenden können.

21.04.1999 nnnn

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.