BT-Drucksache 14/8178

Auswirkung der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das NPD-Verbotsverfahren (III)

Vom 31. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8178
14. Wahlperiode 31. 01. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Carsten Hübner und der Fraktion der PDS

Auswirkung der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf das
NPD-Verbotsverfahren (III)

Die V-Leute-Affäre im NPD-Verbotsverfahren zieht weite Kreise, seitdem
bekannt ist, dass einer der 14 vor das Bundesverfassungsgericht geladenen
Zeugen der in Nordrhein-Westfalen (NRW) nach Presseberichten 36 Jahre lang
als V-Mann geführte Wolfgang Frenz ist.
Seit dem vergangenen Wochenende wird in der Presse zusätzlich berichtet, dass
der amtierende Landesvorsitzende der NPD in NRW, Udo Holtmann, vom Bun-
desamt für Verfassungsschutz (BfV) als V-Mann geführt wurde bzw. wird
(DER SPIEGEL-Online, 27. Januar 2002).
Auch der NPD-Bundesschatzmeister Erwin Kemna sowie die beiden als
„Nachwuchsfunktionäre“ eingestuften NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und
N. W. aus NRW werden in der Presse als V-Leute des BfV bzw. eines Landes-
amtes für Verfassungsschutz (LfV) genannt (DER SPIEGEL-Online, 27. Januar
2002, ddp, 25. Januar 2002).
Die beiden letzteren wurden Anfang letzten Jahres vom Landgericht Wuppertal
zu längeren Haftstrafen auf Bewährung verurteilt, weil sie am 9. Juli 2000
bewaffnet mit Schlagstöcken, Messern, Steinen und CS-Gas Teilnehmer einer
Gedenkaktion an einem KZ-Mahnmal überfallen und zum Teil erheblich ver-
letzt hatten.
In der Presse wird unter Berufung auf nicht genannte Experten sogar vermutet,
„dass bis zu hundert NPD-Funktionäre nicht nur der rechtsextremen Sache,
sondern auch dem Verfassungsschutz dienen“ (Süddeutsche Zeitung, 22. Januar
2002).
Im Sommer letzten Jahres hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage
der Fraktion der PDS „Auswirkungen der V-Leute-Tätigkeit von Neonazis auf
das NPD-Verbotsverfahren“ (Bundestagsdrucksache 14/6301) noch lapidar er-
klärt: „Zu Einzelvorgängen in den Ländern nimmt die Bundesregierung grund-
sätzlich keine Stellung. Auch ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, die Ar-
beit der Landesbehörden für Verfassungsschutz zu bewerten.“. Auf die Frage, ob
der Bundesregierung neben der damals bekannt gewordenen V-Mann-Tätigkeit
des Tino Brandt „ähnliche Fälle des Einsatzes von hohen Neonazi-Funktionären
als V-Leute aus anderen Bundesländern“ bekannt seien, lautete die Antwort:
„Die LfV führen Quellen in eigener Verantwortung.“ Auf die Frage schließlich,
ob die Bundesregierung „grundsätzliche Probleme oder Schwierigkeiten“ wegen
des Einsatzes von hohen Neonazis als V-Leute erwarte, lautete die Antwort:
„Das BfV achtet unter strikter Einhaltung der Vorgaben des Bundesverwaltungs-
gerichts über die nachrichtendienstliche Beobachtung (BVerwGE 110, 126 ff.,

Drucksache 14/8178 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

139) bei der eigenen Quellenführung darauf, dass dies nicht die Zielsetzung oder
Aktivitäten eines Beobachtungsobjekts entscheidend bestimmen.“.
Dieser lakonische Umgang mit einer so brisanten Frage ist nun nicht mehr
möglich.
Jetzt steht fest, dass Aussagen mindestens eines, möglicherweise mehrerer frü-
herer V-Leute in den Verbotsanträgen zitiert werden, ohne dass diese Quelle als
früherer V-Mann kenntlich gemacht wurde. Bekannt ist zudem, dass mindestens
der V-Mann Wolfgang Frenz, möglicherweise auch andere, während der Zeit
seiner Führung als V-Mann an führender Stelle in der NPD aktiv war und u. a.
auch bei Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Landtag von NRW als
NPD-Kandidat aufgestellt wurde.
Hinzu kommt, dass nach Presseberichten (DIE WELT, 29. Januar 2002) zusätz-
lich zu diesen nicht als frühere V-Leute kenntlich gemachten Zeugen in den
Verbotsanträgen von Bundesrat, Deutschen Bundestag und Bundesregierung
insgesamt 126-mal auf „Behördenzeugnisse“ verwiesen wird. Dahinter verge-
ben sich vermutlich weitgehend ebenfalls Berichte von V-Leuten in der NPD
und deren Umfeld.
All das wirft grundsätzliche Fragen auf nach dem Ausmaß der Beeinflussung
der NPD und ihrer Funktionäre über V-Leute der Geheimdienste und ihnen
übergeordnete staatliche Stellen und damit auch nach der Rolle staatlicher Stel-
len bei den Untaten von Mitgliedern und Funktionären dieser Partei.
Diese Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit bzw. Verwicklung in Aktivitäten
der NPD beeinträchtigt das Verbotsverfahren gegen die NPD schon jetzt und
kann es sogar, falls weitere Fälle bekannt werden, möglicherweise grundsätz-
lich gefährden.
Der innen- und außenpolitische Schaden, der durch diese bekannt gewordene
Zusammenarbeit von deutschen Geheimdiensten und Neonazis schon jetzt ent-
standen ist, ist auch ohne diese Gefährdung des Verbotsverfahrens bereits jetzt
enorm.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Bestätigt die Bundesregierung die Presseberichte über eine V-Mann-Tätig-

keit des Landesvorsitzenden von NRW, Udo Holtmann?
Wenn ja,
a) welche Behörde führt bzw. welche Behörden führen und bezahlen diesen

V-Mann,
b) seit wann ist Udo Holtmann nach Kenntnissen der Bundesregierung

V-Mann welcher Behörden und dauert diese Tätigkeit noch an,
c) wie wurde ihm diese V-Mann-Tätigkeit vergütet,
d) welche genauen Leistungen hat dieser V-Mann für diese Vergütungen

erbracht,
e) bei welchen Wahlen hat Udo Holtmann während der Zeit seiner Führung

als V-Mann für die NPD und/oder andere rechtsextreme Parteien und
Wahlbündnisse kandidiert,

f) hält die Bundesregierung die Führung dieser Person als V-Mann für ver-
einbar mit den bestehenden Richtlinien und den oben genannten Urteilen
des Bundesverwaltungsgerichts über den Einsatz von V-Leuten und wenn
nein, wer ist für den Verstoß gegen diese Richtlinien und Urteile verant-
wortlich,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8178

g) hat die Bundesregierung Kenntnis von Straftaten des Udo Holtmann bzw.
von Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts auf Straftaten
während seiner Zeit als V-Mann und wenn ja, welche waren das?

2. Bestätigt die Bundesregierung die Presseberichte über eine V-Mann-Tätig-
keit des Bundesschatzmeisters der NPD, Erwin Kemna?
Wenn ja,
a) welche Behörde führt bzw. welche Behörden führen und bezahlen diesen

V-Mann,
b) seit wann ist Erwin Kemna nach Kenntnissen der Bundesregierung

V-Mann welcher Behörden und dauert diese Tätigkeit noch an,
c) wie wurde ihm diese V-Mann-Tätigkeit vergütet,
d) welche genauen Leistungen hat dieser V-Mann für diese Vergütungen

erbracht,
e) bei welchen Wahlen hat Erwin Kemna während der Zeit seiner Führung

als V-Mann für die NPD und/oder andere rechtsextreme Parteien und
Wahlbündnisse kandidiert,

f) hält die Bundesregierung die Führung dieser Person als V-Mann für ver-
einbar mit den bestehenden Richtlinien und den oben genannten Urteilen
des Bundesverwaltungsgerichts über den Einsatz von V-Leuten und wenn
nein, wer ist für den Verstoß gegen diese Richtlinien und Urteile verant-
wortlich,

g) hat die Bundesregierung Kenntnis von Straftaten des Erwin Kemna bzw.
von Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts auf Straftaten
während seiner Zeit als V-Mann und wenn ja, welche waren das?

3. Bestätigt die Bundesregierung die Presseberichte über eine V-Mann-Tätig-
keit der NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und N. W.?
Wenn ja,
a) welche Behörde führt bzw. welche Behörden führen und bezahlen diese

V-Leute,
b) seit wann sind Thorsten Crämer und N. W. nach Kenntnis der Bundes-

regierung V-Leute welcher Behörden und dauert diese Tätigkeit noch an,
c) wie wurde ihnen diese Tätigkeit vergütet,
d) welche genauen Leistungen haben diese V-Leute für diese Vergütungen

erbracht,
e) bei welchen Wahlen haben Thorsten Crämer und N. W. während der Zeit

ihrer Führung als V-Leute für die NPD und/oder andere rechtsextremisti-
sche Parteien und Wahlbündnisse kandidiert,

f) hält die Bundesregierung die Führung dieser Personen als V-Leute für ver-
einbar mit den bestehenden Richtlinien und den oben genannten Urteilen
des Bundesverwaltungsgerichts über den Einsatz von V-Leuten und wenn
nein, wer ist für den Verstoß gegen diese Richtlinien und Urteile verant-
wortlich,

g) hat die Bundesregierung Kenntnis von Straftaten dieser beiden Personen
bzw. von Ermittlungsverfahren gegen sie wegen des Verdachts auf Straf-
taten während ihrer Zeit als V-Leute und wenn ja, welche waren das?

Drucksache 14/8178 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

4. Kann die Bundesregierung die Presseberichte über die Existenz von insge-
samt etwa 100 V-Leuten unter den Mitgliedern und Funktionären der NPD
bestätigen?
a) Wie viele V-Leute werden genau vom BfV und den LfV in der NPD zur-

zeit geführt?
b) Wie viele davon sind

– Mitglied im Bundesvorstand der NPD,
– Mitglied in Landesvorständen der NPD,
– andere Funktionäre der NPD?

c) Kann die Bundesregierung definitiv erklären, dass V-Leute des Bundes
und der Länder in den letzten Jahren in keinem maßgeblichen Organ der
NPD einen bestimmenden Einfluss, möglicherweise sogar die Stimmen-
mehrheit hatten?

d) Wie viele Vergütungen werden im Augenblick pro Jahr und wurden in
den vergangenen Jahren an V-Leute in der NPD gezahlt (bitte für die
letzten zehn Jahre nach Jahren und nach den die V-Leute führenden LfV
bzw. dem BfV aufschlüsseln)?

e) An welchen Propagandaschriften, Büchern, Zeitungen und Zeitschriften
der NPD oder anderer Neonazis haben diese V-Leute in der Zeit ihrer
V-Mann-Tätigkeit mitgewirkt (bitte eine genaue Liste aller Publikatio-
nen)?

f) Welche Demonstrationen und öffentliche Kundgebungen, wie viele Saal-
veranstaltungen und interne Schulungen der NPD wurden von diesen
V-Leuten verantwortet bzw. in verantwortlicher Stellung mit organisiert
(bitte einzeln auflisten)?

g) Wie viele und welche Straftaten haben diese Personen während ihrer Tä-
tigkeit als V-Leute eines oder mehrerer LfV und/oder des BfV begangen?

h) Wie viele Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Straftaten wur-
den gegen diese Personen während ihrer Tätigkeit als V-Leute eingeleitet
und wie endeten diese Ermittlungsverfahren?

i) Welche Bemühungen haben die diese V-Leute führenden LfV unternom-
men, um diese V-Leute von der Begehung von Straftaten und der Propa-
gierung abzuhalten?

5. Wie viele V-Leute sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Anklage-
schriften von Deutschem Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung im
Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht
a) direkt genannt (als „Behördenzeugnis“ u. Ä.),
b) nicht als V-Leute gekennzeichnet, aber in diesen Verbotsanträgen trotz-

dem namentlich zitiert oder in Form von Artikeln, Büchern, Reden usw.
ohne namentliche Nennung angeführt?

6. Welche Formen von Quellen (V-Leute, andere verdeckte Ermittler, Telefon-
oder Abhörmaßnahmen) verbergen sich hinter der in den Verbotsanträgen
126-mal verwendeten Formel „Behördenzeugnis“ (bitte nach Art der Quellen
und getrennt nach den Verbotsanträgen von Bundesrat, Deutschem Bundes-
tag und Bundesregierung aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/8178

7. Welche Stellen sind dafür verantwortlich, dass die Fraktionen des Deut-
schen Bundestags und die von ihnen mit der Formulierung der Klageschrift
beauftragten Juristen, möglicherweise aber auch der Bundesrat und die
Bundesregierung und die von ihnen mit der Formulierung der Klageschrif-
ten beauftragten Juristen bei Abfassung der Klageschriften nicht davon un-
terrichtet waren, welche der in den Schriften genannten Personen V-Leute
waren bzw. sind und welche der in den Klageschriften aufgeführten Auf-
sätze, Bücher, Propagandaaktionen etc. von diesen V-Leuten verantwortet
werden?

8. Warum hat die Bundesregierung auch das Bekanntwerden des V-Manns
Tino Brandt in Thüringen und die damit im Zusammenhang gestellte
Kleine Anfrage der Fraktion der PDS (Bundestagsdrucksache 14/6238)
nicht zum Anlass genommen, um den Umfang der Zitierung bzw. direkten
oder indirekten Verwendung von V-Leuten in den Klageschriften zu über-
prüfen und dies zumindest den Klägern, also dem Deutschen Bundestag
und dem Bundesrat und den von diesen beauftragten Juristen sowie dem
Bundesverfassungsgericht mitzuteilen?

9. Hält die Bundesregierung ihre Antworten auf die damalige Kleine Anfrage
der Fraktion der PDS im Lichte der Entwicklungen der letzten Tage weiter-
hin für sachgerecht und ihrer Sorgfaltspflicht entsprechend?
Wenn nein, welche Schritte will sie ergreifen, um künftig ernsthafter und
angemessener auf solche Fragen zu antworten?

10. Hält die Bundesregierung im Lichte des schon entstandenen Schadens im
NPD-Verbotsverfahren und allgemein bei der Bekämpfung von Rechtsext-
remismus die Richtlinien für den Einsatz von V-Leuten und das Ausmaß
ihres Einsatzes in der rechtsextremistischen Szene weiter für angemessen
oder hält sie Korrekturen für erforderlich?
Wenn ja, welche Änderungen dieser Richtlinien und beim Einsatz von
V-Leuten generell erwägt die Bundesregierung?

11. Hält die Bundesregierung angesichts des öffentlichen Eindrucks einer
tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Zusammenarbeit zwischen
Verfassungsschutzbehörden und Rechtsextremisten eine vollständige Be-
endigung des Einsatzes von V-Leuten in dieser Szene und eine dementspre-
chende Aufhebung der gesetzlichen Grundlagen für deren Anwerbung,
Führung und Vergütung für angemessen?
Wenn nein, warum nicht?

12. Erwägt die Bundesregierung im Lichte des entstandenen Schadens weitere
Reformen der Arbeit der Geheimdienste, ggf. deren Abschaffung und ihre
Ersetzung durch eine öffentliche Stelle, z. B. eine unabhängige Beobach-
tungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?

Berlin, den 29. Januar 2002
Ulla Jelpke
Carsten Hübner
Roland Claus und Fraktion

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