BT-Drucksache 14/8170

Jugendpolitische Aktivitäten von rechtsextremen Organisationen und Parteien

Vom 28. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8170
14. Wahlperiode 28. 01. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Carsten Hübner, Sabine Jünger, Angela Marquardt
und der Fraktion der PDS

Jugendpolitische Aktivitäten von rechtsextremen Organisationen und Parteien

Im letzten Jahr hat es mehrere Versuche von rechtsextremen Organisationen
und Parteien gegeben, Schülerzeitungen und -initiativen zu ihrem Sprachrohr
zu machen oder in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Im Januar und Februar 2001 verschickten die von der laut nordrhein-westfä-
lischem Verfassungsschutz „rechtsextremistischen“ Gruppierung „Freundes-
kreis Unabhängiger Nachrichten“ herausgegebenen „Unabhängigen Nachrich-
ten“ (UN) bundesweit ein Schreiben an Schülerzeitungen. In diesem boten sie
den Schülerzeitungen an, Texte aus der bei den UN erscheinenden Reihe „Er-
satzblätter für fehlende oder verfälschte Schulbücher“ ein Jahr lang kostenlos
nachzudrucken. In dieser Reihe finden sich Beiträge mit Titeln wie „Deutsch-
land und seine Ostgebiete – Verzicht oder nicht?“, „1983 – nicht 50. Jahr nach
der Machtübernahme, sondern 65. Jahr nach Versailles!“. Im Gegenzug sollten
die Schülerzeitungen eine Werbeanzeige für die UN schalten (vgl. Berliner
Morgenpost, 14. März 2001, DER TAGESSPIEGEL, 12. März 2001, Neue
Züricher Zeitung, 4. Mai 2001).
Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen warnte am 17. Ja-
nuar 2001 in einer Pressemitteilung:
„Es gibt Hinweise darauf, dass sich die rechtsextremistische Publikation ,Unab-
hängige Nachrichten‘ (UN) gezielt an Schülerzeitungen wendet, um sie für ihre
rechtsextremistischen Parolen zu gewinnen. Die UN stellt sich dabei als der
,Wahrheit – Klarheit – Offenheit‘ verpflichtete Zeitschrift dar. In dem Anschrei-
ben an Schülerzeitungsredaktionen wird die rechtsextremistische Ausrichtung
der UN wortreich verschleiert. Die Redakteure der Schülerzeitung sollten im
bekannt gewordenen Fall für die kostenlose Veröffentlichung einer Werbe-
anzeige für eine UN-Internet-Seite die ,Unabhängigen Nachrichten‘ ein Jahr
umsonst erhalten.
In den UN wird vor allem die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs geleugnet, fremdenfeindliche Vorurteile verbreitet und die Wirklich-
keit in der Bundesrepublik Deutschland verzerrt dargestellt. In den UN-Artikeln
werden die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer und Asyl-
bewerber fast ausschließlich unter dem Blickwinkel der ,Überfremdung‘,
,Ausbeutung öffentlicher Kassen‘ und des ,Schmarotzertums‘ behandelt. […]
Das Innenministerium NRWwarnt davor, auf ,Lockvogelangebote‘ der UN ein-
zugehen. Es bittet um Hinweise, wenn weitere Aktivitäten der UN an Schulen
bekannt werden […].“ (www.verfassungsschutz.nrw.de/presse14.html)
Am 7. Februar 2001 berichtete die „Frankfurter Rundschau“ (FR) von Schrei-
ben der UN an Schülerzeitungen, die an bayerischen Schulen erscheinen
(FR, 7. Februar 2001), im März erhalten laut Presseberichten auch Berliner

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Schülerzeitungsredaktionen Schreiben der UN (DER TAGESSPIEGEL,
12. März 2001, Berliner Morgenpost, 14. März 2001). Gegenüber der
„BERLINER MORGENPOST“ sagte der Pressesprecher des Bundesamtes für
Verfassungsschutz: „Es handelt sich [bei den „Unabhängigen Nachrichten“]
um ein verfassungsfeindliches Blatt.“ Die verbreiteten Inhalte seien „ganz klar
rechtsextremistisch“, so der Pressesprecher des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz (BERLINER MORGENPOST, 14. März 2001). Deutschlandweit seien
nach eigenen Angaben der UN 3 800 Briefe verschickt worden (Neue Züri-
cher Zeitung, 4. Mai 2001).
Am 27. November 2001 berichtete die „Ostseezeitung“ von der Gründung einer
„von der NPD gelenkten“ Schülerinitiative in Mecklenburg-Vorpommern.
Öffentlichkeitswirksam vertreten sieht sich die „Schülerinitiative für freie Mei-
nungsäußerung und -bildung“ durch eine Zeitschrift mit dem Namen „Greifs-
walder Sprachrohr“, die als Schülerzeitung alle zwei Monate erscheint und an
Schulen in mehreren Städten Mecklenburg-Vorpommerns verbreitet wird. Der
Sprecher des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-
Vorpommerns erklärte: „Der Ausdruck Schülerzeitung trifft nicht zu. Das
Pamphlet wird weder von Schülern noch an den Schulen selbst gestaltet.
Außerdem verbreitet es undemokratisches Gedankengut.“ (Nordkurier, 7. No-
vember 2001). Tatsächlich, so die „die tageszeitung“ (taz), handele es sich um
eine „NPD-Tarnorganisation“, welche eine Indoktrination der Schüler betreibe
(taz, 8. September 2001).
Initiativen wie die des „Greifswalder Sprachrohrs“, dienen der NPD als Vor-
feld- und Rekrutierungsorganisationen. Eine formelle Verbindung zur NPD
besteht zunächst nicht, jedoch ist durch personelle Verflechtungen – NPD-Mit-
glieder sind Redakteure oder freie Mitarbeiter bzw. Referenten – ein Zusam-
menhang eindeutig belegt.
Am Beispiel des „Greifswalder Sprachrohrs“ wird dies deutlich. So gehört zur
Redaktion der Zeitschrift C. B., die in Greifswald stellvertretende Vorsitzende
der NPD ist. Der freie Mitarbeiter L. D. ist seit langem Kreisvorsitzender der
NPD in Rostock.
Wie der „Greifswalder Blitz“ am 19. August 2001 meldete, versuche gerade die
NPD „[…] Jugendliche und Kinder durch gezielte Propaganda und Lügen zu be-
einflussen und […] eine rechte Jugendszene aufzubauen. Kinderfest und Schü-
lerinitiative, Schülerzeitung und Internetseiten, hinter allem steht die NPD.“
Die Regionale Arbeitstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule
(RAA) in Rostock, sieht eine „dramatische Unterschätzung“ dieser Problema-
tik. Mit „Bratwurst und Cola“ kostenfrei, locke die NPD Kinder und Jugend-
liche (Norddeutsche Neuste Nachrichten, 25. Juli 2001).
Insofern spielt die finanzielle Komponente eine entscheidende Rolle, als sie die
NPD für Außenstehende attraktiver gestaltet – so auch bei den „Schülern“.
Nach eigenen Angaben der „Schülerinitiative für freie Meinungsäußerung und
-bildung“ in Greifswald, zähle die NPD zum finanziellen Unterstützerkreis
(http://www.sprachrohr.f2s.com/).
Am 12. Dezember 2001 meldete die „Thüringische Landeszeitung“, dass die
„Nationale Jugend Jena“ aufgrund positiver Erfahrungen aus Norddeutsch-
land eine Schülerzeitung herauszugeben beabsichtige. Die „Nationale Jugend
Jena“ kündigte auf ihrer Homepage die Herausgabe einer Schülerzeitung an,
die nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit dem „Norddeutschen
Sprachrohr“ entstehen und „Mitteldeutsches Sprachrohr“ heißen werde
(http://www.fuer-jena.de/jugend/). Zuvor hatte sich die „Nationale Jugend
Jena“ für die Einrichtung eines „Nationalen Jugendklubs“ in Jena eingesetzt,
was jedoch vom hiesigen Sozialdezernenten im November 2001 abgelehnt
wurde.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8170

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung die beschriebenen Aktivitäten der UN sowie die

Vorgänge in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen bekannt?
a) Wenn ja, welche zusätzlichen Informationen hat die Bundesregierung

über diese Aktivitäten?
b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

2. Gibt es nach Erkenntnis der Bundesregierung eine Diskussion innerhalb der
rechtsextremen Szene um die gezielte Beeinflussung Jugendlicher mittels
Schülerzeitungen und -initiativen, Kinderfesten, Jugendclubs u. a.?
a) Wenn ja, welche rechtsextremen Organisationen beteiligen sich an dieser

Diskussion und welche Inhalte hat diese Diskussion (bitte getrennt nach
den einzelnen rechtsextremen Parteien, Organisationen, Kameradschaften
und Zusammenschlüssen auflisten)?

b) Beteiligen sich Jugendorganisationen von Vertriebenenverbänden, bei-
spielsweise die rechtsextremistische „Junge Landsmannschaft Ostpreu-
ßen“, an dieser Diskussion?

3. Welche rechtsextremistischen Parteien und Organisationen haben in der Ver-
gangenheit Versuche unternommen, über Schülerinitiativen und -zeitungen
Einfluss an Schulen zu bekommen und welchen Erfolg hatten diese Ver-
suche?

4. In welchen Bundesländern werden nach Erkenntnis der Bundesregierung
Schülerzeitungen mit rechtsextremen Inhalten herausgegeben oder werden
Schülerzeitungen von Rechtsextremen herausgegeben oder von rechtsextre-
men Parteien oder Organisationen – beispielsweise finanziell – unterstützt
(bitte alle Schülerzeitungen nennen und nach Bundesländern auflisten)?

5. Hat die Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse über den
Inhalt des „Greifswalder Sprachrohrs“ oder anderer sog. Schülerzeitungen
und wenn ja, welche?

6. Welche verfassungsschutzrelevanten Kenntnisse hat die Bundesregierung
über die UN bzw. „Freundeskreis Unabhängiger Nachrichten“?

7. Haben nach Erkenntnis der Bundesregierung Schülerzeitungen das Angebot
des „Freundeskreises Unabhängiger Nachrichten“, deren Beiträge zu ver-
öffentlichen und als Gegenleistung eine Anzeige abzudrucken, angenom-
men?
a) Wenn ja, welche Schülerzeitungen an welchen Schulen in welchen Bun-

desländern?
b) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über diese Schülerzeitun-

gen (z. B. sind in der Redaktion rechtextrem orientierte Schüler vertreten
oder steht hinter der Zeitung eine rechtsextreme Partei oder Organisa-
tion)?

8. In welchen Bundesländern gab oder gibt es Versuche von welchen rechtsext-
remen Parteien, Organisationen oder Zusammenschlüssen oder von neona-
zistischen Kameradschaften, die Einrichtung „Nationale Jugendclubs“ zu
erreichen?
Wo waren diese Versuche erfolgreich bzw. in welchen Bundesländern gibt es
derzeit Jugendclubs, die von rechtsextremen Organisationen oder neonazisti-
schen Kameradschaften betrieben werden (bitte alle Jugendclubs nennen
und nach Bundesländern auflisten)?

Drucksache 14/8170 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Jugendclubs, die zwar
nicht formal von rechtsextremen Organisationen betrieben, faktisch aber
von Rechtsextremisten oder rechtsextremen Organisationen dominiert,
unterstützt, als Rekrutierungsfeld oder Veranstaltungsorte genutzt werden
(bitte alle Jugendclubs nennen und nach Bundesländern auflisten)?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über weitere Aktivitäten von
rechtsextremen Parteien oder Organisationen oder neonazistischen Kame-
radschaften, mit denen gezielt Kinder und Jugendliche angesprochen und
für ihre Ziele bzw. ihre Organisationen gewonnen werden sollen – bei-
spielsweise die Organisation von Kinderfesten, Jugendfreizeiten, die Her-
ausgabe von Jugendzeitschriften o. Ä.?
Welche rechtsextremen Parteien, Organisationen oder neonazistischen Ka-
meradschaften unternehmen solche Aktivitäten in welchen Bundesländern
mit welchem Erfolg?

11. Gibt es nach Erkenntnis der Bundesregierung Versuche von rechtsextremen
Parteien, Organisationen oder neonazistischen Kameradschaften, Einfluss
auf bestehende Sportangebote, Sportvereine o. Ä. zu nehmen oder eigene
Angebote in diesem Bereich zu machen?
Welche rechtsextremen Parteien, Organisationen oder neonazistische Ka-
meradschaften unternehmen solche Aktivitäten in welchen Bundesländern
mit welchem Erfolg?

12. Steht die Bundesregierung hinsichtlich der beschriebenen Thematik in
Kontakt mit den Landesämtern für Verfassungsschutz bzw. den dafür zu-
ständigen Behörden der Bundesländer und wenn ja, welche Maßnahmen,
den beschriebenen Aktivitäten entgegenzuwirken, wurden dabei erwogen
bzw. durchgeführt?

13. Was hat die Bundesregierung in der Vergangenheit unternommen, um über
Versuche der Einflussnahme von rechtsextremistischen Organisationen und
Parteien auf Schülerinitiativen, Schülerzeitungen, Jugendclubs etc. aufzu-
klären, bzw. was wird die Bundesregierung in Zukunft dagegen unterneh-
men?
Welche Publikationen und Informationsmaterialien wurden dazu bisher
erstellt?

Berlin, den 23. Januar 2002
Ulla Jelpke
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Angela Marquardt
Roland Claus und Fraktion

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