BT-Drucksache 14/8087

Umfang und bisherige Ergebnisse der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 angelaufenen bundesweiten Rasterfahndungen (Nachfrage)

Vom 25. Januar 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/8087
14. Wahlperiode 25. 01. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Umfang und bisherige Ergebnisse der nach den Anschlägen vom 11. September
2001 angelaufenen bundesweiten Rasterfahndung (Nachfrage)

Seit Beginn der von der Innenministerkonferenz Anfang Oktober 2001 be-
schlossenen bundesweiten Rasterfahndung sind inzwischen fast vier Monate
verstrichen. Noch immer ist keine einzige Verhaftung eines mutmaßlichen
„Schläfers“ infolge dieser bundesweiten Ausforschung bekannt geworden, von
der eine große Zahl unschuldiger Menschen betroffen ist. Weder über die Zahl
der bisher überprüften Personen, noch über deren Ergebnisse, noch über die
Kosten dieser Aktion, die Zahl der dabei eingesetzten Beamtinnen und Beam-
ten und die Arbeitszeit, die in diese Rasterfahndung investiert wurde, liegen
verlässliche Daten vor.
Gleichzeitig wächst die öffentliche Kritik. So haben zahlreiche Studierenden-
Vertretungen Klagen gegen die Weiterleitung von Daten von Studierenden an
die Polizeibehörden eingereicht. Auch in privaten und öffentlichen Betrieben
hat die Weiterleitung der Daten von keiner konkreten Straftat beschuldigten
Beschäftigten an Polizeibehörden zu Diskussionen und Auseinandersetzungen
geführt.
Offen ist bis heute auch, ob zu irgendeinem Zeitpunkt eine nach den polizei-
rechtlichen Regelungen erforderliche „gegenwärtige Gefahr“ für bestimmte,
hochrangige Rechtsgüter überhaupt bestanden hat oder ob diese heute noch
besteht.
Bei Fragen zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen, aber auch in anderen
Zusammenhängen haben Vertreter der Bundesregierung in der Vergangenheit
wiederholt erklärt, dass keine unmittelbare Gefahr terroristischer Anschläge be-
stehe. Für die Einleitung von Rasterfahndungen ist aber eine solche Gefahren-
lage laut Gesetz zwingend erforderlich. Das Oberlandesgericht Wiesbaden hat
deshalb kürzlich auf Beschwerde eines sudanesischen Studenten hin ein unter-
geordnetes Gericht verpflichtet, förmlich festzustellen, „ob eine gegenwärtige
Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder
für Leib, Leben oder Freiheit einer Person besteht“. Damit kommen laut Presse-
bericht alle Rasterfahndungsmaßnahmen in Hessen auf den Prüfstand (Quelle:
Telepolis, Magazin der Netzkultur, 13. Januar 2002).
Am 22. Januar 2002 hat das Berliner Landgericht die in Berlin laufende Raster-
fahndung gegen mutmaßliche Anhänger islamischer Organisationen für unzu-
lässig erklärt. Auch hier ist nach ersten Presseberichten die Begründung, dass
eine gegenwärtige Gefahr terroristischer oder vergleichbarer Anschläge nicht
vorliegt.

Drucksache 14/8087 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die „Deutsche Richterzeitung“ formuliert in ihrer Ausgabe 1/2002 unter der
Überschrift „Neues aus der ,Mottenkiste‘ Rasterfahndung“ noch einmal grund-
sätzliche Kritikpunkte an solchen Maßnahmen:
„Unabhängig von den rechtlichen Voraussetzungen ist die Rasterfahndung
allerdings (rechts)politisch umstritten“, schreibt die Zeitung, und nennt dann
als Kritikpunkte, dass
„– eine Vielzahl unverdächtiger Personen in die Fahndung einbezogen wer-

den,
– potenziell sämtliche Datenbestände in Dateien herangezogen werden kön-

nen und damit die Zweckbindung der dort vorhandenen Daten umgangen
wird,

– die traditionelle Suche nach verantwortlichen Personen dergestalt umge-
kehrt wird, dass sie zunächst als verantwortlich angesehen werden und
ihnen gegenüber Verdachtsmomente erst durch die Rasterfahndung aus-
geschlossen werden,

– die Zwecktauglichkeit der Rasterfahndung vorher kaum bekannt sei und
– wegen der weitgehenden Anonymität kaum Rechtsschutz möglich sei“.
Trotz dieserUrteile undder anhaltendenöffentlichenKritik gehendieFahndungs-
maßnahmen anscheinend weiter. So wurden in Hamburg, nachdem dort bisher
anscheinend über 30 000männlicheStudierende überprüftwurden, 140 Personen
zur polizeilichen Vernehmung vorgeladen (DER TAGESSPIEGEL, AFP,
22. Januar 2002).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen wurden seit dem Beschluss der Innenministerkon-

ferenz über die bundesweite Rasterfahndung einer polizeilichen Überprü-
fung unterzogen (bitte Angaben nach Bundesländern aufschlüsseln)?
a) Wie viele davon waren männliche Personen, wie viele weiblich?
b) Wie viele dieser Personen waren deutsche Staatsangehörige, wie viele

hatten eine andere Staatsangehörigkeit?
c) Wie viele der überprüften Personen waren

– Studierende
– Beschäftigte an Hochschulen
– Beschäftigte in anderen öffentlichen Stellen oder Betrieben
– Beschäftigte in privaten Firmen (bitte nach Wirtschaftszweigen auf-
schlüsseln)

– Flüchtlinge?
d) Wie viele haben mutmaßlich oder nachweislich die islamische Reli-

gionszugehörigkeit?
2. Welche Dateien von welchen Behörden, Universitäten, privaten Firmen

und anderen Stellen wurden in diesem Zusammenhang an polizeiliche
Fahndungsstellen übergeben und dort ausgewertet?

3. Wie viele Prozesse von Beschäftigten und/oder Betriebsräten, Personal-
räten, Studierenden-Vertretungen und anderen Stellen gegen diese Weiter-
leitung von Daten sind der Bundesregierung bekannt?
Welche Ergebnisse aus diesen Prozessen sind der Bundesregierung bekannt
(bitte die Verfahren und ihre Ergebnisse einzeln auflisten)?

4. Wie viele Beamtinnen und Beamte waren seit Anfang Oktober 2001 mit
dieser Sammlung, Sichtung und Auswertung von Daten im Rahmen der
Rasterfahndung beschäftigt?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/8087

5. Wie viele Stunden haben diese Beamtinnen und Beamten der Polizei mit
dieser Arbeit verbracht, und aus welchen anderen polizeilichen Aufgaben
wurden sie abgezogen (bitte nach Ländern aufschlüsseln)?

6. Wie viele Verdächtige oder Straftäter wurden seitdem im Zuge dieser
Fahndungsmaßnahmen von der Polizei ermittelt, und wie viele förmliche
Ermittlungsverfahren wurden gegen diese Personen eingeleitet?

7. Welcher Straftaten werden diese Personen verdächtigt oder sind sie evtl.
bereits vorher oder seit Anlaufen der Fahndung verurteilt worden?

8. Wie viele Personen sind inzwischen in den engeren Kreis potentieller Ver-
dächtiger einbezogen worden, und welche Konsequenzen hatte das für
diese Personen (Überwachung, polizeiliche Vorladung usw.)?

9. Wie viele Personen wurden seit Anfang Oktober 2001
– von der Polizei zu Hause aufgesucht und befragt,
– an ihrer Arbeitsstelle oder an ihrem Studienplatz aufgesucht und be-

fragt,
– in die polizeiliche Observation aufgenommen?

10. Gegen wie viele Personen wurde im Zuge dieser Fahndung seit Anfang
Oktober 2001
– eine Überwachung ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs eingeleitet,
– eine Überwachung ihrer Wohnung eingeleitet und
– andere Formen der Observation verhängt?

11. Wie viele bisher verdächtigten oder rechtskräftig verurteilten Personen
stehen nach Meinung der Polizei im direkten oder indirekten Zusammen-
hang mit potentiell terroristischen islamischen Organisationen?

12. Wie viele der in Frage 10 angesprochenen Personen stehen möglicher-
weise im Zusammenhang mit anderen terroristischen oder extremisti-
schen Organisationen (bitte nach den Namen dieser Organisationen auf-
schlüsseln)?

13. Wie viele Daten von im Zuge der Rasterfahndung erfassten Personen
sind seit Anlaufen der Rasterfahndung beim Bundeskriminalamt zusam-
mengefasst worden?

14. Wie viele der mit Frage 1 erfragten Personendaten bzw. Personen sind
inzwischen beim BKA oder bei den Landespolizeistellen überprüft wor-
den?

15. Wie lange wird die Überprüfung der noch verbliebenen Personen noch
dauern?

16. Hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz oder haben auf Landes-
ebene die dortigen Datenschutzbeauftragten seit Beginn der Rasterfahn-
dung Einblick in die polizeilich gesammelten Daten und in den weiteren
Umgang mit diesen Daten genommen?
Wenn ja, wann geschah das in welchem Bundesland?
Was war das Ergebnis dieser datenschutzrechtlichen Überprüfungen?

17. Wie viele der im Zuge der Rasterfahndung erhobenen personenbezoge-
nen Daten wurden seit Anfang Oktober 2001 an geheimdienstliche Stel-
len zur Überprüfung weitergereicht?

18. Wann werden welche dieser Daten vernichtet und wer überwacht die
Vernichtung dieser Daten (bitte nach Polizei und Geheimdiensten bzw.
nach Bund und Ländern getrennt aufschlüsseln)?

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19. Hat es nach Inkrafttreten des Terrorismusbekämpfungsgesetzes eine
Ausweitung der Rasterfahndung insoweit gegeben, als nun auch Sozial-
daten einbezogen wurden?
Wenn ja, welche Daten von wie vielen Personen wurden von welchen
Stellen eingefordert und werden jetzt bei der Polizei überprüft?

20. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den anhaltenden
Klagen und den oben genannten Urteilen für das weitere Vorgehen im
Rahmen dieser bundesweiten Rasterfahndung?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Eindruck des bisherigen
Fahndungsaufwandes und seiner Ergebnisse, der ergangenen Urteile und
der öffentlichen Kritik die Effektivität, Verhältnismäßigkeit und grundge-
setzliche Vertretbarkeit einer solchen Maßnahme, von der viele unschul-
dige Personen betroffen sind?

Berlin, den 23. Januar 2002
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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