BT-Drucksache 14/7934

Verbotsdrohung gegen alevitische Vereine in der Türkei und Berichte über einen Aufenthalt von Beteiligten der Sivas-Ausschreitungen in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 19. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7934
14. Wahlperiode 19. 12. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Verbotsdrohungen gegen alevitische Vereine in der Türkei und Berichte
über einen Aufenthalt von Beteiligten der Sivas-Ausschreitungen in der
Bundesrepublik Deutschland

Vor dem Landgericht in Ankara läuft seit einigen Monaten ein Gerichtsverfah-
ren gegen den Verband der Alevitisch-Bektaschitischen Institutionen in der
Türkei und seinen Vorstand. Zu den betroffenen Vorstandsmitgliedern gehört
auch Turgut Öker, zugleich Vorsitzender der Föderation der Aleviten Gemein-
den in Deutschland.
Das Verfahren nach Artikel 5 Ziff. 2 des Vereinsgesetzes mit der Gesetzesnum-
mer 2908 wirft dem Verband und seinen Vorstandsmitgliedern vor, durch die
Verwendung der Begriffe Aleviten und Bektaschiten sowie durch die in der Sat-
zung befürwortete Unterstützung von Forschungen über die alevitische Ge-
schichte „Separatismus“ zu betreiben. Nach Artikel 5 Ziff. 2 des Vereinsgeset-
zes 2908 darf kein Verein mit dem Ziel gegründet werden, den Bestand der
Republik Türkei zu zerschlagen oder zu gefährden, indem man unter Berufung
auf Sprachen-, Nationen-, Klassen-, Religion- oder Konfessionsunterschiede
Separatismus betreibt.
Nach Ziffer 5 dieser Vorschrift sind auch die Aktivitäten, die alleine eine Re-
ligion, eine nationale Minderheit, eine soziale Schicht oder eine Konfession
fördern, verboten. Nach Ziffer 6 derselben Vorschrift ist auch verboten, zu
behaupten, dass auf dem Territorium der Republik Türkei überhaupt Minder-
heiten existieren, die unterschiedlichen nationalen, religiösen, konfessionellen
oder kulturellen Gruppierungen angehören oder unterschiedliche Sprachen
sprechen. Dasselbe gilt auch beim Zusammenschluss von Minderheiten, der
auch andere Sprachen und Kulturen schützt, fördert oder verbreitet als die
türkische.
Im Vorfeld des Verfahrens hatte das Regierungspräsidium in Ankara den neuge-
bildeten Verband laut Pressemitteilung der Föderation der Aleviten Gemeinden
in Deutschland vom 28. September 2001 bereits im Juni 2001 aufgefordert, aus
seiner Satzung die Ausdrücke „Aleviten, Bektaschiten, Cem, Cemevi etc.“ zu
streichen. Andernfalls werde der amtierende Vorstand rechtlich belangt.
Eine erste Verhandlung am 3. Oktober wurde auf den 7. November (ohne Ur-
teilsfindung) bzw. den 12. Dezember 2001 vertagt. Dort sollen die Verhandlun-
gen neuerlich vertagt worden sein auf den 13. Februar 2002. Die strafrechtliche
Verfolgung der neun Gründer des Verbands wurde nach einer Mitteilung des
Verbands am 16. Oktober beendet. Die Vereinsgründer protestierten gegen die
Repressalien gegen ihren Verein unter anderem bei der EU-Kommission und
bei Vertretern der Bundesregierung.

Drucksache 14/7934 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
In einer Pressemitteilung von Ende September verwies die Föderation der Ale-
viten Gemeinden in Deutschland auf frühere Verfolgungen gegen Aleviten in
der Türkei und erklärte: „Schon einmal hatten Pogrome in 1993 in der Türkei in
Anwesenheit und mit Duldung von Sicherheitskräften zu Terroranschlägen von
Fundamentalisten mit vielen Toten geführt. Die 25 Millionen Aleviten in der
Türkei müssen jetzt mit einer neuen Verfolgungswelle rechnen.“
Inzwischen berichtet die Föderation von Berichten in der türkischen Presse,
wonach sechs verurteilte Attentäter, die bei den anti-alevitischen Ausschrei-
tungen in Sivas 1993 beteiligt waren, sich in der Bundesrepublik Deutschland
aufhalten sollen. Dabei handelt es sich um M. C., M. Y., S. Ö., H. K., S. Y. und
A. A.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das laufende Verfahren ge-

gen den Dachverband der Aleviten in der Türkei und wie beurteilt die Bun-
desregierung das Verfahren?

2. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine Einstellung
des Verfahrens und anderer Repressalien gegen alevitische Vereine in der
Türkei zu erreichen?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung das Vereinsgesetz 2908 in der Türkei und
welche Schritte hat die Bundesregierung – eventuell gemeinsam oder im
Benehmen mit der EU-Kommission – unternommen bzw. plant sie in der
nächsten Zeit, um eine umfassende demokratische Korrektur dieses Vereins-
gesetzes zu erreichen?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnis von den türkischen Presseberichten und
den Sorgen in alevitischen Kreisen in der Türkei und der Bundesrepublik
Deutschland, dass sich die oben genannten Attentäter von Sivas hier aufhal-
ten?
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen bzw. plant sie in
nächster Zeit, um diesen Berichten und Befürchtungen nachzugehen?

Berlin, den 14. Dezember 2001
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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