BT-Drucksache 14/7825

1. zu dem GE SPD u. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -14/6890- Entw. eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität 2. zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung -14/7261- Entw. eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität 3. zu dem Antrag der Abg. Paziorek, Grill, Caesar, CDU -14/6886- Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7825
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(16. Ausschuss)

1. zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 14/6890 –

Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung
zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität

2. zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 14/7261 –

Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung
zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität

3. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-Dieter Grill,
Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 14/6886 –

Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung

A. Problem
Mit den wortgleichen Gesetzentwürfen auf Drucksachen 14/6890 und 14/7261
soll die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Er-
zeugung von Elektrizität durch eine Neuordnung des Kernenergierechts gere-
gelt werden. Zu den wesentlichen Vorschriften zählen u. a.
l die Ersetzung des Förderzwecks durch den Gesetzeszweck, die Nutzung der

Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu been-
den,

l der Ausschluss von Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen für Neuanla-
gen zur Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektri-
zität,

Drucksache 14/7825 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

l das Erlöschen der Berechtigung zum Leistungsbetrieb der bestehenden kom-
merziellen Reaktoren mit Erreichung bestimmter Elektrizitätsmengen,

l die gesetzliche Normierung der Pflicht zur periodischen Sicherheitsüberprü-
fung,

l die Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung durch Verbot
der Abgabe bestrahlter Brennelemente aus Kernkraftwerken an Wiederauf-
bereitungsanlagen ab 1. Juli 2005,

l die Pflicht zur Errichtung und Nutzung von Zwischenlagern für abgebrannte
Brennelemente am Standort,

l die Anpassung des Entsorgungsvorsorgenachweises,
l die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Kernkraftwerke,
l die Aufhebung einer Reihe von Regelungen durch die 8. Atomgesetznovelle

vom 6. April 1998.
Mit dem Antrag auf Drucksache 14/6886 soll die Bundesregierung u. a. aufge-
fordert werden, von einer Änderung des Atomgesetzes entsprechend den o. b.
Gesetzentwürfen abzusehen, die Erkundung des Salzstockes Gorleben unver-
züglich fortzusetzen und das Endlager „Schacht Konrad“ so zügig wie möglich
zu genehmigen.

B. Lösung
Annahme der wortgleichen Gesetzentwürfe auf Drucksachen 14/6890 und
14/7261.
Mehrheitsentscheidung mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, FDP und PDS
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 14/6886.
Mehrheitsentscheidung mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP

C. Alternativen
Annahme des Antrags auf Drucksache 14/6886.

D. Kosten
Kosten beim Bund bzw. im Zusammenhang mit dem Vollzug des Gesetzes bei
den Ländern wurden nicht erörtert. Die Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf
die Strompreise sind Gegenstand der politischen Diskussion (siehe Bericht).

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7825

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
1. den Gesetzentwurf – Drucksachen 14/6890 und 14/7261 – anzunehmen,
2. den Antrag – Drucksache 14/6886 – abzulehnen.

Berlin, den 12. Dezember 2001

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Christoph Matschie
Vorsitzender

Horst Kubatschka
Berichterstatter

Dr. Paul Laufs
Berichterstatter

Michaele Hustedt
Berichterstatterin

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Dr. Winfried Wolf
Berichterstatter

Drucksache 14/7825 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Horst Kubatschka, Dr. Paul Laufs,
Michaele Hustedt, Birgit Homburger und Dr. Winfried Wolf

I.
Der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN auf Drucksache 14/6890 wurde in der
190. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. September
2001 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitbe-
ratung an den Rechtsausschuss und an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie überwiesen.
In der gleichen Sitzung wurde der Antrag auf Drucksache
14/6886 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitbe-
ratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
und an den Haushaltsausschuss überwiesen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
14/7261 wurde in der 205. Sitzung des Deutschen Bundes-
tages am 29. November 2001 zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie und an den Innenausschuss über-
wiesen.
Die mitberatenden Ausschüsse haben wie folgt votiert:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und der
Rechtsausschuss empfehlen jeweils mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und PDS
die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6890.
Der Innenausschuss und der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfehlen jeweils mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und PDS
die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/7261.
Der Haushaltsausschuss und der Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie empfehlen jeweils mit den Stim-
men der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP die Ablehnung des Antrags auf Drucksache 14/
6886.

II.
Mit den wortgleichen Gesetzentwürfen auf den Drucksa-
chen 14/6890 und 14/7261 soll die geordnete Beendigung
der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von
Elektrizität durch eine Neuordnung des Kernenergierechts
geregelt werden. Zu den wesentlichen Vorschriften zählen
u. a.
l die Ersetzung des Förderzwecks durch den Gesetzes-

zweck, die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen
Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden,

l der Ausschluss von Errichtungs- und Betriebsgenehmi-
gungen für Neuanlagen zur Nutzung der Kernenergie zur
gewerblichen Erzeugung von Elektrizität,

l das Erlöschen der Berechtigung zum Leistungsbetrieb
der bestehenden kommerziellen Reaktoren mit Errei-
chung bestimmter Elektrizitätsmengen,

l die gesetzliche Normierung der Pflicht zur periodischen
Sicherheitsüberprüfung,

l die Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endla-
gerung durch Verbot der Abgabe bestrahlter Brennele-
mente aus Kernkraftwerken an Wiederaufbereitungsan-
lagen ab 1. Juli 2005,

l die Pflicht zur Errichtung und Nutzung von Zwischenla-
gern für abgebrannte Brennelemente am Standort,

l die Anpassung des Entsorgungsvorsorgenachweises,
l die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Kernkraft-

werke,
l die Aufhebung einer Reihe von Regelungen durch die

8. Atomgesetznovelle vom 6. April 1998.
Der Gesetzentwurf paraphiert wesentliche Elemente der
Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Ener-
gieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000. Zur Be-
gründung verweisen die Bundesregierung und die sie tra-
genden Fraktionen auf die Neubewertung der Risiken der
Kernenergienutzung und die dazu seit Beginn der Nutzung
der Kernkraft zur Elektrizitätserzeugung weltweit gewonne-
nen Erkenntnisse über den Betrieb von Kernkraftwerken,
die Entsorgung radioaktiver Abfälle, die Wiederaufarbei-
tung und den Missbrauch von Kernbrennstoffen. Zugleich
dienten diese Regelungen zur Befriedung eines tief greifen-
den gesellschaftlichen Konflikts.
Mit dem Antrag auf Drucksache 14/6886 soll die Bundesre-
gierung u. a. aufgefordert werden, von einer Änderung des
Atomgesetzes entsprechend den o. a. Gesetzentwürfen ab-
zusehen, die Erkundung des Salzstockes Gorleben unver-
züglich fortzusetzen und das Endlager „Schacht Konrad“ so
zügig wie möglich zu genehmigen.
Zur Begründung weist der Antrag darauf hin, dass der beab-
sichtigte Ausstieg aus der Kernenergienutzung volkswirt-
schaftlich schädlich und sicherheitstechnisch nicht begrün-
det sei sowie die Erreichung des Klimaschutzziels gefährde.
Zudem sei das Verfahren, einen Gesetzentwurf außerhalb
des parlamentarischen Raums in vertragsähnlicher Form
mit den Betroffenen sowohl im Gesetzestext wie auch in der
Gesetzesbegründung minutiös auszuhandeln und abzuspre-
chen, verfassungspolitisch äußerst bedenklich und stelle
eine einmalige Missachtung der Rechte des Parlaments
durch die Regierung und die sie tragenden Fraktionen dar.

III.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit hat am 5. November 2001 eine öffentliche Anhörung zu
den vorliegenden Gesetzentwürfen durchgeführt. Dabei
wurden in vier Blöcken Grundsatzfragen, der laufende Be-
trieb und die Sicherheit der Kernkraftwerke, Entsorgungs-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7825

fragen sowie juristische Fragen und Haftungsprobleme be-
handelt. Folgende Sachverständige und Verbände bzw.
Organisationen und Unternehmen nahmen im Rahmen der
Anhörung zu den Gesetzentwürfen Stellung:
Rechtsanwalt Siegfried de Witt, Berlin,
Dipl.-Phys. Lothar Hahn, Öko-Institut Darmstadt,
Prof. Dr. Georg Hermes, Universität Frankfurt am Main,
Prof. Dr. Kurt Kugeler, Forschungszentrum Jülich,
Dr. Felix Christian Matthes, Öko-Institut Berlin,
Prof. Dr. Wolfgang Pfaffenberger, Energieinstitut, Bremen,
Dipl.-Ing. Michael Sailer, Öko-Institut Darmstadt,
Prof. Dr. Matthias Schmidt-Preuß, Universität Erlangen-
Nürnberg,
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS),
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V.
(BBU),
E.ON Energie AG als Vertreter der Energieversorgungsun-
ternehmen,
Greenpeace,
Hessisches Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und
Forsten,
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE),
Ministerium für Finanzen und Energie des
Landes Schleswig-Holstein,
Naturschutzbund Deutschland (NABU),
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. (ver.di).
Das Ergebnis dieser Anhörung ist in die Beratungen des
Ausschusses eingeflossen. Das stenographische Protokoll
der Anhörung sowie der Fragenkatalog (Ausschussdrucksa-
che 14/621 neu) und die zur Anhörung erbetenen schrift-
lichen Stellungnahmen (Ausschussdrucksachen 14/626 Teil
1 bis 9) sind der Öffentlichkeit auch über das Internet zu-
gänglich.
In der abschließenden Beratung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 14/6890 und 14/7261 sowie des Antrags auf
Drucksache 14/6886 am 12. Dezember 2001 wurden von
den Fraktionen unter Verzicht auf den Aufruf der Einzelbe-
stimmungen der Gesetzentwürfe folgende Positionen ver-
treten.
Von Seiten der Fraktion der SPD wurde ausgeführt, mit
den vorliegenden Gesetzentwürfen werde ein wichtiges Re-
formvorhaben der neuen Bundesregierung und der sie tra-
genden Fraktionen weiter auf den Weg gebracht. Den Aus-
stieg aus der Kernenergienutzung für die gewerbliche
Erzeugung von Elektrizität strebe man nicht aus ideologi-
schen, sondern aus sehr rationalen Gründen an.
Mit dem Gesetzentwurf wolle man den seit 42 Jahren im
Gesetz stehenden Zweck, die Kernenergienutzung zu för-
dern, durch den Gesetzeszweck ersetzen, aus der kommer-
ziellen Erzeugung von Strom durch Kernenergie auszustei-
gen. Der Gesetzentwurf enthalte weiter das Verbot der
Errichtung von entsprechenden Neuanlagen. Zudem werde
die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen nach einer
gewissen Frist (1. Juli 2005) verboten, da sie die Probleme
der Endlagerung erschwere, waffenfähiges Material erzeuge
und auch Risiken und Kosten erhöhe. Um Transporte zu mi-
nimieren, sehe der Gesetzentwurf die Pflicht zur Errichtung
von Zwischenlagern am Standort vor. Weiter wolle man die
Sicherheitsstandards in den Anlagen erhöhen, indem man
eine zehnjährige periodische Sicherheitsüberprüfung vor-
schreibe. Darüber hinaus sehe der Gesetzentwurf eine Erhö-

hung der Deckungsvorsorge auf 2,5 Mrd. Euro sowie die
Endlagerung im eigenen Lande vor.
Bei der Anhörung sei von dem Vertreter der Energieversor-
gungsunternehmen zugesagt worden, dass die Kraftwerke
nicht in eine Kaltreserve eingestellt würden, um zu einem
späteren Zeitpunkt auf die Reststrommengen zugreifen zu
können. Insofern sei eine Änderung am Gesetzestext nicht
erforderlich. Die vereinbarte Laufzeit von durchschnittlich
32 Jahren halte man für einen vernünftigen Kompromiss,
den man mittrage. Voraussehbar würden neuere Anlagen et-
was länger laufen, da Restlaufzeiten von alten Kraftwerken
dorthin übertragen würden. Von den Betreibern sei für die
Zwischenlager eine Betriebsdauer von 40 Jahren beantragt
worden. Dem werde die Genehmigungsbehörde wohl zu-
stimmen. Die in den Anträgen z. T. überdimensionierten
Zwischenlagerkapazitäten werde die Behörde wohl auf ein
vernünftiges Maß zurückführen. Es sei richtig, dass sich der
Gesetzentwurf nicht auf Kernenergieanlagen zur Erzeugung
von Prozess- oder Nahwärme beziehe. Da solche Anlagen
in Deutschland nicht zur Diskussion stünden, habe man dies
für entbehrlich gehalten. Gegebenenfalls werde man aller-
dings das Atomgesetz entsprechend ergänzen, da man auch
die Nutzung der Kernenergie für solche Anlagen angesichts
des bestehenen Restrisikos für nicht verantwortbar halte.
Was den Hinweis auf inhärent sichere Anlagen anbelange,
so gebe es diese Diskussion schon seit vielen Jahren, ohne
dass man diesem Ziel nähergekommen sei.
Mit dem Gesetzentwurf sei der angestrebte konsensuale und
entschädigungsfreie Ausstieg aus der Kernenergienutzung
erreicht worden. Auch habe man gegenüber den Wählern
das vor der Wahl gegebene Versprechen eingelöst. Die
Übergangszeit bis zum Auslaufen der Kernenergienutzung
werde man dafür verwenden, sie zu ersetzen. Dies geschehe
über die drei Säulen rationelle Energienutzung, Energiespa-
ren und Verwendung erneuerbarer Energieträger. An der
Sicherheit der Kernkraftwerke dürfe es aber bis zu deren
Abschalten – und hier verlasse man sich auch auf die
Länderbehörden – keine Abstriche geben.
Von Seiten der Fraktion der CDU/CSU wurde vorgetra-
gen, mit der vorgelegten Novelle zum Atomgesetz werde
eine Technik zur Erzeugung von Strom grundsätzlich unter-
sagt. Allerdings betreffe das Verbot nicht Anlagen zur Er-
zeugung von Heiz- und Prozesswärme. Die Fraktion der
CDU/CSU lehne den Gesetzentwurf grundsätzlich ab. Man
sehe die Aufgabe des Staates nicht darin, einzelne Tech-
niken zu verbieten, sondern darin, den Ordnungsrahmen zu
setzen, innerhalb dessen Techniken genutzt werden könn-
ten. Dazu seien Anforderungen des Umweltschutzes und
der Anlagensicherheit vorzugeben.
Der Gesetzentwurf führe zur Begründung eine Neubewer-
tung der Risiken der Kernenergienutzung auf. Eine weiter-
gehende Erläuterung des Inhalts dieser Neubewertung
werde allerdings nicht gegeben. Der Hinweis auf den Super-
GAU gehe insofern fehl, als auch nach geltendem Recht
keine Anlagen genehmigungsfähig seien, wenn aufgrund
der Beschaffenheit oder des Betriebs der Anlage Ereignisse
zu unabsehbaren Folgen führen könnten. Die über Jahr-
zehnte vorgenommenen Maßnahmen zur Erhöhung der Si-
cherheit der Kernkraftwerke bewirkten, dass es selbst bei
schwersten Störfällen, bei denen der Ausfall von Sicher-
heitseinrichtungen unterstellt werde, nicht zu großen radio-

Drucksache 14/7825 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

aktiven Freisetzungen außerhalb der Anlage kommen
werde. Auch bei der Anhörung hätten die Sachverständigen,
die von Seiten der Regierungsfraktionen benannt worden
seien, keine einzige sachlich weiterführende Begründung
vorgetragen. Zu fragen sei zudem, ob sich die Reaktor-
sicherheitskommission mit diesen Fragen befasst habe. In
der Anhörung hätten Sachverständige unwidersprochen dar-
gestellt, dass es im Bereich der Reaktorsicherheit und der
Entwicklung neuer Reaktorlinien große Fortschritte gebe.
Schon aus naturgesetzlichen Gründen könne es bei solchen
Reaktoren nicht zu den Schadensfällen kommen, die von
den Regierungsfraktionen als Begründung für die eigene
Position herangezogen würden. Im Herbst 1999 hätten sich
hunderte von Wissenschaftlern und Hochschullehrern ange-
boten, einen Dialog über diese neuen Techniken auf politi-
scher Ebene zu führen. Die Bundesregierung habe es abge-
lehnt, darauf einzugehen, obwohl es beispielsweise auch
Hinweise auf neue Entsorgungstechniken wie die Transmu-
tation gebe. Was die Übertragungsmöglichkeiten der Be-
triebslaufzeiten für die Kernkraftwerke anbelange, so sei
darauf hinzuweisen, dass es möglich sei, Kontingente auch
auf ältere Reaktoren zu übertragen, wie dies beispielsweise
derzeit für Obrigheim beantragt werde. Die Schließung ei-
nes Kraftwerks an einem Standort bewirke offenbar, dass an
einem anderen Standort ein größeres Risiko tolerabel
werde. Dies halte man logisch nicht für konsequent. Wenn
man das Risiko als zu groß einschätze, dann sei nicht die
Festschreibung des derzeitigen Sicherheitsniveaus, sondern
seine bestmögliche Anhebung die logische Antwort. Genau
dies erfolge aber nicht.
Angesichts der international verflochtenen Volkswirtschaf-
ten sehe man auch keinen Ansatz, wie der Ausstieg aus der
Kernenergienutzung durch andere Techniken der Energie-
nutzung ersetzt werden solle. Der Energiebericht des Bun-
desministers fürWirtschaft und Technologie zeige in einem
Szenario auf, dass der Ausstieg aus der Kernenergienutzung
bis zum Jahre 2020 bei gleichzeitigem Erreichen der an-
spruchsvollen Klimaschutzziele (minus 40 % bei den CO2-Emissionen) mit volkswirtschaftlichen Zusatzkosten in
Höhe von 500 Mrd. DM begleitet sei. Für private Haushalte
bedeute dies eine Verteuerung der Energiekosten um zwei
Drittel, entsprechend etwa 3 000 DM real pro Jahr. Eine
Fortsetzung dieser Politik führe zur Auswanderung ganzer
Industriezweige aus Deutschland. Auch aus diesem Grunde
lehne man den Gesetzentwurf ab.
Von Seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wurde darauf hingewiesen, das Auslaufen des Wirtschafts-
zweiges „Herstellung von Anlagen zur Kernenergie-
nutzung“ habe sich bereits lange vor Amtsantritt der neuen
Bundesregierung angekündigt. Aus wirtschaftlichen Grün-
den habe beispielsweise die Firma Siemens die entspre-
chenden eigenen Unternehmensanteile ins Ausland ver-
kauft. Dies sei sogar von der Börse honoriert worden.
Konsensgespräche mit dem Ziel des geordneten Ausstiegs
aus der Kernenergienutzung habe es ebenfalls bereits vor
dem Regierungswechsel gegeben. Sie seien aber an der da-
maligen Bundesregierung und nicht an der Wirtschaft ge-
scheitert.
Was den Hinweis anbelange, man solle keine ganze Technik
verbieten, so sei dem im Grundsatz zuzustimmen. Aller-
dings gebe es Ausnahmen. Beispielsweise sei man sich si-

cher einig, dass man das Klonen von Menschen verbieten
wolle. Man selbst halte ein Verbot auch bei der Atomener-
gienutzung für erforderlich, weil man immer schon eine an-
dere Einschätzung zur Gefährlichkeit dieser Technik gehabt
habe als die Fraktionen von CDU/CSU und FDP, die sie für
sicher und verantwortbar hielten. Niemand könne bestrei-
ten, dass es ein Restrisiko für einen Super-GAU gebe, der
ein Drittel der Bundesrepublik Deutschland für Jahrtau-
sende unbewohnbar machen könne. Die Ereignisse vom
11. September 2001 ließen diese Gefahr wieder besonders
aktuell werden. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hätte
man sich sicher gewünscht, schneller aus der Atomenergie-
nutzung aussteigen zu können. Andererseits gebe es in der
Bevölkerung keine Akzeptanz für große Entschädigungs-
zahlungen. Von daher habe man den nun begangenen Weg
gewählt, wohl wissend, dass es ein Restrisiko gebe. Weitere
Risiken sehe man in der Gefahr der Proliferation, der un-
gelösten Frage der Entsorgung und in vielen weiteren Punk-
ten. Viele Untersuchungen belegten auch, dass es den
inhärent sicheren Reaktor nicht gebe. Was die Sicherheits-
aspekte anbelange, so definiere der Gesetzentwurf selbst-
verständlich nicht einen statischen, sondern einen dyna-
mischen Status. Während des noch laufenden Betriebs sei
also dieser dynamische Sicherheitsstandard anzuwenden. Er
müsse von den Betreibern eingehalten werden, da sie sonst
die Anlage nicht betreiben dürften.
Von Seiten der Fraktion der FDP wurde festgestellt, man
lehne die vorliegenden Gesetzentwürfe ab und beziehe sich
dabei u. a. auch auf die von Seiten der Fraktion der CDU/
CSU vorgetragenen Argumente. Insbesondere kritisiere
man, dass von der Bundesregierung und den sie tragenden
Fraktionen kein Energiekonzept vorgelegt worden sei. Es
werde nicht dargelegt, wie man die Kernenergie kli-
maunschädlich ersetzen wolle. Der geplante Ausstieg aus
der Kernenergienutzung führe darüber hinaus zu einem
dramatischen Verlust an Kompetenz im eigenen Lande.
Auch für den vorgesehenen Weiterbetrieb der Anlagen in
Deutschland werde man Schwierigkeiten haben, Personal
mit der entsprechenden Ausbildung zu finden. Durch den
Kompetenzverfall werde man aber insbesondere auf inter-
nationaler Ebene keinen Einfluss mehr in Richtung höhere
Sicherheitsstandards nehmen können, wie das bislang der
Fall gewesen sei.
Einigen Punkten im Gesetzentwurf stehe man durchaus of-
fen gegenüber. Dies betreffe beispielsweise die Frage der
Erhöhung der Deckungsvorsorge oder die der periodischen
Sicherheitsüberprüfung. Andererseits lehne man die Strate-
gie der Vermehrung von Zwischenlagern, wie dies der Ge-
setzentwurf nun vorsehe, ab. Vielmehr müsse hier ein Ge-
samtkonzept für die Entsorgung vorgelegt werden. Die
Sorge vor Terroranschlägen zur Begründung für den Ge-
setzentwurf heranzuziehen, sei logisch inkonsequent, da die
Kernkraftwerke sofort stillgelegt werden müssten, wenn
man diese Bedrohung für so realistisch halte. Dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6886 werde
man zustimmen, da er in weiten Teilen, wenn auch nicht in
allen Punkten, mit der eigenen Auffassung übereinstimme.
Von Seiten der Fraktion der PDS wurde ausgeführt, man
lehne die vorliegenden Gesetzentwürfe aus verschiedenen
Gründen ab. Die geschilderte Gefährdung durch Atomkraft-
werke sei vorhanden. Von daher müsse von den Parteien,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/7825

die vor der Bundestagswahl 1998 den Ausstieg aus der
Atomenergienutzung als Ziel formuliert hätten, dies auch
realisiert werden. Mit den jetzt vorliegenden Gesetzentwür-
fen werde aber in keiner Weise ein Schlussstrich unter die
Atomenergienutzung gesetzt. Das Ende nach 20 Jahren, also
nach vier oder fünf Legislaturperioden vorzusehen, sei an-
gesichts der bestehenden Gefährdung nicht glaubwürdig.
Zudem bestehe die Möglichkeit, dass neue Bundesregierun-
gen mit anderer Zusammensetzung den vorgesehenen
Schritt rückgängig machten. Somit werde die gesellschaft-
liche Chance, nach langjährigen Debatten wirklich aus der
Atomenergie auszusteigen, vertan.
Gegen die vorgelegten Gesetzentwürfe habe man auch aus
verfassungsrechtlicher Sicht Einwände. Das Bundesverfas-
sungsgericht habe u. a. festgestellt, dass angesichts der Art
und der Schwere der Folgen eines Atomunfalls bereits eine
entfernte Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Un-
falls genüge, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers auszu-
lösen. Weiter werde ausgeführt, dass lediglich Ungewiss-
heiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft
unentrinnbar und damit sozial adäquate Lasten darstellten,
die von allen Bürgern zu tragen seien. Angesichts der
Argumentation, die von Seiten der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgetragen würden, sei
somit eine Marge von zwei oder drei Jahrzehnten nicht
akzeptabel und verfassungsmäßig problematisch.
Was die Gefahr von Terroranschlägen anbelange, so sei sie
nicht neu. In dem Buch „Friedlich in die Katastrophe“ von
Holger Strohm gebe es ein ganzes Kapitel, das sich mit die-

sen Fragen nicht nur theoretisch, sondern unter Hinweis auf
vorgekommene Ereignisse befasse. Spätestens nach den Er-
eignissen vom 11. September 2001 müsse man nun aber sa-
gen, dass der Betrieb von Atomkraftwerken auch vor dem
Hintergrund der verfassungsrechtlichen Diskussion nicht
verantwortet werden könne.
Schließlich sei die Frage der Endlagerung im Zusammen-
hang mit der Atomenergienutzung ungelöst. Die vorge-
schlagenen Lösungen seien geeignet, die Gefährdung eher
zu verlängern und durch Zwischenlager zu akzentuieren.
Wie viele Umweltverbände kritisiere man daher die vorge-
legten Gesetzentwürfe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bzw. der Bundesregierung und werde sie ableh-
nen. Die eigene Position werde man in einem Entschlie-
ßungsantrag, den man dem Plenum vorlegen werde, noch
einmal verdeutlichen.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit beschloss mit den Stimmen der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, FDP und PDS, dem Deutschen
Bundestag zu empfehlen, die Gesetzentwürfe – Druck-
sachen 14/6890 und 14/7261 – anzunehmen.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit beschloss mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, dem Deutschen
Bundestag zu empfehlen, den Antrag auf Drucksache 14/
6886 abzulehnen.

Berlin, den 12. Dezember 2001

Horst Kubatschka
Berichterstatter

Dr. Paul Laufs
Berichterstatter

Michaele Hustedt
Berichterstatterin

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Dr. Winfried Wolf
Berichterstatter

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