BT-Drucksache 14/7808

Für eine stetige, verlässliche und beschäftigungsfördernde Wachstumspolitik - kein konjunkturpolitischer Aktionismus

Vom 12. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7808
14. Wahlperiode 12. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt, Dr. Axel Berg, Rolf Hempelmann, Hubertus
Heil, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Dr. Uwe Jens, Volker Jung (Düsseldorf),
Werner Labsch, Christian Lange (Backnang), Lothar Mark, Christian Müller
(Zittau), Birgit Roth (Speyer), Thomas Sauer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Wolfgang Weiermann, Dr. Rainer Wend,
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Norbert Wieczorek, Klaus Wiesehügel, Engelbert Wistuba,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Andrea Fischer (Berlin),
Michaele Hustedt, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine stetige, verlässliche und beschäftigungsfördernde Wachstumspolitik –
kein konjunkturpolitischer Aktionismus

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Wachstumskräfte sind – nach schwachen Wachstumsjahren während der
vorherigen Regierungszeit – Ende der neunziger Jahre infolge der Reform-
politik der Bundesregierung wieder stärker geworden. Ausdruck der wieder-
gewonnenen wirtschaftlichen Dynamik war das deutliche Wachstum des Brutto-
inlandsprodukts (BIP) in Deutschland in Höhe von real 3,0 % im Jahr 2000.
Auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich dies in den seit 1998 gut 1 Million neu
geschaffenen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen wider. Demgegen-
über lag die durchschnittliche Wachstumsrate in Deutschland in den neunziger
Jahren – trotz langanhaltender hoher Wachstumsdynamik in den USA – bei nur
1,4 %.
Eine Reihe externer Faktoren haben jedoch in 2001 zu einer deutlichen wirt-
schaftlichen Abschwächung geführt. Die Nachwirkungen der Energieverteue-
rung in Folge der extrem gestiegenen Preise auf den Weltrohölmärkten, tierseu-
chenbedingte Preissteigerungen, ein schwächeres Wachstum in den USA und
die Abkühlung der Weltkonjunktur, die durch die weltwirtschaftlichen Folgen
der Terroranschläge vom 11. September 2001 noch verstärkt wurden, haben die
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland stark beeinträchtigt. Aufgrund ih-
rer überdurchschnittlichen internationalen Verflechtung und hohen Exportab-
hängigkeit vor allem im Bereich der Investitionsgüter ist die deutsche Wirt-
schaft vom weltweiten Konjunktureinbruch stärker betroffen als andere
Volkswirtschaften.
Die wirtschafts- und finanzpolitischen Reformen der Bundesregierung haben
dagegen stabilisierend gewirkt und eine noch stärkere Abschwächung verhin-
dert. 2002 werden sich die wirtschaftlichen Aktivitäten im Jahresverlauf wieder
beleben. Von einer Überwindung der Schwächephase gehen alle Prognostiker
aus. Dafür sprechen die günstigen Fundamentalfaktoren, wie die erwartete

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weltwirtschaftliche Belebung, die niedrigen kurz- und langfristigen Nominal-
zinsen, die rückläufige Inflationsrate sowie die nur moderat zunehmenden
Lohnstückkosten. Hinzu kommen die wirtschafts- und finanzpolitischen Wei-
chenstellungen der Bundesregierung, die der wirtschaftlichen Entwicklung
positive Impulse verleihen. Die Erwerbstätigkeit wird dann erneut ansteigen
und den Trend der steigenden Erwerbstätigkeit seit 1998 wieder erreichen. Im
Jahresdurchschnitt lag die Arbeitslosigkeit 1998 bei 4,4 Millionen.
Die Opposition hat eine Reihe von Vorschlägen zur konjunkturellen Belebung
der Wirtschaft gemacht. Diese sind kurzatmig, untauglich und nicht finanzier-
bar. So würde das Vorziehen der Steuerreformstufen 2003 und 2005 auf 2002
die öffentlichen Haushalte mit über 45 Mrd. DM belasten. Käme die geforderte
Senkung des Spitzensteuersatzes auf 40 % hinzu, wären es rd. 50 Mrd. DM.
Eine derart auf Pump aufbauende Wirtschafts- und Finanzpolitik stärkt nicht
das Vertrauen und bringt keine entscheidenden Impulse für wirtschaftliches
Wachstum. Eine verantwortungsbewusste Haushalts- und Fiskalpolitik muss
dafür Sorge tragen, dass der Staat handlungsfähig bleibt.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt
die wirtschafts- und finanzpolitischen Reformen der Bundesregierung und der
Regierungskoalition, mit denen die Wachstumsbedingungen der deutschen
Wirtschaft deutlich verbessert worden sind. Diese Reformen sind auf einen
dauerhaften und soliden Wachstumspfad ausgerichtet. Hektische Ausgabenpro-
gramme und das Vorziehen der Steuerreform verpuffen in ihrer Wirkung und
sind keine Lösung für die aktuellen Probleme. Sie wären nicht nur teuer, son-
dern würden das Vertrauen der Wirtschaft in den Konsolidierungskurs und die
Berechenbarkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik erschüttern.
Ein zusätzliches Hineinsparen in die wirtschaftliche Abschwächung wäre in der
gegenwärtigen Situation jedoch ebenso schädlich wie hektischer konjunktur-
politischer Aktionismus. Deshalb ist die Politik des Wirkenlassens der automa-
tischen Stabilisatoren im Rahmen der Defizitobergrenze des Europäischen Sta-
bilitäts- und Wachstumspaktes konjunkturgerecht, ohne das Ziel der mittelfris-
tigen Haushaltskonsolidierung aus den Augen zu verlieren.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung und der Regierungs-
koalition setzt auf die Ziele Modernisierung, Konsolidierung, soziale Gerech-
tigkeit und Nachhaltigkeit. Ein Wirtschaftsklima, das Investitionen und Innova-
tionen begünstigt, bildet zusammen mit sozialer Gerechtigkeit die Grundlage
für einen dauerhaften, allen Bürgern des Landes zugute kommenden höheren
Wachstumspfad. Eine derartige Wirtschafts- und Finanzpolitik verbindet
Wachstum, Beschäftigung, Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Bil-
dung, Qualifikation sowie Gerechtigkeit mit Solidarität. Auf dieser Basis hat
die Bundesregierung zahlreiche wichtige Reformen umgesetzt, die von der Vor-
gängerregierung nicht angepackt wurden.
1. Die Politik der Haushaltskonsolidierung kommt der deutschen Wirtschaft

zugute. Die jährliche Zinsbelastung von 130 bis 140 Mrd. DM begrenzt den
Gestaltungsspielraum der öffentlichen Hand. Von daher eröffnet die Rück-
führung der Staatsverschuldung neue Möglichkeiten für Zukunftsinvestitio-
nen und führt mittelfristig zu einer investitionsfreundlichen Absenkung der
Zinsen auf den Kapitalmärkten. Nur wegen der bisherigen Erfolge bei der
Haushaltskonsolidierung braucht die Bundesregierung in der jetzt schwieri-
gen Lage keine zusätzlichen Ausgabensperrungen vorzunehmen.

2. Mit der Steuerreform 2000 werden Wirtschaft und Bürger bis zum Jahr 2005
um rd. 81 Mrd. DM entlastet. Insgesamt erreichen die Entlastungen durch
die Reformen bei den direkten Steuern rd. 110 Mrd. DM. Davon entfallen

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allein auf den Mittelstand 31 Mrd. DM. Personenunternehmen werden zu-
sätzlich dadurch entlastet, dass sie faktisch von der Gewerbesteuer freige-
stellt werden, weil sie ihre gezahlte Gewerbesteuer pauschaliert auf die Ein-
kommensteuer anrechnen lassen können. Damit ist der Trend einer immer
weiter steigenden Steuerlast insbesondere für kleine und mittlere Unterneh-
mer, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für Familien umge-
kehrt. Die deutsche Wirtschaft profitiert im Besonderen von der Absenkung
des Körperschaftssteuersatzes auf 25 %, von der de facto-Abschaffung der
Gewerbesteuer sowie von der Senkung der Einkommensteuer auf Personen-
gesellschaften. Die Steuerreform gibt Investitionen und Beschäftigung einen
kräftigen Schub. Die erheblichen Steuerentlastungen für Familien und
kleine und mittlere Einkommen sind investitionsfördernd und erhöhen die
private Nachfrage. Gleichzeitig ist die deutsche Steuergesetzgebung nun eu-
ropatauglich und international konkurrenzfähig.

3. Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ist es gelun-
gen, einen breiten gesellschaftlichen Dialog in Gang zu setzen und neue
Wege einer auf Konsens beruhenden Beschäftigungspolitik einzuschlagen.
Hervorzuheben sind insbesondere die Vereinbarungen zum Abbau von
Überstunden, zur Altersteilzeit, zum Einstieg für Geringqualifizierte und
Langzeitarbeitslose, zur langfristigen Tarifpolitik 2000 bis 2002, zum Abbau
des Fachkräftemangels in der IT-Branche und zur besseren Qualifizierung.
Das Bündnis für Arbeit hat maßgeblich zu verbesserten Rahmenbedingun-
gen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland beigetragen.

4. Die Ökosteuer ist ein wichtiges Projekt der ökologischen Modernisierung.
Der Faktor Arbeit wird entlastet und der Faktor Energieverbrauch wird mo-
derat belastet. Über höhere Steuersätze werden Anreize für einen sparsamen
Ressourcenverbrauch gesetzt. Die Einnahmen werden an die Arbeitnehmer
und die Unternehmen über eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten zu-
rückgegeben. So können allein die Rentenversicherungsbeiträge bis 2003
um 1,5 Prozentpunkte gegenüber 1998 gesenkt werden.

5. Die Rentenstrukturreform stellt sicher, dass das gesetzliche Rentenniveau
auch nach 2030 nicht unter 67 % liegen wird. Zusätzlich wird – staatlich ge-
fördert – zwischen 2002 und 2008 eine kapitalgedeckte private Altersversor-
gung aufgebaut. Die staatlichen Zuschüsse erfolgen nach sozialen Kriterien
und begünstigen vor allem Familien. Rechnet man diese beiden Säulen des
künftigen Rentenmodells zusammen, werden künftige Rentnerinnen und
Rentner ein Gesamtversorgungsniveau von über 70 % erreichen. Durch die
Reform werden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung bis 2020
unter 20 % und bis 2030 unter 22 % bleiben.

6. Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und der verstärkten Förderung er-
neuerbarer Energien ist der Einstieg in eine zukunftsverträgliche Energiever-
sorgung geschaffen worden.

7. Bei der Deregulierung der Gütermärkte sind große Fortschritte gemacht
worden. Besonders auf den Telekommunkationsmärkten hat die Liberalisie-
rung dafür gesorgt, dass die Preise für Ferngespräche und internationale Ver-
bindungen seit 1997 um etwa 90 % gefallen sind. Die Deregulierung des
Strommarktes hat zu einem deutlichen Preisrückgang für gewerbliche Nut-
zer geführt. Auch die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabever-
ordnung wird dem Wettbewerb zugute kommen.

8. Die durchgeführten sozialen Korrekturen wie die Wiederherstellung der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Reform des Kündigungsschutzes
tragen dazu bei, dass die wirtschaftliche Dynamik dauerhaft ist und mög-
lichst viele daran partizipieren. In diesem Sinne wirken auch die Erhöhung
des Kindergeldes sowie die arbeitnehmerfreundliche Steuerreform.

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9. Die Stärkung von Bildung, Forschung und Wissenschaft wird konsequent
fortgeführt. Mit einer deutlichen Steigerung der Ausgaben für Bildung und
Forschung in Milliardenhöhe hat die rot-grüne Bundesregierung eine
Trendwende eingeleitet und eine neue Wissens- und Bildungsoffensive ge-
startet. Im Bundeshaushalt 2002 sind 16,4 Mrd. DM für Bildung und For-
schung angesetzt, der größte Etat für diesen Bereich, den es je in der
Bundesrepublik Deutschland gab. Im Vergleich zu 1998, dem letzten Jahr
der Vorgängerregierung, sind es rd. 15,5 % mehr.
Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass alle 35 000 allgemeinbilden-
den und beruflichen Schulen bei Interesse kostenlos mit einem Internetzu-
gang und einem ISDN-Anschluss ausgestattet worden sind. Mit der im
Frühjahr in Kraft getretenen grundlegenden Reform des BAföG werden
jährlich rd. 1,3 Mrd. DM mehr für die Förderung bereitgestellt. Über
80 000 junge Menschen erhalten zusätzlich BAföG. Dies ist eine klare In-
vestition in die Zukunft.

10. Die Informationswirtschaft wird zunehmend zu einem der wichtigsten
Wirtschaftsbereiche für Wachstum und Beschäftigung.
Durch verschiedene Initiativen haben Bundesregierung und Regierungsko-
alition maßgeblich dazu beigetragen, dass deutsche und insbesondere mit-
telständische Unternehmen fit werden für die Herausforderungen der Infor-
mationsgesellschaft. Um Deutschland einen Spitzenplatz im digitalen
Zeitalter zu sichern, sind die Maßnahmen von Politik, Wirtschaft und Ge-
sellschaft gebündelt worden. Durch mehrere gesetzliche Regelungen sind
die rechtlichen Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsver-
kehr in Deutschland als eines der ersten Länder in Europa präzisiert wor-
den. Das ist die Voraussetzung für einen sicheren elektronischen Geschäfts-
verkehr, der vor allem den KMU zugute kommt.

11. Von besonderer Bedeutung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bun-
desregierung ist die Mittelstandspolitik (s. hierzu insbesondere den An-
trag zur neuen Mittelstandspolitik auf Bundestagsdrucksache 14/5485).
Die Steuerreformen entlasten den Mittelstand allein im Jahr 2001 um
rd. 16 Mrd. DM. Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen profi-
tieren von dem Gesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoral. Zusammen
mit den Veränderungen im Gesetz zur Schuldrechtsmodernisierung haben
die Unternehmen mehr und bessere Möglichkeiten zur Hand, um berech-
tigte Forderungen schneller und effektiver geltend zu machen.
Mit dem „Aktionsprogramm Mittelstand“ hat die Bundesregierung der ge-
sellschafts- und wirtschaftspolitischen Bedeutung des Mittelstandes Rech-
nung getragen. Zu den zentralen Themen gehören neben der Überprüfung
und Verbesserung der Rahmenbedingungen der Bürokratieabbau, die Mo-
dernisierung der Aus- und Weiterbildung, die Sicherung der Finanzierung
des Mittelstandes vor dem Hintergrund der Änderungen auf den nationalen
und internationalen Finanzmärkten sowie die Unterstützung der Innova-
tionsfähigkeit und der notwendigen stärkeren Internationalisierung des
Mittelstandes. Die Bundesregierung und die Regierungskoalition setzen
sich intensiv dafür ein, dass von den Baseler Eigenkapitalrichtlinien keine
negativen Auswirkungen auf die Mittelstandsfinanzierung ausgehen. Ein
wichtiges Ziel ist auch der Abbau bürokratischer Hemmnisse, die insbe-
sondere Existenzgründer und bestehende kleine und mittlere Unternehmen
belasten. Im März 2001 wurde eine Zwischenbilanz vorgestellt, die zeigt,
dass über bereits vorgenommene Entlastungen im Statistikbereich hinaus
mehr als 80 konkrete Maßnahmen umgesetzt wurden bzw. in Vorbereitung
waren.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7808

Um Existenzgründungen insbesondere im Handwerksbereich zu unterstüt-
zen, ist das Meisterbafög reformiert worden. Der Anwendungsbereich der
Förderung wird erweitert und die Leistungen deutlich verbessert. Bis zum
Jahr 2005 sind hierfür rd. 168 Mio. Euro an Mehrausgaben vorgesehen.
Das Gesetz sieht eine besondere Förderung von Existenzgründern, von
Fortbildungsmaßnahmen sowie von Familien, Frauen und Alleinerziehen-
den vor.
Ein besonderer Schwerpunkt der Mittelstandspolitik liegt in der Stärkung
der Innovationskraft und -fähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen. Im
Konzept „Technologiepolitik – Wege zu Wachstum und Beschäftigung“ hat
die Bundesregierung die bisherigen Förderprogramme für den Mittelstand
zu transparenten Förderlinien gestrafft. Der Wissens- und Technologie-
transfer über die Förderung von Netzwerken spielt dabei eine herausra-
gende Rolle. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Zugang zu
Chancenkapital erleichtert und damit Existenzgründern einen besseren Ein-
stieg in die Selbständigkeit verschafft. Mit dem Gesetz zur tariflichen Ent-
lohnung bei öffentlichen Aufträgen werden Wettbewerbsverzerrungen ver-
mieden, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen.

12. Auf dem Arbeitsmarkt haben Bundesregierung und die Regierungskoali-
tion insbesondere mit dem Job-AQTIV-Gesetz neue Akzente gesetzt. Mit-
tels einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik sollen Arbeitslose in den Ar-
beitsmarkt integriert werden, bevor sich die Arbeitslosigkeit verfestigt.
Herzstück der Reform ist eine Intensivierung der Arbeitsvermittlung und
eine präventive und passgenaue Ausrichtung der Instrumente. Durch Qua-
lifizierung bereits im Betrieb vor allem von gering Qualifizierten und älte-
ren Arbeitnehmern beugt das Job-AQTIV-Gesetz Arbeitslosigkeit vor.
Auf dem Arbeitsmarkt sind faire Bedingungen wiederhergestellt worden,
indem beispielsweise dem Lohn- und Sozialdumping durch das Arbeitneh-
merentsendegesetz begegnet wird. Die Bundesregierung hat mehrere Ge-
setze beschlossen bzw. auf den Weg gebracht, mit denen illegale Beschäfti-
gung und Schwarzarbeit wirksam bekämpft werden. Unter anderem wird
mit dem Gesetz zur Eindämmung der illegalen Beschäftigung im Bau-
gewerbe zur Sicherung von Steueransprüchen bei Bauleistungen ein Steuer-
abzug eingeführt. Dem Missbrauch geringfügiger Beschäftigungsverhält-
nisse ist durch die neuen Regeln zum 630-DM-Gesetz ein Riegel
vorgeschoben worden. Auch sog. Scheinselbständige sind wieder in die
reguläre Beschäftigung einbezogen worden. Die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für Teilzeitarbeit sind deutlich verbessert worden.

13. Darüber hinaus wurden allein in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2001
eine Vielzahl von Gesetzen und Maßnahmen auf den Weg gebracht bzw.
verabschiedet, welche die wirtschaftliche Initiative fördern und die Wachs-
tumskräfte stärken. Hierzu zählen das Programm „Bauen jetzt“, die Förde-
rung der Reinvestitionsrücklage für mittelständische Unternehmen, der
Verzicht auf die Überarbeitung der Branchen-Abschreibungstabellen, der
Solidarpakt II, das Übernahmegesetz, das Programm Stadtumbau-Ost so-
wie die Schuldrechtsmodernisierung.

14. Der Aufbau Ost und die Verwirklichung der inneren Einheit wird mit gro-
ßer Intensität auf hohem Niveau verfolgt. Bestehende Programme wurden
gebündelt und neue Programme zur Förderung spezieller Bereiche der
Wirtschaftsstruktur aufgelegt. Nach der Neuordnung des Länderfinanzaus-
gleichs und der Vereinbarung im Solidarpakt II erhalten die neuen Länder
und Berlin weiterhin umfangreiche Unterstützung zum Ausbau ihrer Infra-
struktur und zur Überwindung teilungsbedingter Sonderlasten bis zum Jahr
2019. Ab dem Jahr 2005 erhalten sie dafür insgesamt 206 Mrd. DM als
Sonder-Bundesergänzungszuweisungen, die sie in alleiniger Verantwor-

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tung einsetzen können. Darüber hinaus stellt der Bund als Zielgröße
100 Mrd. DM für überproportionale Leistungen im Vergleich zu den west-
deutschen Ländern zur Verfügung. Mit dem Solidarpakt II erhalten die
neuen Länder eine langfristige und verlässliche Planungssicherheit.

15. Die Bundesregierung und die Regierungskoalitionen haben sich erfolgreich
für die Einberufung einer neuen Runde im Welthandelsabkommen einge-
setzt. Die deutsche Wirtschaft, die im besonderen Maße auf weltweit of-
fene Märkte ausgerichtet ist, hat die jüngsten Vereinbarungen bei der Mi-
nisterkonferenz in Doha ausdrücklich begrüßt. Ein besonderes Anliegen
der neuen Handelsrunde ist die stärkere Integration der Entwicklungsländer
z. B. durch einen verbesserten Marktzugang. Darüber hinaus ist es gelun-
gen, in der WTO ein breiteres Mandat für eine umfassende Welthandels-
runde zur Sicherung und zum Ausbau eines fairen und nachhaltigen Han-
dels zu vereinbaren.

16. Die Bundesregierung hat erfolgreich an der Weiterentwicklung der europä-
ischen Integration mitgewirkt und damit die Voraussetzungen für stabile
politische Rahmenbedingungen mit unseren wichtigen Handelspartnern
geschaffen. Unter deutscher Präsidentschaft wurden die finanziellen Vor-
aussetzungen für die Erweiterung der EU geschaffen. Die beschäftigungs-
politischen Leitlinien und die Grundzüge der Wirtschaftspolitik haben
wichtige Impulse für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, für mehr
Wachstum und für gesunde öffentliche Finanzen geliefert. Die Einführung
des Euro wird, gemeinsam mit einer intensiven Koordinierung der Makro-
politik, das Wachstum steigern und die Voraussetzungen für mehr Beschäf-
tigung in Europa schaffen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l an der Politik zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für einen dau-

erhaften Wachstumspfad festzuhalten. Der Schlüssel für mehr Wachstum
und Beschäftigung liegt im Zusammenwirken von stabilitäts- und wachs-
tumsorientierter gesamtwirtschaftlicher Politik und nachhaltigen Strukturre-
formen. Die von der Bundesregierung umgesetzten und eingeleiteten Refor-
men auf den Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkten sind dazu geeignet, die
Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Wachstumsschwäche in Deutsch-
land zu mindern und das Land auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu
führen. Diese Wachstumspolitik steht im Einklang mit der von den Staats-
und Regierungschefs der EU formulierten wirtschaftspolitischen Strategie,
durch eine verlässliche und mittelfristig ausgerichtete Politik die Erwartun-
gen der Wirtschaftssubjekte zu stabilisieren und somit das Vertrauen von In-
vestoren und Verbrauchern zu stärken.

l weiterhin eine solide Finanzpolitik als Grundvoraussetzung einer nachhalti-
gen Wachstumspolitik zu verfolgen. Über die Haushaltskonsolidierung wird
die Handlungsfähigkeit des Staates hergestellt und Vertrauen für die Wirt-
schaft geschaffen. Steigende Staatsverschuldung durch kurzatmige Kon-
junkturprogramme oder noch stärkere Steuersenkungen nimmt nachfolgen-
den Generationen die Chance zur eigenen Gestaltung ihrer Lebensverhält-
nisse.

l die ab dem 1. Januar 2002 geltenden neuen steuerlichen Regelungen für
Wachstum und Beschäftigung wirken zu lassen. Die Gewinne aus der Veräu-
ßerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften durch Kapitalgesellschaften
sind ab dem Veranlagungszeitraum 2002 grundsätzlich steuerfrei. Auch bei
Personengesellschaften wurden die steuerlichen Rahmenbedingungen für
Umstrukturierungen verbessert. Dies verschafft der deutschen Wirtschaft die
notwendige Flexibilität für eine Optimierung der Beteiligungsstruktur.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/7808

l ihre Politik zur Förderung von Arbeitsplätzen im ersten Arbeitsmarkt fort-
zusetzen. Die zentralen Elemente der Arbeitsmarktpolitik bleiben weiterhin
– neben der Förderung von Wachstum und Innovationen – die Modernisie-
rung der Berufsausbildung, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die
Reform der Arbeitsförderung, die bessere Qualifizierung sowie die Verbes-
serung der Einstiegschancen von Geringqualifizierten und Langzeitarbeits-
losen. Die Erfahrungen aus den Modellversuchen müssen bei der Strategie
zur Verbesserung der Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte und
Langzeitarbeitslose Berücksichtigung finden. Hierzu zählt auch die Mög-
lichkeit, über Lohnsubventionen an beschäftigungsfähige Sozialhilfeemp-
fänger im Rahmen einer Gesamtstrategie zusätzliche Anreize auf dem Ar-
beitsmarkt zu generieren. Des Weiteren müssen die Beschäftigungsmöglich-
keiten bei einfachen, personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen
wie im Hotel- und Gastronomiegewerbe und im Gesundheitssektor noch
besser genutzt werden.
Die Effizienz von Beratung, Bewilligung und Kontrolle von Transferleistun-
gen, Qualifizierungsangeboten und Arbeitsvermittlung muss weiter verbes-
sert werden. Die Bemühungen zur stärkeren Integration von Arbeits- und
Sozialverwaltung gehen in die richtige Richtung und sollten intensiviert
werden. Alle genannten Elemente müssen unter Weiterentwicklung des im
Job-AQTIV-Gesetz verankerten Grundsatzes von „Fördern und Fordern“
Bestandteil einer geschlossenen Konzeption zur Schaffung von dauerhaften
Arbeitsplätzen und zur nachhaltigen Qualifizierung für Geringqualifizierte
im ersten Arbeitsmarkt werden.

l die Politik zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung konsequent weiterzu-
führen. Mit dem beabsichtigten Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit wird die Arbeit der beteiligten
Behörden besser aufeinander abgestimmt und Sanktionen bei illegaler Be-
schäftigung erhöht. Die gewerblichen Auftraggeber im Baugewerbe werden
in die Verantwortung genommen. Sie sollen für die Sozialversicherungsbei-
träge der Arbeitnehmer ihrer Nachunternehmer haften. Zur weiteren Intensi-
vierung der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ist im Jahr 2000 damit
begonnen worden, das Personal der Zollverwaltung in diesem Bereich auf
eine Stärke von 2 500 Arbeitskräften mehr als zu verdoppeln. Dieses Gesetz
wird einen wichtigen Beitrag leisten, um legale Arbeitsplätze zu sichern und
den öffentlichen Haushalten Steuer- und Beitragseinnahmen zuzuführen.

l die Politik zur grundlegenden Reform der Gesundheitspolitik weiterzuent-
wickeln. Diese hat sich weiter an dem Ziel einer effizienten und qualitativ
hochwertigen und sicheren Versorgung auszurichten und dabei die Eigen-
verantwortung zu stärken. Auf der Basis der schon eingeleiteten Reformen
wie z. B. dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz und dem Fallpau-
schalengesetz werden weitergehende Maßnahmen zur Sicherung des solida-
rischen Gesundheitswesens ergriffen. Die vorgesehene Reform des Finanz-
ausgleichs zwischen den Krankenkassen und die Neuregelung der Kranken-
hausvergütung sind ein Schritt einer grundlegenden Gesundheitsreform, mit
denen auch eine Stabilisierung der Lohnnebenkosten erreicht werden soll.

l die Regelungen der Rentenstrukturreform und die Förderung der privaten
Altersvorsorge auch auf die Beamtenversorgung zu übertragen.

l die überholten staatlichen Subventionen weiter abzubauen und auf zu-
kunftsorientierte Sektoren zu lenken. Ohne Berücksichtigung der Ausnah-
meregelungen bei der ökologischen Steuerreform sinken die Subventionen
von 1999 bis 2002 um 16 %. Dies fördert den Wettbewerb und stärkt die
Eigenverantwortung der Unternehmen. Während insbesondere struktur-
konservierende Subventionen kräftig abgebaut wurden, wurde ein neuer

Drucksache 14/7808 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Förderschwerpunkt auf den Bereich der nachhaltigen Energiegewinnung
und -nutzung gelegt.

l in den sich nach wie vor dynamisch entwickelnden Zukunftsbranchen der
Informations-, Medien- und Kommunikationswirtschaft die Rahmenbedin-
gungen auszubauen, die gleichzeitig für fairen Wettbewerb sorgen, flächen-
deckende, erschwingliche und allgemein zugängliche Angebote auf dem
jeweiligen Stand der Technik sichern sowie Investitionen und die Schaffung
von Arbeitsplätzen ermutigen.
Dazu gehört auch, sich auf internationaler Ebene für vergleichbare, faire und
auf sozialen Standards basierende Wettbewerbsbedingungen einzusetzen. In
der nationalen Regulierungs- und Wettbewerbspolitik geht es um die Siche-
rung der Handlungsfähigkeit von Kartellamt und Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post, um die Berücksichtigung der tatsächlichen
ökonomischen Entwicklung auf den jeweiligen Märkten, und die Reduzie-
rung der Regulierungsdichte auf jenen Teilmärkten, auf denen selbsttragen-
der Wettbewerb besteht.

l die Politik zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland mit dem Vierten
Finanzmarktförderungsgesetz konsequent weiterzuführen. Mit diesem Ge-
setz wird die Position der deutschen Börsen und ihrer Marktteilnehmer im
europäischen und internationalen Wettbewerb gestärkt, die Rechtssicherheit
und der Anlegerschutz erhöht und die Effizienz der Aufsicht über Kreditins-
titute verbessert. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz wird somit ent-
scheidend zu einer Leistungssteigerung des deutschen Finanzplatzes und zur
Sicherung der Marktintegrität beitragen.

l an ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik festzuhalten, bei der die Nachhaltig-
keit nicht nur eine Randrolle spielt. Um die ökologische Modernisierung
voranzutreiben, steht die Integration ökologischer Ziele in die Wirtschafts-
abläufe weiter im Vordergrund. In diesem Sinne soll auch bei der Energie-
politik die Umweltverträglichkeit gleichrangig neben den Zielen Versor-
gungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit stehen.

l die Förderung von neuer Technologie weiterhin in den Mittelpunkt ihrer
wirtschaftspolitischen Aktivitäten zu stellen. Wissen, verbesserte Produk-
tionsverfahren, neue Produkte und Dienstleistungen sind die wichtigste
Quelle für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Deutsch-
land hat in den vergangenen Jahren in zentralen Bereichen der sog. Neuen
Technologien wie Biotechnologie, Regenerative Energien, Halbleiter und
Software im internationalen Wettbewerb an Boden gewonnen. Die trotz all-
gemeiner Haushaltskonsolidierung noch einmal für 2002 erhöhten Mittel für
Bildung und Forschung werden ihren Beitrag dazu leisten, dass Deutschland
diese technologische Leistungsfähigkeit im internationalen Wettbewerb be-
wahrt und weiter ausbaut.

l einen ausgewogenen internationalen Ordnungsrahmen weiterzuentwickeln.

Berlin, den 12. Dezember 2001
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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