BT-Drucksache 14/7785

Nothilfe für Afghanistan

Vom 11. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7785
14. Wahlperiode 11. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Erika Reinhardt, Bernd Schmidbauer, Dr. Maria Böhmer,
Hermann Gröhe, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Monika Brudlewsky,
Maria Eichhorn, Rainer Eppelmann, Dr. Heiner Geißler, Siegfried Helias, Rudolf
Kraus, Dr. Manfred Lischewski, Marlies Pretzlaff, Hans-Peter Repnik, Dr. Christian
Ruck, Dr. Erika Schuchardt, Dr. Christian Schwarz-Schilling, Peter Weiß
(Emmendingen), Annette Widmann-Mauz und der Fraktion der CDU/CSU

Nothilfe für Afghanistan

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Einbruch des Winters muss der afghanischen Bevölkerung nach dem
militärischen Sieg über das Taliban-Regime geholfen werden, um eine sich ab-
zeichnende humanitäre Katastrophe zu verhindern. Derzeit leben im Norden
Afghanistans bereits 900 000 Menschen ohne Nahrung, für mindestens 2 Milli-
onen Afghanen wird es nur noch wenige Wochen, für weitere 6 bis 7 Millionen
Menschen nur noch wenige Monate ausreichend Nahrung geben. Die Weltbank
warnt darüber hinaus, dass mit dem Ende des seit über 20 Jahren andauernden
Kriegszustandes voraussichtlich Millionen Flüchtlinge zurückkehren werden
und die Nahrungsmittelversorgung nochmals verschärft werden könnte. Einset-
zender Schneefall und die angespannte Sicherheitslage behindern derzeit die
humanitäre Hilfe. UNHCR berichtet, dass Frauen und Kinder bei Temperaturen
um den Gefrierpunkt im Freien und ohne Winterkleidung campieren. Die
Hauptursachen für die humanitäre Katastrophe sind die über vier Jahre wäh-
rende Dürre, eine der schlimmsten in der afghanischen Geschichte, die unfä-
hige Verwaltung der Taliban, die zu einer logistischen und infrastrukturellen
Katastrophe hinsichtlich der Nahrungsmittelverteilung im Land geführt hat und
verantwortlich ist für über eine Million Binnenvertriebene sowie den Zusam-
menbruch des landwirtschaftlichen Systems, der hereinbrechende strenge
afghanische Winter und schließlich die durch den Krieg verursachte Versor-
gungslücke des Landes, verbunden mit einem stark beschädigten Wegenetz,
das Hilfslieferungen erheblich erschwert.
Afghanistan ist nach über zwanzig Jahren Krieg und Bürgerkrieg eines der
ärmsten Länder der Welt, seine Bevölkerung in einem verheerenden Gesund-
heitszustand und die Kindersterblichkeit eine der höchsten in der Welt. Das
Kinderhilfswerk Unicef rechnet mit dem Tod von 120 000 Kindern, wenn nicht
rechtzeitig Hilfe eintrifft. Die begrüßenswerten Bemühungen zur Nothilfe im
Lande durch beispielsweise das UN-Welternährungsprogramm und die US-Ini-
tiative zur Versorgung der Bevölkerung aus der Luft, sowie zahlreiche Kirchen
und Nichtregierungsorganisationen wie Terre des Hommes, Care, die Welthun-
gerhilfe und Oxfam werden jedoch nicht ausreichen, um die Versorgung in den
kommenden Wochen und Monaten zu sichern. Die Hilfsorganisationen sind

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derzeit lediglich in der Lage, Menschen in den zugänglichen Randgebieten zu
versorgen. Problematisch ist aber die Versorgung dort, wo Hilfsorganisationen
durch die eigene Logistik und die zerstörte Infrastruktur an Grenzen stoßen.
Ausländische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen haben keinen Zugang zu Ge-
bieten, die nach wie vor von den Taliban kontrolliert werden.
Um den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen, ist eine generalstabsmäßige Pla-
nung der Nothilfe für Afghanistan notwendig. Bereits Mitte Oktober 2001 ha-
ben die Entwicklungsminister der EU-Staaten „schnelles Handeln“ für die vom
Hunger bedrohten Menschen gefordert. Dabei stellten die Minister fest, dass es
das Hauptproblem sei, die Bedürftigen überhaupt zu erreichen. Laut Europäi-
scher Kommission stellen die EU-Staaten für Sofortmaßnahmen in Afghanis-
tan noch im Jahre 2001 700 Mio. DM zur Verfügung. Auch die Weltbank plant
konkrete Hilfe in Millionenhöhe. Das Problem der Soforthilfe für Afghanistan
ist daher weniger in den finanziellen Mitteln zu suchen als in der Organisation.
Bislang hat die Bundesregierung es versäumt, Vorsorgemaßnahmen im Bereich
der Nothilfe für die Zeit nach dem Ende des Militäreinsatzes gegen das Tali-
ban-Regime zu treffen. Die Bundesregierung hat es außerdem versäumt, ihren
Einfluss in der EU und gegenüber den USA geltend zu machen, um Probleme
bei der Koordination der humanitären Hilfe anzustoßen. Dies ist umso bedauer-
licher vor dem Hintergrund der großen Bedeutung, die die Bundesregierung
nach eigener Aussage der humanitären Hilfe in ihrer Außen-, Entwicklungs-
und Verteidigungspolitik beimisst. So klagt das UN-Büro zur Koordination hu-
manitärer Hilfe (OCHA), dass bislang erst 20 Prozent der vom 15. November
bis 15. Dezember 2001 benötigten Hilfsgüter eingetroffen seien.

Deshalb fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,
1. für den Aufbau der für die Nothilfe dringend benötigten Logistik in Zusam-

menarbeit mit anderen Staaten und Organisationen in Afghanistan zu sor-
gen, um die Versorgung der afghanischen Bevölkerung mit den notwendigen
Hilfsgütern zu sichern, eine verbesserte medizinische Versorgung der afgha-
nischen Bevölkerung, besonders der Kinder, zu ermöglichen und schließlich
die Bereitstellung und Verteilung von Winterkleidung, Decken und Winter-
zelten sicherzustellen;

2. in der Europäischen Union, im Nordatlantischen Bündnis und bei den Ver-
einten Nationen auf eine Sofortinitiative für eine breit angelegte und massive
Hilfsaktion für die notleidende afghanische Bevölkerung hinzuwirken;

3. die Koordination der Nothilfe für Afghanistan gegebenenfalls mit finanziel-
len und personellen Mitteln zu unterstützen;

4. ihren Einfluss auf die zentralasiatischen Staaten zu nutzen, um bürokratische
Hürden abzubauen, die Hilfslieferungen unmöglich machen oder erschwe-
ren;

5. ihren Einfluss auf die usbekische Regierung zu nutzen, um die dauerhafte
Öffnung der „Freundschaftsbrücke“ zwischen dem Flughafen Termez (Us-
bekistan) und der nordafghanischen Stadt Mazari-Sharif zu gewährleisten,
damit Lebens- und Arzneimittel sowie Winterkleidung hineingebracht- so-
wie Kranke herausgebracht werden können.

Berlin, den 11. Dezember 2001
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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