BT-Drucksache 14/7781

Europa richtig voranbringen - Weichenstellung durch den Europäischen Rat in Laeken/Brüssel

Vom 11. Dezember 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7781
14. Wahlperiode 11. 12. 2001

Antrag
der Abgeordneten Peter Hintze, Christian Schmidt (Fürth), Michael Stübgen,
Peter Altmaier, Dr. Ralf Brauksiepe, Klaus Francke, Dr. Reinhard Göhner, Horst
Günther (Duisburg), Ursula Heinen, Klaus Hofbauer, Dr. Karl-Heinz Hornhues,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Gerd Müller, Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Peter Repnik,
Hannelore Rönsch (Wiesbaden), Reinhard Freiherr von Schorlemer, Arnold Vaatz
und der Fraktion der CDU/CSU

Europa richtig voranbringen – Weichenstellung durch den Europäischen Rat
in Laeken/Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:
Die politische und wirtschaftliche Einigung Europas ist das erfolgreichste poli-
tische Projekt in der Geschichte unseres Kontinents. Europa hat das ursprüng-
liche Ziel der Friedenssicherung durch wirtschaftliche Integration weitgehend
erreicht. In der europäischen Einigung liegt gleichzeitig die große Chance, die
europäische Wertegemeinschaft und das auf ihr gründende europäische Men-
schenbild in der Welt von morgen zu behaupten.
Doch wir können und dürfen bei dem Erreichten nicht stehen bleiben. Die Ter-
roranschläge in den USA am 11. September 2001 haben gezeigt, dass auch
offene und demokratische Gesellschaften verwundbar sind, und dass die Mög-
lichkeiten der Europäischen Union hierauf zu reagieren oder präventiv solche
Anschläge zu verhindern, begrenzt sind. Auch aus diesem Grund muss die
Handlungsfähigkeit der Europäischen Union deutlich verbessert werden.
I. Am 26. Februar 2001 wurde der Vertrag von Nizza unterzeichnet. Sein Ziel

war die Verstärkung der Legitimität, Effizienz und öffentliche Akzeptanz
der Organe sowie die institutionelle Vorbereitung der EU auf die Aufnahme
neuer Mitglieder. Mit diesem Anliegen waren die Regierungen nicht erfolg-
reich. Deshalb ist die dem Vertragstext von Nizza beigefügte „Erklärung
zur Zukunft der Union“ umso wichtiger.
Die Zukunftserklärung von Nizza fordert eine Debatte über die Zukunft der
Europäischen Union, an der sich u. a. neben der Kommission, dem Europä-
ischen Parlament und den Regierungen der Mitgliedstaaten auch Vertreter
der nationalen Parlamente beteiligen sollen. Es ist die Aufgabe des Europä-
ischen Rates in Laeken, nun den Weg für geeignete Initiativen für den Be-
ginn dieses Prozesses aufzuzeigen, der in der Ausarbeitung eines Verfas-
sungsvertrages münden soll.
Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Staats- und Regierungschefs
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, den mit dieser Zukunfts-
debatte befassten Konvent so zu gestalten, dass die Forderungen der Zu-
kunftserklärung von Nizza eine reelle Chance zur Verwirklichung bekom-
men. Regierungskonferenzen hinter verschlossenen Türen müssen der

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Vergangenheit angehören. Gleichzeitig muss eine breite öffentliche Diskus-
sion angestoßen werden, die sich mit Themen befasst, die die Bürger wirk-
lich interessieren. Nur so besteht eine Chance, die Bürger zu erreichen und
sie von den Vorteilen der Europäischen Einigung zu überzeugen. Eine Be-
grenzung der Themen auf zwar wichtige, aber eher formale Fragen, wie die
in Nizza nur unvollkommen geleistete Ausdehnung der qualifizierten Mehr-
heitsentscheidungen, wäre in diesem Sinne nicht ausreichend. Bürgernähe
darf nicht nur ein inhaltsleeres Schlagwort sein, sondern muss sich in der
politischen Diskussion widerspiegeln. Der Konvent hat eine historische
Aufgabe und sein Scheitern würde der europäischen Idee irreparablen
Schaden zufügen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, alles ihr Mög-
liche zu tun, damit der Konvent – wie auch bereits der zur Erarbeitung der
Grundrechtecharta – ein echter und wahrer Erfolg für Europa wird.
1. Der Konvent darf sich nach Auffassung des Deutschen Bundestages

folglich nicht nur mit den in der Zukunftserklärung ausdrücklich be-
nannten Themen (genauere Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen
EU und Mitgliedstaaten, Status der Grundrechtecharta, Vereinfachung
der Verträge sowie Rolle der nationalen Parlamente) befassen. Vielmehr
ist der Wortlaut der Zukunftserklärung extensiv auszuschöpfen. So wird
die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass ergän-
zend die folgenden Fragen behandelt werden:
– In Bezug auf eine genauere vertikale Kompetenzabgrenzung zwi-

schen europäischer und nationaler Ebene müssen Regelungen gefun-
den werden, die Unklarheiten vermeiden. Es muss eine klare Antwort
darauf gegeben werden, was Europa entscheiden soll und was besser
durch die Nationalstaaten geregelt werden kann. Die EU muss sich
auf ihre europäischen Kernaufgaben konzentrieren, wobei es eine Zu-
ständigkeitsvermutung zugunsten der Mitgliedstaaten geben muss.

– Die Verhandlungen über Korrekturen der geforderten vertikalen
Kompetenzabgrenzung müssen dabei mit einer grundlegenden Re-
form des Finanzausgleichs verbunden werden. Die notwendige Soli-
darität sollte nicht mehr über verschiedene Fonds und unübersehbar
viele einzelne Förderprogramme reduziert werden, sondern über
einen Solidaritätsfonds, aus dem ohne weitgehende inhaltliche Vorga-
ben Leistungen an die am wenigsten leistungsfähigen Mitgliedstaaten
erbracht werden. Maßnahmen, die in den wohlhabenderen Mitglied-
staaten bislang über die EU-Strukturfonds finanziert wurden, dürfen
von den Mitgliedstaaten mit eigenen Mitteln finanziert werden.

– Zu den Bereichen, die im Wesentlichen in der Zuständigkeit der EU
liegen sollen, zählen u. a. die Außen-, Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik, weiterhin der Binnenmarkt mit funktionierendem wirt-
schaftlichen Wettbewerb, eine reformierte Agrarpolitik sowie bei
grenzüberschreitenden Sachverhalten die Rechtspolitik, innere Si-
cherheit, Verkehr, Infrastruktur, Umwelt- und Gesundheitsschutz.
Ferner sollte die EU eine Zuständigkeit für grenzüberschreitende
Regelungen zur Wahrung der Grundfreiheiten der europäischen
Verträge haben, ohne dass daraus eine Regelungskompetenz für die
gesamten Sachbereiche wird.

– Eine echte Gewaltenteilung ist notwendig. Deswegen setzt sich der
Deutsche Bundestag auch für eine Neuordnung der horizontalen
Kompetenzabgrenzung ein. Hierbei sollte allerdings darauf geachtet
werden, dass das Gleichgewicht der Institutionen bewahrt bleibt. Ins-
besondere der Ministerrat bedarf der Reform. Als Kammer der Mit-
gliedstaaten sollte er – gemeinsam mit dem Europäischen Parlament
als der Kammer der Bürger – die Gesetzgebung im Sekundärrecht

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verantworten. Das Initiativrecht soll sowohl von der Kommission als
auch vom Rat und vom Parlament ausgeübt werden können.

2. Der Konvent sollte aus Sicht des Deutschen Bundestages folgender-
maßen strukturiert sein:
– Der Konvent sollte von einem Präsidium geleitet werden, das aus je

einem Vertreter der beteiligten Institutionen Kommission, Regierun-
gen der Mitgliedstaaten, Europäischem Parlament und nationalen
Parlamenten bestehen sollte. Der Präsident sollte auf Vorschlag der
Mitgliedstaaten vom Konvent gewählt werden.

– Wie im Grundrechte-Konvent sollten die Mitglieder des Konvents
mitberatungsberechtigte Stellvertreter haben, um eine möglichst
breite politische Basis für die Arbeit im Konvent zu haben, aber auch
um die Akzeptanz seiner Ergebnisse zu verbessern.

– Der Konvent sollte – nachdem er im Frühjahr 2002 seine Arbeit auf-
nimmt – mindestens ein Jahr tagen können, gegebenenfalls auch län-
ger. Er sollte schriftliche Zwischenberichte vorlegen, damit diese im
Europäischen Parlament und in den nationalen Parlamenten beraten
werden können. Nur so lässt sich die für die Akzeptanz unerlässliche
breite öffentliche Diskussion herstellen. Die sich dann anschließende
Regierungskonferenz sollte ohne Zeitverzug die Vorschläge des Kon-
vents zügig beraten, wobei eine Interaktion zwischen Konvent und
Regierungskonferenz möglich sein sollte. Es wäre wünschenswert,
wenn das gesamte Projekt inhaltlich vor den Wahlen zum Europäi-
schen Parlament 2004 abgeschlossen wäre.

– Ausschließlich die Beitrittskandidaten, mit denen die Beitrittsver-
handlungen schon aufgenommen wurden, erhalten Beobachterstatus
mit Antrags- und Rederecht.

II. Die Vertiefung der Europäischen Union ist nicht Selbstzweck – sie bereitet
die EU auf die nächste Erweiterung vor. Sie überwindet in einem umfassen-
den Sinne die unnatürliche Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Wunsch der Beitrittskandidaten, in die EU aufgenommen zu werden,
reflektiert die hohe Anziehungskraft, die die EU ausstrahlt: Freiheit, Demo-
kratie, Sicherheit, Frieden und Wohlstand bilden auch zukünftig das Werte-
fundament der Europäischen Union.
1. Die Fortschrittsberichte der Kommission vom November 2001 zeigen

ein weitgehendes realistisches Bild von der Umsetzung Europäischer
Gesetzgebung in den Beitrittstaaten. Sie untermauern die großen wirt-
schaftlichen und politischen Anstrengungen, die die Beitrittskandidaten
bislang erbracht haben. Jedes Kandidatenland bleibt aufgefordert, ein
Maximum an Anstrengungen zu unternehmen, um beitrittsfähig zu wer-
den. Der Deutsche Bundestag setzt sich deshalb dafür ein, dass diejeni-
gen Staaten, welche die Beitrittsverhandlungen erfolgreich abgeschlos-
sen haben und die Beitrittsbedingungen erfüllen, auch entsprechend
ihres Verhandlungsergebnisses aufgenommen werden.
Der Deutsche Bundestag steht zu dem Grundsatz, dass jedes Beitritts-
land nach seinem eigenen Fortschritt beurteilt wird. Jedes Land trägt
selbst die Verantwortung für seine Beitrittsfähigkeit. Dies gilt vor allem
auch im Hinblick auf die Beseitigung der Defizite, die die Kommission
festgestellt hat, zum Beispiel beim Aufbau effizienter Verwaltungsstruk-
turen sowie bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Kor-
ruption, die die Beitrittsfähigkeit derzeit noch in Frage stellen. Mängel
in den Bereichen Justiz und Verwaltung sind auch ein Problem für das
Funktionieren des gemeinsamen Marktes. Zu berücksichtigen ist auch,

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dass noch die schwierigen Verhandlungskapitel in den Bereichen Agrar-,
Struktur- und Budgetpolitik ausstehen. Es wäre ein verhängnisvoller
Fehler, wollte man diese finanzwirksamen Kapitel im Schnelldurchgang
abhandeln, nachdem die Kommission durch ihre insgesamt sehr positi-
ven Einschätzungen bereits hohe Erwartungen auf Seiten der Bewerber-
staaten geweckt hat. Nur eine offene Prüfung dieser Kapitel bietet Aus-
sicht darauf, dass es nach dem Beitritt nicht zu unliebsamen Über-
raschungen kommt.
Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang, dass nach
Ungarn, Tschechien und anderen Beitrittskandidaten nunmehr auch
Polen die von der EU vorgeschlagene Übergangsfrist für die Frei-
zügigkeit von Arbeitnehmern akzeptieren will, um damit Ängsten vor
möglichen Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt entgegenzutre-
ten. Die Übergangsregelungen müssen jedoch schon in der Vor-Beitritts-
Phase, d. h. ab sofort aktiv gestaltet und vermittelt werden, um im Zeit-
punkt des Beitritts eine praktische und reibungslose Umsetzung zu
ermöglichen. Des Weiteren ist die Absicht Polens positiv zu werten,
beim Landerwerb durch EU-Bürger kürzeren Übergangsfristen zuzu-
stimmen.
In Bezug auf den Beitritt Zyperns teilt der Deutsche Bundestag die Hal-
tung der Kommission, wonach weiterhin alle Möglichkeiten genutzt
werden sollten, um zu einer politischen Lösung für die geteilte Insel zu
kommen.

2. Die EU ihrerseits muss ihre Hausaufgaben erledigen – neben der drin-
gend notwendigen Verabschiedung der bislang aufgeschobenen institu-
tionellen Reformen muss sie auch finanziell in die Lage versetzt werden,
die Erweiterung um bis zu zehn neue Staaten zu verkraften.
Die Erweiterung ist in der bis zum Jahr 2006 gültigen finanziellen Vor-
ausschau der EU unterfinanziert. Dies betrifft insbesondere die Kosten
für die Gemeinsame Agrarpolitik. Auch die Beitragslasten der Unions-
länder weisen weiterhin strukturelle Ungerechtigkeiten auf. Der Deut-
sche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, gegenüber der Europä-
ischen Kommission auf eine baldige Aktualisierung der Berechnungen
für die finanzielle Dimension insbesondere der Agrar- sowie der Regio-
nal- und Strukturpolitik zu drängen.

Insgesamt sieht der Deutsche Bundestag die Erweiterung auf gutem Wege.
Deutschland wird durch seine Nähe zu den Beitrittsländern wirtschaftlich in
hohem Maße profitieren. Arbeitsplätze bei uns können gesichert und neue
geschaffen werden. Die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird
erhöht und zusätzliche Wachstumschancen werden sich eröffnen. Trotzdem
muss der Beitritt weiterhin behutsam vorbereitet werden, angemessene
Übergangsfristen in besonders sensiblen Bereichen werden dazu beitragen,
dass sowohl die Bürger der EU als auch die der dann neuen Mitgliedstaaten
die Erweiterung als Gewinn erfahren werden. Dazu gehört, dass auch die
Bundesregierung die an die Beitrittsländer angrenzenden deutschen Grenz-
regionen, in denen die Übergangsprobleme besonders deutlich werden,
endlich gezielt fördert.

III. Europa wird nur dann seine Rolle in der Weltpolitik wirkungsvoll wahrneh-
men können, wenn auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP) und mit ihr die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(ESVP) von den Mitgliedstaaten der EU endlich als prioritäre Aufgabe
aufgefasst wird. Nur eine von allen Mitgliedstaaten gleichermaßen getra-
gene – und nach außen einheitlich auftretende – Außen- und Sicherheits-
politik hat die Chance, zur Konfliktverhütung und Konflikteindämmung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7781

wirksam beizutragen und die Rolle der EU als gleichberechtigter Partner
der USA zu festigen.
1. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, der Ver-

wirklichung der Gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik auch
in ihrem Handeln Rechnung zu tragen. Exklusivtreffen wie vor dem
Europäischen Rat von Gent, bei denen die kleineren Mitgliedstaaten zu
Zaungästen degradiert werden, sind diesem Ziel abträglich. Die Einbin-
dung in die Europäischen Union hat Deutschland geholfen, wieder sei-
nen Platz in der Welt zu finden. Arroganz und Nichtbeachtung der klei-
neren Partner kann und darf Deutschland sich nicht leisten.
Das Engagement der EU in Mazedonien hat gezeigt, dass Europa zum
gemeinsamen Handeln fähig ist und sein geschlossenes Auftreten auch
zum Erfolg führt. In Mazedonien konnte durch das unermüdliche Ver-
handeln des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicher-
heitspolitik mit den verfeindeten Volksgruppen ein Bürgerkrieg bislang
vermieden werden. Die Ratifizierung der Verfassungsreform durch das
mazedonische Parlament ist ein wichtiger Schritt in Richtung Frieden.
Die EU darf in ihren Bemühungen um ein friedliches Miteinander der
Bevölkerungsgruppen jedoch nicht nachlassen und ihr Engagement in
der Region weiterhin sichtbar zeigen. Wirtschaftliche Unterstützung ist
davon ein Teil, Hilfe zur Selbsthilfe der andere. Hierzu zählt auch eine
nachhaltige Hilfe zur notwendigen Verwaltungsreform und eine Unter-
stützung zur Anpassung des Rechtssystems. An der Krise in Mazedo-
nien und der nach wie vor offenen Statusfrage des Kosovo wird deut-
lich, wie notwendig ein Gesamtkonzept der EU für die Region Süd-
Osteuropa ist, das eine faire Lösung für alle Staaten der Region eröffnet.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ein solches
Konzept umgehend vorzulegen und sich im Rahmen der EU für einen
raschen Konsens einzusetzen.

2. Zu einer glaubhaften Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ge-
hört auch die Fähigkeit, mit zivilen und militärischen Mitteln auf Krisen
reagieren zu können. Die Europäischen Räte von Köln im Juni 1999 und
Helsinki im Dezember 1999 sind wichtige Meilensteine zur Schaffung
solcher Fähigkeiten. Die EU soll bis 2003 in der Lage sein, innerhalb
von 60 Tagen Truppen in einer Größenordnung von 50 000 bis 60 000
Mann für eine Operation über die Dauer von einem Jahr bereitstellen zu
können. Beim Treffen der EU-Verteidigungs- und Außenminister im
November 2001 wurde jedoch deutlich, dass die EU nach heutigem
Stand ihr Ziel nicht erreichen wird.
Rückläufige Verteidigungsbudgets in Europa und insbesondere in
Deutschland stellen die Glaubwürdigkeit der ESVP zunehmend in
Frage: Der Beschluss zur Beschaffung von 75 A 400 M-Transportflug-
zeugen ist in Deutschland bislang finanziell nicht abgesichert. Weitere
Anstrengungen sind bei strategischer Aufklärung und Kommunikation
sowie im Hinblick auf die Modernisierung der Bewaffnung notwendig.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die nötige Kehrtwende im Ver-
teidigungshaushalt zu vollziehen.
Die ESVP muss stärker als bisher Synergien unter den nationalen
europäischen Streitkräften herstellen. Dies kann sich über eine suprana-
tionale Zusammenziehung von Ausbildungs- und Wartungseinheiten
oder auch über die teilweise Zusammenlegung von Fluggeschwadern
und U-Bootflotten vollziehen.

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Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich bei der
Ausgestaltung der ESVP dafür einzusetzen, dass aus der neuen Bedro-
hung durch den internationalen Terrorismus die nötigen Konsequenzen
gezogen werden. Die von einigen europäischen Ländern unterhaltenen
Spezialtruppen werden zwar auf absehbare Zeit national geführt sein.
Doch diese Einheiten sollten nicht nur verstärkt, sondern auch auf mög-
liche gemeinsame Einsätze vorbereitet werden, so dass im Rahmen der
ESVP im Bedarfsfalle auf Spezialkräfte in einer Größenordnung von
5 000 Mann zurückgegriffen werden kann.
Die EU muss in Fragen der Krisenbewältigung und Krisenprävention
ihren komparativen Vorteil gegenüber anderen internationalen Struktu-
ren nutzen und weiter ausbauen. Denn sie verfügt auch über eine große
Bandbreite ziviler Instrumente, um auf Konflikte befriedend einzuwir-
ken. Dies gilt sowohl für die Möglichkeit, über politische Druckmittel
und wirtschaftliche Anreize bzw. Sanktionsmaßnahmen auf die Kon-
fliktparteien Einfluss zu nehmen als auch für den künftigen Einsatz zivi-
ler Fähigkeiten im Rahmen der ESVP. Die Bundesregierung wird auf-
gefordert, auf europäischer Ebene die Ausbildung und den Aufbau
international einsetzbarer Polizeikräfte, Rechts- und Verwaltungsexper-
ten sowie eines sofort verfügbaren Katastrophenschutzes zügig voranzu-
treiben und sich für eine zielgerechte Bündelung bilateraler und gemein-
schaftlicher Maßnahmen und Kapazitäten einzusetzen.
Eine echte ESVP erfordert, dass die Europäer künftig ihre Verteidi-
gungshaushalte darauf abstimmen, welche Finanzmittel zur Erfüllung
der gemeinsamen europäischen Aufgaben und erforderlichen Fähigkei-
ten insgesamt gebraucht werden und welche nationalen Beiträge dafür
zu leisten sind. Dies muss im Rahmen europäischer Gremien eng koor-
diniert werden. Die Bundesregierung muss sich für den Ausbau von
„OCCAR“ zu einer europäischen Rüstungsagentur einsetzen.

IV. Der 1. Januar 2002 wird ein historischer Tag in der Geschichte der EU wer-
den. Mit der Einführung des Euro-Bargeldes wird das ehrgeizige Projekt
einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vollendet.
Die erfolgreiche Einführung einer stabilen gemeinsamen Währung, welche
Europa in einem gemeinsamen Währungsraum weiter zusammenwachsen
lässt, war wesentlich das Verdienst von Dr. Helmut Kohl und Dr. Theodor
Waigel. Durch sie initiiert haben die Mitgliedstaaten enorme Anstrengun-
gen erbracht: die Inflationsraten sanken, Zinssätze fielen, die öffentlichen
Defizite wurden im Euroraum zurückgeführt, die Staatsverschuldung ist
rückläufig. Mitgliedstaaten, die in der Vergangenheit mit schwachen Wäh-
rungen zu kämpfen hatten, vollbrachten durch die Beteiligung an der
Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine wirtschaftspolitische
Kehrtwendung, wie sie vorher nicht für möglich gehalten wurde.
Das weitere Gelingen der Wirtschafts- und Währungsunion, insbesondere
was die Stärke des Euro nach außen und damit seine positiven Auswirkun-
gen auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber anderen internationalen Wirtschaftsakteuren angeht, hängt aber
ganz entscheidend von der Wirtschaftspolitik der einzelnen Euro-Staaten
ab. Auch hier muss die Bundesregierung nacharbeiten.
Das Haushaltsdefizit wird dieses Jahr voraussichtlich nur knapp unter der
durch den Stabilitätspakt vorgegebenen Maximalgrenze von 3 % liegen, die
Arbeitslosigkeit steigt besorgniserregend. Ohne entsprechende Struktur-
reformen in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik gefährdet
Deutschland nicht nur seine eigene Stabilität, sondern die der gesamten
EU. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die notwen-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/7781

digen Reformen unverzüglich auf den Weg zu bringen, damit der Erfolg
des Euro dauerhaft gesichert wird.

Berlin, den 11. Dezember 2001
Peter Hintze
Christian Schmidt (Fürth)
Michael Stübgen
Peter Altmaier
Dr. Ralf Brauksiepe
Klaus Francke
Dr. Reinhard Göhner
Horst Günther (Duisburg),
Ursula Heinen
Klaus Hofbauer
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Dr. Martina Krogmann,
Dr. Gerd Müller
Dr. Friedbert Pflüger
Hans-Peter Repnik
Hannelore Rönsch (Wiesbaden)
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Arnold Vaatz
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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