BT-Drucksache 14/7593

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2002 -14/6800 Anlage, 14/7306, 14/7321, 14/7322, 14/7323, 14/7537- hier: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Vom 27. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7593
14. Wahlperiode 27. 11. 2001

Änderungsantrag
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2002
– Drucksachen 14/6800 Anlage, 14/7306, 14/7321, 14/7322, 14/7323, 14/7537 –

hier: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Der Bundestag wolle beschließen:
Zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemi-
tismus werden im Einzelplan 06
1. in Kapitel 06 02 „Allgemeine Bewilligungen“ der Titel 532 05 „Kosten der

geistig-politischen Auseinandersetzung mit terroristischen und extremisti-
schen Bestrebungen und einer bundesweiten Aufklärungskampagne zu Ge-
fahren des Extremismus und Fremdenfeindlichkeit“ um 12,5 Mio. Euro er-
höht;

2. in Kapitel 06 02 der Titel 632 03 – „Bundesanteil zur Sicherung und Betreu-
ung der Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden in der Bundesrepub-
lik Deutschland“ – um 1 Mio. Euro erhöht;

3. das Kapitel 06 35 „Bundeszentrale für politische Bildung“ um folgende
Titelgruppe 02 erweitert: „Wissenschaftliche Erforschung verschiedener po-
litischer Strömungen der ,Neuen Rechten‘, neuheidnischer und kultischer
Gruppierungen des Rechtsextremismus sowie Erforschung der politischen
Durchdringung der Traditionsverbände der Wehrmacht, der Vertriebenen-
verbände und studentischer Verbindungen durch Rechtsextremisten und
Einsatz dieser Ergebnisse in der politischen Aufklärungsarbeit“ und hierfür
25 Mio. Euro eingesetzt;

4. in Kapitel 06 35 „Bundeszentrale für politische Bildung“ der Titel 532 02 –
„Politische Bildungsarbeit“ –, Nr. 10: „Für die gesellschaftliche Auseinan-
dersetzung mit Rechtsradikalismus …“ um 5 Mio. Euro erhöht;

5. in Kapitel 06 40 „Bewilligungen für Spätaussiedler, Deutsche Minderheiten
und Vertriebene“, Titelgruppe 01, Titel 684 12 „Zuwendungen für Maßnah-
men zur Förderung der Integration von Spätaussiedlern und Vertriebenen“,
die Nr. 1 – „Institutionelle Förderung – Bund der Vertriebenen e. V.“ – um
460 000 Euro gekürzt.

Berlin, den 29. November 2001
Petra Pau
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

Drucksache 14/7593 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

I. Allgemein
Der Einfluss und die Auswirkungen des Rechtsextremismus haben weiterhin
ein erschreckendes Ausmaß. Dies wird sich nach den Einschätzungen seriöser
Rechtsextremismus-Forscher auch in den nächsten Jahren nicht ändern.
Die rechtsextremen Straftaten haben einen traurigen Höchststand erreicht.
Allein im letzten Jahr wurden 15 951 rechtsextrem motivierte Straftaten began-
gen. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich diese Zahl um 58,9 %. Es ist dies
ein trauriger bundesdeutscher Rekord. Allein die Zahl der rechtsextremen
Gewalttaten stieg um 33,8 % auf 998.
Und auch in diesem ersten Halbjahr sind die Zahlen der rechten Straftaten
wieder angestiegen.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der Präsident des Zentralrates
der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, im August diesen Jahres vor einem
„Nachlassen im Kampf gegen den Rechtsextremismus warnte“ (Süddeutsche
Zeitung, 20. August 2001). Es gebe keinen Grund, vor dem Hintergrund des ge-
walttätigen Treibens der Rechtsextremisten in diesem Land die Hände in den
Schoß zu legen. Paul Spiegel warnte eindringlich: „Wir dürfen uns nicht an die
kontinuierlich schleichende Zunahme der rechtsextremen Gewalt gewöhnen.
(…) Ausländer können sich nirgends sicher fühlen. Politiker haben zu lange ge-
schwiegen, weggeschaut und verharmlost“. Die Situation sei so „kritisch wie
vielleicht noch nie“ (FAZ, 23. August 2001).
Nach wie vor sind rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Ein-
stellungen in der Bevölkerung im erschreckenden Maße weit verbreitet. Beson-
ders besorgniserregend sind die Angaben über rechtsextreme Einstellungen
unter Jugendlichen.
Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland verfügt der Rechtsextremismus
über Zuspruch in der Bevölkerung. In den letzten Jahren haben unterschied-
liche Meinungsforschungsinstitute immer wieder darauf hingewiesen, dass
zwischen 5 bis 10 % der Bevölkerung rechtsextreme Parteien wählen würden.
Erhebungen über rechtsextreme Einstellungen weisen auf eine Verfestigung
und Ausbreitung solcher Anschauungen hin. So schätzen Rechtsextremis-
mus-Forscher gegenwärtig das rechtsextremistische Wählerpotential auf 13 bis
18 % (Die Woche, 18. August 2000).
Nach einer Studie der letzten Jahre unter brandenburgischen Jugendlichen be-
ziehen 10 % der Jugendlichen judenfeindliche Positionen. 76 % der männ-
lichen und 57 % der weiblichen Befragten können sich nicht vorstellen, mit
einem Juden befreundet zu sein (Berliner Zeitung, 8. September 2000).
Rechtsextremismus ist aber keineswegs „nur“ ein Jugendproblem. Eine
Forsa-Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2000 kommt zu dem Ergebnis, dass
12 % der Berliner und 21 % der Brandenburger Bevölkerung zu einem rechts-
extremen Weltbild neigen. Besonders hoch ist nach dieser Studie der Prozent-
satz der Menschen mit rechtsextremen Weltbild in der Altersgruppe der 55- bis
74-Jährigen (Newsbote, 15. August 2000).
Bereits Anfang der 90er Jahre hatte eine EMNID-Umfrage im Auftrag des
Jüdischen Komitees festgestellt, dass 20 % der Deutschen keinen jüdischen
Nachbar wollen. 30 % der Westdeutschen und 20 % der Ostdeutschen waren
nach dieser Umfrage „gegen einen Juden als möglichen deutschen Bundesprä-
sidenten“. 44 % der Westdeutschen und 19 % der Ostdeutschen meinten, dass
„die Juden den Holocaust für ihre eigenen Zwecke ausnutzen“.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7593

Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, ausreichende Mittel für
eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus, von Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus bereit zu stellen.

II. Zu den einzelnen Punkten
Zu 1. In diesem Haushaltsposten sollen Mittel für ein Programm zur Bekämp-

fung von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus
eingestellt werden.
Es soll ein Programm entwickelt werden, das das Engagement und die
Initiative Einzelner oder Gruppen in der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus unterstützt und stärkt.
Um die Arbeit antifaschistischer und antirassistischer Organisationen und
Initiativen zu fördern, werden zu diesem Zweck zusätzliche 12,5 Mio.
Euro bereitgestellt. Diese Mittel sollen in die Arbeit von Organisationen
und Initiativen fließen.
Durch die finanzielle Förderung soll eine Gegenmobilisierung breiter Be-
völkerungsschichten gegen rechtsextreme und rassistische Bestrebungen
gestützt werden.

Zu 2. Die nicht abreißenden Berichte über neuerliche Schändungen jüdischer
Friedhöfe machen deutlich, dass die bisher dafür bereitgestellten Mittel
ganz offensichtlich nicht ausreichen. Für die jüdischen Gemeinden ist es
teilweise nicht bzw. nur unzureichend möglich jüdische Friedhöfe, die
während der NS-Zeit zerstört wurden, zu betreuen. Die Aufgabe ist – trotz
teilweisen großen ehrenamtlichen Aufwands – von den jüdischen Ge-
meinden kaum angemessen zu bewältigen. Der Bundesrepublik Deutsch-
land kommt hier eine große Verantwortung zu, die sich auch finanziell
ausdrücken muss.

Zu 3. Über bestimmte, sogar entscheidende und einflussreiche Strömungen des
bundesdeutschen Rechtsextremismus klärt das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz (BfV) nicht auf. So gibt es beispielsweise über die Strömun-
gen der „Neuen Rechten“, deren politischen Ausrichtung, ihr Organisa-
tionsgeflecht und ihre Theorieorgane so gut wie kein behördliches Wissen.
Dies trifft auch auf neuheidnische und kultische Gruppierungen des
Rechtsextremismus sowie auf eine rechtsextreme Durchsetzung von Ver-
triebenenverbänden, Traditionsverbänden der Wehrmacht und studen-
tischen Verbindungen zu.
Durch diese Defizite des Amtes wird das tatsächliche Ausmaß rechts-
extremer Bestrebungen völlig falsch eingeschätzt. Die Bevölkerung wird
über bestehende Gefahren nicht ausreichend oder gar nicht informiert. So
wurde beispielsweise die Öffentlichkeit in diesem Jahr durch die Tatsache
überrascht, dass einige studentische Verbindungen rechtsextrem durch-
setzt sind.
Um diese Lücke in der Aufklärung über den Neofaschismus zu schließen,
wird die Bundeszentrale für politische Bildung beauftragt, Forschungs-
vorhaben zu diesen Themenkomplexen zu vergeben und die Ergebnisse
dieser wissenschaftlichen Studien für die Bildungsarbeit in angemessener
Form aufzuarbeiten.
Es kann nicht hingenommen werden, dass beispielsweise über eine
rechtsextreme Durchdringung von Vertriebenenverbänden nicht genug
Aufklärungsarbeit durch die zuständigen Stellen betrieben wird. Dadurch
besteht die Gefahr, dass Eltern beispielsweise ihre Kinder ahnungslos in
zum Teil rechtsextrem durchsetzte Jugendorganisationen der Vertriebe-
nenverbände gehen lassen. Diese Gefahr ist umso größer, da durch die

Drucksache 14/7593 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
staatliche, politische und finanzielle Unterstützung der Vertriebenenver-
bände allgemein der Eindruck politischer Zuverlässigkeit und Korrekt-
heit vermittelt wird.
Es kann ebenfalls nicht hingenommen werden, dass z. B. Wehrpflichtige
in Unkenntnis über eine rechtsextreme Durchdringung von Traditionsver-
bänden der Wehrmacht gelassen werden; dies umso mehr, da bis heute
Kontakte zwischen der Bundeswehr und dem Reservistenverband der
Bundeswehr einerseits und den Traditionsverbänden der Wehrmacht an-
dererseits bestehen. Soldaten können so in verantwortungsloser Weise in
Kontakt mit Verbänden gebracht werden, die die Verbrechen des Faschis-
mus leugnen.

Zu 4. Die Anstrengungen im Bereich der politischen Bildung müssen verstärkt
werden. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Arbeit der
Bundeszentrale für politische Bildung umstrukturiert hat. Es wurde be-
gonnen, die Arbeit zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus
durch neue Programme, Medienpakete für Schulen etc. zu erweitern und
zu intensivieren.
Diese wertvolle Neustrukturierung alleine reicht aber nicht aus. Es müs-
sen auch die finanziellen Mittel für diese neuen Aufgaben bereitgestellt
werden. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus erfordert
auch die entsprechenden Geldmittel.

Zu 5. Es gibt Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Durchdringung des
Bundes der Vertriebenen e. V. (BdV). Ein namhafter Vertreter des BdV
hat erst kürzlich bestürzende Äußerungen über die Anzahl der Opfer in
Auschwitz gemacht. Die Vertriebenenverbände untergraben die Völker-
verständigung in Europa, indem sie bestehende Grenzen und internatio-
nale Verträge nicht anerkennen. In der wissenschaftlichen Literatur über
den Rechtsextremismus sind diese Zusammenhänge vielfältig belegt.
Eine politische und finanzielle Förderung aus Bundesmitteln ist daher
nicht hinnehmbar. Sie stünde auch im Gegensatz zu dem im März dieses
Jahres im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen ge-
meinsamen Antrag von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und
PDS „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus
und Gewalt“ (Drucksache 14/5456), in dem die Bundesregierung aufge-
fordert wird, dafür zu sorgen, „dass keine Zuschüsse … an Organisatio-
nen, Stiftungen und Verlage gewährt werden, die rechtsextremes Gedan-
kengut … in den eigenen Reihen dulden.“ (Punkt 15 des Antrags).
In einem ersten Schritt soll dem BdV die Hälfte der Mittel gestrichen
werden, in einem zweiten Schritt sollen die restlichen Mittel der institu-
tionellen Förderung gestrichen werden.
Außerdem sollen die Projektförderungen und die Betreuung der Aussied-
ler sofort auf andere Träger wie die Volkshochschulen, die Arbeiterwohl-
fahrt etc. übertragen werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.