BT-Drucksache 14/7557

Reaktion der Bundesregierung auf die Äußerungen eines führenden Repräsentanten des "Bundes der Vertriebenen" über die Opfer in Auschwitz

Vom 21. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7557
14. Wahlperiode 21. 11. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Reaktionen der Bundesregierung auf die Äußerungen eines führenden
Repräsentanten des „Bundes der Vertriebenen“ über die Opfer in Auschwitz

Am 9. November 2001 hielt der Thüringer „Bund der Vertriebenen“ (BdV) in
der Arnstädter Stadthalle seinen 9. Verbandstag ab. Schon die Auswahl dieses
historischen Datums, des Tag des Gedenkens an die verbrecherische Reichs-
pogromnacht, wurde von verschiedenen politischen Kreisen Arnstadts als
Provokation aufgefasst.
Der Thüringer Vorsitzende des BdV, Dr. Paul Latussek, Mitglied des Bundes-
vorstandes des BdV, Dozent an der Technischen Universität Ilmenau und Mit-
glied des Bundesvertriebenenbeirates des Bundesministeriums des Innern
(BMI), hielt eine Rede vor den Delegierten.
Nach Presseberichten erklärte er dabei wörtlich: „Noch verhindern die Wolken
einer bewusst betriebenen einseitigen Kollektivschuldzuweisung gegenüber un-
serem Volke den klaren Blick zur Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren
europäischen Geschichte und über die Kriegsschuld in den Kriegen des vergan-
genen Jahrhunderts. Dies wird sich bald verändern, da die Lügen über Katyn,
Jedwabne und die Aussagen über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht
mehr länger zu halten sind. In Auschwitz gab es offensichtlich keine sechs Mil-
lionen Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930 000 nachgewie-
sen.“ (Quelle: Rheinische Post Online, 12. November 2001).
Auf der Homepage des BdV-Landesverbands Thüringen hat Dr. Paul Latussek
zu diesen Vorwürfen folgende „Gegendarstellung“ veröffentlicht. Die Zitate
seien sinnentstellend und falsch. In Wirklichkeit habe er gesagt: „Die Lügen
über Katyn, Jedwabne und die Aussagen über die Opfer in Auschwitz u. a. sind
nicht länger zu halten. In Auschwitz gab es offensichtlich keine sechs Millionen
Opfer, sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930 000 nachgewiesen.
Dabei geht es nicht um eine Relativierung des Verbrechens, sondern um die ge-
schichtliche Wahrheit. Sie kennen meine Einstellung, dass jedes Opfer eines
Verbrechens eines zuviel ist.“
Selbst diese Erklärung stellt bereits eine ungeheuerliche Bagatellisierung des
Holocaust dar. Auf diesem „Verbandstag“ wurde Dr. Paul Latussek nach seiner
Rede dennoch mit 97,4 % der Stimmen der Delegierten erneut zum Vorsitzen-
den des Verbandes des Thüringer BdV gewählt. Lediglich die Vertreter aus
Sömmerda und Nordhausen verweigerten ihm die Zustimmung (Quelle: Thü-
ringer Allgemeine, 15. November 2001).
In der Folge protestierten zahlreiche Personen, Verbände und Einrichtungen ge-
gen diese Bagatellisierung des Holocausts, darunter die Jüdische Gemeinde
Thüringens (Rheinische Post Online, 12. November 2001), die Präsidentin des
Thüringer Landtags (Freies Wort, 13. November 2001), die Sprecherin der
Gedenkstätte Buchenwald und des Auschwitz-Komitees (Frankfurter Allge-
meine Zeitung, 12. November 2001).

Drucksache 14/7557 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Der Deutsche Bundestag hat erst kürzlich mit den Stimmen der Fraktionen von
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PDS einen Antrag gegen Rechts-
extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt (Bundestags-
drucksache 14/5456) verabschiedet. Darin wird entschlossenes politisches Han-
deln gegen jede rechtsradikale Propaganda auch durch staatliche Ebenen
gefordert.
Außerdem wird gefordert, „[…] die sozialen, politischen und gesellschaftlichen
Bedingungen, die Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus
und Gewalt begünstigen, zu verändern“. In der Entschließung heißt es weiter,
„[…] dass Rechtsextremen und Neonazis in öffentlich finanzierten Einrichtun-
gen keine Räume und Infrastruktur für ihre Tätigkeit zur Verfügung gestellt
werden, […]“. In Punkt 15 des Beschlusses heißt es, schließlich, „[…] dass
keine Zuschüsse von Bundesbehörden und -institutionen an Organisationen,
Stiftungen und Verlage gewährt werden, die rechtsextremes Gedankengut
fördern oder verbreiten bzw. organisierten Rechtsextremismus in den eigenen
Reihen dulden; […]“.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat inzwischen gegen Dr. Paul Latussek wegen Ver-
dachts des Straftatbestandes der Volksverhetzung Ermittlungen aufgenommen.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung die oben genannten Ausführungen des BdV-Vor-

standsmitglieds Dr. Paul Latussek auf der oben genannten Tagung und seine
spätere „Gegendarstellung“ bekannt, und welche Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus dem dargestellten Sachverhalt?

2. Wie bewertet die Bundesregierung diese oben zitierten Äußerungen eines
führenden Repräsentanten des BdV?

3. Welche Funktionen hat Dr. Paul Latussek nach Kenntnis der Bundesregierung
derzeit im BdV und anderen Verbänden und Einrichtungen der Vertriebenen?

4. Gehört Dr. Paul Latussek noch immer dem beratenden Gremium des BMI
für Vertriebenenfragen, dem Bundesvertriebenenbeirat, an?
Wenn ja, welche Schritte plant die Bundesregierung, um die Mitgliedschaft
Dr. Paul Latusseks in diesem Beirat zu beenden?

5. Erwägt die Bundesregierung rechtliche Schritte aufgrund dieser Äußerungen
gegen Dr. Paul Latussek als Dozent an der TU Ilmenau oder sind ihr ent-
sprechende Schritte der thüringer Landesregierung bekannt?

6. Erwägt die Bundesregierung angesichts dieses Vorfalls Maßnahmen gegen
den Landesverband Thüringen des BdV oder den BdV (Sperre oder Rück-
forderung öffentlicher Mittel, Verweigerung der Bereitstellung öffentlicher
Räume, Warnung im Verfassungsschutzbericht des Bundes vor diesen Orga-
nisationen o. Ä.)?
Wenn ja, welche Maßnahmen?
Wenn nein, warum nicht?

7. Wird die Bundesregierung angesichts dieser Äußerung eines führenden Re-
präsentanten des BdV in Befolgung des eingangs genannten Beschlusses des
Deutschen Bundestags gegen Rechtsextremismus nunmehr die öffentliche
Finanzierung des BdV und mit ihm verbundene Organisationen und Einrich-
tungen beenden?
Wenn ja, wann soll das geschehen?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 16. November 2001
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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