BT-Drucksache 14/7549

Erkenntnisse der Bundesregierung über die "Colonia Dignidad" in Chile

Vom 6. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7549
14. Wahlperiode 06. 11. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Erkenntnisse der Bundesregierung über die „Colonia Dignidad“ in Chile

Nach dem Militärputsch von 1973 entwickelte sich die „Colonia Dignidad“
nach verschiedenen glaubwürdigen Zeugenaussagen unter Augusto Pinochet
zu einem Folter- und Arbeitslager des ehemaligen chilenischen Geheimdienstes
DINA. Die „Colonia Dignidad“ war danach der Ort, an dem die Abteilung der
DINA, die für die spurenlose Ermordung politischer Gefangener zuständig war,
die meisten Menschen „verschwinden“ ließ.
Sie war zudem ein Arbeitslager für „verschwundene“ politische Gefangene
(siehe dazu: www.idgr.de/lexikon/stich/c/coloniadignidad/colonia.html, vgl.
auch: Friedrich Paul Heller: Colonia Dignidad – Von der Psychosekte zum Fol-
terlager, Schmetterling Verlag, Stuttgart 1993). Das Arbeitslager Monte Mara-
villa, in dem bis zu 100 Gefangene inhaftiert waren, führte die „Colonia Digni-
dad“ zusammen mit chilenischen Streitkräften. Die „Colonia Dignidad“ war
nach verschiedenen glaubwürdigen Zeugenaussagen die Folterschule der DINA
und bildete „Verhörspezialisten“ aus. Sie war ein Zentrum der Auslandsspio-
nage der DINA. Sie war einer von fünf geheimen chilenischen Militärstütz-
punkten, die nach dem chilenischen Militärputsch mit Hilfe des deutschen
Obersten Hans-Ulrich Rudel eingerichtet worden sein sollen, um einen militäri-
schen Gegenschlag gegen Argentinien führen zu können. Hans-Ulrich Rudel,
den Hitler hoch geschätzt hat, war ein aktiver Neonazi und soll persönlich in
der „Colonia Dignidad“ gewesen sein. Damals wurde die Siedlung mit unter-
irdischen Bunkern, Kommandozentralen, einem umfassenden geheimen Warn-
und Überwachungssystem und einem unterirdischen Flugplatz ausgestattet.
Das Stützpunktsystem gehörte zu einem „Projekt Andrea“, in dessen Rahmen
Berichten zufolge in großen Mengen Giftgas eingesetzt werden sollte. Die da-
malige Ehefrau eines beteiligten Agenten schrieb, das Gas sei zuerst an politi-
schen Gefangenen ausprobiert worden. Offenbar war die „Colonia Dignidad“
am Schmuggel von Komponenten für das Gas beteiligt.
Die „Colonia Dignidad“ soll darüber hinaus Anlaufstelle und Zufluchtort für
NS-Verbrecher und für rechte Terroristen gewesen sein. Sie war ein Schmug-
gelzentrum für Waffen und andere Güter. Sie war in Geldwäsche verwickelt.
In ihrem soeben erschienen Buch „Die Sprache des Hasses“ schreiben Fried-
rich Paul Heller und Anton Maegerle auch über die „Colonia Dignidad“. Sie
berichten von einem „Ersten ideologischen internationalen Treffen zu Nationali-
tät und Sozialismus“ in Chile im Jahr 2000. Dieses Treffen fand danach vom
17. bis 21. April 2000, also zum ersten Geburtstag Hitlers im neuen Jahrtau-
send, statt, obwohl die Presse berichtete, die Polizei habe es verhindert. Das
Treffen war für die chilenischen Nationalsozialisten ein Höhepunkt innerhalb
eines umfassenderen Organisationsansatzes und einer auf Jahre angelegten
Zeitplanung. „Die Organisationsweise deutet auf eine Strategie der Gewinnung

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kultureller Hegemonie in relevanten gesellschaftlichen Bereichen hin. (…) Die
Aktivisten setzen auf Langzeitstrategie. Für sie ist der Kongress eine Institution
mit zahlreichen Verzweigungen und ein Treffen wie das im April 2000 ein
Kristallisationspunkt ihrer Daueraktivitäten“, schreiben die Autoren. „Ideolo-
gisch huldigen die Kongressleute einem positiv gewendeten Rassismus, wie
ihn die europäische Neue Rechte vorformuliert hat: Die Verschiedenheit der
Rassen wird anerkannt, aber Rassenmischung wird abgelehnt.“ Ein paralleles
Treffen soll mit deutschen Teilnehmern in der südchilenischen Stadt Osorno
stattgefunden haben (Friedrich Paul Heller; Anton Maegerle: Die Sprache des
Hasses: Rechtsextremismus und völkische Esoterik, Stuttgart 2001, S. 92 ff.).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung Informationen der Autoren Friedrich Paul Heller

und Anton Maegerle bestätigen, dass das „erste ideologische internationale
Treffen zu Nationalität und Sozialismus“ in Chile im April 2000 entgegen
hiesigen Presseberichten an einem geheimen Ort in Santiago stattgefunden
haben soll?
a) Ist der Bundesregierung bekannt, ob deutsche Staatsbürger an diesem

Treffen teilgenommen haben und wenn ja, welchen Organisationen gehö-
ren diese ggf. an?

b) Ist der Bundesregierung bekannt, ob Verbindungen zwischen den Organi-
satoren des Treffens und der „Colonia Dignidad“ bestanden oder bestehen?
Wenn ja, welcher Art waren oder sind diese Verbindungen?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ein paralleles Treffen in
Osorno, an dem deutsche Staatsbürger teilgenommen haben sollen?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Zusammenarbeit
der „Colonia Dignidad“ mit Organisationen der extremen Rechten?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die „Colonia
Dignidad“ Anlaufstelle und Zufluchtort für NS-Verbrecher und für rechte
Terroristen gewesen sein soll?
Ist der Bundesregierung die Identität solcher Personen bekannt?
Wenn ja, um wen handelt es sich?

5. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die „Colonia Dignidad“
ein Vernichtungslager gewesen sein soll, in dem die Abteilung des dama-
ligen chilenischen Geheimdienstes DINA, die für die spurenlose Ermordung
politischer Gefangener zuständig war, die meisten Menschen „verschwin-
den“ ließ und wenn ja, welche Erkenntnisse hat sie darüber?

6. Hält die Bundesregierung es für eine gesicherte Erkenntnis, dass die „Colo-
nia Dignidad“ ein Arbeitslager für „verschwundene“ politische Gefangene
unterhalten hat, das in Menschenrechtsdokumenten als Monte Maravilla be-
zeichnet wird?

7. Welche Informationen hat die Bundesregierung über den in diesem Arbeits-
lager Berichten zufolge „verschwundenen“ politischen Gefangenen F. S.?

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die „Colonia
Dignidad“ die Folterschule des chilenischen Geheimdienstes DINA sein
soll?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die „Colonia
Dignidad“ ein Zentrum der Auslandsspionage der DINA sein soll?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7549

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die „Colonia
Dignidad“ ein geheimer chilenischer Militärstützpunkt sein soll, der nach
dem chilenischen Militärputsch mit Hilfe des deutschen Oberst Hans-
Ulrich Rudel eingerichtet worden sein soll, um einen militärischen Gegen-
schlag gegen Argentinien führen zu können?
a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. darüber, dass Hans-

Ulrich Rudel persönlich in der „Colonia Dignidad“ sein soll?
b) Seit wann verfügt die Bundesregierung ggf. über diese Erkenntnisse?
c) Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Informa-

tionen, dass Hans-Ulrich Rudel ein aktiver Neonazi sein soll?
11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über unterirdische Bunker

und Kommandozentralen, über ein umfassendes geheimes Warn- und
Überwachungssystem und über einen unterirdischen Flugplatz auf dem
Gelände der „Colonia Dignidad“ und seit wann verfügt sie ggf. über diese
Erkenntnisse?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die – Berichten zufolge –
Zusammenarbeit der „Colonia Dignidad“ mit einem „Projekt Andrea“, in
dessen Rahmen in großen Mengen des Giftgases Sarin eingesetzt werden
sollte, und seit wann verfügt die Bundesregierung ggf. über diese Erkennt-
nisse?
a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage der Ehefrau eines betei-

ligten Agenten, das Gas sei zuerst an politischen Gefangenen auspro-
biert worden?

b) Verfügt die Bundesregierung über Informationen, dass die „Colonia
Dignidad“ am Schmuggel von Komponenten für das im Rahmen des
„Projektes Andrea“ produzierte Gas beteiligt gewesen sein soll?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die mit
dieser Gasproduktion betrauten Agenten der DINA und des complejo
quimico del ejercito (chemischen Komplexes des Heeres) sich im Zu-
sammenhang mit ihrer Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland auf-
gehalten haben sollen?
Ist der Bundesregierung ggf. bekannt, wann und wo dies gewesen ist?

d) Ist der Bundesregierung bekannt, ob dieses Gas für die Ermordung von
Regimegegnern im Ausland eingesetzt wurde?

e) Ist der Bundesregierung bekannt, ob chilenische Geheimdienstagenten
sich ggf. für die Vorbereitung oder Durchführung solcher Morde in der
Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über den Schmuggel
von Waffen und anderer Güter durch die „Colonia Dignidad“?

14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über Geldwäsche durch
Mitglieder der „Colonia Dignidad“?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über Herkunft und Ver-
wendungszweck dieser Gelder?

15. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die „Colonia Dignidad“ Informationen
gesammelt hat, mit deren Hilfe sie Menschen in und außerhalb Chiles er-
pressen kann?
Sieht die Bundesregierung ggf. einen Zusammenhang zwischen dem Fund
eines Teiles des Archivs der „Colonia Dignidad“ und der Möglichkeit
solcher Erpressungen?

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16. Welche Informationen hat die Bundesregierung ggf. über die Haft des
Frankochilenen A. C. in der „Colonia Dignidad“?
Welche Informationen hat die Bundesregierung über den weiteren Verbleib
des Frankochilenen A. C.?

17. Haben sich Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes in der „Colonia
Dignidad“ aufgehalten und wenn ja, wann und zu welchem Zweck?

18. Hat der Anfang 1985 in der „Colonia Dignidad“ – Berichten zufolge –
„verschwundene“ US-Amerikaner B. W. vor seiner Reise in den Süden
Chiles ein Gespräch in der deutschen Botschaft in Santiago oder mit Perso-
nal dieser Botschaft geführt?
Wurde bei diesem Gespräch die „Colonia Dignidad“ erwähnt?

19. Welche Möglichkeiten erwägt die Bundesregierung, den überlebenden
chilenischen Opfern der „Colonia Dignidad“ Hilfe zu gewähren?

20. Welche Möglichkeiten erwägt die Bundesregierung, den Angehörigen von
in der „Colonia Dignidad“ – Berichten zufolge – „verschwundenen“ politi-
schen Gefangenen Hilfe zu gewähren?

Berlin, den 1. November 2001
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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