BT-Drucksache 14/7520

Vorwürfe über eine nationalsozialistische Vergangenheit von bestimmten führenden Beamten des Bundeskriminalamtes

Vom 15. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7520
14. Wahlperiode 15. 11. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Vorwürfe über eine nationalsozialistische Vergangenheit von bestimmten
führenden Beamten des Bundeskriminalamtes

In dem kürzlich erschienenen Buch „Auf dem rechten Auge blind – Die brau-
nen Wurzeln des Bundeskriminalamtes“ von Dieter Schenk werden schwere
Vorwürfe gegen das Bundeskriminalamt (BKA) und dessen nationalsozialisti-
sche Vergangenheit erhoben.
In einer Vorbemerkung kritisiert der Autor, dass ihm trotz Genehmigung durch
den Bundesminister des Innern, Otto Schily, vom BKA bis zur Fertigstellung
des Buches jede Akteneinsicht verwehrt wurde. In einem Begleitwort kritisiert
der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Michel Friedmann, diese Blockadepolitik der Leitung des BKA: „Ich würde
mir wünschen, dass das Bundeskriminalamt die Vorwürfe dieses Buches scho-
nungslos aufklärt. Ich kann nicht verstehen, warum die Akten, die sich im
Besitz des BKA befinden, dem Autor nicht zur Verfügung gestellt wurden.
Wer wird hier warum geschützt?“
So sollen von 47 hochrangigen BKA-Beamten der Nachkriegsperiode bis auf
zwei alle eine nationalsozialistische Vergangenheit in der NS-Sicherheitspoli-
zei aufgewiesen haben und etwa die Hälfte in schwerste NS-Verbrechen ver-
strickt gewesen sein.
l Fünf BKA-Vorgesetzte waren danach Schreibtischtäter des Reichskriminal-

polizeiamtes und wirkten dabei mit, unzählige Homosexuelle, „Zigeuner“,
„Asoziale“ und so genannte Berufs- und Gewohnheitsverbrecher im Rah-
men des Programms der Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung in Konzen-
trationslager einzuweisen und damit einem fast sicheren Tod auszuliefern.

l Paul Dickopf, der ehemalige BKA-Präsident (1965 bis 1970) und Interpol-
Präsident (1968 bis 1972), soll als „Architekt des BKA“ als SS-Untersturm-
führer Doppelspion gewesen sein, der von der militärischen Abwehr im
Oberkommando der Wehrmacht in der Schweiz eingesetzt wurde und zu-
mindest bis 1950, wahrscheinlich auch darüber hinaus, als Agent der CIA
tätig war. Paul Dickopf trug, so der Autor, die Hauptverantwortung, dass
1951 ausschließlich Beamte der NS-Sicherheitspolizei rekrutiert wurden.

l 15 BKA-Führer sollen Mitglieder der Einsatzgruppen in Polen gewesen sein
und als Vorgesetzte in die Vernichtung der polnischen Intelligenz verstrickt
gewesen sein. Oder sie beteiligten sich nach den Erkenntnissen des Autors
als Angehörige von SS-Einsatzkommandos oder der Polizeibataillone in der
besetzten UdSSR am Völkermord. Sie befehligten angeblich die Geheime
Feldpolizei in Weißrussland, die an der Ausrottung der jüdischen Bevölke-
rung beteiligt war und massenweise Menschen als Partisanen oder Politische
Kommissare tötete, wenn nur ein fragwürdiger Verdacht vorlag. Einige

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BKA-Vorgesetzte sollen damals bei Exekutionen selbst beteiligt gewesen
sein oder bei Exekutionen als Einsatzführer agiert haben, unter den Opfern
hätten sich auch Frauen und Kinder befunden.

l Zwei BKA-Kriminalräte waren angeblich Angehörige von Standgerichten
oder SS- und Polizeigerichten.

l Annähernd jeder dritte Beamte des Leitenden Dienstes im BKA soll der
Gestapo angehört haben.

l Darüber hinaus erlangten der Chef-Biologe, der Chef-Fahnder, der Chef-
Kriminaltechniker, der Chef der Personenfeststellungszentrale und der Chef
der Urkundenabteilung im Reichskriminalpolizeiamt (das die Abteilung V
des Reichssicherheitshauptamtes bildete) nach den Erkenntnissen des Buch-
autors übergangslos und in ungebrochener Kontinuität genau diese Chef-
Positionen im neu geschaffenen BKA.

l Schließlich sollen auch die Organisationseinheiten des Reichskriminal-
polizeiamtes bei der Organisation des BKA, einschlägige Arbeitsrichtlinien
(die man der NS-Ideologie entkleidete) und das Formularwesen nach der
Recherche des Autors übernommen worden sein.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung die oben genannten, in dem Buch erhobenen Vor-

würfe über die nationalsozialistische Vergangenheit führender Beamter des
BKA bekannt?
Wenn ja, treffen diese Vorwürfe nach Kenntnis der Bundesregierung zu?
Wenn nein, welche Schritte will die Regierung ergreifen, um diese Vorwürfe
aufzuklären?

2. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass, soweit solche Beamte nach
dem Krieg in den Polizeidienst übernommen wurden, dies als moralisch
höchst bedenklich für das BKA und die politische Kultur der Bundesrepub-
lik Deutschland zu bewerten ist?

3. Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund der in dem Buch erhobenen
Beschuldigungen gegen Paul Dickopf der Auffassung, dass die amtliche Be-
wertung der Vergangenheit bestimmter führender Beamter des BKA dahin
gehend einer Korrektur bedarf, dass Paul Dickopf nicht als „Vorbild für die
gesamte deutsche Polizei“ hingestellt werden darf, wie dies der Bundesmi-
nister des Innern, Hans-Dietrich Genscher, bei Paul Dickopfs Verabschie-
dung im Jahr 1970 formulierte?

4. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Autor Personalvorgänge in den
Akten des Bundesministeriums des Innern auswerten durfte, die nachgeord-
nete Behörde jedoch die Einsichtnahme in solche Vorgänge für die Zwecke
der Buchveröffentlichung blockierte?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass das BKA trotz einer Genehmigung
seines Dienstherrn eine zeitgerechte Akteneinsicht verweigerte?

6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein solches Forschungsvor-
haben zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit von be-
stimmten führenden Beamten des BKA aktiv unterstützt werden sollten?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das BKA durch seine
Blockade der Akteneinsicht den Anschein erweckt, als wolle es bestimmte
führende Beamte mit nationalsozialistischer Vergangenheit in seinen Reihen
noch heute schützen und dass dieser Eindruck in der Öffentlichkeit dem
Ansehen des BKA schadet?

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8. Welche Formen der weiteren Auseinandersetzung und Aufarbeitung der
nationalsozialistischen Vergangenheit von bestimmten führenden Beamten
des BKA schlägt die Bundesregierung vor und welche Rolle misst die Bun-
desregierung dabei den Recherchen und Ergebnissen in diesem Buch bei?

9. Teilt die Bundesregierung die in dem Buch erhobene Kritik, dass das BKA
zu Fragen nach seiner nationalsozialistischen Vergangenheit bzw. nach der
NS-Vergangenheit leitender Mitarbeiter noch nie Stellung bezogen hat und
sich damit bis heute nicht von diesen distanziert und für diese entschuldigt
hat, zumal diese nie ein Wort des Bedauerns oder der Reue gezeigt haben?

10. Welche Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um die nationalsozia-
listische Vergangenheit von bestimmten führenden Beamten des BKA
selbstkritisch aufzuarbeiten und für einen angemessenen Umgang und eine
angemessene öffentliche Darstellung dieser Vergangenheit Sorge zu tra-
gen?

Berlin, den 12. November 2001
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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