BT-Drucksache 14/7412

Aktuelle Entwicklungen bei Hermesbürgschaft für das Tehri-Staudamm-Projekt

Vom 6. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7412
14. Wahlperiode 06. 11. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carsten Hübner, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf
und der Fraktion der PDS

Aktuelle Entwicklungen bei Hermesbürgschaft für das Tehri-Staudamm-Projekt

Wie das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ in seiner Ausgabe vom 29. Ok-
tober 2001 berichtet, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Debatte über die
Vergabe einer Hermesbürgschaft für das Tehri-Staudamm-Projekt in Nord-
indien mit einem „Machtwort“ beendet. Unmittelbar vor seiner Indienreise, auf
der er u. a. von Siemens-Chef Heinrich von Pierer begleitet wurde, habe er das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) angewiesen, dem
Bürgschaftsantrag der Firma Siemens für eine rund 70 Mio. DM teure Schalt-
anlage stattzugeben. Gegen eine Hermes-Bürgschaft für eine deutsche Zuliefe-
rung zum Tehri-Staudamm hatten sich neben deutschen, indischen und interna-
tionalen Nichtregierungsorganisationen, Staudammexperten und Fachpolitiker
aller Bundestagsfraktionen ausgesprochen. Auch das Auswärtige Amt (AA)
der Bundesrepublik Deutschland und das Bundesministerium für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) haben, so „DER SPIEGEL“,
„massive Vorbehalte gegen das Projekt angemeldet“.
Erst Anfang September 2001 hatte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
eine Kleine Anfrage der Fraktion der PDS (Bundestagsdrucksache 14/6860)
unter dem Titel „Hermesbürgschaft für das Tehri-Staudamm-Projekt“ mit-
geteilt, „die Prüfung der Förderungswürdigkeit des Geschäfts ist noch nicht ab-
geschlossen. Die Bundesregierung prüft die ökologischen, sozialen und ent-
wicklungspolitischen Gesichtspunkte anhand der Hermesrichtlinien, die auch
auf die Erkenntnisse und Erfahrungen der Weltkommission für Staudämme
Bezug nehmen.“
Im Zusammenhang mit dem Tehri-Staudamm-Projekt wurden von verschie-
denster Seite erhebliche Bedenken in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit, die Um-
siedlung von etwa 100 000 Menschen, die Erdbebensicherheit, die Zerstörung
von unwiederbringlichen Kulturgütern sowie die Umweltverträglichkeit formu-
liert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Gremium wurde die Vergabe einer Hermesbürgschaft für die

Zulieferung der Firma Siemens zum Tehri-Staudamm-Projekt beschlossen?
Wann wurde diese Entscheidung gefällt?

2. Lag der Entscheidung ein „Machtwort“ bzw. eine Weisung des Bundeskanz-
lers Gerhard Schröder zugrunde?
Wenn ja, welche besonderen Umstände haben zum Eingreifen des Bundes-
kanzlers Gerhard Schröder in diese Entscheidung geführt?

Drucksache 14/7412 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

a) Wie viele Gespräche hat das Bundeskanzleramt im Vorfeld der Ent-
scheidung mit Vertretern der Firma Siemens über das Tehri-Staudamm-
Projekt geführt?

b) Welche Forderungen wurden dabei seitens der Firma Siemens erhoben
und wie sind diese in die Entscheidungsfindung eingeflossen?

c) Hat die Firma Siemens der Bundesregierung für den Fall einer Bürg-
schaftsablehnung mit rechtlichen Schritten gedroht?

d) Warum hat das Bundeskanzleramt alle Gesprächsbitten von Nichtregie-
rungsorganisationen in Sachen Tehri-Staudamm abgelehnt?

3. Hält es die Bundesregierung für problematisch, dass die in Fachkreisen
äußerst umstrittene Entscheidung für eine Hermesbürgschaft für die Zu-
lieferung der Firma Siemens zum Staudamm-Projekt offenbar unmittelbar
vor einer Indien-Reise des Bundeskanzlers Gerhard Schröder erfolgte, bei
der der Bundeskanzler von einer großen Wirtschaftsdelegation, darunter
Siemens-Chef Heinrich von Pierer, begleitet wurde?

4. Ist die Entscheidung für die Tehribürgschaft im Einvernehmen mit dem
AA und dem BMZ gefallen?
Hatte das BMZ zum Entscheidungszeitpunkt seine hausinterne Prüfung der
Entwicklungsverträglichkeit des Vorhabens abgeschlossen?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

5. Seit wann ist die in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der
PDS in Bundestagsdrucksache 14/6860 zugesicherte Prüfung der Förde-
rungswürdigkeit abgeschlossen?
Hat es seit Anfang September 2001 in diesem Kontext nochmals Konsul-
tationen mit Nichtregierungsorganisationen, Staudammexperten oder den
Fachpolitikern des Deutschen Bundestages über das Tehri-Staudamm-Pro-
jekt gegeben?
Wenn ja, mit wem und mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum nicht?

6. Welche Fragen wurden dem Antragsteller zur Prüfung der sozialen und
ökologischen Auswirkungen des Tehri-Staudamm-Projektes im Laufe des
Verfahrens gestellt?

7. Welcher Screening-Kategorie wurde der Tehri-Antrag zugeordnet?
8. Lag der Bundesregierung eine Kopie der im Jahr 1990 erstellten Umwelt-

verträglichkeitsprüfung (UVP) für das Tehri-Staudamm-Projekt vor?
Zu welchem Ergebnis kommt diese UVP?

9. Inwiefern wurden bei der Prüfung des Tehri-Staudamm-Projekts die Emp-
fehlungen der Weltstaudammkommission (WCD) berücksichtigt?
Wenn nicht, warum nicht?

10. Inwiefern hat die Bundesregierung die Aussage, dass die Umsiedlung der
Betroffenen weitgehend abgeschlossen sei (Hermes-Homepage), über-
prüft?
Welche konkreten Informationen hat die Bundesregierung über den Um-
setzungsstand der Zwangsumsiedlung der rund 100 000 Betroffenen des
Tehri-Staudamm-Projektes?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7412

11. Kennt die Bundesregierung den Fortschrittsbericht des „Rehabilitation
Directorate“ der Regierung Uttaranchals (März 2001) über den Stand der
Umsiedlung für das Tehri-Staudamm-Projekt?
Wie bewertet die Bundesregierung die Angaben dieses Berichtes, dass
bisher nur 28 % der vom Tehri-Staudamm betroffenen Bevölkerung um-
gesiedelt werden konnten?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Bericht der indischen Zeitung „Tri-
bune“ vom 13. August 2001 zur bisher nicht erfolgten Entschädigung der
Bewohner der Stadt Tehri durch die indische Regierung, in der es heißt:
„Residents of the old Tehri city are angry, that the Government has not kept
its promise of rehabilitating them even after 25 years“?
War der Bundesregierung vor ihrer Bürgschaftsentscheidung bekannt, dass
über 10 000 Menschen noch in der Stadt Tehri leben und bis heute nicht
umgesiedelt wurden?
Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Entschei-
dung der indischen Regierung, am 31. Oktober 2001 mit der Flutung der
Stadt Tehri zu beginnen?

13. Hat die Bundesregierung Informationen über ein gewalttätiges Vorgehen
der indischen Polizei gegen friedliche Protestaktionen und Demonstranten
gegen das Tehri-Staudamm-Projekt in den vergangenen Jahren und wenn
ja, welche?

14. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das Tehri-Staudamm-Projekt im
Einklang mit indischen Standards durchgeführt wird?
a) Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass indische Standards und Ge-

setze die Flutung besiedelter Gebiete zulassen?
b) Wie verfährt die Bundesregierung bei Anträgen auf Bürgschaften für

Teillieferungen, wenn das Gesamtvorhaben, für das diese Lieferungen
bestimmt sind, nationale Gesetze und Standards des Bestellerlandes
missachtet?

15. Ist der Bundesregierung bekannt, dass beim obersten indischen Gerichts-
hof eine Klage gegen das Tehri-Staudamm-Projekt derzeit verhandelt
wird?
a) Welche Folgen hätte eine Entscheidung des obersten indischen Ge-

richtshofs gegen das Tehri-Staudamm-Projekt für die genannte Hermes-
bürgschaft?

b) Müsste die Bundesregierung die Firma Siemens entschädigen, wenn in-
dische Gerichte das Tehri-Staudamm-Projekt stilllegen würden?

16. Hat die Bundesregierung darüber Kenntnis, dass die indischen Behörden
gegen zehn leitende Beamte der „Tehri Hydro Development Corporation“
und dass leitende Bauunternehmen wegen Korruption ermitteln (vgl. Infor-
mation der „Vrgewald“ vom September 2001)?
Hat die Bundesregierung überprüft, inwieweit möglicherweise Schmier-
geldzahlungen bei der Erteilung des Siemensauftrages eine Rolle gespielt
haben?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der US-Wochenzeitschrift
„Newsweek“ (3. September 2001), dass der Tehri-Damm nicht ausgelegt
ist, um zu erwartende Erdbeben im Himalaya standzuhalten, und dass bei
einem Dammbruch bis zu 10 Millionen Menschen umkommen könnten?

Drucksache 14/7412 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Inwiefern wurde die Erdbebensicherheit des Dammes und der umliegenden
fragilen Berglandschaft bei der Prüfung des Bürgschaftsantrages berück-
sichtigt?

18. Ist der Bundesregierung bekannt, dass das indische Umweltministerium
seine Genehmigung für die Stromverteilungskomponente des Tehri-Stau-
damm-Projektes im Juni 2001 zurückgezogen hat?
a) Ist der Bundesregierung bekannt, dass für die Verlegung der Hochspan-

nungsleitungen rund 100 000 Bäume in den ohnehin bedrohten Hima-
laya-Wäldern (u. a. auch in dem Rajaji-Nationalpark) gefällt werden
müssten und dass es deshalb zu massiven Protestaktionen der lokalen
Bevölkerung im August dieses Jahres gekommen ist?

b) Inwiefern hat die Bundesregierung die ökologischen und rechtlichen
Probleme bezüglich der Stromverteilung (für die die Schaltanlage eine
zentrale Komponente darstellt) bei ihrer Prüfung berücksichtigt?

19. Ist die Förderungswürdigkeit des gesamten Tehri-Staudamm-Projektes
unter ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten
geprüft worden oder wurde die Prüfung der Förderungswürdigkeit nur auf
die genannte Schaltanlage beschränkt?

20. Widerspricht es nach Ansicht der Bundesregierung nicht dem Sinne der
neuen Hermesleitlinien, wenn der Prüfungsrahmen so eng gesteckt wird,
dass die Folgen des Gesamtprojekts für das die Lieferungen bestimmt sind,
ausgeblendet werden?

21. Ist die Gesamtfinanzierung des Tehri-Staudamm-Projektes gesichert?
Wenn ja, aus welchen Quellen?

22. Wird die Schaltanlage für Tehri durch einen Kredit der Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW) finanziert?
Wurde dieser Kredit nach den im letzten Jahr verabschiedeten Umwelt-
leitlinien der KfW geprüft?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

23. Ist die Hermesbürgschaft für das Tehri-Staudamm-Projekt durch eine
Gegengarantie der indischen Seite gedeckt?
Wenn ja, durch welche indische Institution und inwiefern hat die Bundes-
regierung die Bonität des Garantiegebers geprüft?

24. Ist der Bundesregierung bekannt, dass eine von der indischen Regierung
eingerichtete Kommission unter Leitung eines Kabinettministers das Tehri-
Staudamm-Projekt unter Sicherheitsaspekten überprüft?
a) Warum hat die Bundesregierung die Entscheidung dieser Evaluierungs-

kommission nicht abgewartet?
b) Inwiefern könnte es zum Schadensfall kommen, wenn die indische

Regierung sich nach Abschluss der Kommissionsarbeit doch noch
gegen das Projekt entscheiden sollte?

25. Trifft es zu, dass das Hermesinstrument vornehmlich der Absicherung von
deutschen Exporten von kleinen und mittelständischen Unternehmen in
neue, risikoreiche Märkte dienen soll und inwiefern treffen diese Kriterien
nach Ansicht der Bundesregierung auf die Firma Siemens zu, die durch
ihre langjährige Präsenz in Indien bestens mit dem indischen Markt ver-
traut ist und Risiken in der Größenordnung der Tehri-Lieferungen vermut-
lich selbst tragen könnte?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7412

26. Zu welchem Anteil deckt die genannte Hermesbürgschaft auch eine Pro-
duktion im Ausland ab, und wie viele Arbeitsplätze in Deutschland werden
für welchen Zeitraum durch die Bürgschaftsübernahme für das Tehri-Stau-
damm-Projekt gesichert (bitte jeweils aufschlüsseln)?

27. Könnte nach Ansicht der Bundesregierung die Übernahme von Bürgschaf-
ten für hochumstrittene Staudammprojekte wie Tehri die Reputation des
Hermesinstruments in der deutschen Öffentlichkeit negativ beeinflussen?

28. Liegen der Bundesregierung weitere Anträge oder Anfragen auf Hermes-
bürgschaften oder Investitionsgarantien im Zusammenhang mit Großstau-
dämmen vor?
Wenn ja, wie viele und für welche Länder (bitte nach Projekt und Bürg-
schaftsvolumen aufschlüsseln)?

29. In welchem Zeitraum will die Bundesregierung eine Entscheidung über
Hermesbürgschaften für den umstrittenen Ilisu-Staudamm in der Türkei
fällen?

Berlin, den 30. Oktober 2001
Carsten Hübner
Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Winfried Wolf
Roland Claus und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.