BT-Drucksache 14/738

Rüstungsexperte bestätigt den Einsatz deutscher Waffen in den kurdischen Provinzen

Vom 1. April 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/738 vom 01.04.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Rüstungsexperte bestätigt den
Einsatz deutscher Waffen in den kurdischen Provinzen =

01.04.1999 - 738

14/738

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS
Rüstungsexperte bestätigt den Einsatz deutscher Waffen in den
kurdischen Provinzen

In einer Presseerklärung des Rüstungs-Informationsbüros Baden-
Württemberg e. V. (RIB) vom 23. März 1999 wird berichtet, daß das RIB-
Vorstandsmitglied A. K. während der Verhöre in Militärposten und auf
der Gendarmeriestation in Ergani den Einsatz deutscher Militärfahrzeuge
beobachtete. A. K. ist bei dem Versuch, den Verlauf des kurdischen
Neujahres Newroz am 21. März 1999 zu beobachten, von türkischen
Sicherheitskräften festgenommen und anschließend von Diyarbakir nach
Ankara abgeschoben worden.
Die Tageszeitung Neues Deutschland vom 24. März 1999 berichtet dazu
weiter, daß der Rüstungsexperte A. K. Daimler-Benz-Militärfahrzeuge vom
Typ Unimog, die vergangenes Jahr aus Wörth (Pfalz) an die Türkei
geliefert wurden, und die achträdrigen Schützenpanzer BTR 60, die die
ehemalige Bundesregierung aus dem NVA-Arsenal an die Türkei
verschenkte, beobachtet hätte.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist der Bundesregierung der o. g. Augenzeugenbericht bekannt?
Wenn ja, liegt er ihr vor, und wie bewertet sie diesen?
2. Hat die Bundesregierung die zuständigen türkischen Behörden um
Stellungnahme und Aufklärung gebeten bezüglich des Einsatzes von
deutschen Waffen?
a) Wenn ja,
-- bei welchen türkischen Behörden,
-- wann,
-- mit welchem Ergebnis,
-- wie lautet die Stellungnahme der türkischen Behörden,
-- ist die Bundesregierung bereit, die türkischen Angaben zu prüfen?
b) Wenn nein, wann wird bei türkischen Behörden eine Stellungnahme
angefordert?
3. Aufgrund welcher politischen Lagebeurteilung hat der
Bundessicherheitsrat die Lieferung von U-Booten an die Türkei
bewilligt?
4. Wie bewertet die Bundesregierung die vom Bundessicherheitsrat
bestätigte Lieferung von U-Booten in die Türkei im Hinblick auf
Spannungen zwischen der Türkei und den Nachbarstaaten Zypern und
Griechenland?
5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß durch die
Lieferung von U-Booten an die Türkei, die Spannungen mit den
Nachbarstaaten Griechenland und Zypern vertieft werden?
6. Ist die Bundesregierung willens, den oben genannten aktuellen
Augenzeugenbericht und Gutachten aus der Vergangenheit, die den Einsatz
deutscher Waffen im Kurdengebiet bestätigen, als Beweise anzuerkennen
und diese bei ihrem künftigen Vorhaben, Waffen in die Türkei zu
liefern, einzubeziehen?
7. Aufgrund welcher sorgfältig und gewissenhaft durchgeführten
Nachforschungen kommt die Bundesregierung zu der Erkenntnis, "daß aus
Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen
die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden
Operationen" nicht eingesetzt wurden (vgl. Drucksache 14/383)?
8. Was bedeutet die Meldung in der Tageszeitung vom 11. März 1999,
daß Außenminister Joseph Fischer über die Antwort in der Drucksache
14/383 verärgert sei im Hinblick auf künftige Waffenlieferungen an die
Türkei und den Einsatz deutscher Waffen gegen die kurdische
Zivilbevölkerung?
9. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage
a) der Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe, Claudia Roth (Augsburg), die nach der Teilnahme an einer
Menschenrechtsdelegation in die Türkei vor Jahren davon sprach, dort
gehe es zu wie "auf einem deutschen Truppenübungsplatz",
b) der verteidigungspolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Angelika Beer, der ehemalige Außenminister Dr.
Klaus Kinkel hätte spätestens den Stopp aller Waffenlieferungen
anordnen müssen, "als der Einsatz deutscher Waffen gegen die
Zivilbevölkerung" belegt wurde,
c) von Claudia Roth (Augsburg) im Deutschen Bundestag am 19. März
1999: "Dieser Krieg wurde und wird noch immer auch mit deutschen Waffen
geführt. Die Rüstungspolitik der früheren Regierung war im hohen Maße
doppelbödig"?
d) Was bedeuten diese Aussagen im Hinblick auf künftige
Waffenlieferungen an die Türkei?
10. a) Ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, Genehmigungen
für den Export von deutschen Waffenlieferungen in die Türkei
zuzustimmen?
Wenn ja, wie begründet sie dies?
b) Liegt in diesem Zusammenhang bereits eine Entscheidung des
Bundessicherheitsrates vor?
Wenn ja, wie viele Waffen, von welchem Typ sollen an die Türkei
geliefert werden?
11. Erwägt die Bundesregierung angesichts der sich verschärfenden
Situation des Kurdenkonfliktes und erneuter Erkenntnisse über den
Einsatz deutscher Waffen in den kurdischen Provinzen ein Stopp aller
Waffenlieferungen in die Türkei?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Unter welchen Umständen würde die Regierung ein derartiges
Waffenembargo realisieren?
12. Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Tageszeitung Özgür
Gündem vom 7. September 1992 Fotos abgedruckt waren, die zeigen, wie in
der Nähe des Dorfes Seh Degirmenci der Kurde Mesut Dündar von
Angehörigen einer türkischen Spezialeinheit mit einem Seil an einem
Schützenpanzer vom Typ BTR 60 aus ehemaligen NVA-Beständen gebunden und
anschließend zu Tode geschleift wurde, womit der Einsatz deutscher
Waffen als Vertragsbruch auf drastische Weise belegt wurde?
13. Teilt die Bundesregierung die von der ehemaligen Regierung bzw.
von einem Sprecher des Auswärtigen Amts vertretene, in deutschen
Tageszeitungen nachzulesende Meinung, daß diese Vorgehensweise im
Rahmen der Terrorismusbekämpfung "Verständnis" verdiene?
14. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die im April 1994 im Nord-
Irak erschossene deutsche Journalistin Lissy Schmidt kurz vor Beginn
der militärischen Eskalation in einem im März 1992 geschriebenen
Artikel davon berichtete, daß "zeitgleich mit dem Eintreffen der
abgelegten NVA-Waffen die Vorbereitungen für eine von Regierung und
Generalstab seit Monaten angekündigte Großoffensive des türkischen
Heeres gegen die kurdische Guerilla und Bevölkerung begann"?
15. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Türkei erst ab Mitte der
siebziger Jahre eine eigene Rüstungsindustrie aufgebaut hat und vor
diesem Hintergrund bis heute bei einzelnen Ausrüstungsposten die
türkischen Streitkräfte zu über 90 % von den NATO-Partnern gelieferte -
- hier vor allem US-amerikanische und deutsche -- Waffen einsetzten?
16. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die türkischen Streitkräfte
bei Kampfpanzern und gepanzerten Fahrzeugen, bei der
Infanteriebewaffnung und bei den militärischen Nutzfahrzeugen zu einem
überwiegenden Anteil mit aus US-amerikanischen und deutschen Beständen
gelieferten Waffen ausgerüstet sind?
17. Ist der Bundesregierung bekannt, daß es keine eigenen türkischen
Kampfpanzer gibt und die türkischen Streitkräfte zwangsläufig US-
amerikanische und deutsche Typen bei ihren Einsätzen verwenden müssen?
18. Wie muß man sich beobachtete Angriffe und Vertreibungen unter
Einsatz von Panzern vorstellen, ohne daß die Türkei einen Vertragsbruch
begeht?
19. Ist der Bundesregierung bekannt, daß die ehemalige Bundesregierung
der Türkei 300 hochmobile Schützenpanzer aus ehemaligen NVA-Beständen
geliefert hat und seit 1992 diese Panzer bei Einsätzen auch gegen die
Zivilbevölkerung beobachtet und fotografiert wurden?
20. Schließt sich die Bundesregierung der von dem ehemaligen
Außenminister Dr. Klaus Kinkel aufgestellten Behauptung an, daß diese
Beobachtungen und Fotos deshalb keinen Beweis eines vertragswidrigen
Einsatzes darstellen, weil es sich um die aus Rußland gelieferten 10
Schützenpanzer gleichen Typs handeln könnte?
Wenn ja, wie können die Waffen, die von Rußland 1993 geliefert wurden,
1992 zum Einsatz kommen?
21. Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Mai 1998 in einem Beitrag
des ARD-Magazins Monitor zwei ehemalige türkische Offiziere den Einsatz
deutscher Waffen in der Türkei bestätigt haben?
a) Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage eines dieser
Offiziere in der Sendung, er habe selbst einen aus ehemaligen NVA-
Beständen gelieferten Schützenpanzer gefahren und habe u. a. den Befehl
erhalten, eine Gruppe kurdischer Guerilleros "niederzumetzeln", die
sich bereits ergeben hatten?
22. Wie viele Waffen, von welchem Typ wurden seit 1990 nach Kenntnis
der Bundesregierung an die Türkei geliefert?
Bonn, den 30. März 1999
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

01.04.1999 nnnn

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