BT-Drucksache 14/7300

Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken

Vom 7. November 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7300
14. Wahlperiode 07. 11. 2001

Antrag
der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, Dr. Hans-Peter Bartels,
Anni Brandt-Elsweier, Christel Deichmann, Dieter Dzewas, Hans Forster, Arne
Fuhrmann, Renate Gradistanac, Kerstin Griese, Karl-Hermann Haack (Extertal),
Hans-Joachim Hacker, Klaus Hagemann, Reinhold Hemker, Gustav Herzog,
Monika Heubaum, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Christel Humme, Barbara Imhof,
Jann-Peter Janssen, Susanne Kastner, Marianne Klappert, Horst Kubatschka,
Helga Kühn-Mengel, Christine Lehder, Robert Leidinger, Christa Lörcher, Lothar
Mark, Markus Meckel, Eckhard Ohl, Holger Ortel, Christel Riemann-Hanewinckel,
Birgit Roth (Speyer), Marlene Rupprecht, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm
Schmidt (Salzgitter), Wieland Sorge, Antje-Marie Steen, Rolf Stöckel, Dr. Angelica
Schwall-Düren, Lydia Westrich, Dr. Norbert Wieczorek, Hanna Wolf (München),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell,
Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Oswald Metzger, Irmingard
Schewe-Gerigk, Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Bauernhof- und Landtourismus ist ein wichtiges Segment des Deutsch-
landtourismus und ein etablierter Wirtschaftszweig im ländlichen Raum. Er si-
chert landwirtschaftliche und außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze und Ein-
kommen. „Urlaub auf dem Bauernhof“ wird von landwirtschaftlichen Haupt-
oder Nebenerwerbsbetrieben angeboten, wobei die Gäste auf dem Bauernhof
wohnen. „Landurlaub“ bezeichnet dagegen Urlaub in Landpensionen oder
-hotels, die nicht an einen landwirtschaftlichen Betrieb gebunden sind.
Etwa 20 000 landwirtschaftliche Betriebe bieten Urlaub auf dem Bauernhof an.
Die Zahl der Übernachtungen sind in den letzten zehn Jahren von 12 Millionen
auf 27 Millionen gestiegen. Der Anteil des Urlaubs auf dem Bauernhof an den
gesamten Übernachtungen ist von 0,8 Prozent auf nunmehr 5,5 Prozent gestie-
gen. Mit 45 Prozent aller Bauernhofreisenden bildeten bislang Familien mit
Kindern den größten Anteil. Inzwischen werden die naturnahen und preisgüns-
tigen Unterkünfte in den ländlichen Betrieben von Urlaubern aller Altersklas-
sen geschätzt. 33 Prozent der Urlauber auf dem Land sind 60 Jahre und älter.
Hier spielen das wachsende Bedürfnis nach Ruhe und Naturnähe eine Rolle,
aber auch der Wunsch nach gesundheitsorientierten sportlichen Aktivitäten wie
Wandern, Reiten und Radfahren oder der Spaß auf Volksfesten, Schützenfesten
und Weinfesten.

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Durch den fortschreitenden Strukturwandel in der Landwirtschaft und ver-
schärft durch die BSE-Krise, kommt dem Tourismus als komplementärer Wirt-
schaftsform eine immer größere Bedeutung zu. Er trägt zur Sicherung der
Landwirtschaft bei und ist zu einem wichtigen Standbein der wirtschaftlichen
Entwicklung im ländlichen Raum geworden. Der Bauernhoftourismus ist her-
vorragend geeignet, ein Stück des verloren gegangenen Vertrauens des Ver-
brauchers in die Landwirtschaft zurück zu gewinnen. Außerdem können Kinder
und Jugendliche naturnah Nutztiere kennen lernen und Einblick in die Produk-
tion von Nahrungsmittel gewinnen.
Für produzierende Landwirte wird es neben ihren traditionellen Tätigkeiten im-
mer wichtiger, ein zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften. Viele Landwirte
haben sich als zusätzliche Einkommensalternative dafür entschieden, „Urlaub
auf dem Bauernhof“ anzubieten. Angebote als Heuhotel, Hofcafé und Bed &
Box bereichern den touristischen Katalog.
Da neun von zehn Bauernhof-Reisen als Haupturlaubsreisen unternommen
werden, stärken sie die Nachfrage am Urlaubsort deutlich. Mit dem Bauernhof-
und Landurlaub wurden im Jahr 1999 972 Millionen DM erwirtschaftet. Die
Zusatzausgaben der Touristen vor Ort in den Feriengebieten für Freizeitvergnü-
gen und in der Gastronomie machten 1999 Umsätze von mehr als 2 Mrd. DM
aus. 1991 waren es nur 965 Mio. DM. Durch diese zusätzliche Einkommensart
sind viele Betriebe in die Lage versetzt worden, ihre Funktion der Gestaltung
der Kulturlandschaften wieder wahrzunehmen.
Touristen wissen das Naturerleben, den Erholungswert und den engen Kontakt
zu den Gastgebern zu schätzen. Eine besondere Bedeutung für gesunde Umwelt
und nachhaltige Regionalentwicklung kommt den zahlreichen Schutzgebieten
unterschiedlichster Kategorien zu. Sie sind bundesweit ein wichtiger Partner
für den Landtourismus und geben diesem Wirtschaftszweig vielfältige Impulse,
die u. a. auch eine wirtschaftliche Saisonverlängerung ermöglichen. Besonders
Naturparke haben neben den Naturschutzaufgaben die Entwicklung eines na-
turverträglichen Tourismus zum Ziel. In mehreren Biosphärenreservaten gibt es
ein Projekt „Jobmotor“, das regionale Vermarktung, Urlaub auf dem Bauernhof
u. a. mehr miteinander verknüpft. Die zunehmende Anziehungskraft unserer
Nationalparke für Kurz- und auch Langzeiturlauber gibt dem gesamten Touris-
mus in den betreffenden Regionen gute Perspektiven.
Bauernhofurlauber legen Wert darauf, während des Urlaubs Einblicke in die
Arbeits- und Lebensweise auf dem Land zu erhalten. Darüber hinaus begrüßen
es Bauernhofurlauber und Landtouristen, vor Ort landwirtschaftliche Produkte
kaufen zu können. Diese werden direkt auf der Hofstelle angeboten, können
von den Landwirten aber auch auf Wochenmärkten verkauft werden. Das Prin-
zip der Direktvermarktung gewinnt zunehmend an Bedeutung. In den Küchen
der Hotellerie und Gastronomie ist der Anteil regionaler Produkte mit bundes-
weit durchschnittlich nur 3 Prozent (1997) jedoch gering.
„Urlaub auf dem Bauernhof“ wird vom Bundesministerium für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft und im Rahmen der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ gefördert. Der
Deutsche Bundestag begrüßt, dass es durch die Investitionen im Rahmen der
Dorferneuerung gelingt, die langfristige Zukunftsfähigkeit unserer Dörfer in
der Balance von ökonomischer, ökologischer und sozialer Entwicklung zu ver-
bessern. Der Einsatz von rund 260 Millionen DM Bundes- und Landesmitteln
jährlich, unter anderem für Maßnahmen der Infrastrukturverbesserung, des Er-
halts ortsprägender Bausubstanz und für Umnutzungsinvestitionen dient auch
der Verbesserung der touristischen Attraktivität unserer Dörfer.
Die Erhebungen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft zeigen einen seit 1986 anhaltenden positiven Trend an. Die

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Sparte „Urlaub auf dem Bauernhof und Landurlaub“ hat sich zu einem ernst zu
nehmenden Wettbewerber gegenüber traditionellen Unterkunftsformen entwi-
ckelt. Viele Bauernhof- und Landtouristen sind zu Stammkunden geworden.
Mit differenzierten Angeboten und deren zielgruppenspezifischer Vermarktung
kann der Anteil dieser Sparte am Gesamtreiseaufkommen noch gesteigert wer-
den. Ferienwohnungen auf dem Bauernhof können bereits als mitgezogene
Nutzungen im Rahmen der Privilegierung für landwirtschaftliche Gebäude
nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eingerichtet werden. Ihre Zahl ist nicht begrenzt,
sondern abhängig von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung im Verhältnis zur
Hauptnutzung (Landwirtschaft); die mitgezogene Nutzung muss von unterge-
ordneter Bedeutung sein.
Mit gemeinsamen Werbe- und Marketingaktivitäten der Verbände kann es ge-
lingen, Bauernhofurlaub und Landtourismus als integralen Bestandteil des
Deutschlandtourismus zu festigen und in Zukunft noch mehr Interessenten zu
erreichen. Momentan gehen bei der aufwändigen Suche auf zahlreichen Web-
sites potenzielle Interessenten verloren. Gerade auch ausländische Touristen er-
halten so nicht den gewünschten schnellen Überblick. Mit dem Kompetenzzen-
trum in Worms steht auch für Veranstalter von Bauernhof- und Landtourismus
professionelle Beratung für die Einführung von e-commerce zur Verfügung.
Im Tourismuspolitischen Bericht 2000 hat die Bundesregierung bezogen auf
den Zweig „Urlaub auf dem Bauernhof/Urlaub auf dem Land“ festgestellt, dass
das „grundsätzliche Interesse an dieser Urlaubsform […] nicht vollständig in
konkrete Nachfrage um(ge)setzt [wird]“. Es ist vor allem eine fehlende einheit-
liche Datengrundlage zu beklagen. In der Beherbergungsstatistik werden nur
Betriebe mit mehr als acht Betten erfasst. Im Tourismuspolitischen Bericht geht
man davon aus, dass 50 Prozent der Betriebe nicht berücksichtigt werden. In ei-
ner vom Institut für Tourismus und Bäderforschung in Nordeuropa (N. I. T.)
durchgeführten Auswertung der Reiseanalyse 1999 geht man von einem Poten-
zial von 6,9 Millionen Personen aus, die sich für den Bauernhofurlaub interes-
sieren. Durch eine aussagekräftige Datengrundlage können Anbieter Entwick-
lungen und Trends erkennen, ihr Angebot auf die Nachfrage ausrichten und
gezielt auf Wünsche der Touristen reagieren.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der

finanzpolitischen Leitlinien:
1. die ländlichen Räume auch weiterhin durch die Bereitstellung ausreichender

finanzieller Mittel, z. B. im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruk-
tur und Küstenschutz, zu fördern, um Existenzgründungen im außerland-
wirtschaftlichen Bereich oder Einkommenskombinationen zu unterstützen;

2. dafür zu werben, dass die Anbieter von Bauernhof- und Landurlaub zur Um-
weltdachmarke „Viabono – Reisen natürlich genießen“ beitreten. Damit
würde sich deren Marketing entscheidend verbessern;

3. die Direktvermarktung von regionalen Produkten zu unterstützen und den
Produzenten neben dem Verkauf auf den Hofstellen und Wochenmärkten
weitere Absatzmöglichkeiten zu eröffnen. Der Anteil regionaler Produkte in
den Küchen der Hotellerie und Gastronomie soll deutlich steigen;

4. über Modellprojekte beispielhaft nachhaltige touristische Angebote zu ent-
wickeln und damit deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern;

5. im Rahmen eines zweijährlichen bundesweiten Wettbewerbs „fahrrad-
freundlich in Stadt und Land“ die Potenziale des Fahrradtourismus im länd-
lichen Raum durch Schaffung attraktiver Radverkehrsnetze weiter zu entwi-
ckeln (s. auch Antrag „FahrRad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“
DS. 6441);

Drucksache 14/7300 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
6. die Mitnahmemöglichkeit von Fahrrädern mit Bussen und in Bahnen zu
verbessern;

7. über die Gremien des länderübergreifenden Inlandsmarketings die Zusam-
menarbeit von Tourismusverbänden, Bauernverbänden und Naturschutz-
verbänden zu verbessern;

8. mit einem Modellprojekt die Zusammenführung von Internetangeboten für
diese Urlaubsform unter einem Dachportal und in verschiedener sprachli-
cher Ausrichtung anzustoßen;

9. bei der Neuordnung der Genehmigung von Hinweis- und Werbeschildern
entlang von Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften die Genehmi-
gung eines bundesweit einheitlichen Werbe- und Hinweisschildes für den
Bauernhof- und Landtourismus zu prüfen;

10. dafür Sorge zu tragen, dass die Daten der Übernachtungen im Rahmen des
Urlaubs auf dem Bauernhof, so umfassend wie möglich erfasst werden;

11. eine Studie über das Verbraucherverhalten und die Verbrauchererwartun-
gen in Bezug auf Tourismus im ländlichen Raum erstellen zu lassen. Da-
durch soll die Entwicklung neuer touristischer Angebote unterstützt wer-
den, die Zielgruppen besser ansprechen. Wünschenswert sind zum Beispiel
weitere spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche, für Menschen mit
Behinderung oder für Urlaub auf Biohöfen;

12. den Bauernhof- und Landtourismus als etablierten Wirtschaftszweig der
Landwirtschaft mit einem eigenständigen Schwerpunkt in den Agrarbericht
der Bundesregierung aufzunehmen;

13. zu prüfen, inwieweit durch Änderungen des § 35 BauGB die Umnutzungs-
möglichkeiten in bestehenden landwirtschaftlichen Gebäuden im Hinblick
auf eine bessere wirtschaftliche Nutzung erweitert werden können;

14. im „Internationalen Jahr des Ökotourismus 2002“ durch öffentlichkeits-
wirksame Aktionen für den naturgemäßen und umweltverträglichen Urlaub
im ländlichen Raum zu werben. Das Segment „Urlaub auf dem Bauernhof
und Landurlaub“ muss noch mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung ge-
rufen werden, um das Interesse in eine konkrete Nachfrage umsetzen zu
können. Die Bundesregierung soll auf der Grünen Woche 2002 dem Rech-
nung tragen.

Berlin, den 7. November 2001
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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