BT-Drucksache 14/7199

Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die Konsequenzen für die bundesdeutsche Gesundheitspolitik

Vom 16. Oktober 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7199
14. Wahlperiode 16. 10. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer, Dr. Sabine
Bergmann-Pohl, Paul Breuer, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Hubert Hüppe,
Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Hans-Peter Repnik, Annette Widmann-Mauz, Aribert Wolf, Wolfgang Zöller
und der Fraktion der CDU/CSU

Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die Konsequenzen
für die bundesdeutsche Gesundheitspolitik

Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Penta-
gon in Washington wächst weltweit die Angst, dass Terroristen vor dem Ein-
satz von Massenvernichtungswaffen oder von zu Massenvernichtungswaffen
umfunktionierten, kerosingefüllten Flugzeugen sowie biologischer oder chemi-
scher Kampfstoffe nicht zurückschrecken. Nach den jüngsten Milzbrand-Fällen
in den USA und nach den Fällen von falschem Milzbrand-Alarm in Deutsch-
land sind die Menschen verunsichert und fragen, ob der Katastrophen- und
Zivilschutz auf mögliche Terroranschläge hinreichend vorbereitet ist.
Der Zivilschutz ist beim Bundesministerium des Innern (BMI) und beim Bun-
desministerium der Verteidigung (BMVg) angesiedelt. Die Forschung im bio-
logischen Abwehrbereich ressortiert beim BMVg. Der Katastrophenschutz
obliegt den Ländern. Einzelne Länder könnten jedoch mit der Bewältigung bis-
lang ungeahnter Ausmaße von Katastrophen, die durch terroristische An-
schläge ausgelöst werden, überfordert sein. Auch bundespolitisch muss deshalb
über verschiedene Fragestellungen nachgedacht werden.
Experten warnen verstärkt vor der Gefahr, die vom Einsatz biologischer oder
chemischer Kampfstoffe ausgehen könnte (Süddeutsche Zeitung: „Strategie ge-
gen die unsichtbaren Waffen“, 14. September 2001, S. 6). Die Generalsekre-
tärin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Gro Harlem Brundtland sagte
anlässlich eines Treffens mit Gesundheitsministern, man müsse auf die
Möglichkeit vorbereitet sein, „dass Menschen durch den vorsätzlichen Einsatz
von biologischen oder chemischen Kampfstoffen zu Schaden kommen“
(Pressemitteilung der WHO vom 24. September 2001). Es wird spekuliert, dass
einige terroristische Vereinigungen bereits über derartige Kampfmittel verfü-
gen (Neue Zürcher Zeitung: „Angst vor Terror mit B-Waffen in den USA“,
21. September 2001, S. 3). Terroristische Anschläge mit biologischen Kampf-
stoffen würden sich grundlegend von solchen mit konventionellen Waffen un-
terscheiden. Die zerstörerische Wirkung eines Anschlags würde unter Umstän-
den nicht sofort sicht- oder spürbar werden. Stattdessen könnten Epidemien
ausgelöst werden, die sich nur schleichend ausbreiten und eventuell erst nach
tage- oder wochenlanger Latenzzeit evident werden. Während der Latenzzeit
könnte eine Epidemie, wenn sie unentdeckt bleibt, sich durch moderne Trans-
portmittel und Tourismus auch auf Gebiete ausbreiten, die geographisch weit

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vom Anschlagsort entfernt liegen. Milzbrand, Pocken, Botulismus, Pest, Tula-
rämie oder Ebola – Gefahren, die durch moderne Medizin und hohen Lebens-
standard bereits überwunden schienen – werden so wieder zur Bedrohung für
breite Bevölkerungskreise. Je früher die Gefahr einer möglichen Epidemie er-
kannt wird, umso besser sind die Chancen, deren Ausbruch zu verhindern. Es
ist deshalb wichtig, dass die ersten Erkrankungsfälle richtig und frühzeitig dia-
gnostiziert werden. Dazu bedarf es der Fachkenntnisse von Medizinern sowie
geeigneter Diagnoseverfahren. Für viele der genannten Erreger gibt es Impf-
stoffe. Weil Mutationen auftreten können, muss aber auch möglichst schnell
festgestellt werden, ob es wirksame neue Antibiotika bzw. Antikörper gegen
die identifizierten Erreger gibt. Schließlich gilt es auch zu bedenken, dass Erre-
ger gentechnisch verändert werden können. So kann man Erreger durch Einbau
von Genen in ihr Genom antibiotikaresistent machen. Außerdem können harm-
lose Bakterien durch den Transfer einzelner Gene zu gefährlichen Erregern
werden.
Spätestens seit dem Giftanschlag der Aum-Sekte in der Tokioter U-Bahn ist be-
kannt, dass sich auch chemische Kampfstoffe für terroristische Attentate ver-
wenden lassen. Da hierbei weniger Faktoren berücksichtigt werden müssen als
bei der Verwendung biologischer Kampfstoffe, sind sie leichter zu handhaben.
Allerdings haben sie einen begrenzten Wirkungsradius. Die Möglichkeiten,
sich von medizinischer Seite auf mögliche Katastrophenfälle durch den Einsatz
chemischer Kampfstoffe vorzubereiten, sind sicher geringer als bei konventio-
nellen und biologischen Waffen. Dennoch sollte die Gesundheitspolitik sich
auch dieser Herausforderung stellen.
Klaus Becher vom International Institute for Strategic Studies gab zu beden-
ken: „Die Europäer haben die Gefahr eines existenziellen Terrorismus bisher
nicht wirklich ernst genommen. Wir sind daher schlecht auf einen möglichen
Katastrophenfall vorbereitet.“ (DER TAGESSPIEGEL: „Die Angst vor der
Biobombe“, 20. September 2001, S. 5). Hier muss im Interesse der Sicherheit
der Bürger dringend Abhilfe geschaffen werden. Es bedarf präventiver und
reaktiver Maßnahmen, mit denen der Staat auf eventuelle Bedrohungen der all-
gemeinen Gesundheit durch den internationalen Terrorismus adäquat und effi-
zient antworten kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um der

Bedrohung durch den internationalen Terrorismus für die Gesundheit und
Unversehrtheit der Bürger entgegenzuwirken?

2. Existieren Einsatzpläne und Koordinationsstellen der Bundesregierung,
welche die medizinische Versorgung der Opfer auch über Ländergrenzen
hinweg sicherstellen können?
Bejahendenfalls, wie sehen die Einsatzpläne konkret aus?
Wo sind die Koordinationsstellen in der Bundesregierung angesiedelt?

3. Wie viele Spezialkliniken gibt es bundesweit (z. B. für Verbrennungen,
Rauchvergiftung)?
Können diese eine Versorgung der Verletzten auch bei hoher Opferzahl ge-
währleisten?

4. Ist die Versorgung der Verletzten mit Blutkonserven im Katastrophenfall
auch bei sehr großem Bedarf sichergestellt?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bereit-
schaft der Bevölkerung Blut zu spenden – etwa durch geeignete bundes-
weite Kampagnen – zu erhöhen?

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6. Ist die medizinische Unbedenklichkeit der Blutkonserven (HIV, Hepatitis)
auch bei zunehmender Zahl von Blutspenden gewährleistet?
Wenn ja, durch welche konkreten Maßnahmen und Verfahren?

7. Auf welche Art und Weise wird der Bewältigung von Katastrophensituati-
onen in der Aus- und Weiterbildung von medizinischem Fachpersonal
Platz eingeräumt?

8. Sind Impfstoffe gegen Krankheiten mit Seuchenpotential, die oft schon vor
einigen Jahrzehnten entwickelt wurden, heute noch wirksam oder bedarf es
hier neuer Forschungsarbeiten?

9. An welchen neuen Impfstoffen wird geforscht?
10. Welche Forschungsaktivitäten betreibt die Bundeswehr im Bereich der

B-Waffen-Schutzforschung an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in
München, am Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologie in
Munster sowie an anderen Instituten der Bundeswehr?

11. Sollen die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten auch für die Zivilbevölke-
rung nutzbar gemacht werden?
Wenn ja, wie soll das geschehen?
Wenn nein, aus welchen Gründen ist dies nicht möglich?

12. Welche Forschungsaktivitäten unerstützt die Bundeswehr im Bereich der
B-Waffen-Schutzforschung bei zivilen Forschungseinrichtungen?

13. Wie sind diese Forschungseinrichtungen gegen Spionage geschützt?
14. In welchen Forschungsbereichen der Bundeswehr wird auch mit gentech-

nischen Methoden gearbeitet?
15. Wie beurteilt die Bundesregierung den dual-use-Charakter von Impfstoffen

zum Schutz vor biologischen Waffen?
16. Gibt es ein Ersuchen der Bundesregierung an die USA und Großbritannien,

Deutschland im Fall eines terroristischen Anschlages mit biologischen
Waffen Impfstoffe zur Verfügung zu stellen?

17. Welche Konsequenzen hätte die Ablehnung des Gesuches für die Sicher-
heit der deutschen Zivilbevölkerung und der deutschen Soldaten?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einsatzfähigkeit von ABC-Spürpan-
zern (Fuchs) vor dem Hintergrund eines fehlenden Impfschutzes der deut-
schen Soldaten?

19. Steht ausreichend Impfstoff gegen potentielle B-Waffen-Erreger zur Verfü-
gung?

20. Steht dieser Impfstoff ausschließlich für den Schutz deutscher Soldaten bei
Auslandseinsätzen zur Verfügung oder kann er im Katastrophenfall in
vollem Umfang auch zum Schutz der Zivilbevölkerung bereit gestellt wer-
den?

21. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Vorräte an Impfstoffen gegen poten-
tielle B-Waffen-Erreger aufzustocken?

22. Reicht die Ausbildung der Mediziner im Bereich Epidemiologie und Viro-
logie aus, um eine schnelle, sichere Diagnose von Erkrankungen durch bio-
logische Kampfstoffe sicherzustellen?

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23. Unterstützt die Bundesregierung Forschungsprojekte, die sich mit der Ent-
wicklung von leistungsfähigen, effizienten Testverfahren beschäftigen,
welche eine Erkrankung durch Erreger mit Seuchenpotential bereits wäh-
rend der Inkubations- oder Latenzzeit feststellen können?
Wenn ja, von wem werden diese durchgeführt?

24. Gibt es ausreichend Laboratorien, die über schnelle, moderne Diagnose-
verfahren zur Feststellung von Erkrankungen mit Seuchenpotential verfü-
gen?
Wenn ja, wo sind diese angesiedelt?

25. Wie schnell und flexibel können Wissenschaft und Forschung auf das Auf-
treten neuer Mutationsformen von bekannten Erregern reagieren?
Wie schnell können im Katastrophenfall neue wirksame Antibiotika oder
Antikörper bereit gestellt werden?

26. Stehen im Katastrophenfall ausreichend Quarantänemöglichkeiten, Anti-
biotika, Desinfektionsmittel etc. zur Verfügung?

27. Welche Rolle spielt das Problem der zunehmenden Antibiotikaresistenz
von Erregern in diesem Zusammenhang?
Gibt es hier Forschungsprojekte, die von der Bundeswehr oder dem BMVg
betrieben werden?
Bejahendenfalls, welche Ergebnisse haben diese?

28. Wie kann man sich gegen gentechnisch veränderte Erreger schützen?
29. Verfügen medizinische Einrichtungen über Dekontaminationsvorrichtun-

gen zur Erstversorgung der Opfer nach Angriffen mit Hautkampfstoffen
(Loste, Arsenverbindungen)?

30. Ist eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Atropin als wich-
tigstem Gegenmittel für Nervengifte wie Tabun, Sarin, Soman oder VX im
Katastrophenfall sichergestellt?
Denkt die Bundesregierung über eine prophylaktische Verteilung von Atro-
pin oder anderen Gegenmitteln an die Bevölkerung nach, wie dies etwa in
Israel geschieht?

31. Fördert die Bundesregierung neurologische Studien, welche die Wirkungs-
weise von Nervengiften auf das zentrale und periphere Nervensystem er-
forschen und damit die Grundlage für die Entwicklung wirksamer Thera-
piemittel sind?
Wenn ja, in welchem Rahmen?
Wer führt diese Forschungsvorhaben aus?

32. Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, wie Rehabilitationsmaß-
nahmen für Spät- und Folgeschäden von Opfern terroristischer Anschläge,
bei denen biologische und chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden, aus-
sehen könnten?

33. Ist im Katastrophenfall ein Zusammenwirken von Zivilschutz und Bundes-
wehr bei der Bergung, der medizinischen Erstversorgung und beim Trans-
port der Verletzten gewährleistet?
Wenn ja, wie und durch welche Maßnahmen?

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34. Denkt die Bundesregierung daran, auch Nichtregierungsorganisationen wie
das Deutsche Rote Kreuz u. a. in die Koordination der medizinischen
Katastrophenbewältigung miteinzubeziehen?
Wenn ja, auf welche Weise soll dies geschehen?

35. Tauscht die Bundesregierung relevante Informationen zur medizinischen
Behandlung, von Prophylaxe und Rehabilitation bei Erkrankungen, die
durch biologische und chemische Kampfstoffe verursacht wurden, mit sol-
chen Staaten aus, die über mehr Erfahrungen mit derartigen Kampfstoffen
verfügen?
Wenn ja, auf welcher Ebene und wie?

36. Werden gesundheitspolitische Maßnahmen auch mit den europäischen
Partnern abgesprochen?
Wenn ja, auf welcher Ebene und wie?

Berlin, den 16. Oktober 2001
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Paul Breuer
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Hans-Peter Repnik
Annette Widmann-Mauz
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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