BT-Drucksache 14/7172

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung -14/6146- Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001

Vom 17. Oktober 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/7172
14. Wahlperiode 17. 10. 2001

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(22. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 14/6146 –

Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001

A. Problem
Durch das Vertragsgesetz sollen die von deutscher Seite aus erforderlichen Vo-
raussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages von Nizza zur Änderung des
Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Euro-
päischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte
geschaffen werden.
Mit dem Vertrag von Amsterdam konnten nicht alle institutionellen Fragen ge-
regelt werden, die als Voraussetzung für die Erweiterung der Union angesehen
wurden. Im Protokoll Nr. 7 des Amsterdamer Vertrages über die Organe im
Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union war daher festgelegt,
dass spätestens ein Jahr vor dem Zeitpunkt, zu dem die Zahl der Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union 20 überschreiten wird, eine Konferenz der Vertre-
ter der Regierungen der Mitgliedstaaten einberufen wird, um die Bestimmun-
gen der Verträge über Zusammensetzung und Arbeitsweise der Organe
umfassend zu prüfen. In Protokoll Nr. 7 war man übereingekommen, dass ab
dem Inkrafttreten der ersten Erweiterung der Europäischen Union der Kommis-
sion ein Staatsangehöriger je Mitgliedstaat angehört, sofern zu diesem Zeit-
punkt die Stimmenwägung im Rat – sei es durch Neuwägung oder durch Ein-
führung einer doppelten Mehrheit – in einer für alle Mitgliedstaaten
annehmbaren Weise geändert worden ist; zu berücksichtigen sind dabei alle
hierfür bedeutsamen Sachverhalte, insbesondere die Frage eines Ausgleichs für
jene Mitgliedstaaten, welche die Möglichkeit aufgeben, ein zweites Mitglied
für die Europäische Kommission zu benennen.
Um sicherzustellen, dass die Organe der Europäischen Union auch nach der
Erweiterung effizient arbeiten können, hat der Europäische Rat in Köln am
3./4. Juni 1999 seine Absicht bekräftigt, Anfang des Jahres 2000 eine Konfe-
renz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten einzuberufen, um die in
Amsterdam nicht geregelten institutionellen Fragen, die vor der Erweiterung
geregelt werden müssen, zu lösen. Der Abschluss der Konferenz und die Ver-
einbarung der notwendigen Vertragsänderungen sollten Ende 2000 erfolgen.
Nach dem Europäischen Rat in Köln erstreckte sich der Auftrag der Regie-
rungskonferenz gemäß dem Amsterdamer „Protokoll über die Organe im Hin-

Drucksache 14/7172 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

blick auf die Erweiterung der Europäischen Union“ sowie der hierzu abgegebe-
nen Erklärungen auf die Themen:
l Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission,
l Stimmenwägung im Rat (Neuwägung, Einführung einer doppelten Mehr-

heit; Schwelle für Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit),
l Frage der möglichen Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter

Mehrheit im Rat.
Der Europäische Rat in Köln hat auch vereinbart, dass weitere notwendige Ver-
tragsänderungen behandelt werden könnten, soweit sie sich in Bezug auf die
Europäischen Organe im Zusammenhang mit den vorgenannten Fragestellun-
gen und im Zuge der Umsetzung des Vertrages von Amsterdam ergeben. Der
Europäische Rat in Helsinki am 10./11. Dezember 1999 bekräftigte die politi-
sche Zusage der Europäischen Union, sich nach besten Kräften darum zu be-
mühen, die Regierungskonferenz über die institutionellen Reformen bis De-
zember 2000 abzuschließen. Nach der Ratifizierung der Ergebnisse dieser
Konferenz durch die Parlamente der Mitgliedstaaten sollte die Europäische
Union in der Lage sein, ab Ende 2002 neue Mitgliedstaaten aufzunehmen, so-
bald diese nachgewiesen haben, dass sie die Pflichten einer Mitgliedschaft auf
sich nehmen können, und sobald der Verhandlungsprozess zu einem erfolgrei-
chen Abschluss gebracht worden ist.
Der Europäische Rat in Helsinki bestätigte, dass die Regierungskonferenz An-
fang Februar einberufen wird und ihre Arbeiten bis zum Dezember 2000 ab-
schließen sollte. Der Europäische Rat in Helsinki bekräftigte die Beschlüsse
des Europäischen Rats in Köln, die Regierungskonferenz zu beauftragen, wei-
tere notwendige Vertragsänderungen zu prüfen, soweit sie sich in Bezug auf die
Europäischen Organe im Zusammenhang mit den in Amsterdam genannten
Fragestellungen und im Zuge der Umsetzung des Vertrages von Amsterdam er-
geben. Die Ratspräsidentschaft wurde ermächtigt, gegebenenfalls zusätzliche
Themen für die Tagesordnung der Konferenz vorzuschlagen. Nachdem die Re-
gierungskonferenz diese Frage geprüft hatte, bestimmte der Europäische Rat in
Feira am 19./20. Juni 2000, dass die in den Vertrag von Amsterdam aufgenom-
menen Bestimmungen für die verstärkte Zusammenarbeit Teil der künftigen
Arbeit der Konferenz sein sollten, wobei der in einer erweiterten Union erfor-
derlichen Kohärenz und Solidarität Rechnung zu tragen ist.
Die Regierungskonferenz wurde am 14. Februar 2000 eröffnet. In Nizza ver-
ständigten sich die Europäischen Staats- und Regierungschefs am 10. Dezem-
ber 2000 auf den Entwurf des Vertrags von Nizza.

B. Lösung
Zustimmung zum Vertragswerk gemäß Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 des Grund-
gesetzes. Auf Grund des Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 GG gilt die verfassungsän-
dernde Mehrheit des Artikel 79 Abs. 2 GG.
Annahmemit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PDS
C. Alternativen
Nachverhandlung des Vertrages von Nizza, Antrag der Fraktion der PDS (vgl.
Drucksache 14/7002).

D. Kosten
Durch die Ausführung des Gesetzes aus Drucksache 14/6146 entstehen keine
unmittelbaren Kosten für die öffentlichen Haushalte (vgl. Begründung zum
Entwurf des Vertragstextes).

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/7172

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 14/6146 – mit der
Eingangsformel:
„Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz
beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 GG ist eingehalten.“
anzunehmen.

Berlin, den 17. Oktober 2001

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Dr. Friedbert Pflüger
Vorsitzender

Michael Roth
Berichterstatter

Peter Hintze
Berichterstatter

Peter Altmaier
Berichterstatter

Christian Sterzing
Berichterstatter

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Berichterstatterin

Uwe Hiksch
Berichterstatter

Drucksache 14/7172 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Michael Roth, Peter Hintze, Peter Altmaier, Christian
Sterzing, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Uwe Hiksch

A. Beratungsverfahren
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
14/6146 wurde in der 179. Sitzung des Deutschen Bundes-
tages am 28. Juni 2001 an den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union zur federführenden Be-
ratung sowie zur Mitberatung an den Auswärtigen
Ausschuss, Innenausschuss, Rechtsausschuss, Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie und Verteidigungsausschuss
überwiesen.
1. Mitberatungsvoten
Der Auswärtige Ausschuss hat in seiner 81. Sitzung am
10. Oktober 2001 mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen
die Stimme der Fraktion der PDS den Gesetzentwurf ange-
nommen.
Der Innenausschuss hat in seiner 68. Sitzung am 10. Ok-
tober 2001 mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU sowie FDP ge-
gen die Stimmen der Fraktion der PDS dem federführenden
Ausschuss empfohlen, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Der Rechtsausschuss hat in seiner 98. Sitzung am 10. Ok-
tober 2001 einstimmig bei Enthaltung der Fraktion der PDS
dem federführenden Ausschuss empfohlen, dem Gesetzent-
wurf zuzustimmen mit der Maßgabe, dass in die Eingangs-
formel die Einhaltung des Mehrheitserfordernisses nach
Artikel 79 Abs. 2 GG aufgenommen wird, da hier ein tatbe-
standlicher Fall des Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 GG vorliegt.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in sei-
ner 64. Sitzung am 10. Oktober 2001 mehrheitlich mit den
Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion der PDS bei
Stimmenthaltung der Fraktion der FDP dem federführenden
Ausschuss empfohlen, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Der Verteidigungsausschuss hat in seiner 85. Sitzung am
10. Oktober 2001 mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU und FDP bei Ab-
wesenheit der Fraktion der PDS dem federführenden Aus-
schuss die Annahme des Gesetzentwurfes empfohlen.
2. Votum des federführenden Ausschusses
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union hat in seiner 80. Sitzung am 17. Oktober 2001
mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU/CSU,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion der PDS empfohlen, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen.

B. Die Beratungen im federführenden Ausschuss
Allgemeines zumAblauf der Beratungen
Die parlamentarische Begleitung des Vertrages von Nizza
stand schon lange vor Einbringung des Ratifizierungsge-
setzentwurfes im Mittelpunkt der Tätigkeit des Ausschusses

für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Während
der gesamten Dauer der Regierungskonferenz (14. Februar
bis 9. Dezember 2000) machte der Ausschuss intensiven
Gebrauch von den europapolitischen Beteiligungs- und
Kontrollrechten des Deutschen Bundestages (Artikel 23
GG, Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union). So wurden im Rahmen einer kontinuierlich
geführten, engen parlamentarischen Begleitung des Ver-
handlungsprozesses – durch Abgabe förmlicher Beschlüsse,
aber auch durch Übermittlung informeller Meinungsbilder
und Bewertungen des Ausschusses – der Bundesregierung
die Vorstellungen und Wünsche des Parlaments zum Bera-
tungsstand der Regierungskonferenz und zu den von der
Bundesregierung in den Verhandlungen zu vertretenden
Verhandlungspositionen mitgeteilt.
Nach Übereinkunft der Obleute des Ausschusses vom
16. Februar 2000 stand nach Eröffnung der Regierungskon-
ferenz eine Unterrichtung durch die Bundesregierung über
den Stand der Regierungskonferenz als Tagesordnungspunkt
auf der Tagesordnung nahezu jeder Sitzung des Ausschus-
ses. Die Unterrichtungen wurden in aller Regel durch den
Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Dr. Christoph
Zöpel bzw. durch den Staatssekretär im Auswärtigen Amt,
Dr. Günther Pleuger, wahrgenommen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder unterrichtete den Aus-
schuss in dessen 53. Sitzung am 11. Oktober 2000 im Rah-
men einer Unterrichtung über den Europäischen Rat Biarritz
vom 13./14. Oktober 2000 unter anderem über den Stand der
Regierungskonferenz.
Der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Joseph Fischer,
unterrichtete den Ausschuss in insgesamt vier Sitzungen
über den Stand der Regierungskonferenz bzw. den Vertrag
von Nizza: in der 36. Sitzung des Ausschusses am 16. Feb-
ruar 2000, in der 57. Sitzung des Ausschusses am 6. Dezem-
ber 2000 sowie in einer Sondersitzung (58. Sitzung) am
15. Dezember 2000 und in der 65. Sitzung des Ausschusses
am 15. März 2001.
Zusätzlich zu diesen Unterrichtungen des Ausschusses er-
hielten die Obleute und Berichterstatter des Ausschusses
nach Übereinkunft der Obleute vom 15. März 2000 regel-
mäßige Unterrichtungen über den Stand der Regierungs-
konferenz durch den Staatssekretär im Auswärtigen Amt
Dr. Günther Pleuger.
Der Ausschuss führte zwei ausführliche Gespräche mit den
beiden Beobachtern des Europäischen Parlaments bei der
Regierungskonferenz, den Herren Elmar Brok und Dimitris
Tsatsos: Der Ausschuss hatte mit beiden Beobachtern in sei-
ner 52. Sitzung am 27. September 2000 intensive Beratun-
gen. Zu den Ergebnissen des Europäischen Rates Nizza
führte der Ausschuss in seiner 61. Sitzung am 7. Februar
2001 mit Elmar Brok und in seiner 66. Sitzung am 28. März
2001 in Vertretung von Dimitris Tsatsos mit Jo Leinen aus-
führliche Gespräche.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/7172

Der Ausschuss ist in seiner 39. Sitzung am 24. Februar
2000 mit dem für die institutionelle Reformen zuständigen
Mitglied der Europäischen Kommission, Herrn Michel Bar-
nier, zusammengetroffen. Am 9. November 2000 hatten die
Obleute und Berichterstatter des Ausschusses erneut Gele-
genheit, mit Kommissar Barnier zusammenzutreffen.
In seiner 49. Sitzung am 28. Juni 2000 erörterte der Aus-
schuss mit dem für die Erweiterung zuständigen Mitglied
der Kommission, Herrn Günther Verheugen, neben Fragen
der Erweiterung der Europäischen Union auch damit zu-
sammenhängende Fragen der Reform der Institutionen.
Der Ausschuss hat darüber hinaus auch das Gespräch mit
anderen EU-Mitgliedstaaten gesucht: In seiner 34. Sitzung
am 19. Januar 2000 ist er mit dem französischen Europami-
nister, Herrn Pièrre Moscovici sowie mit dem Vorsitzenden
der Europadelegation der Französischen Nationalversamm-
lung, Herrn Alain Barrau, zusammengetroffen. In seiner
41. Sitzung am 15. März 2000 hatte der Ausschuss ein Ge-
spräch mit dem britischen Staatsminister für Auswärtige
und Commonwealth-Angelegenheiten, Herrn Keith Vaz. In
seiner 69. Sitzung am 9. Mai 2001 hatte der Ausschuss mit
dem französischen Außenminister Hubert Védrine in An-
wesenheit des Bundesministers des Auswärtigen, Herrn
Joseph Fischer, eine intensive Diskussion über die Ergeb-
nisse des Europäischen Rates Nizza und die Zukunftsde-
batte der Europäischen Union.
Auch die Delegationen, die der Europaausschuss zu den
beiden Tagungen von COSAC entsandte, hatten sich im
Rahmen dieser Konferenzen unter anderem mit den Re-
formen der europäischen Institutionen befasst: An der
XXII. COSAC Lissabon am 29./30. Mai 2000 haben unter
Leitung des Ausschussvorsitzenden, Dr. Friedbert Pflüger,
die Abgeordneten Prof. Dr. Jürgen Meyer, Frau Hedi
Wegener und Michael Stübgen und an der XXIII. COSAC
Paris am 16./17. Oktober 2000 haben unter Leitung des
Ausschussvorsitzenden, Dr. Friedbert Pflüger, die Abgeord-
neten Prof. Dr. Jürgen Meyer, Frau Hedi Wegener und
Dr. Gerd Müller teilgenommen.
Im Verlauf der Regierungskonferenz wurden zahlreiche an
den Ausschuss überwiesene Fraktionsanträge und Ent-
schließungen des Europäischen Parlaments mit Forderun-
gen zu den institutionellen Reformen durch den Ausschuss
behandelt und abgeschlossen. So hatte der Deutsche Bun-
destag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses ange-
nommen, in der es um Überlegungen zur Reform der Insti-
tutionen der Europäischen Union im Zusammenhang mit
dem Europäischen Rat Feira ging (Drucksache 14/4457).
In einer weiteren Beschlussempfehlung hat sich der Aus-
schuss mit einer Entschließung des Europäischen Parla-
ments und seinen Vorschlägen zur Regierungskonferenz
auseinandergesetzt (Drucksache 14/4980). In einer dritten
Beschlussempfehlung hat sich der Ausschuss zu seinen Er-
wartungen an den Europäischen Rat Nizza geäußert
(Drucksache 14/5386).
Die Erstellung der vorliegenden Beschlussempfehlung und
des Berichtes, die der Ausschuss am 17. Oktober 2001 ver-
abschiedete, erfolgten im Lichte der ausführlichen Beratun-
gen im Vorfeld und im gesamten Verlauf der Regierungs-
konferenz.

I. Zum Entwurf des Ratifizierungsgesetzes
Eingangsformel
Die Eingangsformel ist wie folgt zu fassen:
„Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 GG ist ein-
gehalten.“
Die Bundesregierung hat ihren Gesetzentwurf zur Ratifizie-
rung des Vertrags von Nizza auf der Grundlage von
Artikel 23 Abs. 1 Satz 2 GG vorgelegt. Der Bundesrat hat in
seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf deutlich gemacht,
dass dieser gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung
mit Artikel 79 Abs. 2 GG der Zustimmung von 2/3 der Stim-
men des Bundesrates bedürfe, weil er eine Änderung der
vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union beinhal-
tet, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert
werde (vgl. Bundesratsdrucksache 2000/01).
In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates
hat die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung bekräftigt.
Sie hat insbesondere deutlich gemacht, dass es sich bei der
Einführung der Mehrheitsentscheidungen für weitere Sach-
bereiche und der Ausweitung des Mitentscheidungsverfah-
rens durch den Vertrag von Nizza um Modalitäten zur Aus-
übung von Zuständigkeiten handele, die der Europäischen
Union bereits ausdrücklich und vollständig übertragen wa-
ren, nicht jedoch um Hoheitsrechteübertragungen nach Arti-
kel 23 Abs. 1 Satz 2 GG oder Regelungen nach Artikel 23
Abs. 1 Satz 3 GG.
Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sind nach inten-
siver Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass mit dem
Vertrag von Nizza Hoheitsrechte gemäß Artikel 23 Abs. 1
Satz 3 GG auf die Europäische Union übertragen werden.
Ausschlaggebend für dieses Ergebnis sind u. a. die im Ver-
trag von Nizza vorgesehene Ausweitung der Entscheidung
mit qualifizierter Mehrheit im Rat sowie die Ausdehnung
der Mitentscheidungsbefugnisse des Europäischen Parla-
ments. Beide Aspekte berühren die Rechtsstellung der Mit-
gliedstaaten im Rat. So ist beim Übergang zur Entscheidung
mit qualifizierter Mehrheit die Möglichkeit gegeben, über-
stimmt zu werden. Dies verändert im Ergebnis die grundge-
setzlich vorgesehene Kompetenzordnung, da die Aufgabe
des Vetorechts im Rat auch den europapolitischen Hand-
lungsspielraum des Deutschen Bundestages einschränkt.
Zudem verändert die Ausweitung des Mitentscheidungsver-
fahrens das Verhältnis von Rat und Europäischem Parla-
ment, sodass mittelbar auch die Stellung der nationalen Par-
lamente berührt ist.

II. Die Beratungen über den Inhalt des Vertrages
1. Allgemeines
Im Beratungsverfahren bewerteten die Fraktionen die Er-
gebnisse der Regierungskonferenz über die institutionellen
Reformen wie folgt:
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stel-
len fest, dass die mit den institutionellen Reformen verbun-
denen Grundsatzfragen bereits Gegenstand der Regierungs-
konferenzen von Maastricht und Amsterdam waren, ohne

Drucksache 14/7172 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

jedoch gelöst worden zu sein. Angesichts der politischen
Bedeutung der bevorstehenden Erweiterung der Europäi-
schen Union ist es in Nizza darauf angekommen, diese
schwierigen Reformen zum Abschluss zu bringen. Es ist im
Laufe der Verhandlungen bereits deutlich geworden, dass
nicht alle Mitgliedstaaten die gleiche Reform- und Integra-
tionsbereitschaft aufbringen wollten. Die Koalitionsfraktio-
nen werten es daher als großen Erfolg, dass die Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union zu allen zentralen
Bereichen der institutionellen Reformen akzeptable Kom-
promisse gefunden haben. Nach der Verabschiedung des
finanziellen Rahmens auch für die Erweiterung bis 2006 im
Rahmen der Agenda 2000 unter deutscher Ratspräsident-
schaft im Frühjahr 1999 hat die Europäische Union in Nizza
die zweite noch ausstehende Vorbedingung für den Beitritt
neuer Mitgliedstaaten erfüllt. Auch wenn mit dem neuen
Vertragswerk nicht alle integrationspolitischen Ziele er-
reicht worden sind, sind doch die entscheidenden Weichen
für die Erweiterung gestellt worden: Die Europäische Union
ist mit dem Vertrag von Nizza erweiterungsfähig.
Gleichzeitig sind zwei weitere Ziele erreicht worden. Erst-
malig haben die Staats- und Regierungschefs der Europäi-
schen Union eine Charta der Europäischen Grundrechte an-
genommen. Diese Charta ist unter breiter parlamentarischer
Beteiligung ausgearbeitet worden. Sie unterstreicht, dass
die Europäische Union nicht nur eine Wirtschafts-, sondern
auch eine Wertegemeinschaft ist. Die Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen nachdrücklich,
dass sich die Staats- und Regierungschefs in Nizza auf eine
Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union verständigt
haben. Diese Erklärung ist für die weitere europäische Inte-
gration von herausragender Bedeutung, denn sie stellt
sicher, dass die Weiterentwicklung der Europäischen Ver-
träge auch in den nächsten Jahren vorangetrieben werden
kann.
CDU/CSU:
Überragendes Ziel des am 11. Dezember 2000 vorgelegten
Vertrags von Nizza war es, die Europäische Union bis Ende
2002 erweiterungsfähig zu machen, also – mit den Worten
der Präambel – die „Vorbereitung der Organe der Union auf
die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in einer erweiterten
Union zu vollenden“. Die Regierungschefs der EU haben
ihr selbst gesetztes Ziel jedenfalls nicht in dem von ihnen
selbst behaupteten Umfang erreicht. Nizza war eine Enttäu-
schung. Die Regierungschefs der EU einigten sich nur auf
den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es war der Gipfel der
Besitzstandswahrer. Noch nie dauerte ein Europäischer Rat
so lange und noch nie kam bei einer EU-Reform so wenig
heraus.
Bei der Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Organe
der EU gab es nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU
einige Fortschritte, aber vereinzelt auch Rückschritte.
Negativ sind insbesondere die Erschwerung des Zustande-
kommens einer qualifizierten Mehrheit im Rat, unter ande-
rem durch Einführung einer dreifachen Mehrheit und eine
Erhöhung der Quoren im Zug der Erweiterung zu werten
sowie der Einstimmigkeitszwang in noch immer über 70
Fallgruppen.
Bei der Verbesserung der demokratischen Legitimation gab
es ebenfalls nur Fortschritte in bescheidenem Umfang.

Hier sind zu kritisieren die Verweigerung des Rechts auf
Mitentscheidung des Europäischen Parlaments in zahlrei-
chen Fällen selbst dort, wo der Rat mit qualifizierter Mehr-
heit entscheidet sowie die Diskriminierung der Beitrittslän-
der Tschechien, Ungarn und Malta bei der Sitzverteilung im
EP.
Von einer Vertiefung der Integration und von einer Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Umfeld
kann im Übrigen nicht die Rede sein. Die Gemeinschafts-
methode blieb erhalten, wurde aber nicht ausgebaut, wie es
notwendig gewesen wäre.
Die Regierungschefs haben die Erweiterungsfähigkeit nicht
im erforderlichen Ausmaß herbeigeführt. Sie haben sich im
übrigen mit den konkreten Problemen der laufenden Bei-
trittsverhandlungen nicht einmal am Rand beschäftigt.
Trotzdem kann und muss der Erweiterungsfahrplan einge-
halten werden.
FDP:
Der Europäische Rat von Nizza hat die Vorgabe des Europä-
ischen Rates von Helsinki, mit Abschluss der Regierungs-
konferenz über die institutionelle Reform die Europäische
Union in die Lage zu versetzen, ab Ende 2002 neue Mit-
gliedstaaten aufzunehmen, nur in einem formalen Sinn er-
füllt. Nizza sollte die Entscheidungsfähigkeit und Effizienz
der Europäischen Union verbessern und die demokratische
Legitimation ihrer Organe stärken. Nizza sollte also die
„leftovers von Amsterdam“ beseitigen. In allen diesen Zie-
len konnten nur unzureichende Fortschritte erzielt werden.
Mit diesem Ergebnis ist, wenn es nicht noch korrigiert wird,
eine weitgehende Lähmung der EU vorgezeichnet. Damit
wird die Gefahr, dass sie immer mehr ins Intergouverne-
mentale übergeht und damit letztlich auseinander läuft, im-
mer konkreter. Anti-europäische Kräfte in den derzeitigen
und zukünftigen Mitgliedsländern werden ermuntert, über
das Vetorecht ihrer Regierungen Entscheidungen zu blo-
ckieren und die Handlungsfähigkeit der EU immer weiter
auszuhebeln.
Daher muss das Mandat des ER Laeken für den Konvent zur
Erarbeitung einer Europäischen Verfassung und für die Re-
gierungskonferenz 2004 über die in der „Erklärung zur Zu-
kunft der Union“ genannten Ziele hinaus erweitert werden,
damit die Unzulänglichkeiten des Vertrags von Nizza noch
behoben werden können. Ziel muss es vor allem sein, das
Prinzip der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im
Rat durchzusetzen, vor allem in den Bereichen der Handels-,
Sozial- und Strukturpolitik, aber auch in der Asyl- und
Flüchtlingspolitik, und das damit einhergehende Mitent-
scheidungsrecht des Europäischen Parlaments zu stärken.
Da sich eine solche Mandatsausweitung für Laeken ab-
zeichnet und die Bundesregierung versichert hat, dass sich
Bundesaußenminister Fischer beim Allgemeinen Rat in
Luxemburg am 8. Oktober 2001 unwidersprochen für wei-
tere Verhandlungen in den Bereichen institutionelles Ver-
hältnis der EU-Organe, Ausweitung der Abstimmungen mit
qualifizierter Mehrheit, Justiz und Inneres sowie der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eingesetzt hat,
stimmt die Fraktion der FDP dem Vertragsentwurf von
Nizza – unter Zurückstellung von Bedenken – zu. Sie ruft
die Bundesregierung dazu auf, alles in ihren Kräften Ste-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/7172

hende zu tun, um die institutionelle Reform der EU gleich-
zeitig mit dem Erweiterungsprozess voranzutreiben.
PDS:
Die Fraktion der PDS hat sich – ebenso wie die gesamte
Partei – seit Beginn der Diskussionen um die Erweiterung
der Europäischen Union für eine zeitnahe Erweiterung um
die beitrittswilligen mittel- und osteuropäischen Staaten,
Maltas und Zyperns ausgesprochen und eingesetzt. Sie war
und ist gleichzeitig der Meinung, dass die Erweiterung nur
dann von Erfolg sein wird, wenn sie auf gleichberechtigter
Grundlage und sozial- und umweltverträglich erfolgt und
insgesamt die europäische Integration in eine progressive
Richtung führt. Deshalb hat die Fraktion der PDS der Re-
gierungskonferenz 2000, die seitens der EU die Vorausset-
zungen für einen erfolgreichen Beitritt schaffen sollte, be-
sondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die PDS-Vorschläge
gingen von Beginn an davon aus, dass institutionelle Refor-
men nicht ausreichen, sondern durch inhaltliche Verände-
rungen, insbesondere in den Bereichen Landwirtschaft,
Strukturpolitik und Finanzierung flankiert werden müssen.
Leider hatten sich die Regierungen der Mitgliedstaaten ent-
schieden, sich auf die so genannten left overs von Amster-
dam, d. h. auf die unbedingt notwendigen institutionellen
Veränderungen, zu beschränken. Das wird schwerwiegende
Konsequenzen für die Erweiterung und für die weitere euro-
päische Integration zur Folge haben.
Als Maßstab ihrer Bewertung des Vertrages von Nizza gel-
ten für die Fraktion der PDS folgende Kriterien:
l Werden die Voraussetzungen für den Beitritt mittel- und

osteuropäischer Staaten sowie Zyperns und Maltas ge-
schaffen?

l Werden alle Staaten gleichberechtigte Mitglieder in der
EU sein?

l Wird die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
mit 20 und mehr Mitgliedstaaten gewährleistet?

l Wird die weitere Vertiefung der europäischen Integra-
tion auch nach der Erweiterung möglich sein?

l Wird das Demokratiedefizit der EU verringert und ihre
Demokratisierung vorangebracht?

l Wird die von einem Konvent ausgearbeitete Grundrechte-
charta Bestandteil des Vertrages und damit individuell
einklagbar werden?

Auf der Basis dieser Kriterien kommt die Fraktion der PDS
zu einer sehr kritischen Einschätzung des Vertrages von
Nizza:
Die Ergebnisse der Regierungskonferenz zur Reform der In-
stitutionen der Europäischen Union, die im Vertrag von
Nizza festgeschrieben wurden, entsprechen weder den
selbst gestellten Zielen von EU-Kommission und Staats-
und Regierungschefs noch den Herausforderungen, die die
Erweiterung an die Entwicklung und Politik der EU stellt.
Letztlich wurden die formellen Voraussetzungen für die
Aufnahme der beitrittswilligen Staaten geschaffen. Dieses
Ergebnis begrüßt die Fraktion der PDS ausdrücklich. Damit
ist den Beitrittskandidaten, die enorme Anstrengungen un-
ternehmen, um die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft
ihrerseits zu erfüllen, die Tür in die EU geöffnet.

Doch das ist nicht ausreichend für das Funktionieren einer
größeren Europäischen Union unter den Bedingungen der
Globalisierung und anderer Herausforderungen. Die Re-
formversuche zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit
der EU auch mit 20 und mehr Mitgliedstaaten blieben in
Ansätzen stecken. Dabei geht es der Fraktion der PDS nicht
schlechthin um Handlungsfähigkeit der EU, sondern um de-
mokratisch gestaltete Handlungsmöglichkeiten zur Bewälti-
gung der sozialen und anderen Herausforderungen. Die
Europäische Grundrechtecharta wurde nicht in die Verträge
übernommen. Die EU erhielt auch nicht die Kompetenz,
Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Men-
schenrechtskonvention aufzunehmen. Das Demokratiedefi-
zit wurde nicht verringert; einige der getroffenen Entschei-
dungen lassen es größer werden. Die notwendige Reformie-
rung wichtiger Politikbereiche wie der Landwirtschaft, der
Strukturpolitik, der Finanzen, der Haushaltspolitik der EU
wurde überhaupt nicht in Angriff genommen. Auch die be-
reitgestellten finanziellen Mittel für die Heranführung der
Beitrittskandidaten an die EU, die Vorbereitung der Grenz-
regionen auf Seiten der EU- und der Beitrittsländer auf den
Beitritt und die Mitgliedschaft sind völlig unzureichend, um
die Erweiterung erfolgreich im Sinne von Sozialverträglich-
keit, Gleichberechtigung und sozialem Zusammenhalt der
Staaten und Regionen zu vollenden.
Insgesamt hat der Gipfel von Nizza ebenso wie die von
Maastricht und Amsterdam verdeutlicht, dass Regierungs-
konferenzen, auf denen hinter verschlossenen Türen Grund-
satzentscheidungen über die europäische Entwicklung aus-
gehandelt werden, vor allem aus demokratischen Erwägun-
gen allein ungeeignet sind, Europa zukunftsfähig zu
gestalten.

2. Institutionen/Verfahren
a) Rat
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter
Mehrheit gehört nach Ansicht der Koalitionsfraktionen zu
den zentralen Zielen der Regierungskonferenz, denn sie
stellt die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit einer er-
weiterten Europäischen Union sicher. Die in Nizza in die-
sem Bereich erreichten Fortschritte sind grundsätzlich auch
für eine erweiterte Europäische Union ausreichend. Gleich-
wohl hätten sich die Koalitionsfraktionen für diesen Bereich
weitergehende Reformen gewünscht. Die Koalitionsfraktio-
nen bedauern, dass die Mitentscheidungsbefugnisse des Eu-
ropäischen Parlaments nicht gleichzeitig ausgeweitet wur-
den. Sie sind der Auffassung, dass das Europäische
Parlament dann, wenn der Rat mit qualifizierter Mehrheit
über europäische Gesetzgebung beschließt, im Rahmen des
Mitentscheidungsverfahrens zu beteiligen ist. Andernfalls
weist die europäische Gesetzgebung Legitimationsdefizite
auf. Sie gehen deshalb davon aus, dass die geplante Regie-
rungskonferenz 2004 sich auch mit dieser wichtigen Proble-
matik befassen wird.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen, dass der Hohe Vertreter der GASP mit qualifizierter
Ratsmehrheit ernannt werden kann. Sie sehen ferner einen
Fortschritt darin, dass der Ratsvorsitz nunmehr grundsätz-
lich durch qualifizierten Ratsbeschluss ermächtigt werden

Drucksache 14/7172 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

kann, mit anderen Staaten oder internationalen Organisatio-
nen Übereinkommen im Rahmen der zweiten und dritten
Säule zu verhandeln und abzuschließen. Die Abschaffung
des faktischen Vetorechts einzelner Mitgliedstaaten stärkt
die Handlungsfähigkeit der EU.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werten es als Fortschritt, dass weitere Teilbereiche der In-
nen- und Justizpolitik in die qualifizierte Mehrheit überführt
wurden. Sie bemerken allerdings, dass die verschiedenen
Verfahrensstufen beim Übergang zur Mehrheitsentschei-
dung nicht zur Transparenz beitragen. Die Verschachtelung
der einzelnen Vorschriften macht schwer nachvollziehbar,
welche Vorschriften sich in welcher Phase der Übergangs-
vorschriften befinden. Trotz der zeitlichen Verschiebung
und der Konditionierung sind aber weitere Schritte zur Stär-
kung der Handlungsfähigkeit der EU unternommen worden.
Positiv ist, dass direkt mit Inkrafttreten des Nizza-Vertrages
Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in
Zivilsachen mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden.
Mittelfristig ist wünschenswert, Mehrheitsentscheidungen
auch für familienrechtliche Aspekte einzuführen.
Begrüßenswert ist ferner, dass ab dem 1. Mai 2004 Maß-
nahmen zur Kontrolle an den Außengrenzen, zur Reisefrei-
heit für Drittstaatsangehörige, zur illegalen Einwanderung
sowie zur Zusammenarbeit mit Dienststellen der Mitglied-
staaten mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden.
Diese Maßnahmen erlauben der Europäischen Union, sub-
stanzielle Fortschritte in der Migrationspolitik zu erzielen.
Bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik müssen zunächst noch
gemeinsame Regeln und Grundsätze angenommen werden,
bevor sie ebenfalls in die qualifizierte Mehrheitsentschei-
dung überführt wird.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
dauern allerdings, dass in diesen wichtigen Politikbereichen
das Europäische Parlament bislang nur angehört wird. In die
richtige Richtung dagegen geht der qualifizierte Mehrheits-
entscheid bei der Freizügigkeit der Unionsbürgerinnen und
Unionsbürger. Auch hier ist allerdings mittelfristig wün-
schenswert, dass die noch bestehenden Ausnahmen wie
z. B. für Pässe, Personalausweise, Aufenthaltsgenehmigun-
gen beseitigt werden.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
tonen, dass der gemeinsamen Handelspolitik, insbesondere
vor dem Hintergrund der anstehenden Verhandlungen im
WTO-Rahmen, besondere Bedeutung zukommen. Hier ist
die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in beson-
derem Maße gefordert. Leider trägt der neue Artikel 133
EG-Vertrag dem nicht Rechnung. Es drängt sich der Ein-
druck auf, dass die Vorschrift insgesamt erheblich komple-
xer geworden ist und die Handlungsfähigkeit der Europäi-
schen Union nicht wirklich gestärkt hat.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen, dass künftig die Entscheidungen zu Struktur- und
Kohäsionsfonds mit qualifizierter Mehrheit getroffen wer-
den. Sie bedauern jedoch, dass der Übergang zur qualifizier-
tenMehrheit erst für die übernächste finanzielle Vorausschau
vereinbart werden konnte. Dies gibt den Hauptempfänger-
ländern eine relativ starke Stellung bei den Verhandlungen
über die nächste finanzielle Vorausschau. Vor diesemHinter-

grund ist wichtig, dass der Vertrag von Nizza keine Vorgaben
hinsichtlich des Zeitraums für die nächste finanzielle Voraus-
schau macht.
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stel-
len fest, dass die Reform des Abstimmungsmodus im Rat
angesichts der schwierigen Materie europapolitisch insge-
samt einen befriedigenden Kompromiss darstellt. Aus deut-
scher Sicht ist das Ergebnis erfreulich, weil künftig den de-
mografischen Verhältnissen in der Europäischen Union
besser Rechnung getragen wird. Damit wird auch die demo-
kratische Legitimation der Ratsentscheidungen verbessert.
Gleichzeitig ist es gelungen, das sensible Gleichgewicht
insbesondere zwischen den bevölkerungsreicheren Mit-
gliedstaaten zu wahren. Nachdem die Abstimmung mit qua-
lifizierter Mehrheit durch den Vertrag von Amsterdam und
den Vertrag von Nizza deutlich ausgeweitet worden ist, sind
diese Reformen zur Stärkung der demokratischen Legitima-
tion der Entscheidungen der Räte besonders vordringlich
gewesen.
Insgesamt ist das Entscheidungsverfahren im Rat durch die
Reformen komplexer geworden. Nicht auszuschließen ist,
dass künftig mehr Möglichkeiten für Sperrminoritäten ent-
stehen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Neurege-
lung in der Praxis auswirkt.

CDU/CSU:
Die wichtigste Frage von Nizza, die Erleichterung der Ent-
scheidungsfindung im Rat durch die Einführung von Mehr-
heitsabstimmungen, haben die Regierungschefs nur im
Schnelldurchgang behandelt. Die Ergebnisse sind ausge-
sprochen dürftig. Im Vordergrund stand in Nizza nie die
Überlegung „wie entscheiden?“, sondern immer „wie blo-
ckieren?“. Die Ergebnisse zur Stimmengewichtung im Rat
bilden daher einen traurigen Tiefpunkt in der Geschichte
des Europäischen Rats. Altes nationales Prestigedenken,
kurzsichtiges Feilschen und auch hier ein Denken in Kate-
gorien der Blockaden statt der Entscheidungen bestimmten
die Debatte. Die Mitglieder des Europäischen Rats haben
unfreiwillig die grundlegende Reformbedürftigkeit dieses
Gremiums offenbart. Ein so arbeitender Europäischer Rat
ist weder reif für die bestehende noch für eine erweiterte
Union.
Im konkreten Ergebnis wird nur in 24 Fällen mit Inkrafttre-
ten des Vertrags von Nizza im Rat vom Einstimmigkeits-
zwang zum Mehrheitsverfahren übergegangen werden, teil-
weise allerdings erst ab den Jahren 2007 bzw. 2014.
Die Fraktion der CDU/CSU bemängelt hinsichtlich der Be-
stimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusam-
menarbeit in Strafsachen, dass es nach dem EU-Vertrag bei
der nahezu flächendeckenden Einstimmigkeit bleibt. Die
Regierungschefs haben Mehrheitsabstimmungen in diesem
Bereich in Nizza gar nicht erst ernsthaft erörtert.
Die Fortschritte bei Visa, Asyl, Einwanderung und anderen
Politiken betreffend den freien Personenverkehr nach dem
EG-Vertrag sind nur minimal. Überwiegend bedürfen die
wenigen Fälle des Übergangs zu Mehrheitsabstimmungen
zuvor einstimmiger Beschlüsse des Rats. Ob und wann der
Rat dieses beschließen wird, ist nicht absehbar.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/7172

FDP:
Entscheidend wäre es gewesen, die Abstimmung mit quali-
fizierter Mehrheit im Rat zum Prinzip zu erheben. Das
kleinliche Beharren auf dem Vetorecht zum Schutz ver-
meintlicher nationaler Interessen hat in Wirklichkeit nur be-
scheidene Fortschritte erlaubt, die durch Einführung eines
dreifachen Mehrheitsmechanismus zum Teil konterkariert
werden. Dadurch wird die Handlungsfähigkeit der Union
nicht nur nicht verbessert, sondern gegenüber dem bisheri-
gen Verfahren sogar verschlechtert. Ziel hätte sein müssen,
das Prinzip der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen
im Rat durchzusetzen, vor allem in den Bereichen der Han-
dels-, Sozial- und Strukturpolitik, aber auch in der Asyl-
und Flüchtlingspolitik, und das damit einhergehende Mit-
entscheidungsrecht des Europäischen Parlaments zu stär-
ken.
PDS:
Die Fraktion der PDS stellt fest, dass das angestrebte Ziel
der Vereinfachung der Entscheidungsprozesse nicht nur ver-
fehlt, sondern ins Gegenteil verkehrt wurde. Das Ergebnis
ist nicht nur komplizierter und intransparenter als der bishe-
rige Entscheidungsmodus, es erschwert künftige Mehrheits-
entscheidungen. Einerseits liegt die Hürde für die Annahme
von Beschlüssen nach den Beitritten mit 74 % sehr hoch,
andererseits ermöglicht es wegen des dreifachen und damit
insgesamt deutlich niedrigeren Schwellenwertes für Sperr-
minoritäten die Blockade durch nur zwei große Staaten, was
einem Vetorecht sehr nahe kommt.
Positiv an der Entscheidung zur Stimmgewichtung im Rat
ist seitens der Fraktion der PDS lediglich zu werten, dass in
einem Protokoll über die Erweiterung der Union des Vertra-
ges von Nizza den Beitrittsländern ihre Stimmen bereits zu-
geteilt wurden. Gleiches trifft auf die Anzahl der Abgeord-
neten für das Europäische Parlament, die Zahl der Vertreter
im Wirtschafts- und Sozialausschuss und im Ausschuss der
Regionen zu. Damit wurden seitens der EU die formellen
Voraussetzungen für ihren Beitritt zur Europäischen Union
geschaffen.
Angesichts der Tatsache, dass bald 20 und mehr Staaten
Mitglied der Europäischen Union sein werden, galt es, für
die künftige Handlungsfähigkeit der Union die Mehrheits-
entscheidung zum Prinzip und Einstimmigkeitsvoten zur
Ausnahme zu machen. Dies ist auf Grund vieler nationaler
Egoismen der Mitgliedstaaten nicht gelungen. Erreicht
wurde ein Übergang zur qualifizierten Mehrheitsentschei-
dung in 35 Fällen, wobei einige längere Übergangsfristen
haben bzw. einstimmig beschlossen werden müssen. Zu-
sätzlich werden mit qualifizierter Mehrheit nach Inkrafttre-
ten des Vertrages der Kommissionspräsident und das Kolle-
gium ernannt. In Kernbereichen der EU-Politik jedoch, wie
der Steuer-, Umwelt- oder Sozialpolitik, der Außen- und Si-
cherheitspolitik, wurden entweder keine oder nur geringfü-
gige Änderungen vorgenommen. Die Ergebnisse in diesem
Bereich sind völlig unbefriedigend. Sie werden zukünftige
Entscheidungen in der EU behindern, ihre Handlungsfähig-
keit einschränken. Die Fraktion der PDS tritt – wie bereits
in ihrem Antrag zum Europäischen Rat von Nizza ausge-
führt – für die Mehrheitsentscheidung im Rat als Regel ein.
Ausnahmen davon sollten explizit festgelegt werden. Zu ih-
nen sollten Vertragsveränderungen, Finanzpolitik sowie Si-

cherheits- und Verteidigungspolitik gehören. Alle Mehr-
heitsentscheidungen im Rat müssen an die Mitentscheidung
durch das Europäische Parlament gebunden werden.
b) Europäisches Parlament
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrü-
ßen, dass durch den Vertrag von Nizza auch die Mitentschei-
dungsrechte des Europäischen Parlaments ausgeweitet wor-
den sind. Gleichzeitig bedauern die Koalitionsfraktionen,
dass in Bereichen, in denen die Mitentscheidung des Euro-
päischen Parlaments bereits vorgesehen war, durch zusätzli-
che Bestimmungen der Anwendungsbereich der Mitent-
scheidung eingeschränkt worden ist (z. B. Artikel 18 EGV,
Freizügigkeit der Unionsbürger). Um die demokratische Le-
gitimation der europäischen Gesetzgebung zu stärken, sollte
im Rahmen der Regierungskonferenz 2004 das Mitentschei-
dungsverfahren auf weitere Bereiche ausgedehnt werden.
Der Vertrag von Nizza hat auch die auf Grund der Erweite-
rung notwendige Neuverteilung der Sitze im Europäischen
Parlament geregelt. Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN unterstreichen, dass die künftige Sitzvertei-
lung dem Grundsatz der Repräsentativität besser Rechnung
trägt. Mit dieser Reform ist gerade für die Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland eine repräsentativere Vertretung im
Europäischen Parlament gewährleistet. Dies ist ein wichti-
ger Erfolg für die deutsche Europapolitik. Die Koalitions-
fraktionen stellen fest, dass insbesondere Ungarn und die
Tschechische Republik im Verhältnis zu ähnlich bevölke-
rungsstarken Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach
dem Vertrag von Nizza über weniger Sitze im Europäischen
Parlament verfügen. Dies ist nicht hinnehmbar. Die Koali-
tionsvertreter erwarten deshalb, dass im Rahmen der Ab-
schlussverhandlungen über die Beitrittsverträge die notwen-
dige Gleichbehandlung bei der Sitzverteilung zwischen
alten und neuen Mitgliedstaaten sichergestellt wird. Die
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betonen
zudem, dass künftig der Rat mit qualifizierter Mehrheit und
das Europäische Parlament im Mitentscheidungsverfahren
über das Abgeordnetenstatut des Europäischen Parlaments
und das Statut über die europäischen politischen Parteien be-
schließen müssen.
CDU/CSU:
Bei der Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Organe
der EU, und hier insbesondere beim Europäischen Parla-
ment, gibt es nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU
nur Fortschritte in bescheidenem Umfang.
Positiv zu bewerten sind eine gewisse Ausweitung der
Rechte des Europäischen Parlaments: die Übertragung der
vollen gesetzgeberischen Kompetenzen auf das EP durch
das Recht auf Mitentscheidung, allerdings in nur sechs Fäl-
len; eine wohl erst 2009 eintretende, stärker proportionale
Zusammensetzung des Europäischen Parlaments; eine ge-
ringfügig stärkere Berücksichtigung der Bevölkerungszahl
bei der Stimmengewichtung im Rat sowie eine Stärkung der
Rolle für europäische politische Parteien.
Negativ bewertet die Fraktion der CDU/CSU die Verweige-
rung des Rechts auf Mitentscheidung in zahlreichen Fällen
selbst dort, wo der Rat mit qualifizierter Mehrheit entschei-
det.

Drucksache 14/7172 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Vertrag von Nizza auch
für das EP einen nahezu völligen Stillstand bedeutet. Das
Europäische Parlament bekam die Problematik der Methode
Regierungskonferenz besonders nachhaltig zu spüren: Be-
amte und Regierungen haben an starken Parlamenten und
an Transparenz im allgemeinen kein ausgeprägtes Interesse.
Sie empfinden auf europäischer Ebene eine parlamentari-
sche Demokratie offensichtlich eher als lästig. Das Gebot
der Gewaltenteilung war ihnen bei ihren Entscheidungen
nicht gegenwärtig.

FDP:
Der Vertrag von Nizza hätte die demokratische Legitimität
der EU stärken sollen. Dazu wäre eine Stärkung der Mitent-
scheidungsrechte des EP notwendig gewesen. Stattdessen
ist durch die Anhebung der Schwelle für die qualifizierte
Mehrheitsentscheidung im Rat die Mitentscheidungsbefug-
nis des EP eher beschränkt worden. In der Frage der Sitz-
verteilung hat sich der Rat über das EP hinweggesetzt.
Die Fraktion der FDP fordert daher, parallel mit der prinzi-
piellen Einführung der Mehrheitsabstimmung im Rat auch
die Mitentscheidungsrechte des EP auszuweiten. Nur wenn
sich die Bürgerinnen und Bürger der EU durch das EP, das
mit vollen parlamentarischen Rechten ausgestattet ist, wirk-
lich repräsentiert fühlen, wird die Europaskepsis wieder zu-
rückgeführt werden können.

PDS:
Die neue Sitzverteilung folgt keinem Prinzip, sondern
wurde ad hoc als Kompensation für das bei der Stimmenge-
wichtung im Rat erzielte Ergebnis festgelegt. Besonders
gravierend ist, dass Tschechien und Ungarn bei der Sitzzu-
teilung nicht gleichberechtigt behandelt werden, da sie we-
niger Sitze erhalten als Staaten mit geringerer Bevölkerung.
Die Fraktion der PDS fordert, dass diese Entscheidungen in
Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen der beiden
Staaten unbedingt zu revidieren sind. Von dieser Ausnahme
abgesehen, wurde jedoch die Proportionalität von Sitzver-
teilung und Bevölkerungszahl verbessert.
Das Europäische Parlament ist der eigentliche Verlierer im
Vertrag von Nizza. Es wurde keine generelle Kopplung der
Mehrheitsentscheidungen an die Mitentscheidung des Euro-
päischen Parlaments im legislativen Bereich vorgenommen.
Von den in qualifizierte Mehrheit überführten 35 Artikeln
darf das Europäische Parlament nur in 7 Artikeln mitent-
scheiden. Die bereits in Amsterdam in die qualifizierte
Mehrheit, aber nicht in die Mitentscheidung, überführten
Artikel, wurden auch in Nizza nicht dem Europäischen Par-
lament zur Mitentscheidung überantwortet. Damit ist das
Europäische Parlament von der Mitentscheidung in den
wichtigsten Politikbereichen, die der qualifizierten Mehr-
heitsentscheidung unterliegen bzw. dorthin überführt wer-
den, wie Gemeinsame Agrarpolitik, Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion, Wettbewerb, staatliche Beihilfen, Strukturpoli-
tik, ebenso ausgeschlossen wie bei allen einstimmig zu
treffenden Entscheidungen des Rates. Das demokratische
Defizit der EU wurde mit den Beschlüssen von Nizza weiter
vergrößert. Das ist für die Fraktion der PDS nicht akzeptier-
bar.

c) Kommission
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen, dass eine Kompromissformel gelungen sei, die die
Handlungsfähigkeit dieser integrationspolitisch so wichti-
gen Institution sichert. Zwar ist zu bedauern, dass sich die
deutsch-französische Position zur Beschränkung auf 20
Kommissare nicht hat durchsetzen lassen. Wenn auch ab
2005 jeder Mitgliedstaat ein Mitglied der Kommission be-
nennen darf und gleichzeitig die Kommissionsgröße nicht
festgelegt ist, so wird zumindest von dem Zeitpunkt an, da
die EU 27 Mitgliedstaaten umfasst, ein Rotationsmodell
eingeführt, damit die Zahl der Kommissionsmitglieder unter
der Zahl der Mitgliedstaaten liegt. Diese stufenweise Re-
form geht in die richtige Richtung und der Weg für die EU-
Erweiterung ist somit frei gemacht. Positiv ist, dass sowohl
der Kommissionspräsident als auch das Kollegium durch
qualifizierten Mehrheitsentscheid ernannt werden. Ein
durch erweiterte Organisations-, Weisungs- und Entlas-
sungsrechte gestärkter Kommissionspräsident kann die
(zeitweise) Vergrößerung des Organs auffangen. Wichtig ist
zudem, dass dem Kommissionspräsidenten die politische
Leitung der Kommissionstätigkeit obliegt. Insgesamt ist die
Kommission nun so ausgestaltet, dass sie auch weiterhin
ihre Funktion als Initiativ- und Implementierungsorgan
wahrnehmen kann.
CDU/CSU:
Die Fraktion der CDU/CSU stellt fest, dass die Stellung der
Kommission in Nizza nicht aufgewertet wurde. Eher gibt es
einen Trend zum Aufbau von parallelen Strukturen an der
Kommission vorbei, sei es für die Außen- und Sicherheits-
politik, sei es bei der verstärkten Zusammenarbeit.
Die Entscheidungen von Nizza haben die Kommission im
Ergebnis allerdings institutionell gestärkt. Zwar wird ihre
Größe zunächst nicht wesentlich begrenzt. Das neue Wahl-
verfahren erhöht aber das politische Gewicht der Kommis-
sion. Außerdem werden die politische Autorität des Präsi-
denten der Kommission im Vertrag untermauert und
gleichwohl das Kollegialprinzip erhalten.
Politisch weit blickend und konstitutionell folgerichtig wäre
es gewesen, wenn das Zusammenwirken von Europäischem
Parlament und Europäischen Rat so neu gestaltet worden
wäre, dass das EP den Präsidenten der Kommission wählt
und der Europäische Rat ihn anschließend mit Mehrheit be-
stätigt. Dieses Thema dürfte deshalb in der öffentlichen Dis-
kussion bleiben.
FDP:
Die Fraktion der FDP spricht sich für eine Begrenzung der
Anzahl auf 15 Kommissare aus. Mit Blick auf die Erweite-
rung muss die Europäische Kommission zu einer effektiven
europäischen Exekutive weiterentwickelt werden, die sich
nach dem Ressortprinzip strukturiert und vom Europäischen
Parlament gewählt und kontrolliert wird.
PDS:
Aus Sicht der Effizienz und der vertraglich definierten Rolle
der Kommission ist die erzielte Lösung nicht optimal. Die
Fraktion der PDS hatte sich deshalb für eine kleinere Kom-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/7172

mission ausgesprochen. Sie hat jedoch Verständnis dafür,
dass die neuen Mitgliedstaaten zunächst durch einen eige-
nen Kommissar in der Kommission vertreten sein wollen.
Insgesamt wurden weder die Rolle der Kommission gegen-
über dem Rat gestärkt, noch wird sie demokratisch legiti-
miert. Gestärkt wurde die Rolle des Kommissionspräsiden-
ten. Er darf zukünftig sowohl sein Kabinett umbilden als
auch Kommissionsmitglieder entlassen. Präsident und Kol-
legium können künftig vom Europäischen Rat mit qualifi-
zierter Mehrheit benannt werden. Gleiches trifft für den Ge-
neralsekretär des Rates und seinen Stellvertreter zu. Die
Fraktion der PDS wertet dies als Fortschritt, tritt aber lang-
fristig dafür ein, dass die gesamte Kommission vom Euro-
päischen Parlament gewählt wird.

d) Europäischer Gerichtshof/Gericht 1. Instanz
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
werten die Reform der europäischen Gerichtsbarkeit als
sehr gelungen. Der Vertrag von Nizza erlaubt die Bildung
spezialisierter Kammern und ermöglicht damit insgesamt
eine Entlastung der Gerichte. Notwendig ist auch die deutli-
che Aufwertung des Gerichts erster Instanz gewesen. Es be-
steht künftig die Möglichkeit, den Zuständigkeitsbereich
des Gerichts erster Instanz auf die meisten der Direktklagen
sowie auf das Vorabentscheidungsverfahren auszuweiten.
Dadurch erhofft man sich eine deutliche Entlastung des
Europäischen Gerichtshofes (EuGH).
Richtig ist, dass auch das EP eine Anklagsberechtigung für
das Vertragsverletzungsverfahren bekommt und somit der
Kommission und den Mitgliedstaaten gleichgestellt wird.
CDU/CSU:
Zu den wenigen, wirklich gelösten institutionellen Fragen
gehört eine grundlegende Reform des europäischen Ge-
richtssystems. Durch den Vertrag von Nizza wird die Auf-
gabenverteilung zwischen EuGH und Gericht erster Instanz
verbessert, die Arbeitseffizienz des EuGH durch Aufwer-
tung seiner Kammern erhöht und die Qualität der Entschei-
dungen durch die Möglichkeit der Bildung gerichtlicher
Kammern für besondere Sachgebiete verbessert.
Die Reform bereitet das Gerichtssystem der Union gut auf
die Erweiterung vor. Sie wird die Verfahren beschleunigen
und die aufgestaute Zahl offener Altfälle abbauen helfen.
Nachbesserungsbedürftig sind nur die sieben verbliebenen
Fallgruppen des Einstimmigkeitszwangs – selbst bei übli-
cherweise wenig problematischen Ernennungen von Rich-
tern.
FDP:
In einem Bereich konnten gewisse Fortschritte erzielt wer-
den: bei der Reform des Rechtsprechungssystems der EU.
Das Gericht erster Instanz wurde aufgewertet und mit der
Einrichtung gerichtlicher Kammern arbeitsfähiger. Mit der
Zuständigkeitsabgrenzung zwischen EuGH und Gericht ers-
ter Instanz im Vertrag ist das Rechtsprechungssystem zu-
dem übersichtlicher geworden.

PDS:
Eine wirkliche Reform, nicht nur die formelle Aufnahmefä-
higkeit der Beitrittskandidaten, sondern auch die Aufrecht-
erhaltung und Verbesserung der Handlungsfähigkeit, ist be-
züglich des EuGH und des Gerichts 1. Instanz gelungen. Es
wurden gesonderte Kammern für das Gericht 1. Instanz ge-
schaffen sowie spezielle gerichtliche Kammern für be-
stimmte Klagearten. Jeder Mitgliedstaat stellt je einen Rich-
ter für den EuGH und das Gericht 1. Instanz, die durch die
Mitgliedstaaten für sechs Jahre ernannt werden; Wiederer-
nennung ist möglich. Die diesbezüglich gefassten Be-
schlüsse kommen den Forderungen des Europäischen Parla-
mentes in wesentlichen Punkten entgegen. Von besonderer
Bedeutung ist die Gleichstellung des Europäischen Parla-
ments mit dem Rat und der Kommission hinsichtlich des
Klagerechtes vor dem EuGH in Artikel 230 EG-Vertrag.
Mit diesen Vertragsänderungen ist die Fraktion der PDS
einverstanden. Für die Fraktion der PDS wäre es jedoch im
Zusammenhang mit der geforderten Einklagbarkeit der Eu-
ropäischen Grundrechtecharta notwendig gewesen, beim
EuGH auch eine eigene Kammer zu schaffen, bei der Bür-
gerinnen und Bürger, die in der Europäischen Union leben,
wegen Verletzung von individuellen Grundrechten klagen
können.

e) Europäischer Rechnungshof, Wirtschafts- undSozialausschuss, Ausschuss der Regionen
CDU/CSU:
Die Änderungen der vertraglichen Grundlagen für den
Rechnungshof, den Wirtschafts- und Sozialausschuss
(WSA) und den Ausschuss der Regionen (AdR) sind nach
Auffassung der CDU/CSU-Fraktion leider politisch wenig
bedeutsam. Die während der Regierungskonferenz verein-
zelt vorgeschlagene Abschaffung des WSA wurde nicht
ernsthaft geprüft. Die Fortschritte sind hier nur als minimal
zu bezeichnen.
Als neue Höchstgrenze für WSA und AdR werden 350 Mit-
glieder festgelegt. Das Erweiterungsprotokoll bestimmt die
Verteilung der Sitze für die alten und neuen Unionsländer.
Zu kritisieren ist, dass in beiden Institutionen Malta gegen-
über Luxemburg diskriminiert wird.

PDS:
Die Fraktion der PDS begrüßt, dass im Wirtschafts- und So-
zialausschuss und im Ausschuss der Regionen die Anzahl
der Sitze mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung auf
350 angehoben wurde. Positiv ist auch, dass die Ernennung
der Mitglieder auf Vorschlag der Mitgliedstaaten durch den
Rat mit qualifizierter Mehrheit erfolgt. Beim Wirtschafts-
und Sozialausschuss wurde seine Funktion als Vertretung
der organisierten Bürgergesellschaft explizit im Vertrag ver-
ankert. Die Bedeutung des Ausschusses der Regionen
wurde aufgewertet, da seine Mitglieder zukünftig über ein
politisches Mandat verfügen müssen bzw. einem politischen
Gremium gegenüber politisch verantwortlich sein müssen.
Allerdings wurde seine Stellung nicht gestärkt, was vom
Bundesrat in seiner Stellungnahme entsprechend kritisch
vermerkt wurde.

Drucksache 14/7172 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

3. Verstärkte Zusammenarbeit
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ma-
chen deutlich, dass es erfreulicherweise gelungen ist, bei
der verstärkten Zusammenarbeit einen wesentlichen Durch-
bruch zu erzielen. Die verstärkte Zusammenarbeit kann jetzt
durch einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit eingelei-
tet werden, so dass Vetorechte von einzelnen Mitgliedstaa-
ten nun zumindest in der 1. und der 3. Säule ausgeschlossen
sind. Auch in einigen Bereichen der GASP ist das Instru-
ment der verstärkten Zusammenarbeit nun leichter anwend-
bar. Zudem sind nach der Erweiterung nur acht Mitglied-
staaten für eine verstärkte Zusammenarbeit erforderlich.
Dies gibt mehr Flexibilität.
CDU/CSU:
Die Hürden für die Einleitung einer verstärkten Zusammen-
arbeit werden vom Vertrag von Nizza herabgesetzt. Sie sind
aber nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU immer
noch hoch. Das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit
wird zukünftig auch für Teilbereiche der Außen- und
Sicherheitspolitik anwendbar. Ein Vetorecht einzelner
Unionsländer gibt es nur noch in der Außen- und Sicher-
heitspolitik, aber nicht mehr im vergemeinschafteten Be-
reich, also im EG-Vertrag, sowie in der Justiz- und Innen-
politik des EU-Vertrags. Die Mindestzahl von teilneh-
menden Ländern wird auf acht festgeschrieben. Mit jedem
künftigen Beitritt wird die Schwelle damit – relativ betrach-
tet – niedriger.
Die Verfahren sind allerdings deutlich zu kompliziert, was
auch daran liegt, dass für die drei Säulen der EU, also für
den Bereich des EG-Vertrags, für die Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik und für die Justiz- und Innenpolitik,
jeweils unterschiedliche Verfahren gelten.
FDP:
Der Auslösemechanismus für die verstärkte Zusammen-
arbeit ist erleichtert worden. Dies mag man als einen Fort-
schritt ansehen. Die Fraktion der FDP warnt aber davor, die
Erleichterung bei der verstärkten Zusammenarbeit als Alibi
für das Scheitern der prinzipiellen Einführung des Mehr-
heitsprinzips bei den Abstimmungen im Rat zu missbrau-
chen. Die verstärkte Zusammenarbeit kann in Einzelfällen,
wie schon bisher, die Integration der EU vorantreiben. Bei
ihrer Ausweitung besteht aber die Gefahr, dass die zentrifu-
galen Kräfte in der EU überhand nehmen und die Integra-
tion im ganzen Schaden nimmt.
PDS:
Die erst in Amsterdam in die Verträge eingeführte ver-
stärkte Zusammenarbeit wird erleichtert. Die Möglichkeit
eines Vetos beim Auslösemechanismus für die erste und
dritte Säule wurde abgeschafft. Gleichzeitig wurde die Min-
destteilnehmerzahl unabhängig von der Zahl der Mitglied-
staaten auf 8 festgelegt. Bisher musste die Mehrheit der
Mitgliedstaaten teilnehmen. Ausgedehnt wurde die Mög-
lichkeit der verstärkten Zusammenarbeit auf die zweite
Säule des EU-Vertrages. Allerdings wird sie beschränkt auf
die Implementierung von gemeinsamen Standpunkten und

Aktionen; sie gilt nicht für Maßnahmen mit militärischen
oder verteidigungspolitischen Bezügen. Dies ist für die
Fraktion der PDS ein positiver Aspekt. Das Europäische
Parlament wird beim Auslösemechanismus unterschiedlich
beteiligt. Im Bereich der ersten Säule (Gemeinschaftspoliti-
ken) muss es zustimmen, in der zweiten Säule (GASP) wird
es unterrichtet, in der dritten Säule (Zusammenarbeit im Be-
reich Justiz und Recht) wird es angehört. Mit diesen Ände-
rungen rückt die Umwandlung der Europäischen Union in
eine Art Freihandelszone bei gleichzeitig erweiterter zwi-
schenstaatlicher Zusammenarbeit von jeweils einigen Staa-
ten in gemeinsam interessierenden Politikbereichen in den
Bereich des Möglichen. Kerneuropakonzepte wären damit
im Rahmen der EU auch institutionalisiert durchführbar.
Die Regelungen für die verstärkte Zusammenarbeit verstär-
ken die Gefahr eines „Mehrklasseneuropas“. Solche Ent-
wicklungen lehnt die Fraktion der PDS ab. Sie sieht zwar
die Schwierigkeiten, die europäische Integration mit 20 und
mehr Mitgliedstaaten fortzuführen, hält aber den Weg der
verstärkten Zusammenarbeit als Regel für falsch. Ihrer An-
sicht nach kann dies nur in wenigen Ausnahmefällen eine
Möglichkeit sein, wobei das Europäische Parlament bei je-
der Entscheidung zur verstärkten Zusammenarbeit grund-
sätzlich mitentscheiden muss, weil sonst die Integration
durch zwischenstaatliche Zusammenarbeit oder ein Kerneu-
ropa ersetzt, zumindest aber geschwächt wird. Der zukünf-
tige Weg der weiteren europäischen Integration besteht für
die PDS in der Mehrheitsentscheidung als Regel bei Mitent-
scheidung durch das Europäische Parlament.

4. Weitere Reformen
a) Vertragsverletzungsverfahren (Artikel 7 Abs. 1 EUV)
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen, dass der Vertrag von Nizza klare Regelungen für
den Fall enthalte, dass ein Mitgliedstaat die Grundsätze der
Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte
und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit zu verlet-
zen drohe. Damit ist es nun möglich, unterhalb der Ebene
der Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten politisch im
EU-Rahmen aktiv zu werden, wenn eine eindeutige Gefahr
einer schwerwiegenden Verletzung der o. g. Grundsätze be-
steht.

PDS:
Hervorzuheben ist, dass Artikel 7 des EU-Vertrages um eine
Bestimmung (Absatz 1) ergänzt wurde. Danach können in
Zukunft an einen Mitgliedstaat, bei dem die Gefahr von
schwerwiegenden Verletzungen der Grundwerte der Euro-
päischen Union besteht, geeignete Empfehlungen gerichtet
werden. Dafür werden im neuen Artikel die entsprechenden
Regeln festgelegt. Er sieht für das Europäische Parlament
sowohl das Vorschlagsrecht als auch die Zustimmung vor
der Aussprechung der Empfehlung vor. Die Fraktion der
PDS begrüßt, dass die EU aus ihrem Herangehen im Fall
Österreichs gelernt hat und entsprechende Verfahrensregeln
geschaffen hat. Klar muss allerdings sein, dass diese für alle
Mitgliedstaaten gelten und auch nicht nach Interessenlage
auslegbar sind.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13 – Drucksache 14/7172

b) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik,Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen die Fortschritte, die der Vertrag von Nizza für die
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gebracht hat.
An die Stelle der WEU tritt künftig die Gemeinsame Euro-
päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Die
Europäische Union wird künftig in der Lage sein, Aufgaben
der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu überneh-
men. Der Vertrag von Nizza richtet dazu das Politische und
Sicherheitspolitische Komitee ein.
CDU/CSU:
Die Regierungschefs haben diesen Politikbereich nach Auf-
fassung der Fraktion der CDU/CSU, in dem es derzeit be-
sonders dynamische Entwicklungen gibt, in Nizza stark ver-
nachlässigt. Sie haben die Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik in ihrer „Erklärung zur Zukunft der
Union“ nicht einmal in den Themenkatalog für die nächste
EU-Reform 2004 aufgenommen.
Die EU braucht aber dringend eine gemeinschaftliche
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es gibt nicht
zu viel, sondern immer noch zu wenig Europa. Eine eigen-
ständige europäische Verteidigung darf allerdings die über-
ragende Bedeutung der Atlantischen Allianz nicht beein-
trächtigen. Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen
Europäischer Union und NATO muss daher weiter vertieft
werden.
Der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicher-
heitspolitik muss nach Auffassung der Fraktion der CDU/
CSU gegenüber dem Rat gestärkt werden. Er sollte gemein-
sam mit dem für Außenpolitik zuständigen Kommissar die
Europäische Union nach außen vertreten. Auf Dauer sind
beide Funktionen in einer Person zusammenzuführen. Der
rotierende Vorsitz im Ministerrat hat sich als ungeeignet er-
wiesen, der Europäischen Union Stimme und Gewicht in
der Welt zu verleihen. Die Vertretung der Europäischen
Union vor Ort in Drittstaaten ist daher vollständig der Euro-
päischen Kommission zu übertragen.
Notwendig ist die vollständige Überführung der Westeuro-
päischen Union in die Europäische Union. Die parlamenta-
rische Kontrolle und Begleitung ihrer Aufgaben kommt
dem Europäischen Parlament zu. Entscheidungen über den
Einsatz von nationalen Streitkräften müssen in der alleini-
gen Zuständigkeit der nationalen Parlamente verbleiben.
Die wichtigste Aufgabe der Europäischen Union im Bereich
Sicherheit und Verteidigung ist es, umgehend die für eine
erfolgreiche, eigenständige Krisenbewältigung erforderli-
chen militärischen Fähigkeiten zu erwerben und auszu-
bauen. Dazu gehören insbesondere ausreichende eigene
Lufttransport- und Seetransportkapazitäten, sowie Füh-
rungs-, Kommunikations- und umfassende, satellitenge-
stützte Aufklärungskapazitäten. Das Potenzial von gemein-
samer Aufgabenwahrnehmung und Rollenspezialisierung
im europäischen Verbund muss weiter ausgeschöpft wer-
den. Die Europäische Union sollte friedenserhaltende und
friedensschaffende Einsätze allerdings nur dann durchfüh-
ren, wenn nicht die NATO als Ganzes entsprechende Maß-
nahmen ergreift. Die Europäische Union braucht gemein-

same Streitkräfte als Grundlage einer europäischen Armee
mit einer gemeinsamen Rüstungspolitik noch vor Ende die-
ses Jahrzehnts.
FDP:
Die mit dem Vertrag von Nizza ermöglichte Ernennung des
Hohen Vertreters für die GASP mit qualifizierter Mehrheit
ist ein Fortschritt, reicht aber noch nicht aus. Vor allem die
fortbestehende Trennung der Aufgaben- und Kompetenzbe-
reiche des Hohen Vertreters und des Kommissars für die
Außenbeziehungen ist ein Hindernis für die EU, effizient
und nachhaltig auf der internationalen Bühne zu agieren.
Dieses Hindernis muss bei der nächsten institutionellen Re-
form beseitigt werden.
PDS:
Die Fraktion der PDS hat bereits die im Amsterdamer Ver-
trag niedergelegte Ausrichtung der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik abgelehnt, weil durch die Übernahme
der Petersberg-Aufgaben das Tor für eine militärisch domi-
nierte Gestaltung der Außenbeziehungen weit geöffnet
wurde. Auf der Basis dieses Vertrages hat die EU die Ge-
meinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik (GESVP) formuliert, in Helsinki die militärischen Ziel-
vorgaben (European Headline Goals) festgelegt und auf
dem Europäischen Rat von Nizza das politische und militä-
rische Instrumentarium verfeinert. Damit haben sich unsere
Befürchtungen von 1998 bestätigt. Die in Feira beschlosse-
nen Krisenreaktionskräfte der EU haben einen Umfang von
60 000 Soldaten, der deutsche Anteil beträgt 18 000 Solda-
ten. Die bislang fehlenden militärischen Fähigkeiten für
diese Art von Krisenbewältigung bedingen eine qualitative
Aufrüstung, die allein in Deutschland mehr als 200 Mrd.
DM innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre an zusätzlichen
Rüstungsausgaben erfordern würde. Diese Mittel fehlen
dann beim Ausbau von zivilen Instrumenten der Konfliktre-
gelung, die ebenfalls zu den Petersberg-Aufgaben gehören.
Dies zeigt sich bereits jetzt exemplarisch bei dem Höchst-
satz von 12 Mio. Euro pro Einzelmaßnahme für zivile Kon-
fliktregelungen, wie sie die EU-Sonderfazilität für Krisen-
einsätze vorsieht. Die Fraktion der PDS tritt dafür ein, dort
den Schwerpunkt bei der Gestaltung der Außenbeziehungen
zu legen und die EU als Zivilmacht auszubauen, die auf ihre
Fähigkeiten der diplomatischen Vermittlung, des wirtschaft-
lichen Interessenausgleichs und der umfassenden Koopera-
tion setzt.
c) Eurojust
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stel-
len fest, dass Eurojust nun erstmals in den Europäischen
Verträgen verankert wurde. Eurojust soll Europol ergänzen
und die europäischen Strafverfolgungsbehörden koordinie-
ren. Die Koalitionsfraktionen bedauern, dass die volle par-
lamentarische und justizielle Kontrolle von Eurojust und
Europol noch nicht erreicht werden konnte.
FDP:
Die Fraktion der FDP begrüßt, dass Eurojust in den EU-Ver-
trag aufgenommen und die Förderung der justiziellen Zu-
sammenarbeit durch Eurojust in Artikel 31 Abs. 2 festgelegt

Drucksache 14/7172 – 14 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

worden ist. Das ist jedoch noch zu wenig. Da die Einrich-
tung von Eurojust im Wege der intergouvernementalen Zu-
sammenarbeit, also in der 3. Säule erfolgen muss, gibt es
tatsächlich außer einer politischen Einigung noch keine
konkreten Umsetzungen. Es fehlt u. a. die Festlegung der
Zuständigkeit von Eurojust, so dass auch die formelle Ein-
richtung keine Verbesserung bringen kann. Es fehlt auch die
rechtsstaatliche Kontrolle von Eurojust und seine Überfüh-
rung in das Gemeinschaftsrecht.
PDS:
In den Artikeln 29 und 31 EU-Vertrag wird die Europäische
Stelle für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) in die Ver-
träge eingeführt und in Artikel 31, A 2 die Förderung der
Zusammenarbeit von Eurojust durch den Rat näher ausge-
führt. Die Fraktion der PDS unterstützt die Schaffung von
Eurojust, ist jedoch der Ansicht, dass diese Bestandteil des
Gemeinschaftsrechts und nicht zwischenstaatlicher Zusam-
menarbeit sein sollte und von den Organen der EU ein-
schließlich des Europäischen Parlaments kontrolliert wer-
den muss.

5. Erklärung Nummer 23 zur Zukunft der EU
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werten die Erklärung zur Zukunft der Union als eine der
größten Chancen des Nizza-Vertrags. Die Bundesregierung
hat hiermit eine der zentralen deutschen Forderungen
durchsetzen können. Mit dieser Erklärung ist sichergestellt,
dass eine breite und nachhaltige Debatte über die zukünftige
Entwicklung der EU erfolgte, bevor 2004 eine neue Regie-
rungskonferenz einberufen wird. Sie ermöglicht zudem, die
Ausarbeitung einer europäischen Verfassung voranzutrei-
ben und in diesem Rahmen auch den Vertrag von Nizza
weiterzuentwickeln. Die vier in der Erklärung beispielhaft
genannten Themenbereiche – Kompetenzabgrenzung, Ver-
einfachung der Verträge, Status der Grundrechtecharta und
die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Eu-
ropas – sollten die Grundlage für die umfassende Verfas-
sungsdebatte bilden. Darüber hinaus sollte die Stärkung des
Europäischen Parlaments, die Ausweitung der qualifizierten
Mehrheitsentscheidungen und die horizontale Gewaltentei-
lung behandelt werden.
Die Erarbeitung des Nizza-Vertrags hat aber auch gezeigt,
dass das Instrument der Regierungskonferenz zur Reform
der europäischen Verträge an seine Grenzen gestoßen ist.
Deshalb unterstreichen die Koalitionsfraktionen die Not-
wendigkeit, zur Vorbereitung der Regierungskonferenz
2004 einen Konvent nach Vorbild des Grundrechtecharta-
konvents einzusetzen (vgl. Drucksache 14/6643). Dadurch
wird die demokratische Legitimation und Transparenz bei
der Weiterentwicklung der europäischen Verträge gestärkt
werden.
Dabei kommt es entscheidend darauf an, die Zukunftsde-
batte in der Öffentlichkeit und durch wirksame Einbezie-
hung der Zivilgesellschaft zu führen.
CDU/CSU:
Zur Zukunft der EU ist die Fraktion der CDU/CSU der fol-
genden Auffassung: Der Europäische Rat von Nizza ist

übereingekommen, die Reform der Europäischen Union
fortzusetzen und hierzu im Jahre 2004 eine weitere Konfe-
renz von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten
einzuberufen. Auf dem Europäischen Rat in Laeken im De-
zember 2001 sollen geeignete Initiativen zur Fortsetzung
des Reformprozesses der EU beschlossen werden. Der
schwierige Verlauf der Beratungen vor und in Nizza hat ge-
zeigt, dass eine neuerliche Regierungskonferenz umfassend
vorbereitet werden muss, um befriedigende Ergebnisse zu
erbringen.
Zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 ist eine ra-
sche Einsetzung einer für diesen Zweck neu zu schaffenden
Versammlung („Konvent“) zur Erarbeitung des Entwurfs ei-
nes europäischen Verfassungsvertrags erforderlich. In ihr
wirken Vertreter der nationalen Regierungen, der nationalen
Parlamente und des Europäischen Parlaments sowie der Eu-
ropäischen Kommission gleichberechtigt mit. Struktur und
Arbeitsweise der Versammlung („Konvent“) müssen eine
angemessene Behandlung der einzelnen Themen gewähr-
leisten.
Die Fraktion der CDU/CSU tritt dafür ein, die mit der Vor-
bereitung der Regierungskonferenz betraute Versammlung
(„Konvent“) zu verpflichten, den Deutschen Bundestag min-
destens halbjährlich, den Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union mindestens vierteljährlich umfas-
send über Zwischenergebnisse undOptionen zu unterrichten.
Der Bundestag wird auf dieser Grundlage regelmäßig über
den Fortgang der Arbeiten debattieren. Die so angelegte
breite Diskussion in nationalen Parlamenten und im Europä-
ischen Parlament ist öffentlichkeitswirksam und muss die
Einbeziehung der Parlamente insgesamt in den Diskussions-
prozess gewährleisten. Sie ist damit ein unverzichtbares Ele-
ment zur Herstellung der Akzeptanz der EU-Reform.
Die Versammlung („Konvent“) muss gewährleisten, bis
Herbst 2003 einen Vorschlag zu erarbeiten für die zukünf-
tige Rolle der Organe der EU sowie ihr Verhältnis zueinan-
der, für eine Kompetenzabgrenzung zwischen EU einerseits
und Mitgliedstaaten andererseits, für eine Vereinfachung
der Verträge, für die zukünftige Rolle der nationalen Parla-
mente sowie für eine geeignete Integration der europäischen
Grundrechtscharta. Dazu sollten im Rahmen des Selbstor-
ganisationsrechts der Versammlung („Konvent“) entspre-
chend den Beratungsgegenständen individuell eingesetzte
Arbeitsgremien tätig werden. Die vertikale Kompetenzab-
grenzung zwischen europäischer und nationaler Ebene muss
überall dort präzisiert werden, wo Unklarheiten zu einem
Übergriff europäischer Organe in nationale Zuständigkeiten
führen. Es ist ein großer Erfolg, dass die Zustimmung zu
diesen Gedanken in der EU zugenommen hat. Die Verhand-
lungen über Korrekturen der vertikalen Kompetenzabgren-
zung sollten daher möglichst frühzeitig mit einer grundle-
genden Reform des Finanzausgleichs verbunden werden.
Die notwendige Solidarität in der Union darf nicht mehr
über Fonds und unübersehbar viele einzelne Förderpro-
gramme realisiert werden.
Die Parlamente und Regierungen der Beitrittsländer mit be-
ratender Stimme sind an der Arbeit dieser Versammlung
(„Konvent“) zu beteiligen.
Das Ergebnis der Beratungen der Versammlung („Kon-
vent“) ist zur Grundlage der Beratungen in der Regierungs-
konferenz 2004 zu machen. Zur Rechtskraft ist ein Vertrag

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 15 – Drucksache 14/7172

der letztentscheidenden Mitgliedsländer erforderlich, der
der Ratifikation durch die nationalen Parlamente bedarf.
FDP:
Das Mandat des ER Laeken für den Konvent zur Erarbei-
tung einer Europäischen Verfassung und für die Regie-
rungskonferenz 2004 muss über die in der „Erklärung zur
Zukunft der Union“ genannten Ziele hinaus erweitert wer-
den, damit die Unzulänglichkeiten des Vertrags von Nizza
noch behoben werden können. Ziel muss es vor allem sein,
das Prinzip der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen
im Rat durchzusetzen, vor allem in den Bereichen der Han-
dels-, Sozial- und Strukturpolitik, aber auch in der Asyl-
und Flüchtlingspolitik, und das damit einhergehende Mit-
entscheidungsrecht des Europäischen Parlaments zu stär-
ken.
PDS:
Wohl wissend um die Unzulänglichkeiten des Vertrages von
Nizza, wurde ihm von den Staats- und Regierungschefs eine
„Erklärung zur Zukunft der Union“ angefügt. In ihr werden
Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der Zivilge-
sellschaft aufgefordert, an einer umfassenden Diskussion
über die künftige Entwicklung der EU teilzunehmen. Als
Themen wurden bereits festgelegt: Abgrenzung der Zustän-
digkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten, Status der in
Nizza beschlossenen Grundrechtecharta, Vereinfachung der
Verträge, Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur
Europas. Der Europäische Rat in Laeken im Dezember
2001 soll entscheiden, auf welche Weise dieser Prozess ein-
geleitet werden soll. Die Fraktion der PDS bewertet die
„Zukunftserklärung“ positiv und wird sich konstruktiv in
die Diskussionen zu den genannten Themen einbringen:
So ist die Fraktion der PDS der Ansicht, dass die in Nizza
vorgelegte Agenda ergänzt werden müsse. Aus ihrer Sicht
muss es auch um die Schaffung einer europäischen Sozial-
union, die Erweiterung der Aufgaben und die demokra-
tische Kontrolle der Europäischen Zentralbank, die inhalt-
lichen Reformen von Struktur-, Landwirtschafts- und
Finanzpolitik der EU und die Beseitigung des Demokratie-
defizits der Union gehen. Die schon festgelegte Debatte zur
Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationa-
ler Ebene hat für die Fraktion der PDS ausschließlich darin
Berechtigung, zur Vereinfachung und Transparenz der
Strukturen eindeutige Abgrenzungen zu schaffen. Sie darf
auf keinen Fall dazu führen, unter dem Deckmantel von
Kompetenzabgrenzung die europäische Integration durch
Renationalisierungen aufzuweichen.
Die Fraktion der PDS wird sich besonders für die Beteili-
gung repräsentativer Vertreter der Zivilgesellschaft an der
Reformdebatte einsetzen. Deshalb unterstützt sie den Vor-
schlag der belgischen Ratspräsidentschaft für einen struktu-
rierten Dialog mit einem parallel zu organisierenden „Fo-
rum Zivilgesellschaft“.
Es ist ebenfalls ein Hauptanliegen der PDS, dass die in der
Erklärung zur Zukunft der Union vorgesehen Themen und
die von uns und anderen geforderten weitergehenden Refor-
men der EU nicht allein einer Regierungskonferenz und den
Staats- und Regierungschefs überlassen werden. Die Einbe-
rufung eines dem Konvent zur Ausarbeitung der Grund-
rechtecharta ähnlichen Gremiums zur Erarbeitung der

nächsten Vertragsänderungen, wie es auch der EU-Aus-
schuss des Deutschen Bundestages und die COSAC gefor-
dert haben, hält die Fraktion der PDS für eine gangbare
Alternative. Dabei muss gesichert sein, dass bei der Zusam-
mensetzung des Gremiums mit Parlamentariern des euro-
päischen und der nationalen Parlamente, der Regierungen
und der EU-Kommission der politische Pluralismus ge-
wahrt wird. Aus demokratischen Erwägungen heraus ist es
unverzichtbar, Vertreter der Beitrittsländer an den Arbeiten
des Gremiums und des zivilgesellschaftlichen Forums zu
beteiligen. Die Fraktion der PDS sieht im Konvent ein
eigenständiges Gremium, das selbst über seine Arbeitsweise
und seine Tagesordnung entscheiden sollte. Sie ist zugleich
der Ansicht, dass das Ziel des Konvents ein einheitlicher
Vorschlag sein sollte.

6. Charta der Grundrechte
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
grüßen, dass der Europäische Rat die Grundrechtecharta auf
dem Europäischen Rat in Nizza feierlich proklamiert hat.
Sie zeigen sich überzeugt, dass die Charta einen wichtigen
Beitrag zur Identitätsstiftung der Bürgerinnen und Bürger
mit der EU leisten wird. Es ist ein großer integrationspoliti-
scher Erfolg, dass es trotz der unterschiedlichen Verfas-
sungstraditionen gelungen ist, einen der modernsten Grund-
rechtskataloge zu schaffen.
Gleichzeitig zeigen sich die Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN enttäuscht, dass die Grundrechtsch-
arta noch nicht in die europäischen Verträge aufgenommen
und nicht rechtsverbindlich wurde. Der Status der Grund-
rechtecharta wird aber Bestandteil der Debatte über die Zu-
kunft der Union sein. Dabei wird es darauf ankommen, die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, das die Charta bald-
möglichst sowohl rechtsverbindlich als auch einklagbar
wird. Sie muss an erster Stelle in einer europäischen Verfas-
sung aufgenommen werden.
CDU/CSU:
Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union soll
nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU die auf Ebene
der Europäischen Union geltenden Grundrechte zusammen-
fassen und für die Bürger in einem einfachen und klaren
Text sichtbarer machen. Die Bestimmungen sollten so for-
muliert werden, dass sie jederzeit als verbindlicher Text in
den EU-Vertrag aufgenommen werden können und damit
für die Unionsbürger gerichtlich einklagbar werden. Eine
Überfrachtung mit bloßen politischen Zielen lehnt die Frak-
tion der CDU/CSU ab.
FDP:
Die Fraktion der FDP begrüßt, dass der Konventsentwurf
der EU-Grundrechte-Charta vom ER Nizza feierlich prokla-
miert wurde. Die EU als Wertegemeinschaft, die die Rechte
der Bürgerinnen und Bürger stärken muss, braucht dringend
einen europäischen Grundrechte-Katalog. Leider entfaltet
die Charta noch keine unmittelbare Wirkung und droht in
Vergessenheit zu geraten. Deshalb fordert die Fraktion der
FDP eine intensive öffentliche Debatte und die Aufnahme
der Charta in die europäischen Verträge. Ohne verbindliche

Drucksache 14/7172 – 16 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Grundrechte in der EU kann der Bürger sich nicht auf sie
berufen.
PDS:
Die Fraktion der PDS begrüßt die feierliche Proklamation
der Europäischen Grundrechtecharta auf dem Europäischen
Rat in Nizza. Sie bedauert aber, dass die von einem Konvent
aus Vertretern der nationalen Parlamente, des Europäischen
Parlaments und der nationalen Regierungen erarbeitete
Grundrechtecharta, die den Bürgerinnen und Bürgern der

Europäischen Union fundamentale individuelle Freiheits-
rechte und soziale Rechte garantiert, nicht in den Vertrag
aufgenommen wurde und somit weder rechtsverbindlich
noch direkt einklagbar ist. Sie spricht sich dafür aus, eine
breite Diskussion der Grundrechtecharta in Europa einzulei-
ten, in deren Ergebnis Nachbesserungen an der Charta vor-
zunehmen, anschließend ein europäisches Referendum zur
Annahme der Charta durchzuführen und dann die von den
Bürgerinnen und Bürgern angenommene Charta in die Ver-
träge aufzunehmen.

Berlin, den 17. Oktober 2001
Michael Roth
Berichterstatter

Peter Hintze
Berichterstatter

Peter Altmaier
Berichterstatter

Christian Sterzing
Berichterstatter

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Berichterstatterin

Uwe Hiksch
Berichterstatter

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