BT-Drucksache 14/6886

Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung

Vom 10. September 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6886
14. Wahlperiode 10. 09. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-Dieter Grill, Cajus Caesar,
Marie-Luise Dött, Georg Girisch, Helmut Lamp, Dr. Paul Laufs, Vera Lengsfeld,
Bernward Müller (Jena), Franz Obermeier, Christa Reichard (Dresden),
Hans-Peter Repnik, Dr. Christian Ruck, Hans Peter Schmitz (Baesweiler),
Werner Wittlich und der Fraktion der CDU/CSU

Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie ist aus sicherheitstechnischen
Gründen nicht geboten und wirtschafts- wie umweltpolitisch falsch.
Der von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte
Entwurf zur Änderung des Atomgesetzes fußt auf einer Vereinbarung der Bun-
desregierung mit vier Unternehmen der deutschen Energiewirtschaft vom 14.
Juni 2000 (Datum der Paraphierung). Die Bundesregierung hat dabei ein Ver-
fahren gewählt, einen Gesetzentwurf außerhalb des parlamentarischen Raumes
in vertragsähnlicher Form mit den Betroffenen sowohl im Gesetzestext wie
auch in der Gesetzesbegründung minutiös auszuhandeln und abzusprechen und
diesen Entwurf dem Parlament mit der öffentlich geäußerten Erwartung vorzu-
legen, dass er ohne Änderungen angenommen wird. In dieser verfassungspoli-
tisch äußerst bedenklichen Vorgehensweise zeigt sich eine bisher einmalige
Missachtung der Rechte des Parlaments durch die Regierung und die sie tra-
genden Fraktionen.
Der beabsichtigte Ausstieg aus der Kernenergienutzung ist ein historischer
Fehler. Er ist volkswirtschaftlich schädlich, sicherheitstechnisch nicht begrün-
det und gefährdet die Erreichung des Klimaschutzzieles.
Die deutsche Stromerzeugung beruht zu einem Drittel auf dem im Vergleich zu
anderen Energieträgern preiswerten Strom aus Kernkraftwerken. Die willkürli-
che Beschränkung der Laufzeit der Kernkraftwerke und die Ersetzung des Stro-
mes aus Kernkraftwerken durch Strom aus fossilen Kraftwerken oder durch
Stromimporte wird zu einer Anhebung des Strompreisniveaus und/oder zu ei-
nem Export von Produktion und Arbeitsplätzen in der Stromversorgung und in
der Kraftwerksindustrie führen. Höhere Strompreise beeinträchtigen die Wett-
bewerbsfähigkeit insbesondere stromintensiver Industriezweige. Insgesamt
wird der Standort Deutschland in der internationalen Konkurrenz geschwächt.
Auch das Verbot der Errichtung neuer Kernkraftwerke wird abgelehnt. Ob und
wann sich die Frage der Errichtung neuer Kernkraftwerke für die Elektrizitäts-
wirtschaft stellt, muss abhängig gemacht werden von der jeweiligen Entwick-
lung auf dem Energiemarkt. Staatliche Verbote oder Restriktionen der Kern-
energienutzung, welche weder sicherheitstechnisch noch umweltpolitisch

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begründbar sind, behindern die für die Entwicklung unserer Wirtschaft lebens-
notwendige Versorgung mit preiswerter Energie.
Neben der heimischen Kohle, deren Bedeutung abgenommen hat und weiterhin
zurückgeht, ist die Kernenergie die einzige Energieform, bei der hohe Versor-
gungssicherheit gewährleistet ist. Der geplante Ausstieg aus der Kernenergie-
nutzung stellt ein elementares Risiko für die Sicherheit der Versorgung mit
Strom dar. Dieses Risiko wird auch nicht durch die bloße Hoffnung auf erheb-
liche Energieeinsparpotentiale und den Ausbau regenerativer Energien, welche
den ausfallenden Strom aus Kernkraftwerken ersetzen könnten, gemindert. Der
vorgesehene Ausstieg aus der Kernenergienutzung in Deutschland, dem kein
tragfähiges energiepolitisches Gesamtkonzept im Sinne nachhaltiger Entwick-
lung zugrunde liegt, kann im Rahmen großer Verbundsysteme ferner dazu füh-
ren, dass verstärkt auch für den deutschen Markt mit Strom aus Kernkraftwer-
ken aus Nicht-EU-Staaten gehandelt wird, bei denen die Einhaltung westlicher
Sicherheitsstandards nicht gewährleistet ist und auch nicht gewährleistet wer-
den kann.
Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie wird eine Technik mit großem Potential
zur CO2-freien Stromerzeugung aufgegeben. Die Erreichbarkeit der Klima-schutzziele ohne Kernenergie wird im Gesetzentwurf ohne weitere Begründung
unterstellt, ein Nachweis nicht ansatzweise versucht. Auch sind die im Gesetz-
entwurf genannten Anreize für einen sparsamen Energieeinsatz sowie für die
verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien durchaus vereinbar mit der weiteren
Nutzung der Kernenergie.
Im Gesetzentwurf ist festgestellt, dass die deutschen Kernkraftanlagen einen
international bewertet hohen Sicherheitsstandard haben. Seit Beginn der Nut-
zung der Kernenergie seien erhebliche Fortschritte gemacht worden. Zur Be-
gründung für die Beendigung der Kernenergienutzung wird auf eine Neube-
wertung ihrer Risiken verwiesen. Maßstäbe und Kriterien dieser Neubewertung
werden nicht genannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Bundesregie-
rung weicht damit trotz der Anerkennung eines hohen und im Laufe des Be-
triebs der deutschen Kernkraftwerke immer weiter verbesserten Sicherheits-
standards von der Bewertung des Risikos der Kernenergienutzung in anderen
führenden kernenergienutzenden Ländern, wie USA, Frankreich oder Japan,
welche die gleiche Verantwortung für den Schutz ihrer Völker haben, ohne
weitere Begründung grundsätzlich ab. Der Deutsche Bundestag stellt demge-
genüber fest, dass keine Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der Sicherheit
der deutschen Kernkraftwerke begründen könnten. Der Betrieb der deutschen
Kernkraftwerke ist auch nach Meinung international renommierter Experten in
vollem Umfang verantwortbar.
Der Gesetzentwurf enthält keine Neuregelung, welche zur Beschleunigung der
Verfahren für die Erkundung, Genehmigung und Errichtung des Endlagers
Gorleben beitragen. Im Gegenteil sollen die Regelungen der Atomgesetz-
novelle vom 6. April 1998, welche eine Beschleunigung des Verfahrens für das
Endlager Gorleben zum Ziel hatten, wieder aufgehoben werden. Für Gorleben
besteht ein zwischen der Bundesregierung und der Elektrizitätswirtschaft abge-
sprochenes Erkundungsmoratorium, das zu verhängen die Bundesregierung
nicht ermächtigt war und ist. Für das Endlager Konrad für schwach- und mittel-
radioaktive Abfälle ist überdies der Antrag auf Sofortvollzug zurückgezogen
worden, obwohl die mit der Zwischenlagerung belasteten Länder aufgrund ei-
nes Abfallaufkommens von bereits rund 100 000 m3 dringenden Bedarf für die-
ses Endlager angemeldet haben, der für eine Inbetriebnahme erforderliche
Planfeststellungsbeschluss seit geraumer Zeit kurzfristig erteilt werden könnte
und damit das Endlager Konrad ggf. auch für die Aufnahme zurückzunehmen-
der nicht wärmeentwickelnder Abfälle aus der Wiederaufarbeitung bereit-
stünde. Mit dem Erkundungsmoratorium für Gorleben wird in unverantwort-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6886

licher Weise die internationale Rolle Deutschlands bei der Lösung der
Endlagerfrage aufgegeben. Deutschland war mit der Erkundung eines End-
lagers im Salzstock Gorleben für die Aufnahme insbesondere hochradioaktiver
Abfälle sehr weit. Eine Inbetriebnahme bis zum Jahre 2015 – bei positivem
Abschluss der Erkundung – schien realistisch. Die nahezu leer stehenden
Zwischenlager in Ahaus und Gorleben hätten in den kommenden 15 Jahren alle
hochradioaktiven, wärmentwickelnden Abfälle aus der Wiederaufarbeitung
sowie die beim Betrieb der Kernkraftwerke anfallenden abgebrannten Brenn-
elemente aufnehmen können. Ein langjähriges Moratorium für die Erkundung
des Salzstockes Gorleben macht dieses Konzept jedoch ohne sachlichen Grund
hinfällig. Faktisch wird erzwungen, dass die abgebrannten Brennelemente in
den nächsten 40 Jahren von den nach dem Gesetzentwurf bei den Kernkraft-
werken einzurichtenden Zwischenlagern aufgenommen werden. Die Bundes-
regierung geht zugleich das Risiko ein, dass infolge der bewussten und gewoll-
ten Verschleppung der Endlagerfrage auch dann noch kein Endlager vorhanden
ist, wenn die Genehmigung der Zwischenlager nach 40 Jahren ausläuft.
Angesichts dieser Konzeptlosigkeit in der Endlagerfrage wiegt es umso schwe-
rer, dass die Bundesregierung keinen Beweis für das Scheitern des bisherigen,
auch von der SPD seit 1979 befürworteten Entsorgungskonzeptes vorgelegt
hat. Im Gegenteil: die in 30 Jahren im Konsens entwickelte Entsorgungsstruk-
tur wird – abgesehen von der unverantwortlichen Politik der Bundesregierung
in der Endlagerfrage – entweder genehmigt oder genutzt. Genehmigt wird die
Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben. Genutzt werden die Zwischenlager in
Gorleben und Ahaus. Neue dezentrale Zwischenlager werden nach dem Muster
Gorleben gebaut. Darüber hinaus gibt die Bundesregierung die Vorwürfe der
Abfallverschiebung auf und bestätigt die völkerrechtlich verbindlichen Ver-
träge zur Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien bis 2005. Fer-
ner übernimmt sie den bisher geltenden Verwertungsnachweis für das Pluto-
nium. Damit ist bewiesen, dass die CDU/CSU 1998 ein geschlossenes und
funktionierendes Entsorgungskonzept hinterlassen hat.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. von einer Änderung des Atomgesetzes durch den „Entwurf eines Gesetzes

zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen
Erzeugung von Elektrizität“, abzusehen;

2. die Erkundung des Salzstockes Gorleben unverzüglich fortzusetzen;
3. das Endlager „Schacht Konrad“ so zügig wie möglich zu genehmigen.

Berlin, den 5. September 2001
Dr. Peter Paziorek
Kurt-Dieter Grill
Cajus Caesar
Marie-Luise Dött
Georg Girisch
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld

Bernward Müller (Jena)
Franz Obermeier
Christa Reichard (Dresden)
Hans-Peter Repnik
Dr. Christian Ruck
Hans Peter Schmitz (Baesweiler)
Werner Wittlich
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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