BT-Drucksache 14/6756

Eingriffe in grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Freizügigkeit und auf Versammlungsfreiheit im Vorfeld des G-8-Gipfels in Genua

Vom 25. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6756
14. Wahlperiode 25. 07. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Eingriffe in grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Freizügigkeit
und auf Versammlungsfreiheit im Vorfeld des G-8-Gipfels in Genua

Im Vorfeld des G-8-Gipfels in Genua häuften sich die Berichte über massive
Eingriffe in grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Freizügigkeit und
das Recht auf Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland und in
anderen EU-Staaten. Begründet wurden diese Eingriffe vielfach damit, dass auf
diese Weise angeblich drohende Straftaten in Genua verhindert werden sollten.

Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde in der Presse zitiert mit der Aussage,
gegen „gewalttätige Chaoten“ müsse mit der „ganzen Härte des Gesetzes“ vor-
gegangen werden. Wer auf Gewalt aus sei, dürfe „nicht mit Nachsicht rechnen“
(Bild, 19. Juli 2001).

In der Presse wurden Spannungen provozierende Meldungen verbreitet wie die,
dass angeblich schon hunderte von Leichensäcken in Krankenhäusern Genuas
lagern sollten. In anderen Berichten war von einem drohenden Einsatz von
„biologischen Giftstoffen“ durch die Globalisierungsgegner, von „Steinschleu-
dern“, von Angriffen mit „Pitbull-Kampfhunden“ oder „Frauen-Bataillonen“
die Rede, die angeblich „zum Sturm auf die verbotene Stadt“ aufgestellt wor-
den seien (dpa, 18. Juli 2001).

Tatsächlich riefen nach Genua vor allem Menschenrechtsgruppen, Umwelt-
gruppen, Antifa-Organisationen und Dritte-Welt-Gruppen zu Protesten auf.
Darunter sind Organisationen wie das Bündnis ATTAC, das sich u. a. für eine
Besteuerung von Finanztransfers („Tobin-Steuer“) und Schuldenstreichung für
die Dritte Welt einsetzt, Lilliput, ein Netzwerk von Globalisierungsgegnern, die
die Macht von Großkonzernen einschränken wollen und gegen Kinderarbeit
und andere, sklavereiartige Ausbeutung eintreten, OXFAM, ein britisches
Dritte-Welt-Netzwerk, das für eine Anhebung der Entwicklungshilfe, für ge-
rechte Nord-Süd-Beziehungen und eine Schuldenstreichung für die Dritte Welt
eintritt.

Trotzdem wurde offensichtlich sowohl von deutschen Behörden wie auch in an-
deren EU-Ländern massiv in Grundrechte eingegriffen. In mehreren Städten
haben hierzulande Personen von der Polizei Aufforderungen erhalten, sich
täglich auf der Polizeiwache zu melden und die Stadt nicht zu verlassen (z. B.
junge Welt vom 14. Juli 2001).

Auf welche Gesetze und schwerwiegenden Verdachtsmomente sich diese Auf-
hebung von Grundrechten stützten und wie solche Verfügungen, mit dem
Schutz von Grundrechten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und an-
deren Rechtsgrundsätzen vereinbart werden sollen, ist offen.

Drucksache 14/6756 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

In mehreren Städten wurden Globalisierungsgegner auch bei der Abreise von
Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS) erheblich behindert, zum Teil stunden-
lang aufgehalten und durchsucht (z. B. junge Welt vom 19. Juli 2001). Auch
hier ist offen, auf welche Rechtsgrundlagen sich solche Durchsuchungen und
Behinderungen eigentlich stützen.

Bei zwei Personen in Berlin bestätigte das Oberverwaltungsgericht Berlin die
polizeiliche Auflage, sich täglich bei der Polizei zu melden und die Stadt nicht
zu verlassen (AFP, 18. Juli 2001).

Die italienische Rechts-Regierung hat das Schengener Abkommen für eine Wo-
che aufgehoben und Grenzkontrollen wieder eingeführt. 686 Personen wurde
bisher nach Regierungsangaben die Einreise nach Italien verweigert. In Genua
sollen 20 000 Polizisten und Soldaten eingesetzt, ganze Stadtviertel abgeriegelt,
am Flughafen Boden-Luft-Raketen installiert worden sein. Bombenanschläge
unbekannter Täter im Vorfeld des Gipfels wecken Erinnerungen an die „Strate-
gie der Spannung“, mit der in der Vergangenheit die berüchtigte Loge P-2 im
Verein mit Geheimdiensten und Rechtsextremisten versucht hatte, unter dem
Vorwand angeblich von links drohender Gefahren Grundrechte massiv abzu-
bauen und einem autoritären Regime den Weg zu bahnen.

All das bestärkt den Eindruck, dass im Vorfeld des G-8-Gipfels von interessierter
Seite mit gezielter Panikmache versucht wurde, in der Bevölkerung schwer-
wiegende Eingriffe in elementare Grundrechte und einen „autoritäten Sicher-
heitsstaat“ durchzusetzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Beamte des BGS waren im Vorfeld des G-8-Gipfels bei zusätz-
lichen Grenzkontrollen an Grenzübergängen in Richtung Genua im Einsatz?

An welchen Grenzübergängen genau fanden diese Kontrollen statt?

2. Wie viele Personen wurden von diesen Beamten beim Grenzübertritt
kontrolliert?

Auf welche Rechtsgrundlage stützten sich diese Kontrollen?

3. Welche Gegenstände wurden bei diesen Kontrollen mit welcher Begründung
beschlagnahmt?

4. Wie viele Personen wurden bei diesen Grenzkontrollen

a) länger als eine Stunde aufgehalten,

b) grundsätzlich an der Ausreise gehindert,

c) festgenommen?

5. Auf welche Rechtsgrundlage stützte sich das Verbot der Ausreise?

6. Wie lange dauerte ggfs. die Festnahme dieser Personen und auf welche Vor-
würfe stützten sich diese Festnahmen?

7. Wie viele Beamte des BGS waren im Vorfeld des G-8-Gipfels bei zusätz-
lichen Kontrollen an tatsächlichen oder mutmaßlichen Abfahrtsorten inner-
halb der Bundesrepublik Deutschland von Globalisierungsgegnern einge-
setzt?

8. Wie viele Personen wurden bei diesen Kontrollen im Inland mit dem Ver-
dacht, sie wollten nach Genua zu Protesten fahren, kontrolliert?

Auf welche Rechtsgrundlage und tatsächlichen Anhaltspunkte stützten sich
diese Kontrollen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6756

9. Wie viele und welche Gegenstände wurden bei diesen Kontrollen auf
welcher Rechtsgrundlage beschlagnahmt?

10. Wie viele Personen wurden bei diesen Kontrollen am Verlassen ihres Auf-
enthaltsortes bzw. Wohnortes gehindert und auf welcher Rechtsgrundlage
erfolgten diese Maßnahmen?

11. Wie viele Personen wurden bei diesen Kontrollen warum festgenommen?

12. Wie viele zusätzliche Beamte anderer Behörden des Bundes (Zoll, BKA,
Verfassungsschutz u. a.) bzw. der Länder waren bei diesen Kontrollen nach
Kenntnis der Bundesregierung eingesetzt (bitte nach Einsatzorten und Zahl
der eingesetzten Personen aufschlüsseln)?

13. Wie viele Beamte welcher Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder
waren im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Italien

a) im Zusammenhang mit dem unmittelbaren Personenschutz der Teil-
nehmer des Gipfels,

b) zusätzlich zur Unterstützung der italienischen Sicherheitsbehörden

im Einsatz?

14. Wie vereinbart die Bundesregierung diese breitflächigen Personenkontrol-
len und Eingriffe in elementare Grundrechte wie dem durch Verfassung,
internationale Konventionen und Verträge geschützten Grundrecht auf Ver-
sammlungsfreiheit und auf Freizügigkeit

a) mit dem Schutz dieser Grundrechte,

b) mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

15. Welche Kenntnis von welchen – schon erfolgten oder unmittelbar drohenden
– schwerwiegenden Straftaten welcher Personen veranlassen den Bundes-
kanzler Gerhard Schröder zu seiner öffentlichen Forderung, irgendwelche
„Chaoten“ müssten die „ganze Härte des Gesetzes“ zu spüren bekommen
und dürften „nicht mit Nachsicht“ rechnen?

16. Welche Maßnahmen gegen vermeintliche „Krawalltouristen“ hat der Bun-
desminister des Innern, Otto Schily, den Innenministern der EU-Staaten im
Vorfeld des G-8-Gipfels konkret vorgeschlagen?

Berlin, den 19. Juli 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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