BT-Drucksache 14/6755

Bewertung von VVN-BdA, BdA und PDS durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (Nachfrage)

Vom 25. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6755
14. Wahlperiode 25. 07. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Bewertung von VVN-BdA, BdA und PDS durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz (Nachfrage)

In der Kleinen Anfrage der Fraktion der PDS zur „Bewertung der VVN-BdA
durch das Bundesamt für Verfassungsschutz angesichts von Aussagen zu Ent-
stehungsbedingungen und Ursachen von Rechtsextremismus“ (Bundestags-
drucksache 14/6389) wurde die Bundesregierung gefragt, ob sie die Beurteilung
des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu folgendem, im Verfassungsschutz-
bericht 2000 zitierten, Auszug aus dem Leitantrag der VVN-BdA zum Rechts-
extremismus teile:

„Zum Nährboden des Rechtsextremismus gehören – neben der Fortdauer und
Erneuerung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus – ein rigoroser
kapitalistischer Marktradikalismus mit seinen asozialen Folgen und Auswir-
kungen sowie neoliberale Strategien, die ihn fördern statt bekämpfen.

Zum Nährboden des Rechtsextremismus gehört eine Gesetzesverachtung, wie
sie in den Schwarzgeldpraktiken der CDU – und dem damit verbundenen Kauf
politischer Macht – ebenso zum Ausdruck wie im Hinwegsetzen über Grundge-
setz und Völkerrecht bei der Führung des Krieges gegen Jugoslawien. (…)

Zum Nährboden geworden sind Beiträge und Stichworte aus der offiziellen
Politik. Erklärungen von angeblich drohender ‚Überfremdung‘, ‚Überbelas-
tung‘ durch Flüchtlinge, von Ausländer-‚Flut‘ und ‚-Schwemme‘, von ‚vollem
Boot‘, ‚Ausländerkriminalität‘ und ‚unnützen‘ Menschen, die ‚schnell raus zu
werfen‘ seien, gaben letztlich die Stichworte und Anstöße für die rechtsradikale
Gewalt.“

Diese Passage aus einem Leitantrag an den Bundeskongress der VVN-BdA
vom 7./8. Oktober 2000, abgedruckt in der antifa-rundschau Nr. 44, Oktober-
Dezember 2000, soll laut Verfassungsschutzbericht 2000 angeblich eine extre-
mistische bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung der VVN-BdA belegen.

Eine ähnliche Passage aus einem Beschluss des PDS-Bundesparteitages dient
dem Verfassungsschutz dazu, behauptete extremistische bzw. verfassungsfeind-
liche Bestrebungen auch in der PDS nachzuweisen. Wörtlich heißt es auf Sei-
te 161 des Verfassungsschutzberichtes 2000:

„Auch die ‚Partei des Demokratischen Sozialismus‘ (PDS) unterstellt, Neona-
zismus, rechte Gewalt, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus
seien ‚stets wesentliche und mehr oder weniger legale Bestandteile des politi-
schen Systems der Bundesrepublik gewesen‘. Diese habe im Vergleich zur
DDR einen weniger konsequenten Bruch ‚mit den gesellschaftlichen Grund-
lagen und den Eliten des NS-Diktatur‘ vollzogen.“

Drucksache 14/6755 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

In ihrer Antwort auf diese Anfrage erklärte die Bundesregierung nun (Bundes-
tagsdrucksache 14/6669):

„Die o. a. Zitate geben wegen ihrer inhaltlichen Nähe zu linksextremistischen
Doktrinen Hinweise auf tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche
Bestrebungen. Im Falle von VVN-BdA und PDS sind diese Hinweise im Lichte
der zu beiden Organisationen vorhandenen weiteren verfassungsschutzrelevan-
ten Erkenntnisse in der Gesamtschau zu bewerten.“

Das bedeutet: Beide Zitate sind keine Beweise, noch nicht einmal Anhalts-
punkte für den der VVN-BdA und der PDS vorgeworfenen Linksextremismus.
Sie sollen lediglich eine nicht näher ausgeführte „inhaltliche Nähe zu linksext-
remistischen Doktrinen“ dokumentieren. Beide Zitate sollen außerdem nur
„Hinweise auf tatsächliche Anhaltspunkte“, also noch keine wirklichen An-
haltspunkte für angeblich verfassungsfeindliche Bestrebungen sein.

Auf die Frage, gegen welche tragenden Verfassungsgrundsätze genau diese der
VVN-BdA bzw. der PDS im Verfassungsschutzbericht 2000 vorgeworfenen
Zitate verstoßen, nennt die Bundesregierung keinen einzigen konkreten Verfas-
sungsgrundsatz.

Genauso ausweichend ist die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion der PDS zur „Bewertung der VVN-BdA angesichts ihres
pluralistischen Selbstverständnisses“ (Bundestagsdrucksache 14/6671).

Dieser wird im Verfassungsschutzbericht 2000 u. a. das folgende Zitat zum
Vorwurf gemacht:

„Die VVN-BdA ist und bleibt eine pluralistisch zusammengesetzte Bündnisor-
ganisation von Antifaschisten verschiedener Herkunft und Auffassung. Daher
müssen auch grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten auszuhalten sein,
wenn sie das gemeinsame Handeln gegen Neofaschismus und Krieg nicht ver-
hindern.“

Auf die Frage, was daran genau verfassungsfeindlich ist und gegen welchen
tragenden Verfassungsgrundsatz eine solche Aussage eigentlich verstößt, ant-
wortet die Bundesregierung noch ausweichender. Nun soll noch nicht einmal
irgendeine „inhaltliche Nähe“ zu angeblich „linksextremistischen Doktrinen“ in
diesen Zitaten erkennbar sein, geschweige denn irgendein „Hinweis auf tat-
sächliche Anhaltspunkte“ für Extremismus.

Statt dessen erweckt die Bundesregierung durch ihre Antwort den Eindruck, als
seien alle im Verfassungsschutzbericht des Bundes angeführten Zitate völlig
irrelevant für die Beurteilung der genannten Organisationen. Wörtlich heißt es
in der Antwort:

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz bewertet politische Organisationen
nicht nach ihrer propagandistischen Selbstdarstellung, sondern wesentlich nach
ihrem tatsächlichen Verhalten.“

Und:

„Linksextremistisch beeinflusste Organisationen zeichnen sich dadurch aus,
dass sie gerade nicht offen extremistische Ziele propagieren. Ihre Forderungen
erscheinen vielmehr für sich betrachtet nicht verfassungsfeindlich …“

Auch die dritte in diesem Zusammenhang gestellte Kleine Anfrage der Fraktion
der PDS zur „Bewertung der VVN-BdA durch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz angesichts der Ablehnung der Gleichsetzung von Links und Rechts“
(Bundestagsdrucksache 14/6386) beantwortet die Bundesregierung so, dass sie
für kein einziges der nachgefragten Zitate aus dem Verfassungsschutzbericht
2000 eine angebliche „Verfassungsfeindlichkeit“ oder Extremismus nachweist.
Statt dessen heißt es wieder (Bundestagsdrucksache 14/6672):

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6755

„Die Bewertung der VVN-BdA als linksextremistisch beeinflusste Organisa-
tion beruht auf einer Gesamtschau der zu dieser Organisation vorhandenen tat-
sächlichen Anhaltspunkte i. S. von §§ 3 und 4 BVerfSchG.“

Was dabei zu dieser „Gesamtschau“ gehört und warum schriftliche Dokumente,
Beschlüsse und Selbstdarstellungen offensichtlich nicht dazu gehören, bleibt
dabei im Dunkeln.

Auch die Zusammensetzung des Vorstands einer Organisation – in diesem Fall
der VVN-BdA – scheint für diese „Gesamtschau“ nicht erheblich bzw. nicht
relevant. Auf die Frage, woran die Bundesregierung erkennt, dass die VVN-
BdA, wie im Verfassungsschutzbericht 2000 behauptet, „von einem traditionell
orthodox-kommunistischen Flügel wesentlich geprägt“ sei, antwortet die
Bundesregierung, dieser Vorwurf stütze sich „nicht allein auf die … Zusam-
mensetzung des Bundessprecherkreises“ der VVN-BdA.

Zusammengefasst führen die Antworten der Bundesregierung auf die o. a. Klei-
nen Anfragen zu dem Ergebnis, dass weder die im Verfassungssschutzbericht
2000 seitenlang angeführten Zitate von VVN-BdA, BdA und PDS noch die Zu-
sammensetzung des Vorstands der VVN-BdA ernsthafte Anhaltspunkte für eine
extremistische Zielsetzung und/oder eine extremistische Beeinflussung dieser
Organisationen hergeben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Weshalb werden im Verfassungsschutzbericht 2000 eine Vielzahl von Zita-
ten aus Beschlüssen und Publikationen der VVN-BdA, des BdA und der
PDS aufgeführt, wenn alle diese Zitate offenbar völlig legale und erlaubte
Aussagen enthalten, gegen keinen einzigen tragenden Verfassungsgrundsatz
verstoßen und auch keinerlei Anhaltspunkt für irgendeine verfassungsfeind-
liche Bestrebung darstellen?

2. Auf welche anderen, tatsächlichen Anhaltspunkte stützt sich der Vorwurf,
die VVN-BdA, der BdA bzw. die PDS seien „linksextremistisch“, „linksext-
remistisch beeinflusst“ oder duldeten „linksextremistische Bestrebungen“ in
den eigenen Reihen (bitte diese Anhaltspunkte für jede Organisation einzeln
aufführen)?

3. Welche tragenden Verfassungsgrundsätze werden durch diese tatsächlichen
Anhaltspunkte verletzt?

4. Wer entscheidet nach welchen Rechtsgrundsätzen, Urteilen etc., dass
„Hinweise“ oder „Anhaltspunkte“ auf eine angeblich linksextremistische
Bestrebung, Beeinflussung etc. vorliegen und so gewichtig sind, dass sie zur
Einstufung einer Organisation als „linksextremistisch“ bzw. „linksextremis-
tisch beeinflusst“ führen (bitte die entsprechenden Gesetze, Urteile etc. ein-
zeln aufführen)?

5. Auf welchen tatsächlichen, öffentlich nachprüfbaren Anhaltspunkten basiert
die „Gesamtschau“, die das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Einstu-
fung einer Organisation als „linksextremistisch“ führt?

6. Wer überprüft und entscheidet über die Vollständigkeit, Angemessenheit und
Zulässigkeit dieser „Gesamtschau“?

7. Welche Möglichkeit hat eine Organisation, sich gegen eine solche, von ihr
als diffamierend empfundene Einstufung zu wehren?

Berlin, den 24. Juli 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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