BT-Drucksache 14/6660

Zur Problematik von "Botschaftsanhörungen"

Vom 6. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6660
14. Wahlperiode 06. 07. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carsten Hübner, Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Zur Problematik von „Botschaftsanhörungen“

In zahlreichen Bundesländern werden „Botschaftsanhörungen“ zur beschleunig-
ten Identitätsfeststellung von abgelehnten Asylbewerbern ohne Ausweispapiere
durchgeführt. In diesem Verfahren werden die Flüchtlinge statt in die Bot-
schaftsgebäude der jeweiligen Staaten zu den geladenen Botschaftsvertretern in
die Räume der regionalen Ausländerbehörde gebracht. Angehörige zahlreicher
afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Botschaften und Immigra-
tionsbehörden haben an diesem Verfahren bereits teilgenommen, in dem ver-
sucht wird, die Staatsangehörigkeit der Flüchtlinge in Kurzinterviews zu klären.
Gegebenenfalls werden ihnen daraufhin die für die Abschiebung benötigte
Passersatzpapiere (PEP) ausgestellt, woraufhin die Flüchtlinge in das entspre-
chende Land abgeschoben werden können.

Flüchtlinge, die von den Botschaften ihrer angegebenen Heimatländer keine
Papiere bekommen, werden auch von Angehörigen anderer Botschaften inter-
viewt. So wurden nach Informationen des Flüchtlingsrats Hamburg vom
5. September 2000 Flüchtlinge aus Sierra Leone, die wegen des ausgebroche-
nen Bürgerkriegs nicht in ihr Land abgeschoben werden konnten, in Hamburg
auch von der liberischen Botschaft und der gambischen Immigrationsbehörde
interviewt.

Auf Nachfragen der Abgeordneten der Regenbogenliste in Hamburg, Susanne
Uhl, erklärte die Hamburger Ausländerbehörde in den Drucksachen 16/2927,
16/3298 und 16/3902, sie zahle den „Immigration-Officers“ der Botschaften
Unterkunft und Verpflegung, Stadtrundfahrt und Unterhaltung sowie eine täg-
liche Vergütung. Für jeden ausgestellten Pass wurden zwischen 50 und 200 DM
bezahlt.

Seit Einführung der „Botschaftsanhörungen“ und der Zahlung von Geldern an
die Botschaftsvertreter hat sich die Zahl der Abschiebungen in Hamburg nach
Auskunft der Staatlichen Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg vom
28. August 2000 mehr als verdoppelt.

Abgelehnte Asylbewerber ohne Pass werden mit den „Botschaftsanhörungen“
einem aufwendigen und kostenintensiven Verfahren unterzogen, das unter
rechtlich ungeklärten Umständen von extra dafür bezahlten Botschaftsangehö-
rigen durchgeführt wird. Befürchtungen, dass Flüchtlinge von Botschaften ge-
gen Prämien eine falsche Staatsangehörigkeit verliehen bekommen, sind daher
nicht von der Hand zu weisen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Handelt es sich bei den „Botschaftsanhörungen“ um ein Verfahren nach
Bundes- oder Landesrecht?

Drucksache 14/6660 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2. Seit wann gibt es wo diese Praxis und wo ist dieses Verfahren geregelt
(bitte nach Jahr und Bundesland aufschlüsseln)?

3. Wie viele dieser „Botschaftsanhörungen“ mit Beteiligung von Bot-
schaftsangehörigen welcher Staaten in dem Zeitraum von 1998 bis Ende
2000 sind der Bundesregierung bekannt (bitte aufschlüsseln nach Bundes-
ländern und Jahren)?

a) Wie viele Personen bekamen schriftliche Vorladungen zu „Botschafts-
anhörungen“ und welches waren die Begründungen (bitte aufschlüsseln
nach Bundesländern)?

b) Wie viele Personen wurden tatsächlich interviewt (bitte aufschlüsseln
nach Bundesländern und Jahren) ?

c) Wie viele Interviews gab es ohne schriftliche Vorladung?

4. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass in Kurzinterviews, wie in der
Vorbemerkung beschrieben, die Staatsangehörigkeit glaubwürdig festge-
stellt werden kann?

5. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass Staaten aus finanziellen Grün-
den Reisedokumente auch an Angehörige anderer Staaten ausstellen und
ihr Land somit zum „Dumping Ground“ für Flüchtlinge machen?

6. Wer trug welche Kosten (bitte aufschlüsseln nach Bundesländern)?

a) Sind Kosten vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung (BMZ) getragen worden?

Wenn ja, wofür und in welcher Höhe (bitte aufschlüsseln nach Bundes-
ländern)?

Welches war der entsprechende Haushaltstitel?

b) Sind Kosten vom Auswärtigen Amt (AA) getragen worden?

Wenn ja, wofür und in welcher Höhe (bitte aufschlüsseln nach Bundes-
ländern)?

Welches war der entsprechende Haushaltstitel?

7. Sieht die Bundesregierung die Gefahr der systematischen Beeinflussung
der Botschaftsangehörigen durch die gezahlten Prämien?

Wenn ja, wie will die Bundesregierung dem entgegenwirken?

8. In wie vielen Fällen wurden im Zeitraum von 1998 bis Ende 2000 Abschie-
bungen von Flüchtlingen in Staaten durchgeführt, die sich, obwohl sie
nicht die selbst angegebenen Heimatländer der Flüchtlinge sind, zur deren
Aufnahme bereit erklären (bitte aufschlüsseln nach selbst angegebener
Herkunft, Zielstaat und Jahren)?

Warum wird so verfahren?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Situation und die
Lebensbedingungen von Flüchtlingen, die nach „Botschaftsanhörungen“
abgeschoben wurden?

10. Wie wird garantiert, dass die im Rahmen der Interviews bekannt geworde-
nen Daten des/der Betroffenen nicht nach einer Ausreise/Abschiebung zum
Nachteil des/der Betroffenen verwendet werden?

11. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen im Zuge von „Bot-
schaftsanhörungen“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Auslandsvertre-
tungen Einsicht in Asylakten bekommen haben?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6660

Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung gegen diese Verstöße gegen den
Datenschutz vorzugehen?

12. Wie viele Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes (BGS) oder anderer Si-
cherheitskräfte waren im Zusammenhang mit „Botschaftsanhörungen“ ein-
gesetzt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

a) Wer trug jeweils die Kosten (bitte ebenfalls nach Bundesländern auf-
schlüsseln)?

b) Auf welcher rechtlichen Grundlage beruht die Teilnahme von Beamten
des BGS?

13. Welche Aufgaben haben die Clearing-Stelle für Passbeschaffung in Trier/
Rheinland-Pfalz oder das AA im Zusammenhang mit den „Botschafts-
anhörungen“?

a) Inwiefern werden Anhörungen im gesamten Bundesgebiet hier regist-
riert bzw. organisiert?

b) Inwiefern ist diese Stelle an der Organisation bundesländerübergreifen-
der Anhörungen beteiligt?

14. In wie vielen Fällen fanden im Zeitraum von 1998 bis Ende 2000 bundes-
länderübergreifende „Botschaftsanhörungen“ statt?

a) Wie viele Flüchtlinge wurden dabei interviewt?

b) Welche Bundesländer waren jeweils beteiligt?

15. Welche Informationen gibt es über eine geplante Außenstelle der Bundes-
grenzschutzdirektion in Berlin, die auf die Beschaffung von Passersatz-
papieren spezialisiert sein soll?

Berlin, den 6. Juli 2001

Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.