BT-Drucksache 14/6659

Zukunft der deutschen Sprache

Vom 6. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6659
14. Wahlperiode 06. 07. 2001

Große Anfrage
der Abgeordneten Eckhardt Barthel (Berlin), Hans-Werner Bertl,
Christel Deichmann, Monika Griefahn, Kerstin Griese, Monika Heubaum,
Angelika Krüger-Leißner, Horst Kubatschka, Lothar Mark, Michael Müller
(Düsseldorf), Michael Roth (Heringen), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Gisela Schröter, Wieland Sorge, Ludwig Stiegler, Jörg Tauss, Gert Weisskirchen
(Wiesloch), Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft der deutschen Sprache

Die Sprache gehört zu den herausragenden Kulturgütern eines Volkes. Sie ist
das wichtigste Ausdrucks- und Verständigungsmittel der Menschen untereinan-
der. Sie dient der Selbstvergewisserung, der Verständigung und auch der In-
tegration aller Bürgerinnen und Bürger. Die Tradition der eigenen Sprache zu
pflegen und weiterzuentwickeln gehört zur Wahrung der eigenen Identität. Der
Umgang mit der deutschen Sprache ist die Voraussetzung für die Teilhabe am
Gemeinwesen. Gleichzeitig ist für Deutsche das Beherrschen der eigenen Spra-
che eine notwendige Voraussetzung für das Erlernen anderer Sprachen, die für
ein europäisch und global ausgerichtetes Land wie das unsere unverzichtbar
sind. Beides, Deutsch und Kenntnisse in Fremdsprachen, ist gleichermaßen
wichtig.

Europa ist ein Kontinent vieler Sprachen. Das Lernen anderer Sprachen ist der
Schlüssel zum Dialog mit unseren Nachbarn, zum Verständnis ihrer Geschichte
und der Vermittlung von Erfahrungen. Fremdsprachen ermöglichen den Zu-
gang zu der Gedankenwelt und den Denkstrukturen anderer Kulturen.

Sie sind zugleich Verständigungschancen und kultureller Reichtum und ermög-
lichen das Zusammenwachsen und die Verständigung im europäischen und glo-
balen Austausch.

Die vom Europarat beschlossene Europäische Charta der Regional- oder Min-
derheitensprachen, die in Deutschland seit dem 1. Januar 1999 in Kraft ist, und
das gemeinsam vom Europarat und der Europäischen Union für 2001 ausgeru-
fene Europäische Jahr der Sprachen sind wertvolle Initiativen zur Bewahrung
der Sprachen- und Kulturvielfalt.

Die Sicherheit im Gebrauch der eigenen Sprache und das Erlernen fremder
Sprachen sind eine Bereicherung für die eigene geistige und ethische Entwick-
lung. Sie ermöglichen das Verständnis der eigenen Herkunft, verbinden über
die Grenzen hinweg und ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgern Europas,
aktiv an Europa mitzuwirken und teilzuhaben. Sie sind die Voraussetzung für
beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg. Sie schaffen die Grundlage für Ver-
ständigung und Zusammenhalt.

Drucksache 14/6659 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Englisch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zur Lingua Franca ent-
wickelt. Es ist das wichtigste Verständigungsmittel in einer Welt, die sich den
Herausforderungen der Globalisierung, der Ausweitung von Handel und Ge-
werbe, dem internationalen Wissenschaftsaustausch, der elektronischen
Vernetzung und der Erweiterung des kulturellen Austauschs offen und selbstbe-
wusst stellt. Zur aktiven Teilhabe an dieser Entwicklung sind Englischkennt-
nisse unverzichtbar. Es muss daher alles getan werden, durch die Vermittlung
von Englischkenntnissen die Zukunftschancen vor allem der jungen Generation
zu wahren.

Eine reibungslose Verständigung ist Grundlage für kulturelle Identität, gesell-
schaftliche Integration und die Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Wis-
senschaft. In jüngster Zeit wird in der öffentlichen Diskussion vermehrt auf für
die deutsche Sprache nachteilige Entwicklungen hingewiesen, vor allem auf
den inflationären Gebrauch von Anglizismen, der eine zunehmende Zahl von
Bürgerinnen und Bürgern irritiert. Während die einen vor allem aufgrund der
Anglizismen eine Verflachung und Verarmung der deutschen Sprache befürch-
ten, fühlen sich andere ausgegrenzt, da sie diese nicht verstehen und aus ihrer
Sicht alltägliche Kommunikation schwerer wird. Unter dem Vorwand der
Sprachbewahrung nutzen im Extremfall interessierte Kreise dieses Unbehagen
zu Antiamerikanismus, übersteigertem Nationalismus und Aufruf zu Fremden-
feindlichkeit.

Alle Sprachen entwickeln sich unter vielfältigen Einflüssen. Auch die deutsche
Sprache ist kein statisches Gebilde. Sie ist immer in Bewegung, Veränderung
und Entwicklung. So hat sie Wörter aus anderen Sprachen aufgenommen, die
den deutschen Wortschatz bereichern. Fremdwörter waren und sind Ausdruck
einer weltoffenen Gesellschaft, die sich dem Zusammenwachsen der Erde, der
Ausweitung von Handel und Gewerbe und der Erweiterung des kulturellen
Austauschs offen und selbstbewusst stellt.

Der Respekt für fremde Sprachen setzt den Respekt für die eigene Sprache vor-
aus. Bund, Länder, Bildungseinrichtungen, Medien, Lehrer, Erzieher, Ausbil-
der und Eltern sind in der Pflicht, die Kenntnisse und Beherrschung der eigenen
Sprache zu vertiefen und für die Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen
umfassend Sorge zu tragen. Dabei ist die öffentliche Diskussion um die Pflege
und Bewahrung der deutschen Sprache, in die sich auch Bundespräsident
Johannes Rau mit seiner Rede vom 23. November 2000 eingeschaltet hat, mit
den Befürchtungen hinsichtlich der kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen
Konsequenzen einer abnehmenden Kommunikationsfähigkeit der Gesellschaft
ernst zu nehmen. Wenn Sachverhalte nicht mehr allgemeinverständlich dar-
gestellt werden, besteht die Gefahr eines Verlusts an Kommunikations- und
Integrationsfähigkeit der Gesellschaft.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Sprachenlernen zu, und
welche Aktivitäten plant sie, ggf. in Kooperation mit den Ländern, im Rah-
men des Europäischen Jahres der Sprachen 2001?

2. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung im Inland zur Um-
setzung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen?

3. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung zur Bewahrung,
Pflege und Förderung der deutschen Sprache im In- und Ausland?

4. Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um für die Beibehaltung
von Deutsch als Amts- bzw. Arbeitssprache in der EU einzutreten?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6659

5. Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung die sinkende
Bedeutung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache auf Bil-
dung und Forschung, auf die Attraktivität in Deutschland zu lehren und zu
forschen und auf wissenschaftliche Innovationen?

Welche wissenschaftlichen Disziplinen sind hier besonders betroffen?

6. Erwartet die Bundesregierung wirtschaftliche Nachteile, wenn die deut-
sche Sprache in Wirtschaft, Handel und Wissenschaft an Bedeutung verlie-
ren sollte?

7. Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung als sinnvoll an, die deut-
sche Sprache z. B. bei wissenschaftlichen Publikationen wieder mehr zu
fördern?

8. Welche Einzelprojekte der EU fördern im europäischen Kontext auch und
vor allem die deutsche Sprache?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen, Deutsch im Verbund mit
Englisch oder Französisch im Ausland durch so genannte Euro-Fakultäten
zu fördern?

10. Was unternimmt die Bundesregierung, um in Europa das Verständnis zu
vertiefen, dass jede Absolventin und jeder Absolvent einer höheren Schule
mindestens zwei Nachbarsprachen erlernt haben muss?

11. Welche Aktivitäten unternimmt die Bundesregierung, um die Initiative des
französischen Erziehungsministers Jack Lang zum Erfolg zu verhelfen,
auch Deutsch, wie Französisch, international bzw. auf europäischer Ebene
als zweite Fremdsprache bis zum Schulabschluss verpflichtend zu vermit-
teln?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der zunehmenden
Zahl von Anglizismen auf die deutsche Sprache?

Befürchtet sie im Rahmen der Globalisierung durch diese Ausweitung
Nachteile für die Identitätsbildung sowie für die Integrations- und Kommu-
nikationsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger?

13. Sieht die Bundesregierung im Versuch, durch gesetzliche Regelungen die
Anzahl der Anglizismen zurückzudrängen, ein taugliches Mittel, die deut-
sche Sprache zu bewahren, zu pflegen und zu fördern?

Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Ergebnisse der in
Frankreich und Polen erlassenen Sprachschutzgesetze vor?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor allem die Ausweitung
des Englischunterrichts und die Verbesserung der Englischkenntnisse die
Zahl unnötiger Anglizismen zurückdrängen könnte?

15. Welche Forderungen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung
für den Sprachenunterricht insbesondere in Deutsch und Englisch an den
Schulen?

16. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Verbesserung des Deutsch-
unterrichts und insbesondere des Gebrauchs der deutschen Sprache an den
Schulen zu erreichen?

Berlin, den 4. Juli 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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