BT-Drucksache 14/6640

Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen

Vom 3. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6640
14. Wahlperiode 03.07.2001

Antrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, Wolfgang
Lohmann (Lüdenscheid), Maria Eichhorn, Norbert Hauser (Bonn), Helmut Heiderich,
Dr.-Ing. Rainer Jork, Werner Lensing, Hans-Peter Repnik, Heinz Schemken, Gerald
Weiß (Groß-Gerau), Annette Widmann-Mauz und der Fraktion der CDU/CSU

Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für die medizinische Praxis bringt die humangenetische Forschung eine Fülle
neuer Diagnosemöglichkeiten. Diese führen zu einer genaueren Kenntnis, da-
mit zu einem besseren Verständnis einer Erkrankung und ermöglichen eine Ver-
besserung der Krankheitsprävention im Sinne einer Verhütung oder Verzöge-
rung des Krankheitsausbruches. Im Bereich der therapeutischen Forschung hat
die Entdeckung von krankheitsverursachenden Genen zusammen mit der me-
thodischen Weiterentwicklung in der Molekulargenetik zu neuen Therapie- und
Diagnoseansätzen geführt. Die therapeutischen Möglichkeiten entsprechen
aber gegenwärtig bei weitem nicht den neu gewonnenen diagnostischen Fähig-
keiten. Bevor dieser Rückstand aufgeholt ist, kann eine Vielzahl von Krank-
heiten diagnostiziert, aber nicht geheilt werden. Eine verbesserte genetische
Diagnostik eröffnet jedoch betroffenen Personen bzw. Familien vielfältige
Möglichkeiten, präventive Maßnahmen zu ergreifen. Da genetische Diagnostik
von zunehmender Bedeutung sein wird, sollten hierfür Rahmenbedingungen
geschaffen werden, die im Wesentlichen dem Schutz der Betroffenen vor einem
nicht erlaubten Zugriff bzw. Missbrauch der Daten durch Dritte dienen sollen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf der Grundlage folgender Eckpunkte einen entsprechenden Gesetzentwurf in
den Deutschen Bundestag einzubringen:

I. Allgemeine Forderungen

1. Wegen der Bedeutung genetischer Diagnosen darf die Inanspruchnahme von
genetischer Beratung und Diagnostik nur auf freiwilliger Basis erfolgen.
Humangenetische Untersuchungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar
erzwungen werden.

2. Es muss jedem Menschen freigestellt bleiben, ob und welchen Tests er sich
unterzieht. Jeder muss auch das Recht haben, seine genetische Disposition
nicht zu kennen. Insofern darf jeder ein Recht auf Nichtwissen seiner geneti-
schen Konstitution für sich in Anspruch nehmen.

3. Wer ohne Rechtsgrundlage oder Einwilligung der Betroffenen Gentests
durchführt, muss strafrechtlich verfolgt werden.

4. Zur Wahrung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung wird ein
gesetzlicher Regelungsbedarf im Versicherungs- und Arbeitsrecht gesehen,
um Nachteile beim Zugang zu Arbeitsplätzen, im Arbeitsleben und beim
Zugang zu Versicherungsleistungen einschließlich der Kranken- und Le-
bensversicherung auszuschließen.

Drucksache 14/6640 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

5. In keinem Fall darf es zu einer Diskriminierung aufgrund von genetischen
Merkmalen kommen.

II. Gentests – allgemeine Verfahrensregeln

1. Gendiagnosen dürfen nur auf Veranlassung eines Arztes und von entspre-
chend zugelassenen und qualifizierten Stellen durchgeführt werden.

2. Die Beratung und Untersuchung darf nur durch einen in Humangenetik qua-
lifizierten Arzt (Facharzt für Humangenetik oder Arzt mit der Zusatzbe-
zeichnung Medizinische Genetik) erfolgen. Die Bundesärztekammer muss
die inhaltlichen Voraussetzungen für die Praxis der Beratung formulieren.

3. Genetische Diagnostik darf nur bei einwilligungsfähigen Volljährigen
durchgeführt werden. Bei Nichteinwilligungsfähigen darf nur dann mit Er-
laubnis des gesetzlichen Vertreters ein Test durchgeführt werden, wenn sich
daraus ein medizinischer Nutzen für den Betroffenen ableitet. Zur Erfor-
schung seltener Erbkrankheiten soll die Verwendung genetischer Daten zu
wissenschaftlichen Zwecken möglich sein, wenn die Betroffenen bzw. die
Eltern von betroffenen Kindern ihre Zustimmung geben.

4. Der Umgang mit genetischen Daten stellt höchste Ansprüche an den Daten-
schutz. Alle Stellen, die mit Gentests befasst sind, müssen datenschutzrecht-
lichen Anforderungen (z. B. Verschlüsselung der Daten) genügen.

5. Die Eigentumsrechte am Untersuchungsmaterial sowie die Rechte an der
Verwendung der Untersuchungsergebnisse bedürfen eindeutiger Regelun-
gen, welche das alleinige Verfügungsrecht der untersuchten Person sicher-
stellen.

III. Gentests in Versicherungen und in der Arbeitswelt

1. Das „Recht auf Nichtwissen“ der genetischen Daten jedes Einzelnen
schließt ein, dass Private Krankenversicherungen vor Abschluss sowie wäh-
rend der Dauer eines Vertrages die Durchführung eines Gentests weder ver-
langen noch verwerten dürfen.

2. Auch bei Lebensversicherungen oder anderen Versicherungen darf die Durch-
führung eines Gentests nicht Voraussetzung für einen Vertragsabschluss sein.
Gentests dürfen auch weder angenommen noch verwertet werden.

3. Es sollte zum Schutz der Versicherungsgemeinschaft ermöglicht werden,
dass derjenige Versicherungsnehmer, welcher nach Erlangung der Kenntnis
über eine schwere genetische Erkrankung eine Lebensversicherung über
eine ungewöhnlich hohe Versicherungssumme abschließen möchte, seine
genetischen Daten gegenüber der Versicherungsgesellschaft offenbart.

4. Prädiktive Gentests dürfen im Rahmen von medizinischen Eignungsunter-
suchungen weder vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages noch während
der Dauer eines bestehenden Arbeitsverhältnisses weder verlangt noch an-
genommen noch in irgend einer Form verwertet werden. Dies schützt den Ar-
beitnehmer vor Diskriminierung aufgrund seiner genetischen Disposition. Die
Vorlage oder die Durchführung eines Gentests darf also nicht zur Vorbedin-
gung des Abschlusses eines Arbeitsvertrages gemacht werden. Wo Gesund-
heitsgefährdungen am Arbeitsplatz bestehen, muss die Sicherheit verbessert
werden, nicht jedoch der „resistenteste“ Bewerber den Zuschlag erhalten.

Berlin, den 3. Juli 2001

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.