BT-Drucksache 14/6616

Zukunft für die "grüne" Gentechnik

Vom 3. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6616
14. Wahlperiode 03. 07. 2001

Antrag
der Abgeordneten Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer, Peter Bleser, Peter Harry
Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Dr. Wolfgang Götzer, Gottfried Haschke (Großhennersdorf), Norbert Hauser
(Bonn), Helmut Heiderich, Klaus Holetschek, Siegfried Hornung, Dr.-Ing. Rainer
Jork, Helmut Lamp, Vera Lengsfeld, Werner Lensing, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Meinolf Michels, Franz Obermeier,
Dr. Peter Paziorek, Thomas Rachel, Katherina Reiche, Hans-Peter Repnik,
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Dr. Klaus Rose, Heinz Schemken, Norbert Schindler,
Margarete Späte, Wolfgang Steiger, Max Straubinger, Arnold Vaatz, Angelika
Volquartz, Annette Widmann-Mauz und der Fraktion der CDU/CSU

Zukunft für die „grüne“ Gentechnik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Verantwortung zeigen – Fortschritt nutzen

Bio- und Gentechnik sind für Ernährung, Gesundheit und Umwelt eine Schlüs-
seltechnologie des neuen Jahrhunderts. Bei Mikroorganismen, Pflanzen und
Tieren sind ebenso bedeutsame Erfindungen gemacht, neue Möglichkeiten ent-
wickelt und Hoffnungen für die Zukunft eröffnet worden wie bei den medizini-
schen Perspektiven dieser Technologie.

Mehr als 600 Millionen hungernde Menschen auf dem Globus in unserer Zeit,
zahlreiche Ernährungs- und Mangelkrankheiten mit schweren Folgen, eine
immer kleiner werdende Agrarfläche pro Kopf (durch Erosion, Versteppung,
Versalzung) sind Herausforderungen, welche eine fortgesetzte ideologische
Verweigerung der Zukunftschancen „grüner“ Gentechnik unverantwortlich
machen.

Sicherheit von Anfang an

Schon 1990 haben CDU/CSU mit dem Gentechnikgesetz sowohl dem Schutz
des Lebens wie der Gesundheit der Menschen und dem Ausschluss möglicher
Gefährdungen durch diese neuen Technologien höchste Priorität eingeräumt.

Alle organisatorischen, technischen und personellen Voraussetzungen werden
seitdem strengen Sicherheitsprüfungen unterzogen. Eine breite Einbeziehung
von Wissenschaft und Genehmigungsbehörden ist die Konsequenz der strengen
Anwendung des Vorsorgeprinzips.

Penibel wird vor jeder kommerziellen Anwendung geprüft, ob es durch die
gentechnische Veränderung zu negativen Auswirkungen kommen kann. Spezi-

Drucksache 14/6616 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

fisch für jeden Einzelfall werden mögliche Allergierisiken, die eventuelle Ent-
wicklung von Resistenzen, sowie direkte und indirekte, erkennbare oder denk-
bare Auswirkungen auf die ökologischen Kreisläufe analysiert und
ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Fragen möglicher Auskreuzung oder
Rückstände im Boden. Dies zeigt, welch strengen Vorsichtsregeln diese Tech-
nologie unterworfen ist.

Ein neuer Entwicklungsschritt wird immer erst dann freigegeben, wenn der
vorherige vollständig evaluiert ist. Transparenz jedes Genehmigungsverfahrens
und breite Information der Bürger sind dabei für uns ebenso selbstverständlich.

Dieses Prinzip der Sicherheit von Anfang an hat bis heute alle Bedenken und
Behauptungen der Gentechnikgegner durch wissenschaftlich gesicherte Kennt-
nisse widerlegt.

Zukunftschancen ergreifen

Weltweit werden gentechnisch fortentwickelte Pflanzen inzwischen auf mehr
als 40 Mio. Hektar angebaut, insbesondere Baumwolle, Soja und Kornmais.
Ebenso werden gentechnisch verbesserte Bakterien und Enzyme zur Lebens-
mittelproduktion sowie zur Erzeugung industrieller Rohstoffe genutzt.

Durch diese umfassende Praxisanwendung haben sich nicht nur alle Vorwürfe
als unhaltbar herausgestellt. Es wurden stattdessen deutliche Verbesserungen
für Umwelt und Gesundheit erzielt. In den USA ist z. B. die Erosion durch die
neuen Anbauverfahren wesentlich verringert worden. Die gleichzeitig erhebli-
che Reduktion des Chemieeinsatzes schont Gesundheit von Anwendern und
Verbrauchern.

In Deutschland ist immer noch jeglicher Praxisanbau durch Rot/Grün verhin-
dert.

Unsere Forscher haben aber vielfältige Produkte bis zur Praxisreife entwickelt,
die insbesondere auf unsere Situation zugeschnitten sind. Die vereinfachte Her-
stellung von Kunststofffolien und biologisch abbaubaren Verpackungen aus
Kartoffeln, die Einsparung von Chemieanwendungen im Wein- und Obstbau,
Zier- und Gemüsepflanzen, die sich ihrer Schädlinge selbst erwehren, Indus-
trierohstoffe durch spezifisch entwickelte Rapsöle, verbesserter Anbau von Zu-
ckerrüben – das alles ist nur ein Ausschnitt bereits vorhandener Entwicklungen.

Deshalb war es ein riesiger Fehler des Bundeskanzlers, das bereits mit den
Züchtern, den Wissenschaftlern, der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelin-
dustrie ausgehandelte 3-Jahresprogramm zum kontrollierten, großflächigen
Anbau dieser Produkte in Deutschland grundlos und kurzfristig aufzukündigen.

Dieser unsinnige und unnötige Schlingerkurs der rot/grünen Bundesregierung
beeinträchtigt vor allem die jungen Biotechnologieeinrichtungen, die in den
letzten Jahren entstanden sind. Verlust an Arbeitsplätzen, Abwanderung aus
Deutschland und Rufschädigung unseres Landes als Technologiestandort sind
die negativen Folgen. Den mittelständischen deutschen Pflanzenzüchtern wer-
den Innovationsmöglichkeiten und damit Chancen im internationalen Wettbe-
werb genommen. Für die Saatgutherstellung könnte dies zu einer breiten Ab-
hängigkeit vom Ausland führen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6616

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Programm zur Zukunft der grünen Gentechnik vorzulegen, das folgende
Komponenten enthält:

Hand in Hand mit dem Verbraucher

Die Wahlfreiheit für den Verbraucher ist für die CDU/CSU ein bedeutendes
Grundprinzip. Dies gilt ebenso für die Transparenz in der gesamten Nahrungs-
mittelkette. Daher wurden mit der Novel-Food-Verordnung von 1997 klare
Kennzeichnungsregelungen für gentechnisch verbesserte Produkte geschaffen.

Transparenz und Kennzeichnung setzen allerdings die eindeutige Festlegung
von Kontrollverfahren, die verbindliche Festlegung von Grenzwerten und vor
allem die Einhaltung gesetzlich geregelter Verfahrensabläufe voraus. Diese ist
unverzüglich umzusetzen.

Wissenschaftlich unbegründete Eingriffe von Bundesministern in die Geneh-
migungsverfahren und die Unabhängigkeit der Genehmigungsbehörden sind
ein unhaltbarer Verstoß gegen die Freiheit der Wissenschaft und die Verläss-
lichkeit eines Rechtswegs. Wir fordern deshalb – wie in den USA – die öffent-
liche Darstellung der behördlichen Entscheidungsvorgänge.

Wir treten dafür ein, Genehmigungsverfahren, Festlegung von Standards sowie
von Richtlinien und Kennzeichnungsvorschriften europaweit und international
zu vereinheitlichen. Wir begrüßen deshalb die Vereinbarungen von Codex Ali-
mentarius und Biosafety.

Die Novellierung der EU-Richtlinie 90/220/EWG, die vom Europäischen Par-
lament und dem Rat am 14. Februar 2001 verabschiedet wurde, garantiert dem
Verbraucher größere Sicherheit. Die Freisetzungs- und Vermarktungsbestim-
mungen für gentechnisch veränderte Organismen wurden unter anderem durch
anbaubegleitende Beobachtungsprogramme, zeitliche Befristung der Freiset-
zung und eine Kennzeichnungspflicht verschärft. Wir fordern daher die zügige
Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht.

Wir unterstützen die Vorschläge der Wissenschaft, bei der Festlegung von
Grenzwerten von der bereits geltenden 1 %-Regelung der Novel-Food-Verord-
nung auszugehen, und fordern die zügige Festlegung entsprechender Schwel-
lenwerte für die verschiedenen Anwendungsbereiche.

Zur Transparenz gehört für uns auch, den Wirrwarr der Zuständigkeiten in den
Genehmigungsverfahren zu entflechten. Beobachtungs- und Monitoringpro-
gramme sind von den bereits vorhandenen spezifischen Behörden der Länder
und des Bundes umzusetzen. Verfahren und Ergebnisse sind auch hier der Öf-
fentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Führung eines Anbaukatasters durch die Behörden muss insofern die
Pflicht mit einschließen, das Zerstören von Feldern und Versuchsanlagen durch
gewalttätige Ideologen auszuschließen.

Ideologische Grabenkämpfe beenden

Behauptungen, für „gentechnische veränderte Lebensmittel gebe es keine ge-
sellschaftliche Akzeptanz“, sind als Argument gegen diese neue Technologie
völlig unbrauchbar. Welcher Verbraucher weiß wirklich etwas über Chancen,
Potentiale, Bedingungen der Bio- und Gentechnik in Ernährung und Umwelt?

Deshalb fordern wir ein 10-Jahres-Zukunftsprogramm für die Entwicklung der
biotechnischen Potentiale in Ernährung, natürlicher Rohstoffversorgung, Ener-
gieeinsparung und Umweltentlastung – analog zur „roten“ Gentechnik.

Drucksache 14/6616 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Erster Schritt muss die sofortige Wiederaufnahme des bereits vereinbarten
3-Jahresprogramms zum großflächigen Anbau gentechnisch fortentwickelter
Pflanzen sein. Dieses Programm muss insbesondere genutzt werden, um in ei-
ner breiten Kommunikation und Diskussion mit der Bevölkerung die Möglich-
keiten und Besonderheiten der Bio- und Gentechnik, auch in direkter Anschau-
ung vor Ort, besprechen zu können.

Forschungsmittel und personelle Ausstattung von Wissenschaft und Fachbe-
hörden sind in diesem Bereich ebenso zu forcieren, wie bei der pharmazeu-
tisch/medizinischen Forschung und Entwicklung. Dies ergibt sich aus der Er-
kenntnis, dass die Forschungsbereiche von Einzellern, Pflanzen, Tieren und
Menschen in der Genetik zunehmend zusammenwachsen.

Wenn diese Technologie nach Feststellung aller Fachleute eine Schlüsseltech-
nologie des neuen Jahrhunderts ist, dann müssen ihre Grundtechniken auch
umgehend in den Unterricht unserer weiterführenden Schulen einbezogen wer-
den. Denn unsere Wissenschaftler und Fachleute von morgen müssen schon
heute die Chance haben, die neuen Methoden erlernen und beurteilen zu kön-
nen. Auch dies gehört für uns zum verantwortlichen Umgang mit der Bio- und
Gentechnik.

Deutschland darf nicht aus ideologischen Gründen in eine Verweigerungsecke
geraten. Stattdessen wollen wir Fortschritt in Verantwortung. Auch in Deutsch-
land müssen Forscher, wissenschaftliche Einrichtungen, Kompetenzzentren
und Privatunternehmen die Chance erhalten, zu beweisen, dass „grüne“ Gen-
technik für den Fortschritt genauso unverzichtbar wie verantwortbar ist.

Berlin, den 3. Juli 2001

Helmut Heiderich
Dr. Maria Böhmer
Peter Bleser
Peter Harry Carstensen (Nordstrand)
Albert Deß
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Wolfgang Götzer
Gottfried Haschke (Großhennersdorf)
Norbert Hauser (Bonn)
Helmut Heiderich
Klaus Holetschek
Siegfried Hornung
Dr.-Ing. Rainer Jork
Helmut Lamp
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

Meinolf Michels
Franz Obermeier
Dr. Peter Paziorek
Thomas Rachel
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Heinz Schemken
Norbert Schindler
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Max Straubinger
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Annette Widmann-Mauz
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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