BT-Drucksache 14/6607

Haltung der Bundesregierung zur vorübergehenden Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens durch einen Vertragstaat wegen "Krawalltouristen"

Vom 3. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6607
14. Wahlperiode 03. 07. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Haltung der Bundesregierung zur vorübergehenden Außerkraftsetzung des
Schengener Abkommens durch einen Vertragsstaat wegen „Krawalltouristen“

Die Regierung Österreichs hat vom 25. Juni 2001, 00.00 Uhr, bis einschließlich
3. Juli 2001 das Schengener Abkommen vorübergehend außer Kraft gesetzt.
Als Begründung für diese Maßnahme führt die Regierung sinngemäß an, damit
sollten bereits im Vorfeld des vom 1. bis 3. Juli 2001 in Salzburg stattfindenden
„Weltwirtschaftsforums Osteuropa“ so genannte „gewaltbereite Demonstran-
ten“ von der Anreise zu diesem Forum abgehalten werden (dpa, 24. Juni 2001).

Der bayerische Innenminister Dr. Günther Beckstein hat die damit verbundene
befristete Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der bayerisch-österreichi-
schen Grenze befürwortet und erklärt, die bayerische Polizei stelle nicht nur
Absperrgitter zur Verfügung, sondern werde zusätzlich im Landesinnern auch
„verdachtsunabhängige Kontrollen“ durchführen (dpa, 25. Juni 2001). Das
bayerische Recht erlaube es, Personen, die Pflastersteine oder andere Mittel zur
Gewaltausübung mit sich führten, bis zu zwei Wochen in einen so genannten
Unterbindungsgewahrsam zu nehmen. Das Vorgehen sei notwendig, „um die
Gewalt von Davos und Göteborg nicht zur Regel bei europäischen Gipfeln wer-
den zu lassen“.

Der Bundesminister des Innern, Otto Schily, hat das österreichische Vorgehen
nachdrücklich unterstützt und angekündigt, er wolle am 13. Juli 2001auf dem
Treffen der EU-Innenminister „auf harte und wirksame Maßnahmen“ drängen,
um „den Krawalltouristen das Handwerk (zu) legen“ (dpa, 25. Juni 2001, Bild-
Zeitung, 27. Juni 2001).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung die kurzfristige Außerkraftsetzung des Schenge-
ner Abkommens durch einen Vertragsstaat wie die österreichische Regie-
rung für

a) rechtmäßig und vereinbar mit den europäischen Verträgen,

b) vereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie

c) vereinbar und im Einklang mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit in der
EU?

Wenn ja, auf welche Passagen im Schengener Abkommen und in den EU-
Verträgen sowie auf welche Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum
Grundrecht auf Freizügigkeit stützt die Bundesregierung diese Auffassung?

Drucksache 14/6607 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
2. Hält die Bundesregierung die vorübergehende Außerkraftsetzung von in
Verträgen und in der Grundrechtecharta der EU anerkannten Grundrechten
wie dem auf Freizügigkeit für ein legitimes Recht der Regierungen der
Mitgliedstaaten der EU?

Wenn ja, welche weiteren Grundrechte dürfen Regierungen der EU nach
Meinung der Bundesregierung durch einfachen Kabinettsbeschluss und
Mitteilung an die Öffentlichkeit außer Kraft setzen?

Wenn nein, welche Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um eine
Wiederholung einer solchen Außerkraftsetzung von Grundrechten von EU-
Bürgerinnen und EU-Bürgern zu verhindern?

3. Gilt die vorübergehende Außerkraftsetzung des Abkommens und damit des
Grundrechts auf Freizügigkeit nach Kenntnis der Bundesregierung für die
gesamte österreichische Grenze oder nur für die Grenze nach Deutschland?

4. Wie viele zusätzliche Beamte des Bundesgrenzschutzes wurden auf
deutscher Seite der Grenze zu Österreich eingesetzt, um die von Österreich
angeordneten Grenzkontrollen durchführen zu können?

5. Wie viele Personen und Fahrzeuge wurden nach Kenntnis der Bundes-
regierung infolge dieser Grenzkontrollen tatsächlich an der Weiterreise
nach Österreich gehindert?

6. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in Verbin-
dung mit diesen Grenzkontrollen beim Versuch der Einreise nach Öster-
reich festgenommen, in Unterbindungsgewahrsam genommen oder auf an-
dere Weise mit einem Ermittlungsverfahren, einem Bußgeld oder einer
anderen Sanktion belegt?

7. Welche Straftaten bzw. Vorbereitungshandlungen werden den an der Wei-
terreise gehinderten Personen im Einzelnen vorgeworfen?

Auf welche Verdachtsmomente stützen sich diese Beschuldigungen?

Wann ist mit einer gerichtlichen Klärung dieser Vorwürfe zu rechnen?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung für den kommenden Weltwirtschafts-
gipfel in Genua vergleichbare Maßnahmen, insbesondere die vorüber-
gehende Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens?

9. Welche anderen Maßnahmen will die Bundesregierung den EU-Innenmi-
nistern gegen die vom Bundesminister des Innern, Otto Schily, so bezeich-
neten „Krawalltouristen“ vorschlagen?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Aufhebung des Grundrechts auf
Freizügigkeit in der EU in der Zukunft zu einer regelmäßigen Maßnahme
zu machen, um anscheinend drohenden unfriedlichen Demonstrationen in
irgendeinem Mitgliedstaat der EU entgegenzuwirken?

Wenn ja, wie vereinbart die Bundesregierung solche Ankündigungen des
Bundesminister des Innern, Otto Schily, mit dem Grundrecht auf Frei-
zügigkeit und der Charta der Grundrechte in der EU?

Berlin, den 28. Juni 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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