BT-Drucksache 14/6570

Klimapolitik internaional und national auf eine neue Grundlage stellen

Vom 4. Juli 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6570
14. Wahlperiode 04. 07. 2001

Antrag
der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Rolf Kutzmutz,
Ursula Lötzer und der Fraktion der PDS

Klimapolitik international und national auf eine neue Grundlage stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag bekräftigt anlässlich der sechsten Tagung der Konfe-
renz der Vertragsparteien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen
(UNFCCC) über Klimaänderungen (COP 6) im Juli 2001 in Bonn das Ziel, in
Deutschland bis zum Jahr 2005 den Ausstoß von Treibhausgasen um 25 Pro-
zent auf der Basis des Jahres 1990 zu reduzieren. Mit dieser Zielstellung ist für
die Bundesregierung die Pflicht verbunden, durch bisher noch ausstehende
Maßnahmen die angestrebte Rolle Deutschlands als Vorreiter im Klimaschutz
auszufüllen.

Nach dem Scheitern des ersten Teils von COP 6 in Den Haag stehen die Ver-
tragsstaaten vor einer großen Herausforderung. Der Kyoto-Prozess zur weltwei-
ten Reduzierung von Klimagasen droht, insbesondere durch die blockierende
Rolle der USA-Regierung, die vermeintliche Wirtschaftsinteressen vor globa-
lem Klimaschutz stellt, zu scheitern. Und das, obwohl die Kyoto-Ziele weit
unter den von Naturwissenschaftlern ermittelten Reduktionsnotwendigkeiten
liegen. Diese fordern weltweit eine Halbierung der Emission von Klimagasen
bis Mitte dieses Jahrhunderts gegenüber 1990. Für die Industriestaaten heißt
dies, eine Reduktion von 80 Prozent bis zum Jahr 2050, wenn den Entwick-
lungsländern tatsächlich eine Chance zur Entwicklung gegeben werden soll.

Gemessen an diesen Erfordernissen sind die Verpflichtungen des Kyoto-Pro-
tokolls nur ein erster und zu viel zu kurzer Schritt. Schließlich wurden für die
Industriestaaten weltweit, je nach Klimagas, im Durchschnitt nur 5,2 Prozent
Reduktion bis zum Zeitraum zwischen 2008 und 2012 vereinbart. Würde dieses
niedrige Tempo in die Zukunft fortgeschrieben, so ließen sich (unter der unrea-
listischen Annahme, dass die Entwicklungsländer keine zusätzlichen Klima-
gase ausstoßen) bis zum Jahr 2050 nur Einsparungen in Höhe von weltweit
rund 15 Prozent erzielen. Insofern kann auch das deutsche Klimaschutzziel nur
ein Einstieg in eine zielführende Klimapolitik sein, weil mit diesem Zwischen-
ziel – bei angenommenen gleichbleibendem Reduktionstempo – theoretisch nur
eine 50-Prozent-Reduktion anstatt einer notwendigen 80prozentigen bis zum
Jahr 2050 erreichbar wäre.

Zudem öffnet sich die Schere zwischen den Kyoto-Zielen und den tatsächlich seit
1990 erzielten Einsparungen an Klimagasen immer weiter. Bis auf wenige Aus-
nahmen werden weltweit sämtliche Reduktionsziele verfehlt. Global hat sich der
Ausstoß von Kohlendioxid nicht reduziert. Im Gegenteil, die CO2 Emissionen
steigen weiter an. Sie lagen 1998 6,7 Prozent über dem Niveau von 1990.

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Auch die große Mehrheit der Mitgliedstaaten der europäischen Union ist weit
von ihren Kyoto-Zielkursen entfernt. Bis 1998 wurden in der EU insgesamt
2,5 Prozent Klimagase gegenüber 1990 reduziert. Dies ging vor allem auf
das Konto der Verminderung der Treibhausgase Methan (–16,5 %) und Lach-
gas (–9,9 %). Den größte Anteil an den Treibhausgasen hat jedoch Kohlen-
dioxid. Hier blieb aber der Ausstoß praktisch gleich (–0,2 %). Ziel ist eine
Reduktion der Treibhausgase bis zu den Jahren 2008 bis 2012 um 8 Prozent
über alle EU-Länder. Dies ist kaum noch zu schaffen, weil die Treibhaus-
gasemissionen lediglich in Deutschland, Großbritannien und Luxemburg
reduziert wurden, während sie in allen anderen EU-Ländern anstiegen. Laut
Bericht der EU-Kommission wird die EU ohne weitere Maßnahmen bis zum
Jahr 2010 ihren Klimagausstoß lediglich um 1,4 Prozent gegenüber 1990
vermindern, so die Prognose. Damit würde das Ziel des Kyoto-Protokolls für
das EU-Gebiet um über 80 Prozent verfehlt werden. Ausschlaggebend für
diese verhängnisvolle Entwicklung sind an aller erster Stelle die verkehrs-
bedingten Emissionen, die mit einer Ausnahme in sämtlichen Mitgliedstaaten
beträchtlich anstiegen.

Die Bundesrepublik Deutschland wird ihr selbst gestecktes Klimaschutzziel
ohne zusätzliche Maßnahmen ebenfalls kaum mehr erreichen. Die Emissionen
von Klimagasen steigen nach einigen Jahren Einsparung wieder an. Wie andere
Industriestaaten macht sich Deutschland so mitschuldig an Überschwemmun-
gen, Stürmen und Hungerkatastrophen, den heute schon sichtbaren Auswirkun-
gen des Klimawandels.

Deutschland hat im Jahr 2000 gegenüber 1990 rund 15 Prozent Kohlendioxid
eingespart. 25 Prozent sollen es nach der Selbstverpflichtung bis zum Jahr 2005
sein. Das klingt, verglichen mit den meisten anderen Staaten, nicht schlecht.
Doch der Schein trügt, weil sich diese Entwicklung nicht beliebig fortschreiben
lässt. Deutschland zehrt hier nämlich bis heute statistisch vom Zusammenbruch
der ostdeutschen Industrie. Das belegt die umweltökonomische Gesamtrech-
nung des Statistischen Bundesamtes: Vom gesamten Rückgang der CO2-Emis-
sionen zwischen 1990 und 1999 in Deutschland entfiel mehr als die Hälfte auf
die ersten zwei Jahre nach der Vereinigung und sogar drei Viertel auf die ersten
drei Jahre. Seitdem verlangsamte sich die Reduktion drastisch, in Westdeutsch-
land kam es sogar zu einem Anstieg der Emissionen. Das heißt, die Einsparun-
gen wurden letztlich in Ostdeutschland erbracht, insbesondere durch den flä-
chendeckenden Konkurs von Betrieben und den Bau modernerer Kraftwerke.
Weitere Impulse für den Klimaschutz sind hier nicht zu erwarten. Und in der
Tat stiegen im Jahr 2000 die Emissionen in ganz Deutschland wieder um
(temperaturbereinigt) ein Prozent gegenüber dem Vorjahr an.

Zusammenfassend steckt die Klimaschutzpolitik sowohl global, als auch auf
europäischer und nationaler Ebene in einer tiefen Krise. Die Wirtschaftsinteres-
sen, insbesondere der internationalen Mineralöl- und Automobilkonzerne, set-
zen sich regelmäßig gegen den globalen Umweltschutz durch. Somit können,
gemessen an den naturwissenschaftlichen Notwendigkeiten, nur völlig unzurei-
chende Zielstellungen in Verträgen und Verpflichtungen zu Stande kommen,
welche wiederum in der Regel nicht einmal eingehalten werden. Die hilflosen
Instrumente der Klimaschutzpolitik setzten auf hochkomplizierte Regelwerke,
wie den fossilen Emissionshandel und Anrechnungsverfahren oder auf Selbst-
verpflichtungen. Schlupflöcher („heiße Luft“ etc.) für die fossil-atomaren Ener-
giestrukturen sind vorprogrammiert. Internationaler Klimaschutz wird nicht als
Chance zu einem Übergang ins Solarzeitalter mit dezentralen umweltfreund-
lichen Energiestrukturen und zur Schaffung einer ökologisch nachhaltigen und
sozial gerechten Mobilität, sondern lediglich als Last und Lastenverteilung an-
gesehen. Diese Politik muss durchbrochen werden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6570

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

 bis Juli 2002 einen Plan vorlegen, durch welche konkreten Maßnahmen und
Strategien das in den Eckpunkten zum Klimaschutzprogramm der Bundes-
regierung formulierte Klimaschutzziel von minus 40 Prozent Treibhausgas-
emissionen bezogen auf 1990 bis zum Jahr 2020 erfüllt werden soll. Hier ist
insbesondere ein mittelfristiges Konzept für eine nachhaltige und sozial ge-
rechte Mobilität zu erarbeiten.

Für die Verhandlungen zur sechsten Tagung der Konferenz der Vertragsparteien
des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen (UNFCCC) über Klima-
änderungen im Juli 2001 in Bonn wird die Bundesregierung beauftragt, inner-
halb der Verhandlungsgruppe der europäischen Union folgende Positionen zu
vertreten:

 Die Bundesrepublik Deutschland drängt auf einen zügigen Abschluss der
Verhandlungen um die Ausgestaltung des Kyoto-Protokolls, um zu einem
Inkrafttreten noch im Jahr 2001 zu kommen.

 Die Bundesrepublik Deutschland sieht die Kyoto-Verpflichtungen jedoch
nur als einen zaghaften Einstieg in einen umfassenden Prozess zur Reduzie-
rung von Treibhausgasen. Weitere Abkommen müssen deutlich schärfere
Verpflichtungen enthalten, weil sich sonst der Prozess der Erderwärmung
weiter beschleunigen wird.

 Bei den Verhandlungen in Bonn darf sich nicht auf den kleinsten gemeinsa-
men Nenner geeinigt werden.

 Mindestens 70 Prozent der Reduktionsziele sollen innerhalb der jeweiligen
Teilnehmerstaaten erfüllt werden. Die in Kyoto, Bonn und Den Haag disku-
tierten flexiblen Mechanismen, wie Emissionshandel, Joint Implementation
und Clean Development Mechanismen dürfen höchstens einen Anteil von
30 Prozent betragen. Der Einsatz von Atomkraft ist dabei auszuschließen.
Die Einbeziehung von Senken in die flexiblen Instrumente wird abgelehnt.
Sollte sich im Ergebnis der 6. Vertragsstaatenkonferenz zeigen, dass die
wichtigsten Schlupflöcher der flexiblen Mechanismen nicht geschlossen
werden konnten, ist dieser Anteil – unabhängig von internationalen Festle-
gungen – für die Europäische Union auf Null zu setzen.

 Die Industrieländer müssen bei der Eindämmung des CO2-Ausstoßes die
größten Lasten übernehmen, während die ärmsten Länder, die am stärksten
von den Klimaänderungen betroffen wären, umfassend unterstützt werden
müssen.

 Es sind strenge Regeln für die Einhaltung der Verpflichtungen, verbunden
mit einem System von Kontrollen und wirksamen Sanktionen, festzulegen.

 Es ist auszuloten, wie sich bei einer Verweigerungshaltung der USA eine
schnellstmögliche Ratifizierung des Protokolls auch ohne die USA erzielen
lässt.

Berlin, den 4. Juli 2001

Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Winfried Wolf
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Roland Claus und Fraktion

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