BT-Drucksache 14/6506

Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland

Vom 26. Juni 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

26. 06. 2001

Große Anfrage

der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen),
Norbert Hauser (Bonn), Ilse Aigner, Dr. Maria Böhmer, Hansjürgen Doss,
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Steffen Kampeter, Werner Lensing, Erich Maaß
(Wilhelmshaven), Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Eduard Oswald, Thomas
Rachel, Hans-Peter Repnik, Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke), Dr. Erika
Schuchardt, Bärbel Sothmann, Angelika Volquartz, Annette Widmann-Mauz,
Heinz Wiese (Ehingen) und der Fraktion der CDU/CSU

Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland

Mit ungefähr einer Million Beschäftigten bilden Ingenieurinnen und Ingenieure
heute die größte Akademikergruppe in Deutschland. Ein großer Teil von ihnen
hat ausgezeichnete Verdienst- und Beschäftigungsmöglichkeiten, ein Drittel ist
in leitender Funktion tätig. Die Nachfrage nach qualifizierten Fach- und Füh-
rungskräften mit ingenieurwissenschaftlichem Studienabschluss hat sich nach
einem enormen Wachstum seit 1997 auf hohem Niveau stabilisiert. Ingenieu-
rinnen und Ingenieure gehören auch in den kommenden Jahren zu den gefrag-
testen Berufsgruppen in Deutschland.

Die deutsche Wirtschaft meldet einen steigenden Bedarf an technischen Fach-
und Führungskräften an, den der deutsche Arbeitsmarkt nicht decken kann. Der
Fachkräftemangel führt bereits jetzt zu Engpässen, durch die viele Unterneh-
men ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen. Diese Situation
wird sich voraussichtlich weiter verschärfen.

Die Arbeitsmarktlage für Ingenieurinnen und Ingenieure ist stärker als die an-
derer akademischer Berufe durch Konjunktureinflüsse bestimmt. Seit Beginn
der 90er Jahre hat es einen deutlichen Rückgang der Studienanfänger in den in-
genieurwissenschaftlichen Fächern gegeben. Erst 1998 kam es zu einer Trend-
wende. Diese Wende kann die deutsche Wirtschaft aber nicht aufatmen lassen,
denn das Niveau von 1990 ist noch lange nicht wieder erreicht. Zudem ist als
Folge der Entwicklung vor 1998 bei den dringend benötigten Absolventen ein
stark rückläufiger Trend absehbar. Bis zum Jahr 2002 wird sich die Zahl der
Absolventen, die 1996 bei ca. 50 000 lag, auf ca. 30 000 weiter verringern.
In den folgenden Jahren ist nicht mit einem deutlich spürbaren Anstieg der Ab-
solventenzahlen zu rechnen.

Der Bedarf an hochqualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren kann deshalb
in den nächsten Jahren nicht vollständig gedeckt werden. Der Mangel an Fach-
kräften wirkt sich äußerst negativ auf den Innovationsstandort Deutschland aus,
bremst das Wirtschaftswachstum und gefährdet den Wohlstand. Angesichts
dieser für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft kritischen Situation müssen
Maßnahmen ergriffen werden, um das Studium der Ingenieurwissenschaften in
Deutschland deutlich attraktiver zu machen. Hierzu zählen auch Schritte, die
den Anteil der Ingenieurstudentinnen von zurzeit ca. 20 % erhöhen. Gleichzei-
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tig sollte das vorhandene Potenzial an Fachkompetenz aus der Gruppe der
arbeitslosen Ingenieurinnen und Ingenieure besser genutzt werden.

Das Nachlassen des Interesses an Naturwissenschaften und Technik ist ein ge-
samtgesellschaftliches Problem, dem bereits in der Schule begegnet werden
muss. Das Interesse der Schüler an Naturwissenschaften und Technik muss ge-
fördert werden, um so die Basis für ein späteres Studium der Ingenieur- oder
Naturwissenschaften zu schaffen. Die Ausstattung der Schulen mit Computern
und Internetzugängen muss weiter verbessert werden. Das System der „Ab-
wahl“ in den gymnasialen Oberstufen zuungunsten der naturwissenschaftlichen
Schulfächer bedarf dringend der Überprüfung.

An Ingenieurinnen und Ingenieure werden bereits heute und mehr noch in der
Zukunft neue und komplexere Qualifikationsanforderungen gestellt, denen auf
Seiten der Hochschulen durch eine Reform der Ingenieurausbildung Rechnung
getragen werden muss. Eine Revision der Hochschulcurricula sowie die bun-
desweite Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen erscheinen
unumgänglich. Technischer Fortschritt, Wirtschaftswachstum, Rationalisie-
rungsmaßnahmen und Internationalisierung erfordern darüber hinaus auch
nach der universitären Ausbildung persönliches Engagement, um den Anforde-
rungen an immer höhere und komplexere, stets zu erneuernde Qualifikationen
gerecht zu werden.

Die von der Bundesregierung bisher eingeleiteten und umgesetzten Maßnah-
men reichen nicht aus, um die wachsende Nachfrage nach Ingenieurinnen und
Ingenieuren zu decken, die Ingenieurausbildung in Deutschland kurz-, mittel-
und langfristig zu verbessern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des
Standortes Deutschland zu sichern.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welchen konkreten Bedarf an Ingenieuren der verschiedenen Fachrichtun-
gen, Mathematikern, Informatikern und anderen Naturwissenschaftlern ha-
ben Wirtschaft und Forschung in Deutschland nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Laufe der nächsten 10 Jahre?

2. Wie wird sich aufgrund der bekannten Zahlen von Studienanfängern, Stu-
dienabsolventen und Arbeitslosen das Angebot an Ingenieuren und Natur-
wissenschaftlern, getrennt nach männlich und weiblich, nach Kenntnis der
Bundesregierung im genannten Zeitraum entwickeln?

3. Welche Auswirkungen hat der gegenwärtige sowie der zu erwartende Man-
gel an Fachkräften auf den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutsch-
land?

4. Wie schätzt die Bundesregierung die öffentliche Darstellung und Wahrneh-
mung der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland in Relation zu
deren Bedeutung in Wirtschaft und Gesellschaft ein?

Wo sieht sie die Möglichkeit, das Ansehen und die Attraktivität des In-
genieurberufs zu verbessern?

5. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der technischen und der
naturwissenschaftlichen Bildung im Rahmen der Schulausbildung bei?

6. Ist nach den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Gestaltung der
gymnasialen Oberstufe sichergestellt, dass Mathematik und naturwissen-
schaftliche Fächer bei der Wahl von Grund- und Leistungskursen sowie den
Pflichtfächern der Abiturprüfung ausreichend berücksichtigt werden?

7. Gibt es neben dem Programm der Bund-Länder-Kommission für Bildungs-
planung und Forschungsförderung „Steigerung der Effizienz des mathema-
tisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts“ weitere Initiativen, den Unter-
richt in diesen Fächern interessanter zu gestalten, um das Interesse z. B. an
der Wahl entsprechender Leistungskurse zu erhöhen?
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8. Welche Maßnahmen empfiehlt die Bundesregierung den Ländern und
Hochschulen zur stärkeren Integration von Schlüsselqualifikationen in die
ingenieurwissenschaftlichen Curricula?

9. Wie viele Studierende der Ingenieurwissenschaften verdienen sich nach
Wissen der Bundesregierung durch qualifizierte Arbeit im ingenieurnahen
Tätigkeitsfeld einen Teil ihres Lebensunterhalts?

10. In welchem Maß wird nach Kenntnis der Bundesregierung dadurch die
Studienzeit der Betreffenden verlängert, und gibt es bereits Studienange-
bote, die diese Situation berücksichtigen?

11. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob bei dem genann-
ten Personenkreis der frühzeitige Praxiskontakt die Qualifikation beför-
dert?

12. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung schon Modelle bzw. Überle-
gungen, betriebliche Praktika in das Studium zu integrieren, und wenn ja,
welche Erfahrungen hat man damit gemacht?

13. Welche Konsequenzen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung
für die Ingenieurgesetze der Bundesländer aus der Einführung neuer Hoch-
schulabschlüsse (Bachelor-, Magisterstudienabschlüsse) und den zahlrei-
cher werdenden Hybridstudiengängen?

14. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung erforderlich, das Ingenieurstu-
dium stärker den Anforderungen der Wirtschaft anzupassen, und wenn ja,
welche Maßnahmen sind dazu erforderlich?

15. Welche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat die Entwicklung neuer
Berufsfelder für Ingenieurinnen und Ingenieure (z. B. Mechatronik) im
Verhältnis zu den traditionellen Arbeitsbereichen (z. B. Elektrotechnik)?

16. Welche Maßnahmen sind erforderlich, um naturwissenschaftliche und In-
genieurstudiengänge in Deutschland für ausländische Studenten attraktiver
zu machen?

17. Lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung durch die Internationalisie-
rung von Studiengängen und Studienabschlüssen das Interesse an techni-
schen Studiengängen verstärken?

18. Will die Bundesregierung der Kritik des Deutschen Akademischen Aus-
tauschdienstes Rechnung tragen, dass Studierende aus Nicht-EU-Staaten
z. B. durch die sog. 90-Tage-Regelung in unzumutbarer Weise daran
gehindert werden, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, und
wenn ja, durch welche Maßnahmen?

19. Welche Regelungen und Beschlüsse zur internationalen Anerkennung
neuer Studienabschlüsse gibt es bzw. werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung vorbereitet?

20. Wie will die Bundesregierung dem weiteren Abwandern deutscher Hoch-
schulabsolventen ins Ausland begegnen?

21. Ab wann und in welchen Fällen will die Bundesregierung die Vorausset-
zungen schaffen, dass künftig ausländischen Ingenieuren und Naturwissen-
schaftlern mit einem deutschen Hochschulabschluss eine Aufenthalts- und
Arbeitserlaubnis erteilt werden kann?

22. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den deutschen Schulen und
Goetheinstituten im Ausland bei, um für ein Studium der Ingenieur- oder
Naturwissenschaften in Deutschland zu werben?

23. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Quote derjenigen
Ingenieurinnen und Ingenieure, die sich selbständig machen, und welche
Möglichkeiten sieht sie, den Anteil der Selbständigen durch Beratung und
finanzielle Förderung weiter zu erhöhen?
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24. Woran scheitert nach Informationen der Bundesregierung zurzeit die Ver-
mittlung der rund 55 000 arbeitslosen Ingenieure und arbeitslosen Natur-
wissenschaftler, und mit welchem Erfolg bietet die Arbeitsverwaltung
gegenwärtig Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen an?

25. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Fachverbänden, dass die
Ausweitung der Möglichkeit des Abschlusses befristeter Verträge zu einer
größeren Bereitschaft der Unternehmen führen würde, langzeitarbeitslose
Ingenieure einzustellen?

26. Welche zusätzlichen Maßnahmen zur Reduzierung der Erwerbslosigkeit
bei den Ingenieuren über 45 Jahren und den Ingenieurinnen insgesamt
(außerhalb von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
z. B. hinsichtlich „Equality-Preisen“ für Unternehmen u. Ä.) kommen in
Betracht?

27. Gibt es Überlegungen seitens der Bundesregierung, Anreizsysteme und
Angebote speziell für Ingenieurinnen und Ingenieure zu entwickeln, wel-
che die ständige Weiterbildung unterstützen?

28. Wie sehen nach Kenntnis der Bundesregierung die Verfahren zur Doku-
mentation und Bewertung eigenständig erworbener Qualifikationen im
Rahmen des lebenslangen Lernens aus?

29. Welche überfachlichen Kompetenzen werden nach Ansicht der Bundesre-
gierung Ingenieurinnen und Ingenieuren abverlangt, und sind diese nach
Einschätzung der Bundesregierung in ausreichendem Maße vorhanden?

30. Plant die Bundesregierung bzw. die Arbeitsverwaltung Maßnahmen zur
Steigerung dieser überfachlichen Kompetenzen?

31. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die Rolle der Frauen im Inge-
nieurberuf gestärkt, wie die „weiblichen Kompetenzen“ (vernetztes Den-
ken, Kommunikationsfähigkeit etc.) als Modernisierungsfaktor besser ge-
nutzt werden?

32. Wie bewertet die Bundesregierung die berufliche und soziale Situation von
Ingenieurinnen in Deutschland im europäischen Vergleich?

33. Von welchen Bildungsmaßnahmen verspricht sich die Bundesregierung
eine Erhöhung des Anteils der Studentinnen in den Ingenieurwissenschaf-
ten, und welche Erfolge verbuchen z. B. geschlechtsspezifische Angebote
(Frauentutorien, Frauenstudiengänge) gegenüber allgemeinen Angeboten?

34. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung konkret, um den Zu-
gang von Frauen zu Ingenieurberufen und ihre späteren Karrierechancen
zu verbessern, und wie ist der bisherige Erfolg dieser Maßnahmen zu be-
werten?

35. Ist es erforderlich und nach den Kompetenzen des Bundes möglich, seine
Innovationspolitik künftig stärker auf die Bildung von Humanressourcen
auszurichten?

36. Geht die Bundesregierung davon aus, dass der Bedarf an Ingenieuren und
Naturwissenschaftlern in Deutschland auf Dauer nur über Zuwanderung
voll gedeckt werden kann?

Berlin, den 26. Juni 2001

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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