BT-Drucksache 14/6453

Brustkrebs - Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und Forschung - Für ein Mammographie-Screening nach europäischen Leitlinien

Vom 27. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6453
14. Wahlperiode 27. 06. 2001

Antrag
der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel, Hildegard Wester, Regina Schmidt-Zadel,
Klaus Kirschner, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, Dieter Dzewas,
Marga Elser, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Kerstin Griese,
Anke Hartnagel, Eike Hovermann, Christel Humme, Christine Lehder, Eckhart
Lewering, Christa Lörcher, Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg), Dr. Martin
Pfaff, Dr. Carola Reimann, Christel Riemann-Hanewinckel, Marlene Rupprecht,
Dr. Hansjörg Schäfer, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Horst Schmidbauer
(Nürnberg), Fritz Schösser, Dr. Margrit Spielmann, Dr. Angelica Schwall-Düren,
Rolf Stöchel, Lydia Westrich, Dr. Wolfgang Wodarg, Hanna Wolf (München),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Christa Nickels, Irmingard
Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und Forschung –
Für ein Mammographie-Screening nach europäischen Leitlinien

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Bundestag stellt fest:

1. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 47 000 Frauen an Brustkrebs, und
jedes Jahr sterben ca. 17 000 Frauen an dieser Tumorart. In der Europäi-
schen Union geht man von ca. 135 000 Neuerkrankungen und etwa 58 000
Brustkrebs-Todesfällen pro Jahr aus.

Obwohl Brustkrebs in Europa und den USA als vorrangiges Problem der
Frauengesundheit gesehen wird, sind bis heute große Unterschiede bei der
Brustkrebsbekämpfung zu verzeichnen.

Internationale wissenschaftliche Studien belegen, dass sich die Zahl der
Brustkrebs-Todesfälle bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren durch ein
Mammographie-Screening um 20 bis 30 Prozent verringern ließe, wenn die
Früherkennung unter gesicherten Qualitätsbedingungen stattfände.

Auf Deutschland übertragen heißt dies: In der Altersgruppe der 50- bis
70-jährigen Frauen könnten pro Jahr ca. 3 500 Todesfälle, etwa 10 pro Tag,
vermieden werden.

Die Einführung eines qualitätsgesicherten Mammographie-Screenings stellt
so den wichtigsten Einzelbeitrag zur Verbesserung der Brustkrebssterblich-
keit in Deutschland dar. In England, Schweden, Finnland, Norwegen und den
Niederlanden wurden solche Vorsorgeprogramme teilweise bereits vor mehr
als 10 Jahren eingeführt; in Belgien, Irland und Italien ist mit der Einführung
von Mammographie-Screening-Programmen begonnen worden. Auch in Tei-

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len der USA und Kanada wird ein solches qualitätsgesichertes Mammogra-
phie-Screening angeboten.

Die Wirksamkeit dieser Programme hinsichtlich der Senkung der Brust-
krebssterblichkeit ist auf der Grundlage von 8 großen randomisierten Stu-
dien gesichert. Neue Auswertungen bestätigten Senkungen der Brustkrebs-
sterblichkeit der an einem Screening teilnehmenden Frauen in einigen
Regionen Schwedens bis zu 63 Prozent.

Für die genannten Länder entstanden bei der Einführung des qualitäts-
gesicherten Mammographie-Screenings, zumindest in den ersten Jahren, Zu-
satzkosten, weil noch kein Screening bestand. In Deutschland haben wir
eine besondere Situation: Es besteht ein teures, aber nicht genügend wirk-
sames „graues Screening“.

2. Mehr als 4 Millionen Mammographien werden in Deutschland jährlich be-
reits durchgeführt. Das sind 500 000 mehr als für die Einführung eines
flächendeckenden qualitätsgesicherten Screenings mit einer Teilnehmerin-
nenrate von mindestens 70 Prozent der in Frage kommenden Frauen not-
wendig wäre.

Dieses „graue Screening“ ist im Zusammenhang zu sehen mit der Tatsache,
dass die Krankenkassen zum jetzigen Zeitpunkt eine Mammographie nur bei
Risikopatientinnen oder bei Vorliegen eines Brustkrebsverdachtes kosten-
mäßig erstatten. Anlass der Mammographie ist häufig ein Verdacht, der sich
nicht bestätigen lässt.

Die in Deutschland durchgeführten Mammographien entsprechen in der Re-
gel nicht den 1994 entwickelten, international anerkannten europäischen
Leitlinien: Diese schreiben spezielle Zentren vor mit der notwendigen Aus-
rüstung, mit technischer Qualitätskontrolle, Aufnahme- und Auswertungs-
methodik und der erforderlichen Ausbildung der am Screening beteiligten
Fachkräfte.

Die in Deutschland durchgeführte Ausschlussdiagnostik erfüllt diese Vor-
aussetzungen nicht: Es gibt keine grundsätzliche Doppelbefundung aller
Aufnahmen, keine tägliche Qualitätskontrolle der Technik, die Mindestzahl
von 5 000 Mammographien pro Jahr und Auswerter/in wird in der Regel
nicht erreicht, wir haben kein Einladesystem der teilnehmenden Frauen,
keine zentrale Brustkrebsregistrierung.

Vor allem haben die in Deutschland durchgeführten Mammographien nicht
zu einer Absenkung der Brustkrebssterblichkeit geführt.

3. Das „graue Screening“ verursacht, neben erheblichen psychischen Belastun-
gen für die Frauen, unnötige Kosten durch zu spät entdeckte Brustkrebstu-
more, die dann nur noch sehr aufwendig behandelt werden können (falsch-
negative Befunde), und durch unnötige Behandlungen und Wiederholungs-
untersuchungen bei Frauen, die trotz eines positiven Befundes der Mammo-
graphie keinen Brustkrebs haben (falsch-positive Befunde). Für eine 50-jäh-
rige Frau beträgt das Risiko, in den nächsten 20 Jahren einen falsch-positiven
Befund im „grauen Screening“ zu haben, 50 Prozent, falls sie im Abstand von
2 Jahren daran teilnimmt.

In einem qualitätsgesicherten Screening nach europäischen Leitlinien kann
diese Rate bis auf 3,5 Prozent gesenkt werden. Würde das „graue Mammo-
graphie-Screening“ in ein qualitätsgesichertes Screening in Deutschland
überführt werden können, könnten die jährlichen Kosten der gesetzlichen
Krankenkassen in erheblichen Umfang gesenkt werden.

4. Der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen hat im Jahr 1998 die Durch-
führung von drei Modellprojekten zur Einführung eines Screenings nach den
europäischen Leitlinien beschlossen. Diese auch vom Bundesministerium für

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6453

Gesundheit geförderten Projekte sollen in 2001 in den Regionen Weser-Ems,
Taunuskreis-Wiesbaden und in Bremen beginnen. Die Modellprojekte führen
zu einem wertvollen Gewinn an Kompetenz und Erfahrung für die Einführung
eines qualitätsgesicherten Screenings in Deutschland. Sie leisten aber keinen
wesentlichen Beitrag für die Beantwortung der Frage, wie das bereits beste-
hende „graue Mammographie-Screening“ in ein qualitätsgesichertes Scree-
ning nach europäischen Leitlinien flächendeckend überführt werden kann.
Durch die laufenden Modellprojekte darf es nicht zu einer weiteren Verzöge-
rung bei der Überführung des bestehenden Screenings in ein Screening nach
europäischen Leitlinien kommen.

Ein Screening muss an höchste Qualitätsanforderungen gekoppelt sein – nur
dann kann es Leben von Frauen retten oder Lebensqualität verbessern. Ein
schlechtes Screening gefährdet die Gesundheit von Frauen, belastet durch
falsch-positive oder falsch-negative Befunde und durch unnötige Folgemaß-
nahmen (Biopsien, Operationen). Nicht zuletzt stellt ein nicht qualitäts-
gesichertes Screening eine erhebliche finanzielle Belastung der Kranken-
kassen dar.

Vor dem Hintergrund sinkender Mortalitätsraten bei Brustkrebs in europäi-
schen Nachbarländern fordern immer mehr Frauen ein qualitätsgestütztes
Mammographie-Screening. Entscheidend ist aber, aufzuklären und Trans-
parenz herzustellen über angestrebte Qualitätsnormen und über die im
Screening erzielten Ergebnisse:

Nur dann haben Frauen die Möglichkeit, sich für oder gegen das Screening-
Programm zu entscheiden. Ein Mammographie-Screening bedarf einer brei-
ten Akzeptanz in der Zielgruppe der 50- bis 70-jährigen Frauen. Mindestens
70 Prozent dieser Frauen müssten am Mammographie-Screening teilneh-
men, um die Sterblichkeitsrate zu senken.

Die Verpflichtung zur Transparenz, zur Information und Einbindung der be-
teiligten Frauen ist daher ein notwendiges Kriterium für das Gelingen des
Screening-Programms.

Wir brauchen in Deutschland ein vollständiges, flächendeckendes Krebs-
register (nach IARC-Standard) zum Aufbau optimaler Behandlungsqualität,
zur Verbesserung der Transparenz in der Versorgung, als Grundlage für wei-
tere klinische und epidemiologische Forschung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. den mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz eingeschlagenen Weg der Qua-
litätssicherung, der Möglichkeit zur integrierten Versorgung, der evidenz-
basierten Medizin konsequent auszubauen und gezielt die Qualitätsverbes-
serung in der Brustkrebsfrüherkennung zu fördern;

2. alle Voraussetzungen zu schaffen für die Einführung eines flächendeckenden
Mammographie-Screenings nach europäischen Leitlinien. Hierzu gehören
flankierend:

flächendeckende, standardisierte Brustkrebsregistrierung, ein bevölkerungs-
bezogenes Einladungssystem, ein externes Qualitätsmonitoring und die Ver-
pflichtung der Krankenkassen, Screening-Mammographien, die den Stan-
dards der europäischen Leitlinien voll entsprechen, in den Leistungskatalog
aufzunehmen;

3. die Krankenkassen zu verpflichten, einheitlich und gemeinsam ein flächen-
deckendes Screening-Programm für Frauen nach den europäischen Leit-
linien bis zum Jahre 2003 durch zertifizierte Mammographie-Einrichtungen
einzuführen. An der Einführung eines solchen Programms können die Kas-
senärztlichen Vereinigungen beteiligt werden.

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Die am Screening teilnehmenden Zentren müssen nach den Leitlinien der
Europäischen Union von den Spitzenverbänden der Krankenkassen unter
Einbeziehung unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstands nach dem
EUREF-Standard zertifiziert werden. Darüber hinaus werden die Kranken-
kassen verpflichtet, bis zum Jahr 2005 alle ambulant durchgeführten Mam-
mographien, d. h. auch die der Abklärung von verdächtigen Befunden die-
nenden Mammographien, in die am Screening teilnehmenden Zentren zu
überführen. In die Finanzierung der Screening-Programme sind die bisher
von den Krankenkassen über die Gesamtvergütung für Mammographie auf-
gebrachten Mittel einzubringen;

4. die Zertifizierung von Einrichtungen zu fördern, die leitlinienorientierte,
qualitätsgesicherte Mammographie anbieten;

5. die Qualität der Behandlung zu sichern. Optimale Früherkennung, das zei-
gen die Erfahrungen anderer Länder, erweist sich als qualitätsfördernd auch
für die folgenden Behandlungsschritte: Brustkrebs muss flächendeckend
nach evidenzbasierten Leitlinien behandelt werden. Nur so können Unter-
und Fehlversorgung abgebaut und jeder Frau, unabhängig von ihrem Bil-
dungsstatus, ihrer sozialen Situation und ihrem Wohnort, eine optimale Prä-
vention, Früherkennung, Therapie und Nachsorge bei Brustkrebs zur Ver-
fügung gestellt werden;

6. die Öffentlichkeitsarbeit und die Patientinnenberatung zu verstärken: Frauen
haben ein Recht darauf zu wissen, wo sie hochwertige Diagnostik, Behand-
lung und Nachsorge nach europäischen Standards erwarten können.

Das im Gesundheitsstrukturreformgesetz im § 65 SGB V verankerte Instru-
ment der Patientinnenberatung soll hierbei auch berücksichtigt werden;

7. ein vollständiges, flächendeckendes Krebsregister (nach IARC-Standard)
einzurichten, welches als Grundlage für weitere klinische und epidemilogi-
sche Forschung und damit auch dem Aufbau verbesserter Behandlungs-
qualität dient;

8. ein externes Qualitätsmonitoring zu etablieren, das die interdisziplinäre
Zusammenarbeit aller im Screening Beteiligten organisiert, dokumentiert,
publiziert und mit anderen europäischen Wissenschaftszentren vernetzt. Nur
so kann optimale Transparenz und Rückmeldung über die erreichte Qualität
von der Früherkennung bis zur Nachsorge hergestellt werden;

9. die Versorgungsforschung zu intensivieren. In diesem Bereich fehlen in
Deutschland, verglichen mit den Nachbarländern, valide Daten, die Aus-
kunft geben über die Qualität der Früherkennung, der Behandlung und der
Nachsorge, über die Variabilität der Versorgung, über die Verteilung der
Ressourcen im System.

Auch die Ursachenforschung und die Forschung auf dem Gebiet der Primär-
prävention gilt es zu unterstützen. Bisher gibt es wenig Wissen über Ver-
fahren und Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Sterblichkeit bei Brust-
krebs präventiv zu verringern.

Berlin, den 27. Juni 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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