BT-Drucksache 14/6446

Neue Wachstumschancen mit durchgreifenden wirtschaftspolitischen Reformen schaffen - Blitzprogramm für die deutsche Wirtschaft

Vom 27. Juni 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

6446

14. Wahlperiode

27. 06. 2001

Antrag

der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto
Solms, Ernst Burgbacher, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke,
Hans-Michael Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Neue Wachstumschancen mit durchgreifenden wirtschaftspolitischen Reformen
schaffen – Blitzprogramm für die deutsche Wirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland ist zurzeit von einem Wettbe-
werb der Prognosen nach unten gekennzeichnet. Noch im April hatten die
sechs führenden deutschen Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose
2,1 % vorhergesagt. Das war schon eine Abwärtskorrektur, der sich die Bun-
desregierung lange entgegenstemmte, indem sie an ihrer Prognose aus dem
Jahreswirtschaftsbericht festhielt. Sie lautete für 2001 2,75 %.

Inzwischen gehen die Institute von 1,2 bis maximal 1,7 % Wachstum für 2001
aus. Alle Analysten bei den großen Geschäftsbanken bewegen sich bei ihren
Vorhersagen nunmehr in einer Spanne von 1,3 bis 1,6 %. Die Abwärtsbewe-
gung des Ifo-Geschäftsklimaindexes hält inzwischen seit 11 Monaten an. In der
Vergangenheit hat dieser Index die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland mit einer Vorlaufzeit von etwa vier Monaten recht gut vorherge-
sagt. Nur die Bundesregierung hält an einem Wachstumsziel von 2 % in diesem
Jahr fest.

Für die Bundesregierung muss eine solche Entwicklung aber nicht nur Grund
zur Sorge, sondern auch hinreichender Grund zum sofortigen Handeln sein. Die
Bundesregierung hat es versäumt, die gute Konjunktur auch für eine Konsoli-
dierung auf der Ausgabenseite zu nutzen. Es ist unseriös und nicht hinzuneh-
men, dass die Bundesregierung unter Hinweis auf die Konsolidierung nun ver-
sucht, alle Vorschläge abzulehnen. Stetige Wirtschaftspolitik bezweckt
keinesfalls eine kurzfristige Feinsteuerung der Konjunktur oder eine Korrektur
des Quartalswachstums um Zehntelprozentpunkte. Kurzatmige Konjunktur-
programme über die Ausgabenseite sind unnütz, teuer und lenken von den
Ursachen der Probleme ab. Erforderlich ist aber eine Wirtschaftspolitik, die
sensibel auf Konjunkturlagen reagiert und Wachstumschancen in Deutschland
nicht verspielt. Im Ergebnis kann die deutsche Volkswirtschaft nur so robuster
auf konjunkturelle Schwankungen reagieren. Das bessere Auffangen auch
außenwirtschaftlich ausgelöster Schwankungen ist also eine Kernaufgabe
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
nationaler Wirtschaftspolitik. Die Verantwortung kann nicht unter Hinweis auf
internationale Zusammenhänge abgeschoben werden.

Deutschland bedarf dringend einer durchgreifenden Reform der Wirtschafts-
und Arbeitsmarktpolitik.

Nach wie vor sind 3,8 Millionen Menschen ohne Arbeit registriert, davon rd.
1,3 Millionen länger als ein Jahr. Rechnet man die darin nicht enthaltene Zahl
derer, die an staatlichen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen und
die stille Reserve hinzu, dürfte die Zahl der Arbeitssuchenden in Deutschland
um mindestens rd. 1,5 Millionen höher sein. Dem stehen insgesamt etwa
1,5 Millionen offene Stellen gegenüber, von denen etwa ein Drittel den
Arbeitsämtern gemeldet sind. Die anhaltend hohe und weitgehend strukturelle
Arbeitslosigkeit in Deutschland sowie die beschäftigungspolitischen Erfolge
anderer Länder ziehen die Effektivität und Effizienz der deutschen Arbeits-
marktpolitik stark in Zweifel. So konnte Deutschland nach der europäischen
Arbeitslosenstatistik von April 2000 bis April 2001 die Arbeitslosenquote nur
um 0,3 % senken – Großbritannien dagegen um 0,6 %, Irland um 0,6 %, Italien
um 0,7 %, Frankreich um 0,8 %, Spanien und Schweden um jeweils 1,3 %.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf:

1. Die Bundesregierung zieht die nächsten Steuerreformschritte auf 2002 vor
und präsentiert umgehend ein Konzept, nach dem sämtliche Unternehmens-
einkommen und die Arbeitseinkommen ab 2003 mit einem einheitlichen
Stufentarif von 15 %, 25 % und 35 % besteuert werden. Die Besteuerung
der Gewinne der Körperschaften ist definitiv, ausgeschüttete Gewinne wer-
den nicht besteuert, das komplizierte Halbeinkünfteverfahren kann ent-
fallen.

2. Verzicht auf weitere Stufen der Ökosteuer. Die Absenkung der Rentenver-
sicherungsbeiträge ist durch eine konsequente Rentenreform II zu erreichen.

3. Die Bundesregierung legt umgehend ein Konzept für die Umstellung auf die
nachgelagerte Besteuerung bei allen Vorsorgeformen für das Alter vor.

4. Verzicht auf die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. 3,5 Mrd.
DM Mehrbelastung für die Wirtschaft in Zeiten eines stotternden Konjunk-
turmotors sind Gift für Wachstum und Beschäftigung.

5. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wird zum 1. August 2001 auf
5,5 % gesenkt.

6. Sofortige Flexibilisierung des Tarifrechts: Künftig kann auch ein geringerer
Lohn oder eine längere Arbeitszeit für den Erhalt des Arbeitsplatzes günsti-
ger sein, wenn hierdurch der Arbeitsplatz gesichert werden kann und dem
75 % der abstimmenden Mitarbeiter des Unternehmens zugestimmt haben
(Neuinterpretation des Günstigkeitsprinzips). Die Sperrwirkung des § 77
Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz, der vom Tarifvertrag abweichende Be-
triebsvereinbarungen bislang untersagt, ist zu ändern.

7. Die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes ist vollständig zurückzuzie-
hen.

Berlin, den 26. Juni 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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