BT-Drucksache 14/6388

Bewertung der VVN-BdA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz angesichts ihres pluralistischen Selbstverständnisses

Vom 15. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6388
14. Wahlperiode 15. 06. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Bewertung der VVN-BdA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
angesichts ihres pluralistischen Selbstverständnisses

Im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 2000 (Verfas-
sungsschutzbericht 2000) ist auf Seite 141 im Rahmen der Argumentation, wel-
che die behauptete extremistische bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten (VVN-BdA) belegen soll, folgendes Zitat aus der vom Bundes-
ausschuss der VVN-BdA, herausgegebenen „antifa-rundschau“ Nr. 44, Oktober
bis Dezember 2000, angeführt:

„Die VVN-BdA ist und bleibt eine pluralistisch zusammengesetzte Bündnisor-
ganisation von Antifaschisten unterschiedlicher Herkunft und Auffassung. Da-
her müssen auch grundsätzliche Meinungsunterschiede auszuhalten sein, wenn
sie das gemeinsame Handeln gegen Neofaschismus und Krieg nicht verhin-
dern.“

Die VVN-BdA als eine Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes leitet ihr
pluralistisches Selbstverständnis wie auch ihre Bündnispolitik aus der histori-
schen Erfahrung der Spaltung der antifaschistischen Kräfte ab, die den Aufstieg
des Hitlerfaschismus nicht zu verhindern vermochten.

Ein Bundessprecher der VVN-BdA erklärte dazu in einer Anhörung vor der
Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 12. Dezember 2000 in
Berlin

„[…] dass wir bei Bündnissen gegen Rechtsextremismus und Rassismus
tatsächlich niemanden ausgrenzen, der sich bereit erklärt, an einem solchen
Bündnis mitzuwirken und Inhalt und Form dieses Bündnisses akzeptiert.
Gerade die ehemals Verfolgten und Opfer des Naziregimes wissen um die
Bedeutung gemeinsamen Auftretens und des Grundsatzes, keine Gegner des
Faschismus auszugrenzen. Wir sind nicht bereit, Gruppierungen, denen von
anderen angebliche ‚Gewaltbereitschaft‘ vorgeworfen wird, auszugrenzen und
außen vor zu lassen. Wir sehen es vielmehr als unsere Aufgabe an, auch solche
Gruppen in breite Bündnisse zu integrieren. […]

Maßgeblich ist, dass unsere Bündnisse und Aktivitäten niemals Gewalttaten zum
Inhalt oder Ziel haben, sondern sich gegen Gewalt und Gewalttaten richten.“

In der Ausgabe Nr. 43, Juli bis September 2000 der „antifa-rundschau“ erklärt
die VVN-BdA ihre Bereitschaft, mit antifaschistischen Jugendbewegungen zu-
sammenzuarbeiten:

„Wir fühlen uns solidarisch mit antifaschistischen Jugendbewegungen, die es in
ihrer Besorgnis über bedrohliche Rechtsentwicklungen nicht bei verbalen Be-
troffenheitserklärungen belassen, sondern ihren Antifaschismus auf die Straße
tragen und dafür dann aber in zunehmendem Maße kriminalisiert werden.“
(zitiert im Verfassungsschutzbericht 2000, S. 142).

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Entgegen diesen eindeutigen Aussagen unterstellt der Verfassungsschutz der
VVN-BdA eine „Parteinahme für gewaltbereite autonome Antifaschisten“
(Verfassungsschutzbericht 2000, S. 142).

Dasselbe Zitat, abgedruckt in der vom Interessenverband ehemaliger Teilneh-
mer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinter-
bliebener e. V. (IVVdN), ab 25. März 2000 vom VVN-BdA hrsg. Zeitschrift
„antifa“, soll eine extremistische bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung auch
des Bundes der Antifaschisten (BdA) belegen (vgl. Verfassungsschutzbericht
2000, S. 160).

Dem BdA wird konkret die Unterstützung und Beteiligung an Bündnissen ge-
gen Rechts vorgeworfen, „in denen neben anderen linksextremistischen und
linksextremistisch beeinflussten Zusammenhängen auch Demokraten einge-
bunden waren“ (Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2000, S. 160).

Dem Bundessprecherkreis der VVN-BdA gehören nach Angaben der VVN-
BdA von den elf Mitgliedern drei der DKP, drei der SPD, eins der CDU an,
zwei sind ehemalige SPD-Mitglieder und zwei parteilos.

Im Widerspruch zu diesen Tatsachen erklärt der Verfassungsschutz:

„Unverändert wird die Vereinigung von einem traditionell orthodox-kommu-
nistischen Flügel wesentlich geprägt. In den Gremien und Gliederungen blie-
ben aktive Mitglieder der DKP und dieser Partei nahestehende Personen poli-
tisch tonangebend.“ (Verfassungsschutzbericht 2000, S. 140).

Setzte sich eine solche Interpretation von Aussagen einer Organisation durch,
und gelänge es dem Verfassungsschutz tatsächlich, die Zusammenarbeit mit an-
tifaschistischen Jugendgruppen zum Kriterium für „Extremismus“ oder „Ver-
fassungsfeindlichkeit“ zu machen, müssten in der Folge unzählige Bündnisse
gegen Rechts, die sich in den letzten Jahren und noch einmal verstärkt infolge
des Aufrufs von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum „Aufstand der Anstän-
digen“ auf lokaler Ebene gegründet haben, entweder auflösen oder ihre Auf-
nahme in den nächsten Verfassungsschutzbericht befürchten.

Orts- und Kreisverbände fast aller demokratischen Parteien einschließlich ihrer
Jugendorganisationen, Gewerkschaftsgruppen, Flüchtlingsinitiativen und Men-
schenrechtsgruppen hätten ihre Bündnispolitik in Zukunft nach Maßgabe des
Verfassungsschutzes auszurichten, wollten sie nicht als „extremistisch“ oder
„verfassungsfeindlich“ bezeichnet werden und als Konsequenz daraus mögli-
cherweise von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen werden.

Wird auf diese Weise engagiertes antifaschistisches Eintreten gegen Rechts in
die Nähe von Extremismus und Verfassungsfeindlichkeit gerückt, wäre dies un-
vereinbar mit dem Aufruf des Bundeskanzlers Gerhard Schröder und vieler an-
dere Gruppen und Organisationen zum „Aufstand der Anständigen“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verfassungsschutzes, dass die
Erklärung der VVN-BdA, sie „ist und bleibt eine pluralistisch zusammenge-
setzte Bündnisorganisation von Antifaschisten unterschiedlicher Herkunft
und Auffassung. Daher müssen auch grundsätzliche Meinungsunterschiede
auszuhalten sein, wenn sie das gemeinsame Handeln gegen Neofaschismus
und Krieg nicht verhindern“, ein Beleg für deren extremistische bzw. verfas-
sungsfeindliche Ausrichtung sei?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundes-
regierung diese Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6388

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verfassungsschutzes, die
VVN-BdA werde „unverändert […] von einem traditionell orthodox-kom-
munistischen Flügel wesentlich geprägt. In ihren „Gremien und Gliederun-
gen blieben aktive Mitglieder der DKP und dieser Partei nahestehende Per-
sonen politisch tonangebend“?

a) Wenn ja, auf welche Fakten stützt sie diesen Vorwurf?

b) Wenn nein, warum nicht?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verfassungsschutzes, die Er-
klärung der VVN-BdA, sich „solidarisch mit antifaschistischen Jugendbe-
wegungen [zu fühlen], die es in ihrer Besorgnis über bedrohliche Rechtsent-
wicklungen nicht bei verbalen Betroffenheitserklärungen belassen, sondern
ihren Antifaschismus auf die Straße tragen und dafür dann aber in zuneh-
mendem Maße kriminalisiert werden“, sei eine „Parteinahme für gewalt-
bereite autonome Antifaschisten“?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile erlauben der Bundes-
regierung eine solche Bewertung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

4. Hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, dass sich VVN-BdA und
BdA eindeutig von Gewaltanwendung distanzieren?

a) Wenn ja, wie beurteilt sie vor diesem Hintergrund den Vorwurf des Ver-
fassungsschutzes, die VVN-BdA nehme Partei für „gewaltbereite auto-
nome Antifaschisten“?

b) Wenn nein, warum nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verfassungsschutzes, dass die
Teilnahme des BdA an Bündnissen gegen Rechts, „in denen neben anderen
linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Zusammenhängen
auch Demokraten eingebunden waren“, die extremistische bzw. verfas-
sungsfeindliche Ausrichtung des BdA belegt?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile erlauben der Bundes-
regierung eine solche Bewertung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

6. Auf welche Weise verdeutlichen oder belegen die genannten Zitate der
VVN-BdA und des BdA nach Ansicht der Bundesregierung die behauptete
extremistische bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung bzw. Bestrebungen
der beiden Organisationen (bitte für jedes Zitat einzeln aufführen)?

Welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile erlauben der Bundesregierung eine
solche Bewertung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

7. Welchen der in § 4, Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz genannten Ver-
fassungsgrundsätzen widersprechen die genannten Zitate der VVN-BdA und
des BdA (bitte für jedes Zitat einzeln aufführen)?

Auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundesregierung
ihre Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

8. Inwiefern stellen die oben genannten Zitate von VVN-BdA und BdA eine
„gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder
die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ (§ 3, Abs. 1, 1 BverfSchG)
gerichtete Bestrebung dar (bitte für jedes Zitat einzeln aufführen)?

Auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundesregierung
ihre Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

Drucksache 14/6388 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
9. Welches Gesetz oder welche Gerichtsurteile erlauben dem Verfassungs-
schutz, der VVN-BdA wie auch dem BdA die oben genannten Zitate
öffentlich vorzuwerfen und die Organisationen als extremistisch und ver-
fassungsfeindlich zu definieren (bitte genaue Fundstelle angeben)?

10. Sind die oben genannten Zitate von VVN-BdA und BdA durch das im
Grundgesetz garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Wenn nein, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese

Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?
11. Werden die oben genannten Meinungsäußerungen von VVN-BdA und

BdA generell als extremistisch oder verfassungsfeindlich gewertet oder
nur, weil diese von der VVN-BdA und dem BdA formuliert werden?
Welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auffassung (bitte
genaue Fundstelle angeben)?

12. Äußert ein Beamter diese Meinungen, wird dies als Dienstvergehen ge-
wertet?
a) Wenn ja, mit welchen Konsequenzen?
b) Wenn ja, auf welcher gesetzlichen Grundlage?

13. Wird die Bundesregierung sicherstellen, dass der Vorwurf der Verfassungs-
feindlichkeit in Zukunft nicht mehr mit den oben genannten Zitaten be-
gründet wird?
Wenn nein, warum nicht?

14. Kann die bloße Zusammenarbeit mit vom Verfassungsschutz als extremis-
tisch oder verfassungsfeindlich definierten Organisationen die Aufnahme
einer Organisation in den Verfassungsschutzbericht rechtfertigen?
a) Wenn ja, mit welcher Begründung?
b) Wenn ja, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auf-

fassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?
c) Wenn nein, warum nicht?

15. Wird die Mitarbeit einer Organisation an Bündnissen, denen u. a. auch
Gruppen oder Organisationen angehören, die vom Verfassungsschutz als
extremistisch bzw. verfassungsfeindlich definiert werden, generell als Be-
leg für eine extremistische bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung für die
Organisation selbst ausgelegt?
a) Wenn ja, mit welcher Begründung?
b) Wenn ja, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auf-

fassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?
c) Wenn nein, warum nicht?

16. Führt die Mitgliedschaft einer Person, die Mitglied in einer im Verfas-
sungsschutzbericht als extremistisch bzw. verfassungsfeindlich erwähnten
Gruppe oder Organisation ist, in einer weiteren Gruppe oder Organisation
generell dazu, dass auch dieser Gruppe oder Organisation eine extremisti-
sche bzw. verfassungsfeindliche Ausrichtung unterstellt wird?
a) Wenn ja, mit welcher Begründung?
b) Wenn ja, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auf-

fassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?
c) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 6. Juni 2001

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