BT-Drucksache 14/6386

Bewertung der VVN-BdA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz angesichts der Ablehnung der Gleichsetzung von Links und Rechts

Vom 15. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6386
14. Wahlperiode 15. 06. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Bewertung der VVN-BdA durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
angesichts der Ablehnung der Gleichsetzung von Links und Rechts

Im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 2000 ist im
Rahmen der Argumentation, welche die behauptete extremistische Ausrichtung
bzw. Verfassungsfeindlichkeit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
– Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) belegen soll, auf
Seite 141 ausgeführt:

„Die 132 Delegierten [auf dem Bundeskongress der VVN-BdA] verabschiede-
ten mit großer Mehrheit einen Leitantrag über die ‚Erfordernisse des Kampfes
gegen Rechts‘, in dem der antitotalitäre – gleichermaßen gegen Rechts- wie
Linksextremismus gerichtete – Konsens des Grundgesetzes abgelehnt wird.“

Tatsächlich aber wird an keiner Stelle des Leitantrages eine Ablehnung des „an-
titotalitären Konsenses“ formuliert. In der im Verfassungsschutzbericht dahin-
gehend umgedeuteten und auf Seite 141 zitierten Passage des Leitantrags wird
stattdessen festgehalten:

„Wir wenden uns gegen jede Gleichsetzung von Nazigegnern mit Neonazis
und Rechtsextremisten. Jede Gleichsetzung von links und rechts verharmlost
die rechte Gewalt, schwächt die Kräfte des Widerstandes und begünstigt den
Neonazismus.“

Vor wenigen Monaten wurde im Innenausschuss des Deutschen Bundestages
das Ansinnen der CDU/CSU-Fraktion zurückgewiesen, einen gleichermaßen
gegen Links- und Rechstextremismus gerichteten Antrag zu verabschieden.
Damit trugen die Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P.
und PDS auch der breiten öffentlichen Debatte der vorangegangenen Monate
um den anwachsenden Rechtsextremismus Rechnung, in der einer Gleich-
setzung von Links und Rechts ebenfalls eine Absage erteilt wurde. Der Aufruf
von Bundeskanzler Gerhard Schröder richtete sich entsprechend gegen Rechts.

Statt des von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagenen Antrages entstand im
Innenausschuss so der „Antrag gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich-
keit, Antisemitismus und Gewalt“, der gemeinsam von den Fraktionen von
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS (Bundestagsdrucksache
14/5456) getragen wird, ohne Zustimmung von CDU/CSU.

Gälte die oben zitierte Meinung der VVN-BdA generell als Ablehnung des an-
titotalitären Konsenses bzw. Beleg für eine extremistische oder verfassungs-
feindliche Ausrichtung, müssten sich nun folgerichtig alle Fraktionen, die die-
sen Antrag unterzeichnet haben, den Vorwurf gefallen lassen, zumindest
leichtfertig einen Verstoß gegen den antitotalitären Konsens des Grundgesetzes
begangen zu haben.

Drucksache 14/6386 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz, dass die Gleichsetzung von Nazigegnern mit Neonazis und Rechts-
extremisten, gegen die sich die VVN-BdA wendet, zwingender Bestandteil
des antitotalitären Konsenses des Grundgesetzes ist?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundes-
regierung die Auffassung, die Weigerung, Nazigegner mit Neonazis und
Rechtsextremisten gleichzusetzen, sei eine Ablehnung des antitotalitären
Konsenses des Grundgesetzes (bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz, dass die Erklärung der VVN-BdA, sie wendete sich gegen jede
Gleichsetzung von Nazigegnern mit Neonazis und Rechtsextremisten,
geeignet ist, die verfassungsfeindliche bzw. extremistische Ausrichtung
einer Organisation zu belegen?

a) Wenn ja, auf welche Weise und mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundes-
regierung die Auffassung, die Weigerung, Links und Rechts gleichzuset-
zen, sei eine Ablehnung des antitotalitären Konsenses des Grundgesetzes
(bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

3. Welchen der in § 4 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) ge-
nannten Verfassungsgrundsätzen widerspricht nach Information der Bundes-
regierung das oben genannte Zitat aus dem Leitantrag der VVN-BdA?

Auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundesregierung
diese Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

4. Inwiefern stellt das oben genannte Zitat aus dem Leitantrag der VVN-BdA
nach Information der Bundesregierung eine „gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder
eines Landes“ (§ 3 Abs. 1, 1 BVerfSchG) gerichtete Bestrebung dar?

Auf welche Gesetze und/oder Gerichtsurteile stützt die Bundesregierung
diese Auffassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

5. Welche Gesetze und/oder welche Gerichtsurteile erlauben nach Ansicht der
Bundesregierung dem Verfassungsschutz, der VVN-BdA das oben genannte
Zitat aus ihrem Leitantrag öffentlich vorzuwerfen und die Organisation als
extremistisch und verfassungsfeindlich zu definieren (bitte genaue Fund-
stelle angeben)?

6. Ist das oben genannte Zitat aus dem Leitantrag der VVN-BdA nach Ansicht
der Bundesregierung durch das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie
Meinungsäußerung geschützt?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn nein, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auf-
fassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

7. Wird die Äußerung der oben genannten, im Leitantrag der VVN-BdA
formulierten Meinung nach Information der Bundesregierung generell als
extremistisch oder verfassungsfeindlich gewertet oder nur, weil diese von
der VVN-BdA formuliert wird?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6386

b) Wenn ja, welche Gesetze und welche Gerichtsurteile stützen diese Auf-
fassung (bitte genaue Fundstelle angeben)?

c) Wenn nein, warum nicht?

8. Äußert ein Beamter diese Meinung, wird dies als Dienstvergehen gewertet?

a) Wenn ja, mit welchen Konsequenzen?

b) Wenn ja, auf welcher gesetzlichen Grundlage?

9. Wird die Bundesregierung sicherstellen, dass der Vorwurf der Verfassungs-
feindlichkeit in Zukunft nicht mehr mit dem oben genannten Zitat begrün-
det wird?

Wenn nein, warum nicht?

10. Wird die Bundesregierung bei ihrer Haltung die Position der unterzeich-
nenden Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und
PDS, die sich in dem gemeinsamen „Antrag gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“, (Bundestagsdruck-
sache 14/5456) bewusst gegen eine Gleichsetzung von Links- und Rechts-
extremismus gewandt haben, berücksichtigen?

a) Wenn ja, in welcher Weise?

b) Wenn nein, warum nicht?

11. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass nun auch die unterzeichnenden
Fraktionen des „Antrags gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Gewalt“, der gemeinsam von den Fraktionen von
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS (Bundestagsdruck-
sache 14/5456) den antitotalitären Konsens des Grundgesetzes ablehnen
und damit zumindest potentiell als verfassungsfeindlich anzusehen seien
oder in die Nähe von Verfassungsfeindlichkeit kämen?

a) Wenn ja, wie bewertet sie dies?

b) Wenn nein, warum nicht?

12. Nimmt die Bundesregierung die Erwägungen der Fraktionen von SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS im Innenausschuss im
Vorfeld der Entschließung des gemeinsamen Antrags zum Anlass, jede
Gleichsetzung von Links und Rechts ebenfalls abzulehnen?

Wenn nein, warum nicht?

13. Ist nach Ansicht der Bundesregierung vor dem Hintergrund anwachsender
rechtsextrem, fremdenfeindlich und antisemitisch motivierter Straftaten
und vor dem Hintergrund von 93 tatsächlich oder zu vermutender rechtsex-
trem und fremdenfeindlich motivierter Tötungsdelikte seit 1990 eine
Gleichsetzung von Nazigegner mit Neonazis und Rechtsextremisten über-
haupt zu rechtfertigen?

a) Wenn ja, mit welcher Begründung?

b) Wenn ja, auf welche Fakten stützt die Bundesregierung eine solche
Bewertung?

Berlin, den 6. Juni 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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