BT-Drucksache 14/6373

Reform der Hermesbürgschaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien

Vom 20. Juni 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/6373
14. Wahlperiode 20. 06. 2001

Antrag
der Abgeordneten Carsten Hübner, Eva-Maria Bulling-Schröter, Ursula Lötzer,
Uwe Hiksch, Rolf Kutzmutz, Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS

Reform der Hermesbürgschaften nach ökologischen, sozialen und
entwicklungspolitischen Kriterien

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zum kommenden Weltwirtschaftsgipfel der G8-Staaten vom 20. bis 22. Juli
2001 in Genua sollen Reformvorschläge der nationalen Exportkreditagenturen
vorgelegt werden. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
(BMWi) wurden im April 2001 entsprechende Umweltleitlinien erarbeitet und
vorgelegt, die jedoch weit hinter Forderungen von Umwelt- und Entwicklungs-
organisationen aus dem In- und Ausland nach einer umfassenden Reform der
Hermesbürgschaften zurückbleiben. Nach den vorgelegten Leitlinien soll die
Öffentlichkeit im Vorfeld von Entscheidungen keinerlei umweltrelevante Pro-
jektinformation erhalten, Betroffene werden im Entscheidungsverfahren nicht
gehört und verbindliche Standards fehlen nach wie vor. Ausgeschlossen von ei-
ner Förderung durch Hermeskredite bleiben lediglich Zulieferungen für Atom-
kraftwerke. Die Bundesregierung versäumte damit, grundsätzliche Schritte für
eine Reform der Exportkreditvergabe nach ökologischen, sozialen und ent-
wicklungsverträglichen Kriterien einzuleiten, die national verankerten und in-
ternational kodifizierten Verträgen und Abkommen entsprechen würden.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) ist im zuständigen Entscheidungsgremium für die Vergabe der Export-
kreditvergabe (Hermesbürgschaften) im Interministeriellen Ausschuss (IMA)
mit einer Stimme vertreten, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU) bleibt weiterhin ausgeschlossen. Die Beratungen
des IMA sind nach wie vor geheim, seine Entscheidungen intransparent, die In-
formationspflicht der Unternehmen ungenügend und das Mitspracherecht des
Parlaments, zivilgesellschaftlicher Kräfte und der Betroffenen unzureichend.

Die rechtliche Grundlage für die Bürgschaftserteilung bildet das Bundeshaus-
haltsgesetz, in dem der jährliche Höchstbetrag für Ausfuhrgewährleistungen
festgelegt wird. Dieser finanzielle Rahmen ist der einzige Ansatzpunkt für eine
parlamentarische Kontrolle durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bun-
destages. Es fehlen damit nicht nur gesetzliche Regeln für eine ökologische, so-
ziale und entwicklungsverträgliche Ausrichtung der Exportkreditvergabe, son-
dern das Verfahren ist unter demokratischen Gesichtspunkten unzureichend.
Die Exportkreditvergabe ist ein nationales Instrument, das durch den deutschen
Steuerzahler abgesichert wird. Eine adäquate Informationspolitik wäre ebenso
zwingend wie eine öffentliche und parlamentarische Kontrolle der effizienten

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Mittelverwendung und der Überprüfung von Regierungshandeln nach den
Grundsätzen ökologischen und sozialen Handelns.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich eine grundsätzliche Reform der Exportkreditvergabe vorzuberei-
ten und umzusetzen, die entsprechend einer umfassenden Nachhaltigkeit an so-
zialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien ausgerichtet ist und
in diesem Sinne Entwicklung nicht behindert, sondern befördert.

Zu diesem Zweck sind:

1. Richtlinien für die Vergabe von Exportkrediten zu entwickeln und vorzule-
gen,

– die ökologische, entwicklungspolitische Grundsätze und die Menschen-
rechte im betreffenden Empfängerland nicht verletzen,

– welche die Möglichkeit beinhalten, für besonders entwicklungspolitisch
förderliche Güterexporte die Versicherungsprämien zu erlassen und das
System von Versicherungsprämien neu zu gestalten und nach dem Grad
der Entwicklungsförderlichkeit zu staffeln,

– welche die Verschuldungssituation des Empfängerlandes nicht ver-
schärft. Das heißt, die Schulden und Altschulden aus Hermesbürgschaf-
ten sind den am wenigsten entwickelten (LDC) und den am meist ver-
schuldeten armen Ländern (HIPC) zu erlassen und sollen für die übrigen
Entwicklungsländer unverzinst bleiben, die Einrichtung von Gegenwert-
fonds ist zu prüfen,

– welche die bestehende Antikorruptionsklausel (Ausschluss der Versiche-
rung von Bestechungsgeldern und sonstigen Korruptionsaufwendungen)
dahin gehend ergänzt, dass bei Missachtung Sanktionen gegenüber den
betreffenden Unternehmen zu verhängen sind,

– die die Vergabe von Hermesbürgschaften zur Risikoabsicherung vorran-
gig für kleine und mittelständische Unternehmen (Kleine und mittelstän-
dische Unternehmen definiert nach: Amtsblatt der Europäischen Gemein-
schaften Nr. L 1074 vom 30. 4. 1996) zulässt,

– die das System von Versicherungsprämien neu gestaltet und nach dem
Grad der Entwicklungsförderlichkeit staffelt,

– die die Unterzeichnung und Ratifizierung der ILO-Konventionen über
die Beseitigung der schlimmsten Formen von Ausbeutung, Kinderarbeit
und über die grundlegenden Arbeitnehmerrechte durch das Empfänger-
land zur Bedingung für die Übernahme der staatlichen Garantie für ein
Projekt machen.

2. Eine „Ausschlussliste“ zu erarbeiten und vorzulegen, welche die Export-
rückversicherungen für den Handel mit

– Rüstung und militärischem Gerät,

– Dual-use-Gütern an Adressaten und in Regionen, wo ein Missbrauch
nicht ausgeschlossen werden kann,

– Lieferungen für Infrastruktur- und Rohstofferschließungsprojekte in öko-
logisch sensible Regionen, wie z.B. Primärwälder und Naturschutzge-
biete,

– Tropenhölzern,

– Atomtechnologien,

– gentechnologisch veränderten Produkten,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/6373

– Giftmüll und gefährlichen Chemikalien

untersagt.

3. Einen Katalog von ökologischen Mindestbedingungen für Hermes finan-
zierte Projekte zu erarbeiten, die den Weltbankstandards und den Empfeh-
lungen der World Commission of Dams (WCD) entsprechen.

4. Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen durch ein unabhängiges Insti-
tut für Projekte mit einem Finanzbedarf von mehr als 5 Mio. DM zu veran-
kern, die sich an den jeweils höchsten überregionalen und internationalen
Standards orientieren und auf „best practice“ verpflichten.

5. Wird die Bundesregierung weiterhin aufgefordert, in den Richtlinien Aussa-
gen für mehr Transparenz und parlamentarische und demokratische Kon-
trolle für ökologisch und sozial sensible Projekte aufzunehmen,

– eine rechtzeitige (mindestens 60 Tage vor der Entscheidung) öffentliche
Information vor der Vergabe der Grundsatzzusage bei umweltsignifikan-
ten Projekten festschreiben;

– zusätzlich eine weitgehende öffentliche Vorabinformation via Internet,
wie es in anderen Ländern bereits Praxis ist, ermöglichen;

– ein Experten- und Beratungspanel aller interessierten Vertreterinnen und
Vertreter der Zivilgesellschaft in der Beratungsphase installiert, das die
Konsultation der betroffenen Bevölkerungsgruppen einschließt;

– eine Erweiterung des Interministeriellen Ausschusses (IMA) um eine/n
Vertreter/in des Bundesministeriums für Umwelt festlegen;

– beinhalten, das beratende Sachverständigengremium des IMA um Um-
welt- und Entwicklungsexperten zu bereichern;

– eine Informationspflicht und regelmäßige Berichterstattung gegenüber
den zuständigen Parlamentsausschüssen über den Diskussions- und
Sachstand festschreiben;

– die einen Verfahrensvorschlag zur Gewährleistung der parlamentarischen
Kontrolle der Vergabe von Hermesbürgschaften beinhalten.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert,

– Initiativen auf internationaler Ebene, insbesondere im Rahmen der EU, G7,
OECD und WTO, zu ergreifen, die hohe soziale und ökologische Standards
sowie Entwicklungsverträglichkeitskriterien bei Exportversicherungen und
anderen Außenhandelsgeschäften auch in diesem Rahmen ermöglichen

und

– sicherzustellen, dass die geforderten Kriterien bei Rückversicherungen von
Projekten mit ausländischen Kooperationsbeteiligungen ebenfalls angewen-
det werden.

Berlin, den 19. Juni 2001

Carsten Hübner
Eva-Maria Bulling-Schröter
Ursula Lötzer
Uwe Hiksch
Rolf Kutzmutz
Dr. Winfried Wolf
Roland Claus und Fraktion

Drucksache 14/6373 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

Hermesbürgschaften sind seit fünfzig Jahren das wichtigste Instrument der
deutschen Außenwirtschaftsförderung. 1999 wurden Hermesdeckungen in
Höhe von 26,7 Mrd. DM für Exportgeschäfte vergeben. Diese Summe teilte
sich zu 86,3 % für Exporte in so genannte Entwicklungsländer und 11,7 % für
Exporte in die Mittel- und Osteuropäischen Staaten auf. Insgesamt lässt sich in
den letzten Jahren eine Verschiebung des Anteils der abgesicherten deutschen
Exporte in Richtung der Schwellenländer verzeichnen, was auf dynamische
Entwicklungen in diesen Regionen verweist. Die historischen Erfahrungen
zeigen dabei oft, dass die mit den staatlichen Geldern der Hermesdeckungen
geförderte Außenwirtschaft und deren Produkte/Dienstleistungen entwick-
lungspolitische Ansätze bzw. eigenständige Entwicklungen in den Empfänger-
ländern konterkariert bzw. untergräbt. Insbesondere bei Großstaudammprojek-
ten und Kernkraftanlagen belegen zahlreiche Beispiele die verheerenden
Wirkungen von Hermes unterstützten Investitionen, deren kritische Diskussion
zur Frage nach den Zielen der Förderung und der Notwendigkeit im Verhältnis
zum gesellschaftlichen Schaden in den Nehmerländern führte und führt. Neben
Massenvertreibungen und Umsiedlungen, schweren Einschnitten in ökologi-
sche Gleichgewichte, Zerstörung von Existenzgrundlagen und Lebenszusam-
menhängen, groben Menschenrechtsverletzungen, Zerstörung von Kultur-
gütern, führten die durch staatliche Mittel abgesicherten Geschäfte oft zur
weiteren Verschuldung der armen und ärmsten Länder (1997 resultierten
17 Mrd. DM der Schulden der Entwicklungsländer aus der Zahlungsunfähig-
keit der über Hermeskredite abgesicherten Lieferungen und Leistungen). So-
ziale, ökologische Kriterien und eine entwicklungspolitische Ausrichtung des
Förderinstruments, wie sein Beitrag zur Armutsbekämpfung, spielten bisher
keine Rolle bei der Vergabe.

Die Bundesregierung hatte in ihrer Koalitionsvereinbarung zu Recht das Vorha-
ben, „eine Reform der Außenwirtschaftsförderung, insbesondere der Gewäh-
rung von Exportbürgschaften (Hermes) nach ökologischen, sozialen und ent-
wicklungsverträglichen Gesichtspunkten in die Wege zu leiten“, verankert,
aber bisher nicht umgesetzt. Die vorherige Regierung hat sich daneben mit der
1992 in Rio unterzeichneten Agenda 21 verpflichtet, Maßnahmen zur Kohärenz
der Politik im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung (substainable develop-
ment) zu ergreifen. In diesem Sinne müssen Handels- und Umweltpolitik im
Einklang stehen und den Prozess in Richtung nachhaltiger Entwicklung unter-
stützen. Dritter Aspekt, der eine Überprüfung und Weiterentwicklung der be-
stehenden Regeln gebietet, ist die gemeinsam eingegangene Verpflichtung der
G8-Staaten ihre jeweiligen Exportkreditagenturen und deren politische Ziele an
das gemeinsame Ziel der Förderung einer wirtschaftlichen und sozialen Ent-
wicklung anzupassen und zentrale Forderungen nach Transparenz und demo-
kratischen Entscheidung in den G8-Staaten selbst umzusetzen.

Für das wichtigste staatliche Förderinstrument, die Hermesversicherung, müs-
sen zumindest die auf nationaler und internationaler Ebene vereinbarten gängi-
gen Standards und Prinzipien eingehalten und umgesetzt werden. Zumal die
Schritte und Grundprinzipien im Rahmen der bi- und multilateralen Entwick-
lungspolitik nicht durch eine Außenwirtschaftspolitik konterkariert werden
dürfen. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur ökonomisch ineffizient und hätte
nur einen nachsorgenden Charakter, sondern würde jeden umfassenden Ansatz
zur Durchsetzung einer nachhaltigen Entwicklung und der politischen Regulie-
rung der Globalisierung zur Minimierung ihrer negativen Folgen zuwider-
laufen.

Allein das Kriterium der Beschäftigungssicherung in Deutschland anzusetzen,
kann dem Anliegen unterschiedlicher Interessen zwischen Geber- und Nehmer-
ländern und den betreffenden Unternehmen nicht ausreichend entsprechen. Wie

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/6373

aus der prognos-Arbeitsplatzstudie zu Hermesbürgschaften hervorgeht, sind
insbesondere Großunternehmen nicht bereit, ohne Hermesdeckung für Risiken
Exportgeschäfte in die aufstrebenden Märkte in Schwellenländern (emerging
markets) zu tätigen. Private Versicherungen sind ihnen zu teuer und die eigene
Übernahme von Risiken reduziert damit ihre Erträge. Kleinere Unternehmen
und Familienbetriebe zeigten hingegen eine höhere Bereitschaft die Risiken ins
eigene Obligo zu übernehmen. So muss anhand der vorliegenden quantitativen
und qualitativen Untersuchungen eingeschätzt werden, dass ein wesentlicher
Teil der Hermes verbürgten Exporte weder zu Entwicklung und Wachstum
noch zur Nachhaltigkeit beigetragen haben und nur den reinen Wert einer offe-
nen Subventionierung des betreffenden Unternehmens darstellte. Das bedeutet
eine Subventionierung von Exporten, die sich Entwicklungs- und Schwellen-
länder nicht „leisten“ können und vor allem den Unternehmen aus den Ent-
wicklungs- und Schwellenländern bei ihrem Absatz in die OECD kaum zuge-
standen wird. Vielmehr würden solche Versuche nach Kriterien der WTO eher
als Dumping durch staatliche Subvention gelten.

Das geheime Prozedere der Bearbeitung von 30 000 bis 50 000 Anträgen jähr-
lich wurde bisher nur in wenigen Fällen und nur auf Druck von Nichtregie-
rungsorganisationen und Betroffenen bei besonders umstrittenen Projekten auf-
gehoben. Aber auch bei den der Öffentlichkeit bekannten strittigen Fällen
werden relevante Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen nicht öffent-
lich zugänglich und das Parlament hat keine Möglichkeit auf den Entschei-
dungsprozess Einfluss zu nehmen. Diese Praxis bestätigen auch Projektanträge
aus jüngster Zeit. Für die indonesische Zellstoffindustrie wurden Hermesbürg-
schaften in Höhe von über 500 Mio. DM gewährt. Geliefert werden einerseits
veraltete Technologien, die erwiesenermaßen hohe Gesundheitsrisiken für die
Bevölkerung mit sich bringen. In der Bundesrepublik Deutschland und den
übrigen OECD-Nationen hätte dieses zur sofortigen Stilllegung eines ähnlichen
Werkes geführt. Andererseits wird der Urwald illegal gerodet und die Flüsse
der Region durch den Chlorausstoß verseucht. Nach dem erklärten Ausstieg
aus der Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland wurde mit dem Ein-
stieg derselben in China die entsprechende Industrie durch die Erteilung von
Hermesbürgschaften gerettet. Hier wird in Lianyungag ein neues Kraftwerk ge-
baut. Auch für das Drei-Schluchten-Projekt am Jangtse in China, das zu den in-
ternational umstrittensten und größten Infrastrukturprojekten der Geschichte
zählt, wurden Hermesbürgschaften gewährt. Alle anderen internationalen Insti-
tutionen, die auch nur über minimale Umwelt-, Menschenrechts- und Umsied-
lungsrichtlinien verfügen, haben die Finanzierung des Projektes abgelehnt.

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