BT-Drucksache 14/6239

Umsetzung des "Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten" des Bundesministeriums des Innern im Freistaat Thüringen

Vom 30. Mai 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

6239

14. Wahlperiode

30. 05. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Petra Pau, Dr. Ruth Fuchs,
Gerhard Jüttemann, Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser und der Fraktion
der PDS

Umsetzung des „Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten“ des
Bundesministeriums des Innern im Freistaat Thüringen

Nach Erkenntnissen der „Thüringer Allgemeinen“ (T A) vom 12. Mai 2001 hat
das Thüringer Landesamt für V erfassungsschutz über Jahre den bundesweit
bekannten Rechtsextremisten und stellvertretenden V orsitzenden der NPD-
Thüringen, T. B., als V-Mann beschäftigt und dabei, so die TA, „insgesamt eine
sechsstellige Summe, die er vor allem zur Or ganisation von rechten Aufmär -
schen verwendet hat“, eingesetzt. Der ehemalige Innenminister Thüringens,
Richard Dewes, bestätigte laut T A vom 16. Mai 2001, dass das Thüringer
Landesamt für Verfassungsschutz jährlich etwa 800 000 DM für direkte Geld-
und Sachleistungen an V-Leute eingeplant habe. „Allerdings könnte die Summe
durch Einsparungen an anderen Stellen auf 2,6 Mio. im Jahr aufgestockt
werden, ohne dass das Finanzministerium oder der Landtag der Änderung zu-
stimmen muss.“

Vor dem Hintergrund, dass der TA Informationen vorliegen, nach denen „in der
NPD-Spitze B.’s Doppelleben bekannt ist und er einen großen Teil des Salärs für
die Parteiarbeit spendet“, es „vier weitere Spitzel mit Doppelleben in den
rechten Führungsetagen“ (beides TA, 12. Mai 2001) geben soll und gleichzeitig
sowohl die Zuarbeit des Freistaates zum NPD-V erbotsantrag des Bundes als
auch die Erfolge gegen rechtsextremistische Strukturen insgesamt als sehr frag-
würdig bewertet werden, stellt sich die Frage, ob mit diesen Maßnahmen nicht
nur der eigentliche Auftrag des Landesamtes, sondern auch das vom Bundes-
ministerium des Innern (BMI) in Absprache mit den Ländern am 17. April
dieses Jahres aufgelegte „Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten“ konter-
kariert wird. Seine zurückhaltende Haltung zu diesem Aussteigerprogramm, das
er für Thüringen weder für dringlich noch nützlich halte, erklärte der Thüringer
Ministerpräsident Dr . Bernhard V ogel am 19. Februar 2001 im Deutschland-
radio: „Wenn man das Aussteigen subventioniert, dann fördert man natürlich das
Einsteigen.“

Schließlich besteht in der Öf fentlichkeit der begründete V erdacht, dass auf-
grund der angesprochenen Thüringer Praxis gerade führende Rechtsextremisten
mit erheblichen Geldmitteln ausgestattet werden, ohne dass nachvollziehbar
eine Gegenleistung erfolgt, die das gewählte V erfahren und den Mitteleinsatz
rechtfertigen würde. Ein, zumal f nanziell inspirierter Ausstieg, wie es das
„Aussteigerprogramm“ intendiert, wäre damit sehr in Frage gestellt.
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche finanziellen Mittel sind seitens des Freistaates Thüringen zur Umset
zung des „Aussteigerprogramms für Rechtsextremisten“ bisher zugesagt bzw.
eingesetzt worden und wie ist der gegenwärtige Umsetzungsstand des
Programms vor Ort?

2. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über den bundesweit bekannten Rechtsextremisten und stellvertretenden
Vorsitzenden der NPD-Thüringen, T. B., über seine Rolle im bundesweiten
rechtsextremistischen Organisationsgeflecht

a) Welche Rolle spielt er dabei bei der rechtsextremistischen Zeitschrift
„Nation & Europa“?

b) Welche Funktion übt er innerhalb der „Gesellschaft für Freie Publizistik
(GFP)“ aus?

c) Welche Aktivitäten hat er in überregionalen „Anti-Antifa“-Aktivitäten
entwickelt und welche Erkenntnisse konnte daraus das Bundesamt für
Verfassungsschutz erzielen?

d) Welche Rolle spielte sein Engagement innerhalb der „Hilfsor ganisation
für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG)“?

3. Sieht die Bundesregierung einen W iderspruch in der angesprochenen
Thüringer Praxis im Umgang mit V -Leuten in rechtsextremen Spitzenfunk-
tionen, wie sie von der T A veröf fentlicht wurde, und den Intentionen des
„Aussteigerprogramms“?

Wenn ja, inwiefern?

Wenn nein, warum nicht?

4. Hat der Bund dem Land Ressourcen und Personal zur Umsetzung des „Aus-
steigerprogramms“ angeboten, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung – mit Blick auf das „Aussteigerpro-
gramm“ – aufgrund der Presseveröffentlichungen gegenüber dem Thüringer
Innenministerium zu reagieren und hält sie es für sinnvoll, in diesem Zusam-
menhang auf Kohärenz zwischen den Aktivitäten des Bundes und des Frei-
staates zu drängen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

6. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hinter grund der Praxis des
Thüringer Landesamtes für V erfassungsschutz die Ansiedlung des Aus-
steigerprogramms beim Verfassungsschutz?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung, aus dem in Thüringen bekannt geworde-
nen Fall der Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit einem führenden
Neonazi Konsequenzen für das „Aussteigerprogramm“ des BMI zu ziehen?

Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 30. Mai 2001

Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Ruth Fuchs

Gerhard Jüttemann
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Roland Claus und Fraktion

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