BT-Drucksache 14/6170

Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung

Vom 29. Mai 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

30. 05. 2001

Antrag

der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Dr. Klaus Grehn,
Angela Marquardt, Pia Maier, Heidemarie Lüth, Rosel Neuhäuser, Petra Pau,
Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS

Für ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Weiterbildung ist eine Voraussetzung dafür, dass jeder Mensch sich seiner An-
lagen, erworbenen Fähigkeiten und Bedürfnisse gemäß möglichst allseitig ent-
wickeln und auf dieser Grundlage für eine demokratische, sozial gerechte, tole-
rante und nachhaltig wirtschaftende Gesellschaft wirksam werden kann.
Sowohl für die Selbstverwirklichung als auch für die demokratische Mitgestal-
tung bilden Kompetenz und Erfolg im beruf ichen Leben eine wesentliche
Grundlage.

Eine solche vom Individuum ausgehende Aus- und Umgestaltung des gesam-
ten Weiterbildungssystems erlangt im Übergang zu einer auf nachhaltiger Ent-
wicklung beruhenden und sich immer schneller wandelnden Gesellschaft eine
noch größere Berechtigung und Dringlichkeit.

Bestandteil dieser Entwicklung ist die Notwendigkeit, mit weltweit verfügba-
ren Informationen und Wissen verantwortlich und produktiv umzugehen. Wei-
terbildung wird so zu einem immer bedeutsameren Bestandteil des gesamten
Bildungssystems.

Von den Meinungsführern aus Politik und W irtschaft wird Weiterbildung vor-
wiegend auf ihre Bedeutung für die Sicherung des W irtschaftsstandorts
Deutschland im weltweiten Wettbewerb reduziert und immer umfassender den
Bedingungen der Marktmechanismen unterworfen. Die öffentliche V erantwor-
tung wird zurückgefahren. An deren Stelle soll die Eigenverantwortung des
Individuums treten, ohne dass dafür jedoch Bedingungen bestehen oder vor-
geschlagen würden, die jede und jeden gleichermaßen in die Lage versetzen,
diese Verantwortung auch wahrzunehmen. Ganz zu schweigen davon, dass
diese „Eigenverantwortung“ unter Hinweis auf Haushaltszwänge im wachsen-
den Maße auf „Eigenfinanzierung“ reduziert wird. eiterbildung führt so ge-
genwärtig zur Verschärfung der bildungsbedingten und sozialen Selektion, an-
statt zu deren Abbau beizutragen. In ihrer Summe lassen Praxis und
vorherrschende Konzepte zur Entwicklung der Weiterbildung darauf schließen,
dass in ihr ein Versuchsfeld für eine marktgerechte Umgestaltung des gesamten
Bildungswesens gesehen wird. Die gegenüber den anderen Bildungsbereichen
historisch gewachsenen Besonderheiten in der Or ganisation der Weiterbildung
bieten für diese unsozialen Bestrebungen einen zwar willkommenen, aber kei-
neswegs zwingenden Ansatz.
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Die wachsende Bedeutung der Weiterbildung hat dazu geführt, dass dieser Bil-
dungsbereich heute die meisten T eilnehmenden aufweist und für ihn nach
Schätzungen jährlich über 100 Mrd. DM aufgewendet werden. T rotz großen
Engagements von vielen Institutionen und Lehrkräften ist das W eiterbildungs-
system insgesamt gegenwärtig jedoch nicht in der Lage, eine Weiterbildung an-
zubieten, die den persönlichen Interessen und Bedürfnissen sowie den persön-
lichen und gesellschaftlichen Erfordernissen an ein lebensumspannendes
Lernen hinreichend Rechnung trägt.

Die Defizite im System der eiterbildung betreffen vor allem:

a) auf Seiten der Lernenden

– den chancengleichen Zugang für Zugehörige aller sozialen Gruppen

– die T eilnahme an der W eiterbildung unabhängig von der f nanziellen
Leistungsfähigkeit des Einzelnen

– die rechtliche Gewährung und besonders die tatsächliche Inanspruch-
nahme von Lernzeitansprüchen

– den Rechtsanspruch der Erwerbslosen auf Weiterbildung

b) auf Seiten der Institutionen

– die Gewährleistung eines ausgewogenen V erhältnisses von allgemeiner ,
kultureller, politischer und beruflicher eiterbildung

– die inhaltliche und strukturelle V erzahnung der W eiterbildung mit den
anderen Bereichen des Bildungssystems von den V orschuleinrichtungen
bis zur Hochschule

– die Durchlässigkeit innerhalb der Weiterbildung und zu den anderen vor-
gelagerten Bildungsbereichen sowie zum Arbeitsmarkt

– die flächendeckende erbreitung und regionale Ausgewogenheit des
Weiterbildungssystems

– die Abstimmung und Kooperation zwischen den vielfältigen W eiterbil-
dungsinstitutionen innerhalb einer bestimmten Region

– die Popularisierung und Transparenz der Angebote

– die Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit der Abschlüsse

– tarifvertraglich geschützte Beschäftigungsbedingungen und eine ausrei-
chende soziale Absicherung der Lehrkräfte

– die Qualitätssicherung hinsichtlich der Lehrinhalte, des Personals und der
ausrüstungstechnischen Standards bei den einzelnen Institutionen

– die Einbeziehung, Gestaltung und Bewertung der sog. nichtformalen und
informellen Weiterbildung in das Gesamtsystem.

Am Erscheinungsbild der W eiterbildung hat sich auch nach dem Regierungs-
wechsel im Herbst 1998 nichts geändert.

Die Bundesregierung versucht über die Initiierung von Aktionsprogrammen
und Modellprojekten punktuelle Anstöße für den Abbau einiger dieser Def zite
zu geben. So sinnvoll manche dieser Programme und Projekte für die Verbesse-
rung einzelner Seiten der Weiterbildung und für das Sammeln von verallgemei-
nerungswürdigen Erkenntnissen und Erfahrungen sein mögen – ein Erfolg ver-
sprechender Weg zu einem effizienten eiterbildungssystem sind sie nicht.

Entgegen dieser weitgehenden Zurückhaltung der Bundesregierung sieht der
Deutsche Bundestag nur in einer systematischen Strukturierung des gesamten
Weiterbildungsbereiches einen zielführenden W eg zu einem W eiterbildungs-
system, das den Erfordernissen eines lebensumspannenden Lernens gerecht
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wird. Um dies zu erreichen muss der Bund endlich seine Kompetenz auf
diesem Gebiet voll ausschöpfen. Ein adäquates Instrument zur W ahrnehmung
dieser Kompetenz ist ein Bundes-Rahmengesetz.

Für die berufliche eiterbildung steht die Kompetenz des Bundes außer Zwei-
fel. Da allgemeine, politische und kulturelle Bildung für die Bewältigung be-
ruflicher Anforderungen immer wichtiger werden, erscheint es geboten un
gerechtfertigt, von dieser Zuständigkeit des Bundes für die beruf iche Bildung
aus auch diese Bereiche der Weiterbildung in eine rahmengesetzliche Regelung
einzubeziehen.

Unter dem Aspekt der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Arti-
kel 72 Abs. 2 GG) sollte die rahmengesetzliche Regelung des Bundes, die alle
Bereiche der Weiterbildung umfasst, durch eine entsprechende Er gänzung von
Artikel 75 GG (Rahmengesetzgebung) grundgesetzlich abgesichert werden. In
vergleichbarer Weise wurde das Grundgesetz bereits 1969 um eine Rahmen-
gesetzgebungskompetenz über die allgemeinen Grundsätze des Hochschul-
wesens ergänzt.

Ein Bundes-Rahmengesetz, das auf die beruf iche Weiterbildung eingegrenzt
ist, widerspräche einem modernen umfassenden, integrativen V erständnis von
Weiterbildung. Es würde einer Abwertung der „nichtberuf ichen“ Weiterbil-
dung Vorschub leisten. Dabei würden insbesondere ältere und nicht mehr im
Arbeitsprozess befindliche Bü gerinnen und Bürger aus dem Blick geraten, und
bereits bestehende Ungleichgewichte z. B. hinsichtlich der Qualitätssicherung
der Angebote und der Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte würden
verstärkt. Zudem stellt sich die Frage, ob angesichts der bestehenden bundes-
rechtlichen Regelungen zur beruf ichen Aus- und W eiterbildung (Berufsbil-
dungsgesetz, Sozialgesetzbuch III, Beschäftigungsförderungsgesetz, Arbeits-
förderungsreformgesetz) ein Bundesgesetz allein zur beruf ichen Weiterbildung
überhaupt zwingend ist. Die Sinnhaftigkeit eines Bundes-Rahmengesetzes
ergibt sich also gerade aus der Notwendigkeit, die W eiterbildung in all ihren
Facetten übersichtlich und kooperativ zu strukturieren. Mit einem Rahmen-
gesetz würde ein deutliches Zeichen zur schrittweisen Überwindung der ver-
hängnisvollen Trennung von allgemeiner und beruf icher Bildung gesetzt.

Schließlich ist die Forderung nach einem W eiterbildungs-Rahmengesetz auch
eine Konsequenz aus der W irkungslosigkeit der weitgehend unverbindlich ge-
haltenen Anregungen, die bisher aus der Mitte des Deutschen Bundestages zur
Weiterbildung vorgelegt worden sind. Mit dieser Initiative knüpft der Deutsche
Bundestag an den noch nicht eingelösten Anspruch aus der Bildungsreform der
60er und 70er Jahre an, die Weiterbildung zu einer gleichberechtigten „4. Säule
des Bildungswesens“ auszugestalten.

Mit der rahmengesetzlichen Regelung wird nicht beabsichtigt, den Bund zum
Organisator der Weiterbildung zu machen oder über diesen Weg den Spielraum
der Länder, Kommunen, Sozialpartner und T räger für eine flexible Ausgestal
tung der Weiterbildung einzuengen.

Mit dem Rahmengesetz sollen bundesweit allgemeine Prinzipien und Mindest-
standards festgelegt werden, die der Ausgestaltung und Fortentwicklung der
Weiterbildung durch die Länder und Kommunen eine verbindliche Orientie-
rung geben sowie tarifvertragliche und betriebsverfassungsrechtliche Regelun-
gen anstoßen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Abstimmung mit der Bund-Länder -Kommission für Bildungsplanung und
Forschungsförderung sowie unter breiter Mitwirkung aller an der W eiterbil-
dung Interessierten einen Entwurf für ein Bundesrahmengesetz zur W eiterbil-
dung vorzulegen, das sich an folgenden Vorstellungen orientiert:
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1. Öffentliche Verantwortung

Die Weiterbildung liegt grundsätzlich in öf fentlicher Verantwortung. Das Rah-
mengesetz schlägt Regelungen vor , die diese öf fentliche Verantwortung stär -
ken. Es geht nicht darum, den Staat als alles steuernde und kontrollierende
Institution in der W eiterbildung zu verankern. Öf fentliche Verantwortung ist
keineswegs mit ausschließlich staatlicher T rägerschaft und staatlicher Finan-
zierung identisch.

Öffentliche Verantwortung resultiert vor allem aus dem Umstand, dass W eiter-
bildung keine bloße Angelegenheit der individuellen Freizeitgestaltung ist,
sondern eine Aufgabe, von deren Bewältigung die Fortentwicklung unserer Ge-
sellschaft erheblich beeinflusst wird.

Dies schließt die Verbesserung von Rahmenbedingungen für eine Aktivierung
bürgerschaftlichen Engagements ein, wenn dieses Engagement sich gegenüber
den Kräften des Marktes behaupten soll.

Die öffentliche Verantwortung richtet sich auf die Herstellung von Bedingun-
gen, die es jeder und jedem ermöglichen, ihre eigene V erantwortung für die
persönliche Weiterbildung gleichermaßen wahrzunehmen.

Weiterbildung in öffentlicher Verantwortung stellt ein attraktives Angebot dar ,
dessen Nutzung den Bürgerinnen und Bürgern überlassen bleiben muss.

2. Prinzipien, Ziele und Aufgaben

Im Rahmengesetz werden folgende Prinzipien, Ziele und Aufgaben der Weiter-
bildung festgeschrieben:

– ganzheitliche (allgemein kulturelle, beruf iche, politische) Weiterbildung als
eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern, Kommunen und T arifpar-
teien

– die sich immer stärker dif ferenzierenden Interessen, Bedürfnisse und Le-
bensplanungen der einzelnen Menschen als entscheidender Bezugspunkt für
Inhalte, Methoden, Strukturen und Organisation der Weiterbildung

– die besondere Förderung der Frauen und der älteren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer

– das demokratische Mitspracherecht der Lernenden

– die Gleichrangigkeit von beruf icher (im engeren Sinne), allgemeiner, kultu-
reller und politischer Weiterbildung

– die regionale Vernetzung der Weiterbildung und ihre Einbeziehung in sozio-
kulturelle, struktur - und beschäftigungspolitische Handlungskonzepte der
jeweiligen Region

– eine Verzahnung der Weiterbildung mit der ebenfalls bundesrechtlich gere-
gelten beruflichen und hochschulischen Ausbildung sowie mit den zahlrei
chen Formen der Arbeitsförderung

– Mindeststandards hinsichtlich Qualität, Transparenz und Zertifizierung

– die vorwiegend präventive Funktion der W eiterbildung gegenüber ihrer
heute noch vorherrschenden Rolle für eine nachträgliche Anpassung der
Menschen an bereits vollzogene Veränderungen ihrer Lebensumwelt.

3. Regionale Struktur und Organisation

Das Rahmengesetz enthält Orientierungen für folgende Elemente einer bundes-
weit übersichtlichen Struktur und Organisation der Weiterbildung:
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– Die V ielfalt der T räger und Anbieter (öf fentliche, freie, gemeinnützige,
kommerzielle, betriebliche) bleibt erhalten.

– Entscheidendes Instrument der horizontalen Koordinierung und Koopera-
tion der Träger und Anbieter ist ihre Zusammenfassung in regionale Weiter-
bildungs-Verbünde, die sich auf Kreisebene oder in den Grenzen größerer
Planungsregionen organisieren. In diese Verbünde sind auch die Hochschu-
len und berufsbildenden Schulen einzubeziehen, die zukünftig einen größe-
ren Beitrag zur Weiterbildung leisten sollen.

– Sowohl Träger und Anbieter als auch individuelle und institutionelle Nutzer
der Weiterbildungseinrichtungen (selbstor ganisierte Weiterbildungsinitiati-
ven, Gewerkschaften, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber , Arbeitsverwal-
tung, Kammern) bilden regionale W eiterbildungsausschüsse/Weiterbil-
dungsräte. Diese haben gegenüber den W eiterbildungsverbünden eine
beratende, anleitende und kontrollierende Funktion in den Fragen der W ei-
terbildung, die durch das Rahmengesetz und die jeweiligen Landesgesetze
geregelt werden.

– Die Weiterbildungsverbünde werden zur Einrichtung umfassender Informa-
tions- und Beratungsstellen sowie deren bundesweiter V ernetzung beauf-
tragt. Diese Stellen hätten der Öf fentlichkeit einen Überblick über die Ge-
samtheit der Angebote nach solchen Kennzeichen zur V erfügung zu stellen
wie Lehrinhalte, Abschlüsse und ihre W ertigkeit, Verwendungsmöglichkei-
ten, mögliche Adressaten, bildungsmäßige und formale Voraussetzungen für
die T eilnahme, Dauer der Maßnahme, Kosten und Fördermöglichkeiten,
Möglichkeit der Arbeitsfreistellung, Vorstellung der Anbieter.

– Auf der Grundlage von Bedarfsermittlungen und davon abgeleiteter Pro-
grammgestaltung in den W eiterbildungseinrichtungen gehört auch eine ak-
tive Teilnehmergewinnung zu den Aufgaben der regionalen Weiterbildungs-
gremien.

– Das Rahmengesetz enthält eine Orientierung darüber , wie die nichtformale
und informelle W eiterbildung des/der Einzelnen in die öf fentliche Verant-
wortung zur Sicherung von Zugang, Qualität, Zertif zierung und T ranspa-
renz einbezogen werden kann. Die Aufgaben der Weiterbildungseinrichtun-
gen bei der Begleitung des selbstgesteuerten Lernens müssen Bestandteil
der Qualitätskriterien für diese Einrichtungen sein. Ohne diese Form der
Weiterbildung, die ohne Zweifel an Bedeutung gewinnen wird, einzuschrän-
ken, gilt es zu verhindern, dass dieser Bereich der W eiterbildung zu einem
weiteren Feld bildungsbedingter und sozialer Selektion wird.

– Über diese strukturellen Vorgaben hinaus enthält das Rahmengesetz Orien-
tierungen für alle öf fentlich-rechtlichen Bildungsinstitutionen im weitesten
Sinne darüber , welchen Beitrag sie für die Bewältigung der neuen und
wachsenden Aufgaben leisten müssen, vor denen die Weiterbildung steht.

– Hinsichtlich der betrieblichen Weiterbildung, die sich in ihren weniger spe-
zifischen Bereichen ebenfalls zur Region hin ö fnen soll, muss das Rahmen-
gesetz Voraussetzungen für die Möglichkeit entsprechender Neuregelungen
in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen schaffen.

4. Zugang

Öffentliche Verantwortung, Grundsätze und die regionalen Grund- und Ent-
scheidungsstrukturen der W eiterbildung haben das Ziel, eine kontinuierliche
Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger an der Weiterbildung zu ermöglichen,
die das wünschen. Dieses Hauptziel ist auch der entscheidende Bezugspunkt
für die weiteren Bestimmungen des Rahmengesetzes. Darüber hinaus soll das
Rahmengesetz auch spezifische Festlegungen enthalten, die für die reale Siche
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rung des Zugangs zur W eiterbildung von unmittelbarer Bedeutung sind. Dazu
gehören vor allem

– die Festschreibung eines W eiterbildungsrechtes, darin eingeschlossen die
Wiedereinführung des Rechtsanspruchs auf Weiterbildung für Erwerbslose,

– die bundesweit verbindliche Einführung eines Bildungsurlaubs im Umfang
von zunächst einer Woche und dessen schrittweise Erhöhung auf zwei W o-
chen im Jahr, der über die Jahre angespart werden kann,

– eine verbindliche Regelung für eine qualif zierte Jobrotation sowohl als Be-
standteil der Weiterbildung Erwerbsloser und Mittel ihrer W iedereingliede-
rung in den Arbeitsprozess als auch zur Absicherung der betrieblichen Auf-
gaben, die die sich weiterbildenden Betriebsangehörigen hinterlassen.

Die Erreichbarkeit der W eiterbildungseinrichtungen für alle Bevölkerungs-
gruppen als eine wesentliche V oraussetzung für die Sicherung eines of fenen
und umfassenden Zugangs zur Weiterbildung ist ebenfalls zu gewährleisten.

5. Finanzierung

Bei der Finanzierung der Weiterbildung geht das Rahmengesetz von folgenden
Grundsätzen aus:

– An der Finanzierung der Weiterbildung beteiligen sich die öffentliche Hand
(Haushalte der Gebietskörperschaften, Bundesanstalt für Arbeit), die Unter-
nehmen und die Bürgerinnen und Bürger.

– Die Stärkung öf fentlicher Verantwortung für die W eiterbildung schließt ei-
nen Zuwachs der öf fentlichen Finanzierung und deren Stabilisierung durch
Bund, Länder und Kommunen ein. Dieser Zuwachs ist durch eine entspre-
chende Schwerpunktbildung in den Haushalten kontinuierlich zu sichern.

– Maßstab für diese öffentliche Finanzierung kann nicht ein kurzfristiges öko-
nomistisches Aufwand-Nutzen-Denken sein. Die öf fentliche Finanzierung
der Weiterbildung hat die weitreichenden, wenn auch nicht immer eindeutig
vorher bestimmbaren „sozialen Erträge“ der W eiterbildung bzw. bei Unter-
entwicklung der W eiterbildung die sozialen Folgekosten in Rechnung zu
stellen.

– Die öffentlichen Mittel fließen in erster Linie in die allgemeine, kulturell
und politische Weiterbildung. Sie dienen

– der Unterhaltung von W eiterbildungseinrichtungen in öf fentlicher T rä-
gerschaft,

– der Förderung anderer anerkannter T räger und Einrichtungen, soweit
deren Angebote über eine unmittelbare beruf iche Verwertbarkeit hinaus-
gehen und für deren Finanzierung weder die Unternehmen noch die Ar-
beitsämter aufkommen,

– der finanziellen Absicherung der Ansprüche, die sich aus der ahrneh-
mung des Bildungsurlaubs durch die Bür gerinnen und Bür ger ergeben,
soweit diese nicht der beruf ichen Qualifizierung dient

– der Wahrnehmung von Weiterbildung durch Nichterwerbstätige,

– der Finanzierung der Arbeit der Weiterbildungsausschüsse auf allen ihren
Ebenen, besonders für die Bereitstellung eines transparenten Informa-
tions- und Beratungssystems,

– der Durchführung von Modellprojekten,

– der Absicherung von Forschung und Statistik.
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– Die vom Betrieb veranlasste W eiterbildung finanziert das jeweilige Unte -
nehmen (Gehaltsfortzahlung, Durchführungskosten).

– Soweit die von den Unternehmen initiierten W eiterbildungsmaßnahmen
Elemente enthalten, die über die unmittelbaren betriebsinternen Interessen
hinausreichen und zur umfassenden Erhaltung und W eiterentwicklung be-
ruflicher Fähigkeiten beitragen, können sie mit Mitteln der Bundesanstal
für Arbeit gefördert werden (Durchführungskosten, bis zu 50 % der Lohn-
kosten).

– Die berufliche Umschulung und eiterbildung der Erwerbslosen (nach
SGB III) erfolgen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit. In diesem Rah-
men müssen auch Maßnahmen der allgemeinen W eiterbildung sowie die
Absolvierung von Weiterbildungsmodulen an Hochschulen und Universitä-
ten bis hin zu einem grundständigen Studium förderfähig sein. Zur Finanzie-
rung dieses erweiterten Spektrums der Arbeitsförderung müssen der Bun-
desanstalt für Arbeit über die Versichertenbeiträge hinaus weitere Mittel zur
Verfügung gestellt werden.

– Eine Beteiligung des einzelnen Bürgers/der einzelnen Bürgerin kommt dann
in Betracht, wenn es sich um Kurse handelt, die dem Besuch kultureller Ver-
anstaltungen nahe kommen (Hobby- und Kreativkurse). In diesen Fällen ist
die finanzielle Leistungsfähigkeit des/der Einzelnen zu berücksichtigen.

6. Qualitätssicherung

Das Rahmengesetz formuliert verbindliche Mindeststandards zur Qualitätssi-
cherung in der Weiterbildung. Sie umfassen Kriterien

– für die Anerkennung der Weiterbildungsträger,

– für die materielle und personelle Ausstattung der W eiterbildungsinstitutio-
nen,

– für die inhaltliche und methodische Durchführung der Weiterbildung, bezo-
gen auf die sehr unterschiedlichen Ziele, die mit den einzelnen W eiterbil-
dungslehrgängen verfolgt werden,

– für die Ergebnisse, die mit der jeweiligen Weiterbildungsmaßnahme erreicht
werden sollen.

Diese Kriterien haben die Leistungsfähigkeit der klein- und mittelständischen
sowie gemeinnützigen Struktur im Bereich der W eiterbildung zu berücksichti-
gen.

Die Kontrolle über die Einhaltung dieser Kriterien obliegt den regionalen Wei-
terbildungsausschüssen, deren Zusammensetzung eine demokratische Einf uss-
nahme des gesellschaftlichen Umfeldes gewährleisten muss. Hinsichtlich die-
ser Kontrollfunktion unterliegen die Ausschüsse der Aufsicht der in den
Ländern für die Weiterbildung zuständigen staatlichen Stellen.

Es werden nur solche W eiterbildungseinrichtungen anerkannt und entspre-
chend ausgewiesen, die den festgelegten Kriterien entsprechen. Für deren Ein-
führung sind Übergangsfristen festzulegen.

7. Personal (Eignung und soziale Absicherung)

Von besonderer Bedeutung für die Qualität der Weiterbildung sind umfassende
Kompetenzen und das Engagement des Personals. Um dies zu sichern enthält
das Rahmengesetz

– Eckpunkte eines Anerkennungsverfahrens, in dem die fachliche sowie die
spezifisch erwachsenenpädagogische Eignung der in der eiterbildung Leh-
renden geprüft und davon ihre Zulassung zu einer Tätigkeit in der Weiterbil-
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dung abhängig gemacht wird; Grundvoraussetzungen sollten in der Regel
ein abgeschlossenes Hochschulstudium oder eine im Anschluss an eine Be-
rufsausbildung erfolgte langjährige Berufserfahrung sowie eine erwachse-
nenpädagogische Qualifikation sein; Ausnahmen sind vor allem den stärke
freizeitbezogenen Angeboten und kurzzeitigen Anpassungskursen vorbehal-
ten;

– Festlegungen zur kontinuierlichen Fortbildung des Leitungs-, Planungs- und
Lehrpersonals; Schwerpunkte in der Fortbildung des lehrenden Personals
müssen theoretische und praktische Fachlichkeit, f exible Vermittlungskom-
petenz sowie die Fähigkeit zur Lernberatung und sozialpädagogischen Be-
treuung sein;

– eine Orientierung auf den Ausbau von abgestuften Zusatzstudiengängen für
die Erwachsenenbildung an den Hochschulen;

– Normen für die Zusammensetzung des Lehrpersonals an den einzelnen Ein-
richtungen mit der Maßgabe, dass die immer wiederkehrenden Angebote
hauptsächlich durch fest angestellte Mitarbeiter realisiert werden;

– Bestimmungen für die Einhaltung von Mindeststandards tarifvertraglicher
Regelungen und sozialer Absicherung für die unterschiedlichen Beschäftig-
tengruppen in der Weiterbildung;

– eine Regelung zur sozialen Absicherung für die Honorarlehrkräfte, die ihren
Lebensunterhalt allein durch freiberuf iche Tätigkeit an mehreren Einrich-
tungen der Weiterbildung bestreiten (ähnlich der Künstlersozialkasse).

8. Zertifizierung von Abschlüsse

Zur systematischen Einordnung einer bestimmten Weiterbildungsmaßnahme in
die gesamten W eiterbildungsaktivitäten eines Bür gers/einer Bürgerin und für
die Ableitung von Ansprüchen aus einer erfolgreichen Teilnahme an einer Wei-
terbildungsmaßnahme enthält das Rahmengesetz V orgaben für die Zertifizie
rung von Weiterbildungsangeboten. Diese Vorgaben beziehen sich

– auf die Mindestdauer einer Maßnahme, ab der ein Zertif kat ausgestellt wer-
den muss,

– auf die Gewährleistung der bundesweiten Vergleichbarkeit/Gleichwertigkeit
verschiedener Gruppen von Zertif katen untereinander und zu entsprechen-
den Abschlüssen in der Erstausbildung

– sowie auf die aus den Zertif katen ableitbaren Ansprüche auf dem Arbeits-
markt.

Mit dem Rahmengesetz wird ein Kompetenz-Pass eingeführt, in dem sich die
Lernenden alle zertifizierten Lernabschlüsse dokumentieren lassen können

Besonders über das System der Zertif zierung erfolgt zumindest die zugangs-
rechtliche Verzahnung der Weiterbildung mit der allgemeinen und beruf ichen
Erstausbildung einerseits sowie den Anforderungen des Arbeitsmarktes ande-
rerseits.

9. Forschung, Statistik, Bericht

Das Rahmengesetz enthält grundlegende Festlegungen

– zu Umfang, Struktur, Verantwortlichkeiten und Finanzierung einer bundes-
weit abgestimmten Weiterbildungsforschung,

– für den Aufbau einer umfassenden W eiterbildungsstatistik, die sowohl den
Bedürfnissen der Forschung als auch der W eiterbildungspolitik gerecht
wird,
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– zum Ausbau des Sektors der beruf ichen Weiterbildung im Bundesinstitut
für Berufsbildung,

– zu den vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung e. V. zu leistende
Aufgaben,

– über eine verbindliche V erpflichtung der Bundesregierung, in erbindung
mit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsför-
derung (BLK) zweijährlich einen Weiterbildungsbericht vorzulegen, in dem
die Situation in der Weiterbildung, besonders in den von dem Rahmengesetz
betroffenen Bereichen umfassend dargelegt wird.

10. Europa

Das Rahmengesetz gibt eine Orientierung darüber , wie sich die W eiterbil-
dungslandschaft in Deutschland zur europäischen W eiterbildungslandschaft
verhält. Dabei geht es darum, die mit dem Rahmengesetz in den Regionen ver-
ankerte Entscheidungskompetenz zur Weiterbildung zu betonen und zu sichern
und zugleich in diese Entscheidungen „vor Ort“ die europäische Dimension
einzubeziehen. Ziel ist nicht die Angleichung der nationalen W eiterbildungs-
systeme, sondern auf der Grundlage des Austauschs von Erfahrungen und
Praktiken ihre gegenseitige Akzeptanz und Durchlässigkeit. Wichtig dafür sind

– die Einbeziehung des europaweiten Weiterbildungsangebots in die Informa-
tions- und Beratungsstellen bei den regionalen Weiterbildungsgremien,

– die Vergleichbarkeit und europaweite Verwertbarkeit der Abschlüsse (Euro-
pass),

– der gegenseitig offene Zugang zu den Weiterbildungseinrichtungen der ein-
zelnen Länder,

– Austauschmöglichkeiten bei der Fortbildung des Weiterbildungspersonals,

– der Aufbau einer vergleichenden Forschung und Statistik,

– gemeinsame Anstrengungen, um die Fördermöglichkeiten der Europäischen
Union zu verbessern und ihre Nutzung zu optimieren.

Berlin, den 29. Mai 2001

Maritta Böttcher
Dr. Heinrich Fink
Dr. Klaus Grehn
Angela Marquardt
Pia Maier
Heidemarie Lüth
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Roland Claus und Fraktion

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