BT-Drucksache 14/5999

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung -14/5655, 14/5981- Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Beschränkung des Brief, Post- und Fernmeldegeheimnisses

Vom 10. Mai 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

5999

14. Wahlperiode

10. 05. 2001

Änderungsantrag

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 14/5655, 14/5981 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Beschränkungen
des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

Der Bundestag wolle beschließen:

Artikel 1 – Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim-
nisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) – § 3 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

1. Nummer 2 wird wie folgt gefasst:

„2. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 bis
86, 87 bis 89 des Strafgesetzbuches, § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Vereins-
gesetzes, soweit rechtskräftig festgestellt ist, dass sich der Zweck des
Vereins gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der
Völkerverständigung richtet),“.

2. Nummer 6 und Nummer 7 werden gestrichen.

Berlin, den 4. Mai 2001

Ulla Jelpke
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

Begründung

Zu 1.

Die Abwehr von Gefahren, welche von einer Missachtung des § 3 Abs. 1
Satz 1 1. Alternative V ereinsG ausgehen, kann den Überwachungszwecken
nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 nicht dienen und fällt nicht in das Aufgabenspektrum der
Nachrichtendienste.

Zu 2.

§ 129a StGB verzichtet auf eine bestimmbare Rechtsgutsgefährdung und verla-
gert die Strafbarkeit überwiegend auf die mutmaßliche Gesinnung der Betroffe-
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nen. In der Strafverfolgungspraxis hat sich gezeigt, dass die V orschrift zu gra-
vierenden Einschränkungen der Rechte der V erdächtigen und in erheblichem
Umfang auch unbeteiligter Dritter führt, denen keine relevante Zahl von Verur-
teilungen gegenübersteht. Die Vorschrift hat in einer Vielzahl von Fällen beson-
ders schwere heimliche Grundrechtseingriffe legitimiert, ohne dass diese einen
verwertbaren kriminalistischen Ertrag erbracht hätten. Zur weiteren Begrün-
dung wird auf den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechts und
des Strafprozessrechts der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sabine Jünger,
Dr. Evelyn Kenzler, Heidemarie Lüth und der Fraktion der PDS, Bundestags-
drucksache 14/5832 vom 5. April 2001, verwiesen.

§ 130 StGB kriminalisiert ein Verhalten, welches dem Vorfeld einer Gefahr für
Schutzgüter nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 zugehört. Eine hinreichend konkrete Gefahr
für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder ein anderes Schutzgut
gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ist allein durch die tatbestandliche Einwirkung auf die
öffentliche Meinung nicht zu erwarten. In diesem Stadium bedarf es regelmä-
ßig weder geheimer Überwachungsmaßnahmen noch eines nachrichtendienst-
lichen Eingreifens, um Schutzgüter von höchstem verfassungsrechtlichen Rang
vor Schaden zu bewahren. Im Übrigen zeigt die milde Urteilspraxis der Ge-
richte, dass von Straftaten gemäß § 130 StGB keine in erheblichem Umfang
strafwürdige Gefahren ausgehen. Diese Bewertung durch die forensische Pra-
xis belegt, dass sich das öf fentliche Interesse an der Abwehr von Straftaten
nach § 130 StGB nicht das Grundrecht des Einzelnen aus der Brief-, Post- und
Telekommunikationsfreiheit aufwiegen kann.

Die im Entwurf der Bundesregierung in Bezug genommenen V orschriften be-
treffen Straftaten von Einzeltätern, welche gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 bestimmte
Schutzgüter gefährden können müssten. Zu Recht weist die Humanistische
Union in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung darauf
hin, dass die V erfassungsschutzbehörden gemäß Artikel 10 Abs. 2 Satz 2, 73
Nr. 10 Buchstabe b GG allein zum Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung und des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines
Landes zum Mittel der Individualüberwachung greifen dürfen. V on einer der -
artigen Bedrohung kann bei Straftaten nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b allein
nicht ausgegangen werden. Auch bei Staatsschutzangelegenheiten kommt sie
nur in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht, welche durch § 3 Abs. 1 Nr. 1
bis 5 abgedeckt sind. Der Gesetzentwurf setzt die weitere Erosion des verfas-
sungsrechtlichen Gebotes der T rennung von Polizei und Nachrichtendiensten
fort.

Dass die Bundesregierung keine Anhaltspunkte dafür vorweisen kann, dass die
in § 3 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe b in Bezug genommenen Straftaten in der Praxis
die erforderliche Bedrohungsintensität für höchste Verfassungsgüter erreichen,
illustrieren die in der Begründung angeführten Beispielsfälle.

– §§ 211, 212 StGB: Die in der Begründung genannten Fälle politisch moti-
vierter Tötungsdelikte von Einzeltätern zeigen, dass eine die freiheitliche
demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes oder eines
Landes gefährdende Bedrohungsintensität unrealistisch ist. Zum Schutz der
Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sind die Nachrichten-
dienste unterhalb der Schwelle des § 1 Abs. 1 auch dann nicht zuständig,
wenn die Täter mit politischer Motivation handeln.

– §§ 239a und b StGB, 308 Abs. 1 bis 3: Die in der Begründung genannten
Fälle illustrieren, dass auch Vorgänge dieser Art mit Ende des Kalten Krie-
ges nicht mehr in einer Art vor gekommen sind, dass von einer nachrichten-
dienstlich relevanten Staatsgefährdung ausgegangen werden kann.

Die zuletzt mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK in V erbindung gebrach-
ten Vorgänge im israelischen Generalkonsulat in Berlin waren zudem, wie
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die Praxis gezeigt hat, weder durch Aufklärung seitens der Nachrich-
tendienste zu verhindern gewesen noch kam ihnen auch nur im Ansatz
staatsgefährdende Bedeutung zu. Schließlich lassen sich im Kampf gegen
Einzelaktionen „emotionalisierter“ Täter keine sinnvollen Kriterien zur
Bestimmung der Zielpersonen von Individualüberwachungsmaßnahmen
bestimmen.

– §§ 306 bis 306c, 315 Abs. 3, § 316b Abs. 3 StGB: Auch insoweit illustriert
die Begründung, dass sich die erwünschten Überwachungsmaßnahmen
gegen Personen richten sollen, welche keinen hinreichenden Organisations-
zusammenhang gebildet haben und daher faktisch schon nicht in der Lage
sind, staatsgefährdend zu wirken. Zudem ist zu ver gegenwärtigen, dass
Straftaten, welche dem Umfeld der Anti-AKW-Bewegung zugerechnet wer-
den, sich regelmäßig gegen private wirtschaftliche Tätigkeiten und Objekte
gerichtet haben. Auch wenn es politisch opportun erscheint, dem Betrieb
gewisser Energieversorgungseinrichtungen ein öf fentliches Interesse zuzu-
messen, ist nicht zu erkennen, dass der Protest gegen die Atompolitik sich
auch nur ansatzweise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
richtet. Die politisch motivierte Intervention der Verfassungsschutzbehörden
gegen die Anti-Atom-Bewegung ist verfassungswidrig. Straftaten, welche
diesem Personenkreis zugerechnet werden, fallen in die Zuständigkeit der
Strafverfolgungsbehörden, welche in der V ergangenheit von den gleich-
gerichteten Überwachungsbefugnissen des Strafprozessrechts ausgiebig Ge-
brauch gemacht haben.

– § 316c Abs. 1, 3 StGB: Befugnisse nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 machen
nur Sinn, wenn sich die Überwachung gegen Personen im Inland richtet. Die
von der Bundesregierung ins Feld geführte Bedrohungskonstellation ist rein
hypothetisch und fand in jüngerer Zeit in keinem Fall ihren Ausgangspunkt
im Inland.

Aus alledem ergibt sich, dass es keinen empirischen Befund gibt, der für eine
Notwendigkeit der Vorschrift oder auch nur ihre Eignung zur Abwehr von Ge-
fahren im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 spricht. Eine Vorratsgesetzgebung für den
Fall, dass in der Zukunft tatsächlich gewisse staatsgefährdende Delikte von
Einzeltätern geplant oder begangen werden, ist weder von der Bundesregierung
ausdrücklich beabsichtigt, noch wäre sie mit dem Gebot der Überprüfung und
Verifizierung der erhältnismäßigkeit gesetzlicher Eingrif fsgrundlagen im
Zeitpunkt ihrer Schaffung zu vereinbaren.

Es steht dem Gesetzgeber frei, den Eingrif fsspielraum der Nachrichtendienste
zu erweitern, wenn in der Zukunft eine staatsschutzrelevante Bedrohungslage
dies erfordert.

§ 92 Abs. 1 Nr. 7 AuslG kriminalisiert die Vereitelung bestimmter vereinsrecht-
licher Interventionen. Der Strafrahmen ist, ver glichen mit den anderen in § 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchstabe b in Bezug genommenen Straftaten, sehr niedrig,
was der geringen Gefährdungsintensität der T at entspricht. Eine Gefahr für
Schutzgüter nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 geht von Verstößen gegen die Vorschrift rea-
listischerweise nicht aus. Einen rechtstatsächlichen Beleg für die Notwendig-
keit der Vorschrift kann die Bundesregierung nicht vorweisen.

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