BT-Drucksache 14/5997

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung -14/5655, 14/5981- Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

Vom 10. Mai 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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5997

14. Wahlperiode

10. 05. 2001

Änderungsantrag

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 14/5655, 14/5981 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen
des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

Der Bundestag wolle beschließen:

Artikel 1 – Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim-
nisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) – § 1, Abs. 1 Nr. 2 wird wie folgt geändert:

„2. der Bundesnachrichtendienst im Rahmen seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 2
des BND-Gesetzes auch zu den in § 5 Abs. 1 S. 3 Nr . 2 bestimmten
Zwecken“.

Berlin, den 4. Mai 2001

Ulla Jelpke
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

Diese Änderung zieht die Konsequenzen aus den Änderungen zu den §§ 5
und 8.

Die Bundesregierung nimmt mit der V orlage dieses Gesetzentwurfs die Gele-
genheit wahr , zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre die Befugnisse des
Bundesnachrichtendienstes im Bereich der strategischen Beschränkungen des
Telekommunikationsverkehrs zu erweitern. Die nunmehr angestrebte Überwa-
chung des leitungsgebundenen T elekommunikationsverkehrs leitet eine neue
Phase der massenweisen Kontrolle unverdächtiger und argloser Telekommuni-
kationsteilnehmer im In- und Ausland ein. Damit werden nicht bloß die techni-
schen Veränderungen der letzten Jahre nachvollzogen, sondern weitergehend
die rechtlichen Grundlagen für die f ächendeckende Rasterung aller internatio-
nalen T elekommunikationsbeziehungen geschaf fen. Nur mühsam sucht die
rechtliche Kapazitätsgrenze von 20 Prozent in dem Entwurf der Bundesregie-
rung diese Entwicklung zu verdecken.

Mit keinem Wort geht die Bundesregierung darauf ein, dass die rasante techni-
sche Entwicklung der letzten Jahre nicht nur das Datenaufkommen in den inter-
nationalen T elekommunikationsbeziehungen erheblich hat ansteigen lassen,
sondern auch die technischen Möglichkeiten des Bundesnachrichtendienstes
erweitert hat. Damit fällt ohne Kenntnis der Öf fentlichkeit oder des Deutschen
Bundestages sukzessive eine weitere, technologische Schranke, welche bisher
die Beeinträchtigungen des T elekommunikationsgeheimnisses durch strategi-
sche Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes in verfas-
sungsrechtlich hinnehmbaren Grenzen gehalten hatte.

Der Entwurf der Bundesregierung schreibt ferner die Abkehr von dem verfas-
sungsrechtlich verankerten Gebot der T rennung von Polizei und Nachrichten-
diensten fort. Diese von der vorigen Bundesregierung vorangetriebene Ent-
wicklung macht die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder zu
Informationsbeschaffern für alle Sicherheitsbehörden. Dabei bleiben wesentli-
che Grundlagen des freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens in der Bun-
desrepublik Deutschland außer Acht. Das Trennungsgebot in der Bundesrepub-
lik Deutschland zieht unausweichliche institutionelle und befugnisrechtliche
Konsequenzen aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Schreckens-
herrschaft. Diese Erfahrungen haben sich in verbindlichen V orgaben der
Alliierten für die Sicherheitsverfassung der Bundesrepublik Deutschland nie-
dergeschlagen und bilden zugleich einen wesentlichen Bestandteil des Grün-
dungskonsenses dieser Republik. Die Abkehr vom T rennungsgebot eröf fnet
den Weg in den Überwachungsstaat.

Die Erosion des T rennungsgebotes schlägt sich auch in dem V ersuch nieder,
den Bundesnachrichtendienst von einem Instrument der Außen- und Sicher-
heitspolitik in ein Instrument der Kriminalitätsbekämpfung umzufunktionieren.
Diese neue Rolle spiegelt sich auch in den neueren Überwachungsbefugnissen:
die strategische T elekommunikationsüberwachung entwickelt sich von einem
Ausnahmeinstrument zur V erhinderung eines militärischen Angrif fes auf das
Bundesgebiet zu einer Standardmaßnahme der Bekämpfung von Gefahren für
die innere Sicherheit.

Die tatsächlich gebotene Konsequenz aus dem Wegfall der spezifischen Bedro
hungslage des Kalten Krieges ist die Auf ösung des Bundesnachrichtendienstes
statt seiner Umgestaltung im Dienste der inneren Sicherheit.

Mit jedem neuen V erwendungs- und Übermittlungszweck für Daten aus der
strategischen Überwachung steigt die Eingrif fsintensität dieser ohne bestimm-
ten Anlass gegen eine unbestimmte V ielzahl von Personen gerichteten Ein-
griffe. Mit jedem technischen Entwicklungsschritt kann der Bundesnachrich-
tendienst die Überwachung verfeinern und erweitern, ohne dass der Gesetz-
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geber an dieser für die Bedingungen des Grundrechtsgebrauches wesentlichen
Entwicklung bisher zu beteiligen wäre. Notwendig werden in der erdrückenden
Mehrzahl der Fälle Personen und Kommunikationsbeziehungen betroffen, die
keine nachrichtendienstliche Relevanz aufweisen. Das Bundesverfassungs-
gericht hat deutlich hervorgehoben, dass die Unbefangenheit der individuellen
Kommunikation eine tragende Säule der freien Entfaltung der Persönlichkeit
wie eines freiheitlichen Gemeinwesens ist. Die Folgen einer quantitativ wie
qualitativ zunehmend entfesselten Überwachung für das gesellschaftliche
Kommunikationsgefüge sind heute noch nicht abzusehen.

Eine Bedrohung höchster Verfassungsgüter durch bestimmte Erscheinungsfor -
men der Or ganisierten Kriminalität ist in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland zu keinem Zeitpunkt erkennbar , geschweige denn nachweisbar
gewesen. Im Sicherheitsdiskurs hat die Konjunktur dieser These inzwischen
stark abgenommen, nachdem die Rechtstatsachenforschung sie trotz poli-
tischen Rückenwindes nicht gestützt hat. Ein öf fentliches Interesse an anlass-
loser Überwachung einer Vielzahl von Unbeteiligten im Hinblick auf Erkennt-
nisse aus dem nach wie vor begrif flich nicht gefassten orfeld gewisser
Gefahrenbereiche ist nicht gegeben. Die darauf gerichtete Überwachung ver-
geht sich ohne hinreichenden Grund und praktisch ohne die Aussicht auf einen
nennenswerten Ertrag für die innere Sicherheit an den Grundrechten der
Betroffenen.

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