BT-Drucksache 14/5954

Einsatz von Polizeikräften und Einheiten des Bundesgrenzschutzes und anderen Behörden des Bundes zur Sicherung des Castor - Transports, Verletzte, Verhaftete, Ermittlungsverfahren und Schadensersatzverfahren gegn Anti-Castor-Demonstranten

Vom 4. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5954
14. Wahlperiode 04. 05. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Einsatz von Polizeikräften und Einheiten des Bundesgrenzschutzes und
anderen Behörden des Bundes zur Sicherung des Castor-Transports, Verletzte,
Verhaftete, Ermittlungsverfahren und Schadensersatzverfahren gegen
Anti-Castor-Demonstranten

Im Zusammenhang mit dem letzten Castor-Transport sollen nach Presseberich-
ten bis zu 18 000 Polizeikräfte bzw. Einheiten des Bundesgrenzschutzes (BGS)
eingesetzt worden sein.

Mehrere hundert Menschen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen,
weit über 100 wurden nach Presseberichten verhaftet, ebenfalls deutlich über
100 Strafverfahren sollen inzwischen gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
an den Demonstrationen und Protesten eingeleitet worden sein. Über die Zahl
der Verletzten bei den Auseinandersetzungen liegen keine genauen Angaben vor.

Ebenfalls laut Presseberichten soll der Einsatz von Polizei und BGS für die
staatliche Seite Kosten von über 100 Mio. DM gemacht haben.

Welche Kosten auf Seiten der Bevölkerung bzw. auf Seiten der Demonstrieren-
den entstanden, Sachschäden, Personenschäden, gesundheitliche Schäden, Ver-
dienstausfall usw., ist nicht bekannt.

Im Vorfeld der Proteste waren von Bund und Ländern mehrfach so genannte
„Deeskalationskräfte“ eingesetzt bzw. angekündigt worden, die auf eine Beru-
higung der Auseinandersetzungen hinwirken sollten. Eine Auswertung der
Ergebnisse dieser Deeskalationsversuche ist bisher nicht bekannt.

Aus Kreisen der Demonstrierenden gibt es stattdessen Hinweise, dass es im Zu-
sammenhang mit ihren Protesten auch zu mehrfachen provokativen Einsätzen
von polizeilichen Zivilbeamten sowie möglicherweise zu breitflächigen tele-
fonischen Abhörmaßnahmen gekommen ist.

Der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling, der Bundesminister des
Innern, Otto Schily, und die Deutsche Bahn AG werden jetzt in der Presse
zitiert mit der Forderung nach massiven Strafverfahren und nach Schadens-
ersatzforderungen gegen die Demonstrierenden. Verschiedentlich wird auch die
Forderung erhoben, die Gemeinnützigkeit von Initiativen und Vereinen zu
überprüfen, die zu den Protesten gegen die Castor-Transporte beigetragen
haben.

Gleichzeitig warnt der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel in
einem „SPIEGEL“-Interview: „Weitere Transporte nach Gorleben gefährden
den Landfrieden und lassen die früheren Mahnungen von Robert Jungk wahr
werden, dass ein solcher Atomstaat die Demokratie zerstört.“ („SPIEGEL“
14/2001, Seite 34). Die Politiker hätten im Wendland „jedes Vertrauen in der

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Bevölkerung verloren“. (ebenda). Sigmar Gabriel weiter: „Wir können nicht
die Verbindung zu einer ganzen Region mit 50 000 Menschen im Wendland
kappen.“

Trotzdem ist nach Presseberichten geplant, bis 2001 allein 157 weitere Castor-
Behälter aus Frankreich und Großbritannien nach Gorleben zu schaffen und
dort zu lagern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Polizeibeamte aus welchen Bundesländern und wie viele Beamte
des BGS waren bei der Sicherung der Castor-Transporte beteiligt?

2. Wie viele andere Beamte des Bundes (Bundeskriminalamt, Bundesamt für
Verfassungssschutz und andere Behörden) waren bei den Einsätzen direkt
oder indirekt beteiligt?

3. Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung die Kosten dieses Einsatzes
von Beamten und Angestellten des Bundes?

4. Welcher Anteil dieser Kosten waren tatsächliche Mehrkosten, also Kosten
über die ohnehin anfallenden Besoldungs- und Ausrüstungskosten hinaus?

5. Wie viele dieser Kräfte waren

a) mit der unmittelbaren Sicherung des Transports,

b) mit der Beobachtung und dem Einsatz gegen Demonstrierende,

c) mit der Verhaftung bzw. Bewachung der Verhafteten und

d) mit anderen Aufgaben im Zusammenhang mit den Castor-Transporten,
z. B. mit Deeskalationsmaßnahmen,

befasst?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung im Nachhinein die Wirksamkeit der im
Vorfeld der Proteste angekündigten staatlichen Deeskalationskräfte?

7. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es im Zusammenhang mit den
Castor-Protesten auch zu provokatorischen Einsätzen von Beamten in Zivil-
kleidung gekommen ist?

Wenn nein, wie viele Zivilbeamte aus welchen Ländern und welchen Behör-
den des Bundes waren nach Kenntnis der Bundesregierung bei den Protesten
im Einsatz und welche Einsatzaufgaben hatten diese Zivilkräfte?

8. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es im Vorfeld und im direkten
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit den Protesten gegen die
Castor-Transporte zu Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheim-
nis gekommen ist?

Wenn nein, auf welcher gesetzlichen Grundlage erfolgten diese Eingriffe?

Wie viele Briefe, Pakete, Postsendungen, E-Mails und Telefonate wurden im
Zusammenhang mit den jüngsten Protestaktionen von welchen Polizeistel-
len oder Geheimdiensten kontrolliert bzw. überwacht?

9. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusam-
menhang mit den Castor-Transporten

a) verletzt (bitte nach Beamten und Angestellten des Bundes und der Län-
der und nach Demonstrierenden getrennt auflisten),

b) verhaftet bzw. vorübergehend in Gewahrsam genommen (bitte nach
Rechtsgrund der Verhaftung bzw. Ingewahrsamnahme aufschlüsseln)?

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10. Hat die Bundesregierung irgendwelche Kenntnisse von Verletzungen
infolge des Einsatzes chemischer Mittel

a) auf Seiten der Polizeikräfte,

b) auf Seiten der Protestierenden?

11. Wie viele Beschwerden über Übergriffe von Beamten und Angestellten des
Bundes und der Länder sind der Bundesregierung im Zusammenhang mit
den Castor-Transporten bekannt?

Wie viele dieser Beschwerden sind inzwischen untersucht worden?

12. Wie viele dieser Beschwerden führten inzwischen zu disziplinarischen
Ermittlungen gegen die beteiligten Beamten und mit welchem Ergebnis
endeten diese Ermittlungen?

13. Wie viele Strafverfahren wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
gegen die Beteiligten an den Anti-Castor-Protesten bisher eingeleitet
(bitte nach Art der Strafvorwürfe aufschlüsseln)?

14. Welche Schadensersatzforderungen will die Bundesregierung gegen
Demonstrierende im Zusammenhang mit den Castor-Transporten geltend
machen bzw. hat sie bereits geltend gemacht?

Auf welcher Rechtsgrundlage will die Bundesregierung solche Forderun-
gen geltend machen?

15. Welche anderen Schadensersatzforderungen von Unternehmen oder der
Länder gegen Demonstrierende sind der Bundesregierung bekannt?

16. Welche Schadensersatzforderungen von Opfern der polizeilichen Castor-
Einsätze bzw. von Bewohnern des Wendlands oder entlang der Castor-
Strecke wohnenden Menschen gegen die Polizei oder Behörden und Ein-
richtungen des Bundes und der Länder sind der Bundesregierung bekannt?

17. Sind der Bundesregierung Versuche bekannt, Vereinen und Initiativen, die
zu den Anti-Castor-Protesten beigetragen haben, den Status der Gemein-
nützigkeit zu entziehen?

Wenn ja, wie vereinbart die Bundesregierung solche Versuche mit dem
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und dem Grundrecht auf zivilen
Widerstand und zivilen Ungehorsam gegen staatliche Maßnahmen?

Berlin, den 18. April 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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