BT-Drucksache 14/5949

"Betreuung" von Gefangenen durch rechtsextreme Organisationen, Bildung von "Knastkameradschaften" und Aktivitäten rechtsextremer Gefangener im Strafvollzug

Vom 4. Mai 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5949
14. Wahlperiode 04. 05. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

„Betreuung“ von Gefangenen durch rechtsextreme Organisationen,
Bildung von „Knastkameradschaften“ und Aktivitäten rechtsextremer Gefangener
im Strafvollzug

Mit der in den vergangenen Jahren erheblich gestiegenen Zahl inhaftierter
Rechtsextremisten wuchs auch die Bedeutung der Gefangenenbetreuung und
-hilfe durch rechtsextremistische Organisationen.

Die „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Ange-
hörige e. V.“ (HNG) spielt dabei noch immer eine zentrale Rolle. Aufgrund ihrer
Funktion, inhaftierte Rechtsextremisten weiter in der Szene zu halten und sie in
ihren Überzeugungen zu bestärken, und ihrem Einsatz für rechtsextremistische
Gewalttäter wird sie seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet.

Neben der HNG existierten in den neunziger Jahren u. a. das „Internationale
Hilfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e. V.“
(IHV), die „Gefangenenhilfe der Nationalen e. V.“, das „Kameradschaftswerk
für nationale Gefangene“ der NPD, in Österreich die „Nationalfreiheitliche Ge-
fangenenhilfe“.

Daneben gewinnt die Bildung von „Knastkameradschaften“ an Bedeutung.

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Spremberg beobachtet diesbezüg-
lich, „dass versucht wird, Kameradschaften hier, auch gerade im Jugendvollzug,
[…] auszubilden und zu verstärken.“ (Panorama, 22. Juni 2000)

Mit der Betreuung von Gefangenen durch rechtsextremistische Organisationen
und der Bildung von „Knastkameradschaften“ wird das Ziel verfolgt, die inhaf-
tierten Gefangenen zu organisieren, sie in die rechtsextreme Szene einzubinden
und sie im Umgang mit Behörden und dem Personal der Justizvollzugsanstalten
politisch im rechtsextremen Sinne zu schulen.

Beobachtet werden kann darüber hinaus der Versuch von rechtsextremen Inhaf-
tierten, auch „unpolitische“ Inhaftierte zu beeinflussen und ausländische und an-
dersdenkende Gefangene einzuschüchtern. Mit den Organisationen rechtsextre-
mer Inhaftierter und deren Betreuung durch rechtsextreme Organisationen wird
versucht, im Knast neue Mitglieder für die rechtsextreme Szene im Knast zu
gewinnen.

Angesichts des in einigen Justizvollzugsanstalten prozentual sehr hohen Anteils
rechtsextremer Inhaftierter – der Anteil der Inhaftierten aus dem rechten Spek-
trum in der JVA Spremberg etwa beträgt laut „Panorama“ fast dreißig Prozent
(Panorama, 22. Juni 2000) – und dem Grad ihrer Organisation – der Sozialthera-
peut der JVA Spremberg antwortet auf die Frage von Panorama: „Ich denke, die
Rechtsradikalen, die hier in der Anstalt sind, sind auch gut organisiert. […].“ –
sind derartige Befürchtungen durchaus berechtigt.

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Ein Mitarbeiter des Justizministeriums in Niedersachsen äußerte sich in der
Panorama-Sendung vom 22. Juni 2000 entsprechend:

„Denn so eine Anstalt darf einfach nicht in den Ruf kommen, also eine Dreh-
scheibe für rechtsextremes Gedankengut zu sein oder aber auch ein Schulungs-
zentrum, wo dann Gefangene beeinflusst werden, dass sie anschließend für die
rechtsextreme Szene wunderbar mit einzusetzen sind.“

Über die aktuelle Bedeutung und Arbeitsweise rechtsextremer Organisationen
zur Gefangenenbetreuung wie auch über die Aktivitäten rechtsextremer Inhaf-
tierter in den Justizvollzugsanstalten liegen der Öffentlichkeit derzeit jedoch ver-
gleichsweise geringe und nur wenig aktuelle Informationen vor.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Rechtsextremisten bzw. nach rechtsextremen Straftaten Verurteilte
sind derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung inhaftiert, und wie hat sich
die Zahl der inhaftierten Rechtsextremisten seit 1997 bis heute entwickelt
(bitte gesondert nach inhaftierten Straftätern und Straftäterinnen und Bundes-
ländern aufführen)?

2. Wie hoch ist der Prozentsatz rechtsextremistischer Inhaftierter in den einzel-
nen Justizvollzugsanstalten (bitte nach Justizvollzugsanstalten und Jahren
aufschlüsseln)?

3. Wie hoch ist der Prozentsatz rechtsextremistischer Inhaftierter unter 21 Jah-
ren (bitte nach Justizvollzugsanstalten und Jahren aufschlüsseln)?

4. Wie viele inhaftierte Rechtsextremisten sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in der HNG organisiert bzw. werden in welchen Haftanstalten von der
HNG betreut (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

5. Wie gestaltet sich konkret die Betreuung der Gefangenen durch die HNG?

a) Welche Betreuung durch die HNG erfahren die Gefangenen außer dem
Führen von Briefwechseln?

b) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass die HNG die
von ihr betreuten Gefangenen mit rechtsextremistischem Propagandama-
terial versorgt?

6. Verfügt die Bundesregierung über Informationen oder Berichte darüber, dass
die Hemmschwelle, eine rechtsextremistische Straftat zu begehen, angesichts
der zu erwartenden Betreuung durch die HNG oder eine andere rechtsextreme
Organisation zur Betreuung rechtsextremer Inhaftierter möglicherweise her-
abgesetzt werden könnte ?

7. Wie viele Mitglieder hat die HNG?

a) Welche Entwicklung bei den Mitgliederzahlen der HNG ist seit 1997 bis
heute zu beobachten?

b) Worauf führt die Bundesregierung Veränderungen in den Mitgliederzah-
len zurück?

8. Wie hoch ist die Auflage der HNG-Nachrichten (bitte nach Jahren aufschlüs-
seln)?

9. Wie finanziert sich die HNG?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5949

10. Verfügt die HNG über Verbindungen zur NPD?

Wenn ja, welcher Art sind diese Verbindungen (gegenseitige Unterstützung
finanzieller oder organisatorischer Art, Verbindungen über Mitgliedschaften
in beiden Organisationen, gemeinsame Durchführung von Veranstaltungen,
Demonstrationen etc.)?

11. Hat die HNG Verbindungen zu anderen rechtsextremen Parteien oder Orga-
nisationen?

Wenn ja, welcher Art sind diese Verbindungen (Verbindungen über Mit-
gliedschaften in beiden Organisationen, gemeinsame Durchführung von
Veranstaltungen, Demonstrationen etc.)?

12. Aus welchen rechtsextremistischen Zusammenhängen und Organisationen
rekrutiert sich die Mitgliedschaft der HNG?

13. Wie hoch ist der Anteil von ehemaligen Mitgliedern inzwischen verbotener
Organisationen innerhalb der HNG-Mitgliedschaft?

Aus welchen verbotenen Organisationen rekrutieren sich HNG-Mitglieder?

14. Welche Bedeutung hat die HNG als Sammelbecken oder Bindeglied für
Rechtsextremisten aller Richtungen?

15. Welche Bedeutung haben die HNG bzw. die HNG-Nachrichten im Rahmen
der „Anti-Antifa“-Kampagne?

16. Welche Schritte hält die Bundesregierung angesichts der Bedeutung und
Aufgabenstellung der HNG für erforderlich, den Aktivitäten der HNG ent-
gegenzuwirken bzw. überlegt die Bundesregierung, konkrete Schritte gegen
die HNG zu unternehmen?

17. Wie viele „Knastkameradschaften“ gibt es seit 1997 nach Informationen der
Bundesregierung in den Haftanstalten der einzelnen Bundesländer (bitte
nach Jahren aufschlüsseln)?

18. Wie gestaltet sich konkret die Betreuung bzw. Unterstützung der rechtsext-
remen Inhaftierten durch die „Knastkameradschaften“?

19. Welche weiteren Aktivitäten neben der Betreuung rechtsextremer Inhaftier-
ter (beispielsweise „Schulungen“ anderer Inhaftierter, Herausgabe von Zeit-
schriften o. Ä.) entfalten die „Knastkameradschaften“ ?

20. Durch wen oder durch welche Organisationen aus dem rechtsextremisti-
schen Spektrum wird die Bildung von „Knastkameradschaften“ gefördert?

21. Welche weiteren Erkenntnisse hat die Bundesregierung über diese „Knast-
kameradschaften“ ?

22. Welche Schritte hält die Bundesregierung für erforderlich, den zunehmen-
den Aktivitäten von „Knastkameradschaften“ entgegenzuwirken bzw. über-
legt die Bundesregierung, konkrete Schritte gegen die Bildung und die Akti-
vitäten von „Knastkameradschaften“ zu unternehmen?

23. a) Wie viele rechtsextreme Inhaftierte werden seit 1997 von Organisationen
betreut, die in früheren Jahren in der Betreuung rechtsextremistischer
Inhaftierter aktiv waren, beispielsweise das „Internationale Hilfskomitee
für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e. V.“, die „Ge-
fangenenhilfe der Nationalen e. V.“, das „Kameradschaftswerk für natio-
nale Gefangene“ der NPD, in Österreich die „Nationalfreiheitliche Ge-

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fangenenhilfe“, soweit diese noch existieren (bitte nach Organisationen
und Jahren aufschlüsseln)?

b) Wie gestaltet sich konkret die Betreuung bzw. Unterstützung der rechts-
extremen Inhaftierten durch diese Organisationen (bitte für jede Organi-
sation einzeln darstellen)?

24. Welche weiteren organisierten Gruppen auf Bundes- und Landesebene, die
sich mit der Betreuung inhaftierter Rechtsextremer befassen, existieren nach
Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit?

a) Wie viele rechtsextreme Inhaftierte werden seit 1997 von diesen Organi-
sationen betreut (bitte nach Organisationen und Jahren aufschlüsseln)?

b) Wie gestaltet sich konkret die Betreuung bzw. Unterstützung der rechts-
extremen Inhaftierten durch diese Organisationen (bitte für jede Organi-
sation einzeln darstellen)?

25. Stehen nach Kenntnis der Bundesregierung die verschiedenen rechtsextre-
mistischen Gefangenenorganisationen in Konkurrenz zueinander oder gibt
es eine Zusammenarbeit?

Wenn es eine Zusammenarbeit gibt, welche Organisation übernimmt dabei
koordinierende Aufgaben?

26. Welche Schritte hält die Bundesregierung für erforderlich, den Aktivitäten
dieser Organisationen und Vereine entgegenzuwirken bzw. überlegt die
Bundesregierung, konkrete Schritte gegen die Aktivitäten dieser Organisati-
onen und Vereine zu unternehmen?

27. Hat sich das Bundesminsterium der Justiz in Zusammenarbeit mit den Jus-
tizministerien der Länder seit 1997 im Zusammenhang mit der Existenz und
den Aktivitäten von Organisationen, die rechtsextreme Inhaftierte betreuen,
befasst?

Wenn ja, in welcher Weise und mit welchen Konsequenzen?

28. Werden rechtsextreme Inhaftierte infolge der Betreuung durch eine der o. g.
Organisationen in ihrer rechtsextremistischen Weltanschauung gefestigt?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

29. Wirkt sich die Betreuung durch eine der o. g. Organisationen auf den politi-
schen Zusammenhalt der rechtsextremen Inhaftierten in den Haftanstalten
aus?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

30. Werden rechtsextreme Inhaftierte durch die Betreuung durch eine der o. g.
Organisationen noch während ihrer Inhaftierung oder nach der Haftentlas-
sung fester in rechtsextreme Organisationen und Strukturen eingebunden?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

31. Steht die Betreuung rechtsextremer Inhaftierter durch eine der o. g. Organi-
sationen dem Resozialisierungsziel entgegen?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

32. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass ausstiegswillige
rechtsextreme Inhaftierte infolge der Betreuung durch eine der o. g. Organi-
sationen von einem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene abgehalten wer-
den?

Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung dagegen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5949

33. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass organisierte
rechtsextreme Inhaftierte in den Haftanstalten neue Mitglieder oder Sympa-
thisanten gewinnen oder werben?

Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung dagegen?

34. Üben organisierte rechtsextreme Inhaftierte Druck auf weniger oder gar
nicht organisierte rechte oder rechtsextreme Inhaftierte aus?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

35. Sind der Bundesregierung verbale und/oder körperliche Übergriffe von in-
haftierten Rechtsextremen auf ausländische Gefangene seit 1997 bis heute
bekannt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, um welche konkreten Fälle handelt es sich und waren von o. g. Or-
ganisationen betreute Inhaftierte beteiligt?

Wie sind solche Übergriffe zu verhindern?

36. Sind der Bundesregierung verbale und/oder körperliche Übergriffe von in-
haftierten Rechtsextremen auf „andersdenkende“ Gefangene seit 1997 bis
heute bekannt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, um welche konkreten Fälle handelt es sich und waren von o. g. Or-
ganisationen betreute Inhaftierte beteiligt?

Wie sind solche Übergriffe zu verhindern?

37. Welche NS-Symbole, NS-Devotionalien, Fahnen, T-Shirts mit aufgedruck-
ten Nazi-Emblemen oder mit dem Kopf des ehemaligen Hitler-Stellvertre-
ters Rudolf Heß konnten in den Jahren von 1997 bis heute bei rechtsextre-
men Inhaftierten nach Zellenrazzien beschlagnahmt bzw. im Vorfeld
angehalten werden (bitte einzeln auflisten)?

38. Welche Flugblätter, Zeitschriften, Zeitungen, Broschüren und/oder Bücher
mit rechtsextremem Inhalt konnten in den Jahren von 1997 bis heute bei
rechtsextremen Inhaftierten nach Zellenrazzien beschlagnahmt bzw. im Vor-
feld angehalten werden (bitte einzeln auflisten)?

39. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass inhaftierte
Rechtsextreme aus den Haftanstalten heraus Propaganda betreiben?

Wenn ja, welche Rolle spielen dabei o. g. Organisationen, insbesondere die
HNG und die „Knastkameradschaften“?

Wenn ja, wie ist dem zu begegnen?

40. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass rechtsextreme
Inhaftierte aus Haftanstalten heraus für rechtsextremistische Zeitschriften
und/oder Zeitungen schreiben?

Wenn ja, für welche?

Wie ist dem zu begegnen?

Drucksache 14/5949 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

41. Wie viele und welche rechtsextremistischen „Knast-Zeitungen“ gibt es seit
1997 (bitte nach Justizvollzugsanstalten und Jahren aufschlüsseln)?

42. Wie viele und welche von inhaftierten Rechtsextremen seit 1997 bis heute
im Strafvollzug begangenen Straftaten sind der Bundesregierung bekannt
(bitte nach Bundesländern und Jahren aufschlüsseln)?

Wie ist dem zu begegnen?

43. Verfügt die Bundesregierung über Informationen oder Berichte, wie die Be-
diensteten der Justizvollzugsanstalten den Aktivitäten rechtsextremer Inhaf-
tierter begegnen?

Wird dafür Sorge getragen, dass die Bediensteten der Justizvollzugsanstal-
ten über die Aktivitäten rechtsextremer Inhaftierter und über deren Betreu-
ung durch rechtsextreme Organisationen informiert werden?

Existieren Schulungskurse, um die Bediensteten im Umgang mit rechtsext-
remen Inhaftierten auszubilden?

Berlin, den 19. April 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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