BT-Drucksache 14/5913

Speicherung von Gen-Dateien beim Bundeskriminalamt, Konsequenzen aus dem jüngsten Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zum "genetischen Fingerabdruck"

Vom 23. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5913
14. Wahlperiode 23. 04. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS

Speicherung von Gen-Dateien beim Bundeskriminalamt, Konsequenzen
aus dem jüngsten Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zum
„genetischen Fingerabdruck“

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer kürzlichen Entscheidung
(2 BvR 1841/00 u. a. vom 15. März 2001) gleich vier Verfassungsbeschwerden
von verurteilten Straftätern gegen die Speicherung ihres „genetischen Finger-
abdrucks“ stattgegeben. Die Beschwerdeführer waren laut Pressemitteilung des
BVerfG Nr. 36/2001 vom 6. April 2001 „alle mehrfach mit Diebstählen, Kör-
perverletzungen oder Betäubungsmitteldelikten straffällig geworden und zu
Geld- und Freiheitsstrafen zwischen 6 Monaten und 2 Jahren, jeweils auf
Bewährung, verurteilt worden.“

In allen vier Fällen hatten Amtsgerichte die Speicherung des „genetischen
Fingerabdrucks“ der Verurteilten angeordnet.

Das BVerfG hat in allen Fällen die Beschlüsse der Amtsgerichte und die sie
bestätigenden Beschlüsse der Landgerichte aufgehoben, weil, so die Pressemit-
teilung des BVerfG, „durch sie die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 GG) verletzt werden. Die Be-
gründungen der Fachgerichte lassen sämtlich nicht erkennen, dass die
erforderliche umfangreiche und gründliche Prüfung des Einzelfalls durchge-
führt worden ist. In diesem Zusammenhang weist die Kammer erneut darauf hin,
dass die Speicherung des ,genetischen Fingerabdrucks‘ nur unter engen Voraus-
setzungen angeordnet werden darf. So entbindet der Umstand, dass ein Betrof-
fener sich eine Katalogtat des § 81g StPO [Strafprozessordnung] hat zuschulden
kommen lassen, nicht in jedem Fall von einer einzelfallbezogenen Prüfung, ob
es sich dabei um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt … Ebenso
wenig genügt die reine Erwähnung vorangegangener Verurteilungen für eine
Gefahrenprognose. Bei der Beurteilung der von einem Betroffenen heute ausge-
henden Gefahren fällt die seit der letzten Straftat verstrichene Dauer ebenso ins
Gewicht wie besondere Umstände, die zu der Tat geführt haben. Eine Strafaus-
setzung zur Bewährung ist in diese Würdigung einzubeziehen …“ (alle Zitate
aus der Pressemitteilung des BVerfG vom 6. April 2001).

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, hatte schon in sei-
nem 17. Tätigkeitsbericht (Bundestagsdrucksache 14/850 vom 4. Mai 1999)
angemahnt, „dass der in einem aktuellen Strafverfahren gewonnene genetische
Fingerabdruck nicht automatisch in die Gen-Datenbank übernommen wird,
sondern nur nach einzelfallbezogener Abwägung“ (ebenda, S. 44).

Im Zusammenhang mit der Vorstellung seines 18. Tätigkeitsberichts hat der
Datenschutzbeauftragte Anfang April nun ebenfalls vor einem leichtfertigen
Umgang mit Gentests gewarnt und u. a. ein ausdrückliches und strafbewehrtes

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Verbot verlangt, ohne Zustimmung „die Analyse des Genoms eines anderen
durchzuführen oder Ergebnisse der Analyse des Genoms eines anderen mitzu-
teilen und zu nutzen.“ (zit. nach Bonner General-Anzeiger, 6. April 2001) Zur
Begründung erklärte Joachim Jacob, gentechnische Untersuchungen enthielten
„höchst persönliche Informationen in einem Maße, das die Sensitivität bisheri-
ger personenbezogener Daten bei weitem übersteigt.“ (a. a. O.)

Diese Urteile und Forderungen stehen in einem krassen Gegensatz zur Praxis
des Bundeskriminalamts (BKA). Aus den Antworten der Bundesregierung zu
Art und Ausmaß der Speicherung des „genetischen Fingerabdrucks“ beim
BKA lässt sich errechnen, dass allein in der Zeit vom 21. Februar bis 6. März
2001 beim BKA 24 879 neue Datensätze gespeichert wurden, das heißt 2 764
Datensätze täglich. Offenbar werden viele Datensätze in summarischen Verfah-
ren erhoben und an das BKA weitergeleitet.

Eine solche massenhafte Speicherung von mehreren tausend Datensätzen täg-
lich ist mit der vom BVerfG geforderten sorgfältigen Einzelfallprüfung unver-
einbar.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schritte hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren ergrif-
fen, um der Forderung des Datenschutzbeauftragten aus dem Jahre 1999,
dass Genomanalysen nur nach einzelfallbezogener Prüfung an Behörden des
Bundes weitergeleitet und dort gespeichert werden, nachzukommen bzw.
ihre Einhaltung sicherzustellen?

2. Welche Schritte hat die Bundesregierung eingeleitet, um in Zukunft dafür
Sorge zu tragen, dass die in den Urteilen des BVerfG und vom Datenschutz-
beauftragten geforderte sorgfältige Einzelfallprüfung bei jeder Speicherung
des „genetischen Fingerabdrucks“ von Behörden des Bundes, insbesondere
vom BKA, künftig eingehalten wird?

3. Welche Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um Dateien, die in der
Vergangenheit im Widerspruch zu diesen Urteilen, insbesondere ohne die
darin geforderte sorgfältige Einzelfallprüfung, beim BKA oder anderen Be-
hörden des Bundes errichtet bzw. gespeichert wurden, zu überprüfen und
ggf. rechtswidrig, z. B. in summarischen Verfahren, erhobene und gespei-
cherte Daten wieder zu löschen?

4. Ist der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bisher an der Überprüfung
bereits errichteter Dateien von Genomanalysen beim BKA beteiligt gewe-
sen?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

5. Wie will sich die Bundesregierung zu der Forderung des Bundesbeauftrag-
ten für den Datenschutz verhalten, ein strafbewehrtes Verbot der Durchfüh-
rung und Weitergabe von Genomanalysen zu verhängen, die ohne Zustim-
mung des Betroffenen erfolgen?

Berlin, den 18. April 2001

Ulla Jelpke
Petra Pau
Roland Claus und Fraktion

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