BT-Drucksache 14/589

Abschiebungen in die Türkei

Vom 17. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/589 vom 17.03.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Abschiebungen in die Türkei =

17.03.1999 - 589

14/589

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS
Abschiebungen in die Türkei

Nach den Protesten gegen die Entführung und Festnahme des Vorsitzenden
der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, wurde von
bundesdeutschen Politikern die schnelle Abschiebung von Gewalttätern
gefordert. Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderten,
Abschiebungen auch ohne Prüfung von Gefahren für die Abgeschobenen in
der Türkei durchzuführen. Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe
Wahlen antworteten 46 Prozent der Befragten auf die Frage, welche
"Vorgehensweise die Behörden gegenüber im Rahmen der Protestaktion
straffällig gewordenen Kurden wählen sollten", daß diese auf jeden Fall
in die Türkei abzuschieben seien. 27 Prozent befürworteten eine
Abschiebung, wenn den Abgeschobenen keine Gefahr für Leib und Leben
drohe; nur 24 Prozent waren der Meinung, daß straffällig gewordene
Kurden nach deutschem Recht bestraft werden sollten. Nach den Kurden-
Protesten vor fünf Jahren waren erst 37 Prozent grundsätzlich für eine
Abschiebung, 29 Prozent plädierten für eine Einschränkung der
körperlichen Unversehrtheit und 31 Prozent meinten, daß straffällig
gewordene Kurden nach hiesigen Gesetzen bestraft werden sollten.
(Süddeutsche Zeitung, 27./28. Februar 1999)
Nur selten wird deutlich darauf hingewiesen, daß politisch Verfolgte
nach internationalen Übereinkünften (u. a. der Genfer
Flüchtlingskonvention) einen über Artikel 16 Grundgesetz hinausgehenden
Schutz auch in der Bundesrepublik Deutschland haben. Statt dessen wird
nach der Verschärfung von Gesetzen gerufen bzw. die volle Ausschöpfung
der geltenden Gesetze angekündigt.
In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 1999 wurde
ein verwaltungsgerichtliches Urteil aufgehoben, in dem die Klage eines
Türken kurdischer Volkszugehörigkeit auf Anerkennung als
Asylberechtigter abgewiesen worden war. Der Beschwerdeführer kam 1990
in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte die Anerkennung als
Asylberechtigter. Begründet wurde der Antrag mit mehrmaligen
Verhaftungen, da er die PKK finanziell unterstützt habe. Das
Bundesverfassungsgericht stellt nun ausdrücklich fest: Wird "über die
Bekämpfung von Straftaten hinaus der politische Gegner . . . verfolgt,
kommt den dabei ergriffenen staatlichen Maßnahmen asylbegründende
Wirkung zu. So vermag insbesondere eine (angebliche)
Terrorismusbekämpfung staatlichen Gegenterror, der etwa darauf
gerichtet ist, die nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung in
Erwiderung des Terrorismus unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt
zu setzen, nicht zu rechtfertigen." Für viele hier lebende Kurdinnen
und Kurden bedeutet eine mögliche Abschiebung in die Türkei Gefahr für
Leib und Leben. Trotz entsprechender Erkenntnisse und auch
Dokumentationen von Fällen gibt es immer noch keinen Abschiebestopp in
die Türkei.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele der gegen die Entführung und Festnahme Abdullah Öcalans
Protestierenden
a) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung festgenommen?
b) wurden erkennungsdienstlich behandelt?
c) haben ein Ermittlungsverfahren anhängig?
d) wurden inhaftiert?
e) wurden verurteilt (welcher Art waren die Anklagen, welche
Strafen wurden verhängt -- bitte auflisten)?
2. Welche Staatsangehörigkeit hatten die Festgenommenen (bitte nach
Staatsangehörigkeit und Anzahl auflisten)?
3. Welchen aufenthaltsrechtlichen Status haben die Festgenommenen
(bitte nach Anzahl auflisten)?
4. Wurden Daten von Personen, die an den Protestaktionen teilnahmen,
von den zuständigen Ermittlungsbehörden an Behörden im In- und Ausland
weitergeleitet?
Wenn ja,
a) an welche Behörden und an welches Land (bitte auflisten)?
b) welche Personendaten wurden weitergeleitet?
5. Wurden Daten von Personen, die im Zuge der Proteste festgenommen
wurden, von den zuständigen Ermittlungsbehörden an Behörden im In- und
Ausland weitergeleitet?
Wenn ja,
a) an welche Behörden und an welches Land (bitte auflisten)?
b) welche Personendaten wurden weitergeleitet?
6. Wie viele der Festgenommenen wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung bislang abgeschoben?
7. Was versteht der Bundesminister des Innern Otto Schily unter der
Äußerung "klare Kante zeigen", wie er im Interview mit dem
Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL auf die Frage, ob der Staat Härte zeigen
müsse, antwortete (DER SPIEGEL, 22. Februar 1999)?
8. Welche ausländerrechtlichen Bestimmungen bzw. Gesetze sind im
Umgang mit straffällig gewordenen Nicht-Deutschen nach Ansicht der
Bundesregierung noch nicht genügend ausgeschöpft?
9. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Behauptung zu, bei
den in Stuttgart am 2. März 1999 im Kurzverfahren verurteilten
Teilnehmern an der Besetzung des griechischen Konsulates handele es
sich um anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber?
10. Hat der Bundesminister des Innern Otto Schily bereits Kontakt zu
seinem türkischen Kollegen aufgenommen, um über "Sicherheitsgarantien"
für abgeschobene Kurden zu verhandeln?
a) Welches Ziel sollen angestrebte Verhandlungen haben?
b) Wann sollen Verhandlungen stattfinden, bzw. wann wurden sie
begonnen?
c) Strebt die Bundesregierung eine Zusicherung der türkischen
Regierung an, abgeschobene Kurden nicht zu verfolgen, zu inhaftieren,
zu foltern, zu ermorden?
d) Strebt die Bundesregierung ein bilaterales Abkommen an, das
den umfassenden Schutz von Kurden in der Türkei garantiert?
e) Wie überprüft die Bundesregierung die Einhaltung von
Sicherheitsgarantien?
f) Verläßt die Bundesregierung sich auf Zusagen der türkischen
Regierung?
11. Mit welchen Drittstaaten erwägt die Bundesregierung,
Vereinbarungen zur Abschiebung von Kurden zu treffen?
Welche Staaten kommen für solche Vereinbarungen in Frage (bitte
aufzählen)?
12. Wie viele Kurden wurden nach dem Briefwechsel aus dem Jahre 1995
des damaligen Bundesministers des Innern Manfred Kanther mit seinem
türkischen Amtskollegen, der Sicherheitsgarantien für abgeschobene
Kurden versprach, in die Türkei abgeschoben?
13. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen seitens der
türkischen Regierung gegen Sicherheitsgarantien verstoßen wurde?
14. Ist der Bundesregierung eine Dokumentation des Flüchtlingsrates
Niedersachsen über die Schicksale von in die Türkei abgeschobenen
Kurden bekannt, nach der diese in der Türkei gefoltert werden?
Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung die Dokumentation?
15. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Folter in der Türkei?
a) Wie viele Personen wurden in den letzten zehn Jahren nach
Kenntnis der Bundesregierung gefoltert?
b) Waren darunter Frauen und Kinder?
c) Wie viele der Gefolterten sind in den letzten zehn Jahren an
den Folgen der Verletzungen und während der Folter gestorben?
16. Wie viele militärische Operationen hat die Türkei seit 1995 in den
kurdischen Gebieten der Türkei und im Nordirak durchgeführt?
a) Wie viele Opfer gab es insgesamt dabei?
b) Wie viele Opfer gab es in der Zivilbevölkerung?
17. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über die Abschiebepraxis
anderer europäischer Staaten, insbesondere der EU-Staaten und hier der
sogenannten Schengen-Staaten, in die Türkei?
a) Welche dieser Staaten schieben in die Türkei ab (bitte mit
genauer Auflistung von Staat und Anzahl der Abgeschobenen)?
b) Welche dieser Staaten haben einen Abschiebestopp in die
Türkei?
18. Welche Abschiebepraxis haben die zuvor genannten Staaten
hinsichtlich Menschen kurdischer Abstammung in die Türkei?
a) Welche dieser Staaten schieben sie ab, welche nicht (bitte
mit genauer Auflistung von Staaten und Anzahl der Abgeschobenen)?
b) In welche Staaten schieben die o. g. Staaten Menschen
kurdischer Abstammung ab?
Bonn, den 10. März 1999
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

17.03.1999 nnnn

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