BT-Drucksache 14/5803

zu dem Gesetzentwurf der Fraktion SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -14/4599, 14/5204, 14/5750- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie und weiterer EG-Richtlinie, der IVU Richtlinie und weiterer EG-Richtlinieen zum Umweltschutz

Vom 4. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5803
14. Wahlperiode 04. 04. 2001

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Kersten
Naumann, Rolf Kutzmutz, Christine Ostrowski und der Fraktion der PDS

zum Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie,
der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Regierungskoalition wurde zu dem vorgelegten Artikelgesetz, mit dem
Umweltschutzvorschriften in deutsches Recht umgesetzt werden, aufgrund
von EG-Richtlinien und Vorgaben aus Urteilen des europäischen Gerichts-
hofs gezwungen. Unter anderem durch die Aarhus-Konvention bestand da-
rüber hinaus der Anspruch, in Deutschland Beteiligungs- und Informations-
rechte der Bevölkerung auf ein höheres Niveau zu heben. Diese Ziele mit
dem vorgelegten Entwurf umzusetzen, ist der Regierung im Wesentlichen
nicht gelungen. Zudem wurden die in den 90er Jahren in Deutschland im
Zuge der Beschleunigungsgesetze stark beschnittenen gesetzlichen Rege-
lungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung nicht revidiert.

2. Die rechtlichen Regelungen des Gesetzentwurfs setzen den Trend der
90er Jahre zu komplizierten, sprachlich kaum verständlichen und damit in
der Praxis schwer handhabbaren Gesetzentwürfen (siehe beispielsweise den
Text des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes) fort. Die Folge dieser
Kompliziertheit ist eine Verschärfung des Vollzugsdefizits in der Praxis, die
die partiellen Verbesserungen des Entwurfs im Sinne des Umweltschutzes bei
weitem überlagern werden. Selbst die Sachverständigen in der Anhörung des
Bundestagsausschusses am 24. Januar 2001 – alle Experten des Umwelt-
rechts – haben freimütig eingestanden, diesen Gesetzentwurf nicht in Gänze
überblicken, geschweige denn verstehen zu können. Hier klafft im deutschen
Umweltrecht immer mehr eine Lücke zwischen dem Bemühen, die formalen
europarechtlichen Anforderungen zu erfüllen und der Realität der Praxis.

3. Zu begrüßen ist die Änderung des Baugesetzbuches mit der Aufnahme eines
§ 2a, bei Bebauungsplänen für Vorhaben, für die eine Umweltverträglich-
keitsprüfung durchzuführen ist, einen Umweltbericht mit der Beschreibung
der zu erwartenden Umwelteingriffe vorzulegen. Dieser Umweltbericht
wird damit Bestandteil des gesamten Bebauungsplanverfahrens mit öffent-
licher Auslegung und Anhörung. Zu unterstützen ist ferner, dass bei Bauleit-
plänen und Bebauungsplänen, die erhebliche Auswirkungen auch auf die

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Umwelt in Nachbarstaaten haben und für die die Umweltverträglichkeits-
prüfung vorgeschrieben ist, die betroffenen Gemeinden in Nachbarstaaten
nicht nur zu unterrichten, sondern sie auch am Verfahren zu beteiligen.

4. Die demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten und Bürgerrechte werden je-
doch durch den Gesetzentwurf nur ungenügend gestärkt. Zwar werden künftig
mehr Verfahren einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen, aber die
Effizienz der Öffentlichkeitsbeteiligung, eines der besten Kontrollinstrumente
zur Verringerung des Vollzugsdefizits in der Praxis, wird nicht gestärkt, ja in
einigen Punkten nicht einmal formal korrekt umgesetzt. So fehlen beispiels-
weise in den entsprechenden Passagen des Gesetzentwurfs die in der UVP-Än-
derungsrichtlinie explizit genannten Begriffe für die Auslegung der Unterla-
gen im Anhörungsverfahren, wie Ausstellungen mit Plänen, Tafeln, Modellen.
Es fehlt also etwas sehr Anschauliches. In Deutschland werden weiterhin die
BürgerInnen einsam mit vielen Aktenordnern in Büroräumen sitzen, um sich
über ein Projekt informieren zu wollen. Niemand muss sich wundern, wenn sie
auf derartig präsentierte Informationen wenig Lust verspüren. Hier hat es die
Bundesregierung verpasst, neue Elemente der Bürgerbeteiligung, die im kom-
munalen Bereich in vielen Beteiligungsprozessen in Deutschland inzwischen
angewendet werden und die von Bürgernähe, Transparenz, Verständnis und
Effizienz im Sinne eines schnellen Verfahrens gekennzeichnet sind, gesetzlich
zu verankern. Dabei ist mit der Aarhus-Konvention sowie den Bestrebungen
auf EU-Ebene erkennbar, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nur in
Zulassungsverfahren gestärkt werden soll.

5. Auf dem Gebiet des Drittschutzes, der in den 90er Jahren zum Teil massiv
erschwert wurde (Aufhebung der aufschiebenden Wirkung von Widersprü-
chen u. a.), sind durch den vorliegenden Gesetzentwurf keine Verbesserun-
gen zu erkennen, obwohl gerichtliche Sanktionsmöglichkeiten zu den bil-
ligsten und effektivsten Möglichkeiten zählen, das Vollzugsdefizit der Praxis
zu beheben.

6. Der Gesetzentwurf fällt in Teilen hinter die im deutschen Umweltrecht gel-
tende Regelung zurück, wonach bei einer verwaltungsgerichtlichen Klage
eine Nachprüfung in einem Vorverfahren nicht vorausgesetzt wird.

7. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zum Umweltinformations-
gesetz sind nicht an die weitgehend fertig gestellte Änderungsrichtlinie zu
Umweltinformationen der EU, die auf die Aarhus-Konvention zurückgeht,
angepasst worden. Es ist der Öffentlichkeit aber kaum erklärbar, warum der-
zeit das Umweltinformationsgesetz geändert wird, aber die im Entwurf in Eu-
ropa endgültig abgestimmte Änderungsrichtlinie zu Umweltinformationen
unberücksichtigt bleibt und damit wiederum wertvolle Zeit und gesetzgebe-
rische Ressourcen verschenkt werden. Zudem sind die im Gesetzentwurf ent-
haltenen Gebührenregelungen des Umweltinformationsgesetzes zwar ver-
bessert worden, stellen mit ihren Gebührenhöhen von bis zu 500,– DM aber
immer noch eine zu hohe Hürde für viele BürgerInnen dar, von ihrem Infor-
mationsrecht Gebrauch zu machen.

8. Die im Gesetzentwurf enthaltene Privilegierung öko-auditierter Unterneh-
men ist sachlich nicht geboten. Die Teilnahme am Öko-Audit zeigt, dass
dieses Instrument nur dann im Sinne des Umweltschutzes Erfolge erzielen
kann, wenn im Unternehmen die entsprechende Bereitschaft für Ressourcen
schonendes Verhalten bereits vorhanden ist. Impulse zur stärkeren Teil-
nahme am Öko-Audit-Verfahren sollten deshalb nicht durch Erleichterungen
im Überwachungsregime des behördlichen Handelns erzwungen werden.
Dies würde dem Umweltschutzgedanken und damit den Zielen der EMAS-
Verordnung eklatant widersprechen. Zudem gäbe es wettbewerbsrechtliche
Bedenken in Hinblick auf solche Unternehmen, die sich der internationalen
Norm ISO 14 000 unterworfen haben. Hier läge eine einseitige Privilegie-
rung der EMAS-auditierten Unternehmen vor.

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9. Die Gesetzesvorlage setzt für den Abschnitt Verkehrsvorhaben nur ein Mi-
nimalniveau um, das hinter die derzeitige Rechtslage und hinter den bisher
erreichten Stand der Umweltvorsorge zurückfällt. Nach Einschätzung von
Sachverständigen der öffentlichen Anhörung des Bundestags-Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 24. Januar 2001 sind
die Vorgaben der Richtlinie 97/11/EG aber nur Mindestwerte, die auch das
Festlegen strengerer Werte zulassen. In dem für den Bereich Verkehr rele-
vanten Teil des Gesetzentwurfs würden nach den Vorgaben von Artikel 1
Nr. 26 Anlage 1 Nummern 14.4 bis 14.6 der Neubau von vier- und mehr-
streifigen Bundesstraßen mit einer Länge von unter fünf Kilometern nicht
mehr der im Planfeststellungsverfahren obligatorischen Umweltverträg-
lichkeitsprüfung unterworfen. Dazu gilt für alle anderen Bundesstraßen
10 Kilometer als Schwellenwert. Dabei ist lediglich eine allgemeine Vor-
prüfung vorgesehen, ob eine UVP durchgeführt werden muss (Spalte-2-
Verfahren). Selbst der Bau von Flughäfen mit einer Start- und Landebahn-
grundlänge von weniger als 1 500 Metern müsste nach dem Gesetzentwurf
nicht mehr einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden, wie
sie früher im Rahmen einer Planfeststellung möglich war. Ob damit der
geplante Boom von Regionalflughäfen, deren Kapazitäten sich in den
nächsten Jahren verdoppeln sollen, gebremst werden kann, ist fraglich,
denn viele dieser Flughäfen sind kleiner.

10. Der Zusammenhang zwischen einer sehr hohen Bestandsdichte in Anlagen
der Tierhaltung und Umweltauswirkungen sowie gesundheitlichen Risiken
ist evident. Deshalb ist die Festlegung von Schwellenwerten für die Inten-
sivhaltung und -aufzucht von Rindern und Kälbern sowie für die Trut-
hühnermast zu begrüßen. Das Gleiche gilt für die Flächenbindung in der
Tierhaltung. Die im Gesetzentwurf festgelegten Höhen der Schwellenwerte
stellen jedoch mehrheitlich keine adäquate Einstufung und gerechte Be-
wertung der Umweltauswirkungen von Anlagen der Tierhaltung dar, weil
damit Umweltverträglichkeitsprüfungen bzw. Vorprüfungen für eine Reihe
solcher Anlagen verhindert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Gesetzent-
wurf folgendermaßen zu ändern:

1. Die gesetzlichen Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Umwelt-
recht in Deutschland, die in den 90er Jahren im Zuge der Beschleunigungs-
gesetze stark beschnitten wurden, müssen grundsätzlich mit dem Ziel über-
arbeitet werden, die Beteiligungsrechte fairer, motivierender und einfacher
auszugestalten. Dies würde im Übrigen auch zu mehr Akzeptanz führen.

2. Die anerkannten Naturschutzverbände müssen frühzeitiger an den Zulas-
sungsverfahren beteiligt werden. Für den Gesetzentwurf bedeutet dies, die
anerkannten Naturschutzverbände müssen bei den Zulassungsverfahren mit
Umweltverträglichkeitsprüfung bereits im Scoping-Termin sowie auch bei
Verfahren, die einer Einzelfallprüfung unterzogen werden beispielsweise
über die Frage, ob eine UVP durchgeführt werden soll, informiert und ein-
bezogen bzw. beteiligt werden.

3. Die Verfahrensausgestaltung der Beteiligung an den Zulassungsverfahren
muss insgesamt transparenter und einfacher werden. Für den Gesetzentwurf
bedeutet dies, dass in die öffentliche Auslegung der gesamte Genehmi-
gungsantrag kommen muss und nicht nur bestimmte Teile, wie dies derzeit
nach deutschem Recht gehandhabt wird und wie es im Widerspruch zu
Artikel 15 Abs. 1 Satz 1 der IVU-Richtlinie steht. Auch ist die Öffentlich-
keit des Erörterungstermins im Rahmen der Verfahrensgestaltung zu ge-
währleisten. Insoweit ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis der derzeitigen
Regelung umzukehren.

Drucksache 14/5803 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
4. Der Zweck des UVP-Gesetzes ist so zu ändern, dass Dritte in den Schutz-
bereich des Gesetzes explizit aufgenommen werden (Schutznormtheorie).
Auch für die Umsetzung der IVU-Richtlinie muss eine entsprechende Klar-
stellung für den Drittschutz bezüglich Vorsorgemaßnahmen (im Einklang
mit Artikel 3a IVU-Richtlinie) enthalten sein, damit die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs, der nicht zwischen Drittschutz zur Gefahren-
abwehr und Vorsorgewerten differenziert, künftig auch von deutschen
Gerichten Beachtung findet.

5. In den entsprechenden Artikeln des Gesetzentwurfes bedarf es jeweils des
Zusatzes, dass es vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage keiner
Nachprüfung in einem Vorverfahren bedarf, um zu verhindern, dass Klagen
gegen eine Plangenehmigung dadurch verzögert werden, dass Nachprüfun-
gen in einem Vorverfahren vorausgesetzt werden.

6. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zum Umweltinformations-
gesetz sind an die weitgehend fertig gestellte Änderungsrichtlinie zu Um-
weltinformationen der EU, die auf die Aarhus-Konvention zurückgeht,
anzupassen. Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Gebühren-
regelungen des Umweltinformationsgesetzes sind entsprechend den in der
Praxis gut funktionierenden bürgerfreundlicheren Tatbeständen von Nord-
rhein-Westfalen zu ändern, die eine vollständige Kostenbefreiung vorsehen.

7. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Passagen des Gesetzestextes zur Privi-
legierung öko-auditierter Unternehmen sind zu streichen.

8. Die Vorgaben von Artikel 1 Nr. 26 Anlage 1 Nummern 14.4 bis 14.6 und
14.12 sind so zu ändern, dass wesentlich kleinere Abschnitte, für den Neu-
bau von Bundesstraßen – obligatorisch bereits ab 4 km – und für den Bau,
Ausbau, Umbau und Umwidmung von Flughäfen mit Start- und Landebahn-
grundlängen ab 1 000 Metern einer Umweltverträglichkeitsprüfung im
Spalte-1-Verfahren unterzogen werden müssen. Zudem sind die in
Nummer 14.11 angeführten Verkehrsvorhaben bei Straßenbahnen und Stadt-
bahnen in Hochlage, als Untergrundbahn oder als Hängebahn in einem
Spalte-1-Verfahren mit Umweltverträglichkeitspüfung durchzuführen.

9. In Artikel 1 Nr. 26 ist die Anlage 1 so zu ändern, dass durch eine pauschale
Herabsetzung der Schwellenwerte bei Anlagen der Tierhaltung um etwa
30 % eine adäquatere Einstufung und eine gerechtere Bewertung der
Umweltauswirkungen von solchen Investitionen in Umweltverträglichkeits-
prüfungen erzielt werden kann. Zudem sind die in Spalte-2-Verfahren einge-
ordneten Anlagen statt einer standortbezogenen Vorprüfung einer allgemei-
nen Vorprüfung zu unterziehen.

Berlin, den 4. April 2001

Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Winfried Wolf
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Rolf Kutzmutz
Christine Ostrowski
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